Leitsatz (amtlich)

a) Bei der Feststellung der Unterscheidungseignung einer dreidimensionalen Marke, die die Form der Ware darstellt, ist auch auf die Verhältnisse auf dem jeweiligen Warengebiet und die dort vorhandenen Gestaltungsformen abzustellen.

b) Zur Unterscheidungskraft eines Uhrengehäuses.

 

Normenkette

MarkenG § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 107; PVÜ Art. 6quinquies Abschn. B Nr. 2

 

Verfahrensgang

BPatG (Beschluss vom 27.05.1998)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss des 29. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des BPatG v. 27.5.1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Markeninhaberin begehrt für ihre nachstehend abgebildete mit Anmeldedatum 14.3.1995 (Ursprungsland Schweiz) international registrierte dreidimensionale IR-Marke Nr. 640 196 Schutz in der Bundesrepublik Deutschland für die Waren

"Montres"

(Armbanduhren):

Die Markenstelle des Deutschen Patentamts hat der IRMarke wegen fehlender Unterscheidungskraft und wegen Vorliegens eines Freihaltebedürfnisses den Schutz verweigert.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Markeninhaberin ist erfolglos geblieben.

Mit der (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Markeninhaberin ihr Schutzbegehren weiter.

Durch Beschluss v. 23.11.2000 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 EG folgende Fragen zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. b, c und e MarkenRL zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, Beschl. v. 23.11.2000, WRP 2001, 269 = MarkenR 2001, 75 - Rado-Uhr):

"1. Ist bei der Feststellung der Unterscheidungskraft i. S. v. Art. 3 Abs. 1 lit. b der genannten Richtlinie bei dreidimensionalen Marken, die die Form der Ware darstellen, ein strengerer Maßstab an die Unterscheidungskraft anzulegen als bei anderen Markenformen?

2. Besitzt Art. 3 Abs. 1 lit. c neben Art. 3 Abs. 1 lit. e der Richtlinie für dreidimensionale Marken, die die Form der Ware darstellen, eine eigenständige Bedeutung? Ist bejahendenfalls bei der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 lit. c - andernfalls bei lit. e - das Interesse des Verkehrs an der Freihaltung der Produktform dergestalt zu berücksichtigen, dass eine Eintragung jedenfalls grundsätzlich ausgeschlossen ist und in der Regel nur bei Marken in Betracht kommt, die die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie erfüllen?"

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil v. 8.4.2003 (EuGH, Urt. v. 8.4.2003 - verb. Rs. C-53/01, Rs. C-54/01, Rs. C-55/01, Slg. 2003, I-3161 = GRUR 2003, 514 = WRP 2003, 627 - Linde, Winward u. Rado)wie folgt entschieden:

"1. Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates v. 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist bei dreidimensionalen Marken, die aus der Form der Ware bestehen, kein strengerer Maßstab anzulegen als bei anderen Markenformen.

2. Neben Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Ersten Richtlinie 89/104 besitzt Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie auch für dreidimensionale Marken, die aus der Form der Ware bestehen, eine Bedeutung.

Bei der Prüfung des Eintragungshindernisses nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Ersten Richtlinie 89/104 ist in jedem Einzelfall das dieser Vorschrift zu Grunde liegende Allgemeininteresse daran zu berücksichtigen, dass dreidimensionale, aus der Form der Ware bestehende Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Sinne dieser Bestimmung zur Bezeichnung der Merkmale einer Ware oder einer Dienstleistung dienen können, von allen frei verwendet und vorbehaltlich des Artikels 3 Abs. 3 dieser Richtlinie nicht eingetragen werden können."

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Der Beurteilung des BPatG, die IR-Marke sei nicht unterscheidungskräftig, kann nicht zugestimmt werden.

Mit der wirksamen Inanspruchnahme des "telle-quelle-Schutzes", von der auch das BPatG ausgegangen ist, ist die Schutzerstreckung gem. §§ 107, 113, 37 MarkenG nach Art. 5 Abs. 1 MMA i. V. m. Art. 6quinquies Abschn. B Nr. 2 PVÜ zu prüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.3.1999 - I ZB 22/96, MDR 1999, 1014 = GRUR 1999, 728 [729] = WRP 1999, 858 - PREMIERE II; Beschl. v. 14.12.2000 - I ZB 25/98, BGHReport 2001, 301 = GRUR 2001, 418 f. - Montre; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., § 113 Rz. 1; v. Schultz/Hertz-Eichenrode, Markenrecht, § 113 Rz. 1; für eine unmittelbare Prüfung nach §§ 3, 8 MarkenG: Fezer, Markenrecht, 3. Aufl., § 113 Rz. 1; Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 113 Rz. 4).

Bei der Beurteilung einer Versagung des Schutzes nach Art. 5 Abs. 1 MMA i. V. m. Art. 6quinquies Abschn. B Nr. 2 PVÜ gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Prüfung anhand der nationalen Bestimmungen der §§ 3, 8 Abs. 2 MarkenG, durch die Art. 2 und 3 der MarkenRL umgesetzt worden sind. Denn diese Bestimmungen des Markengesetzes sind richtlinienkonform auszulegen und nach dem 12. Erwägungsgrund zur Markenrechtsrichtline müssen deren Vorschriften mit denjenigen der PVÜ übereinstimmen. Deshalb führt die Beurteilung anhand der Vorschriften des Markengesetzes zu keinem anderen Ergebnis als die Prüfung nach Art. 5 Abs. 1 MMA i. V. m. Art. 6quinquies Abschn. B PVÜ (vgl. BGH v. 14.12.2000 - I ZB 25/98, GRUR 2001, 418 [419] - Montre; Beschl. v. 14.12.2000 - I ZB 26/98, BGHReport 2001, 299 = GRUR 2001, 416 [417] = WRP 2001, 403 - OMEGA, mit falscher Abbildung in der Veröffentlichung in GRUR; Fezer, Markenrecht, 3. Aufl., § 113 Rz. 1; Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 113 Rz. 4; v. Schultz/Hertz-Eichenrode, Markenrecht, § 113 Rz. 1).

Nach Art. 5 Abs. 1 MMA i. V. m. Art. 6quinquies Abschn. B Nr. 2 PVÜ kann Marken der Schutz verweigert werden, die jeder Unterscheidungskraft entbehren.

1. Das BPatG ist davon ausgegangen, dass die IR-Marke die allgemeinen Anforderungen an die Markenfähigkeit erfüllt, d. h. dass sie abstrakt unterscheidungskräftig i. S. v. § 3 Abs. 1 MarkenG ist. Das lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. zu Art. 2 MarkenRL: EuGH, Urt. v. 18.6.2002 - Rs. C-299/99, Slg. 2002, I-5475 = CR 2003, 405 = GRUR 2002, 804 [806] Tz. 37 = WRP 2002, 924 - Philips/Remington; zu § 3 Abs. 1 MarkenG: BGH, Beschl. v. 20.11.2003 - I ZB 15/98, Umdr. S. 6 - Gabelstapler II; Beschl. v. 20.11.2003 - I ZB 18/98, Umdr. S. 5 - Stabtaschenlampen II, jeweils m. w. N.).

Mit Recht hat das BPatG auch ein Schutzhindernis nach § 3 Abs. 2 MarkenG verneint (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 20.11.2003 - I ZB 15/98, Umdr. S. 8 - Gabelstapler II; Beschl. v. 20.11.2003 - I ZB 18/98, Umdr. S. 7 - Stabtaschenlampen II).

2. Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das BPatG die IR-Marke für nicht (konkret) unterscheidungskräftig i. S. v. Art. 6quinquies Abschnitt B Nr. 2 PVÜ, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG gehalten hat.

a) Unterscheidungskraft i. S. d. genannten Bestimmungen ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden. Denn Hauptfunktion der Marke ist es, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft ist grundsätzlich von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden.

Diese Grundsätze finden auch bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken Anwendung, die aus der Form der Ware bestehen. Bei ihnen ist kein strengerer Maßstab anzulegen als bei herkömmlichen Markenformen. Wie bei jeder anderen Markenform ist auch bei der dreidimensionalen, die Ware selbst darstellenden Markenform allein maßgebend, dass der Verkehr in dem angemeldeten Zeichen für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen einen Herkunftshinweis sieht (vgl. EuGH, Urt. v. 8.4.2003 - verb. Rs. C-53/01, Rs. C-54/01, Rs. C-55/01, Slg. 2003, I-3161 = GRUR 2003, 514 [517] Tz. 41 f., 46 = WRP 2003, 627 - Linde, Winward u. Rado; BGH, Beschl. v. 23.11.2000 - I ZB 18/98, GRUR-Int. 2001, 462 [463 f.] = WRP 2001, 265 - Stabtaschenlampen; Beschl. v. 14.12.2000 - I ZB 27/98, BGHReport 2001, 298 = GRUR 2001, 413 [414] = WRP 2001, 405 - SWATCH; v. 14.12.2000 - I ZB 26/98, BGHReport 2001, 299 = GRUR 2001, 416 [417] - OMEGA).

aa) Für Bildmarken, die sich in der bloßen Abbildung der Ware selbst erschöpfen, für die der Schutz in Anspruch genommen wird, geht der BGH auch bei der Anlegung des gebotenen großzügigen Prüfungsmaßstabs davon aus, dass ihnen im Allgemeinen die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG erforderliche (konkrete) Unterscheidungskraft fehlen wird. Soweit die zeichnerischen Elemente einer angemeldeten Marke lediglich die typischen Merkmale der in Rede stehenden Ware darstellen und keine über die technische Gestaltung der Ware hinausgehenden Elemente aufweisen, wird einem Zeichen im Allgemeinen wegen seines bloß beschreibenden Inhalts die konkrete Eignung fehlen, mit ihm gekennzeichnete Waren von denjenigen anderer Herkunft zu unterscheiden. Anders liegt der Fall, wenn sich die Bildmarke nicht in der Darstellung von Merkmalen erschöpft, die für die Art der Ware typisch oder zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sind, sondern darüber hinausgehende charakteristische Merkmale aufweist, in denen der Verkehr einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sieht (vgl. BGH, Beschl. v. 26.10.2000 - I ZB 3/98, BGHReport 2001, 46 = GRUR 2001, 239 f. = WRP 2001, 31 - Zahnpastastrang).

bb) Diese bei Bildmarken entwickelten Grundsätze sind in der Regel auch auf dreidimensionale Marken übertragbar, die in der Form der Ware bestehen. Zwar kann die Beurteilung, ob die Marke keine Unterscheidungskraft hat, bei dreidimensionalen Marken, die die Form der Ware darstellen, schwieriger sein als bei herkömmlichen Markenformen (vgl. EuGH, Urt. v. 8.4.2003 - verb. Rs. C-53/01, Rs. C-54/01, Rs. C-55/01, Slg. 2003, I-3161 = GRUR 2003, 514 [517] Tz. 48, 49 = WRP 2003, 627 - Linde, Winward u. Rado), weil der Verkehr in dem Bereich der Waren, für die der Schutz beansprucht wird, sich (noch) nicht an die Herkunftskennzeichnung von Produktgestaltungen gewöhnt hat. Davon darf indessen nicht für Formmarken ein erweitertes Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgeleitet werden. Bei der Feststellung der Unterscheidungseignung des Zeichens ist auch auf die besonderen Verhältnisse auf dem maßgeblichen Warengebiet abzustellen. Denn der Vergleich der tatsächlich vorhandenen Gestaltungsformen lässt einen Schluss darauf zu, ob der Verkehr der Marke einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft beilegt (vgl. BGH v. 14.12.2000 - I ZB 25/98, BGHReport 2001, 301 = GRUR 2001, 418 [419] - Montre; v. 14.12.2000 - I ZB 27/98, BGHReport 2001, 298 = GRUR 2001, 413 [416] - SWATCH; v. 14.12.2000 - I ZB 26/98, BGHReport 2001, 299 = GRUR 2001, 416 [4179 - OMEGA).

b) Den Anforderungen an die Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt die IR-Marke.

Das BPatG hat zu hohe Anforderungen an die Unterscheidungskraft gestellt. Es hat in der angefochtenen Entscheidung an die Unterscheidungskraft der dreidimensionalen Marke, die die Form der Ware oder eines Teils davon darstellt, rechtsfehlerhaft einen strengeren Prüfungsmaßstab angelegt als bei anderen Markenformen (vgl. hierzu vorstehend Abschn. II 2a).

Die IR-Marke weist über Elemente, die durch technische Lösungen oder Eigenschaften einer Uhr bedingt und deshalb gem. § 3 Abs. 2 MarkenG vom Markenschutz ausgenommen sind, und über typische Merkmale einer Armbanduhr hinaus eine charakteristische Gestaltung auf, in der der Verkehr einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sieht.

Die IR-Marke zeichnet sich dadurch aus, dass Uhrgehäuse und Armband durch die gleiche Breite, Stärke, Form und Farbe präzise aufeinander abgestimmt sind und eine Einheit bilden. Die Glasabdeckung erstreckt sich über die gesamte Oberseite des Uhrgehäuses. Das Gehäuse ist nach außen gewölbt. Diese Kombination von Gestaltungsmerkmalen ist auch auf dem Sektor der Armbanduhren, auf dem nach den Feststellungen des BPatG eine außerordentliche Vielfalt von Formen und Gestaltungen besteht, die dazu geführt hat, dass der Verkehr an die beliebige Kombination üblicher Gestaltungselemente gewöhnt ist, geeignet, auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen. Die vom BPatG angeführten Uhren anderer Hersteller verfügen dagegen über keine Gestaltung, die der IR-Marke im Hinblick auf den Gesamteindruck der Elemente gleichen oder ähneln, aus denen sich die Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke ergibt. Dies vermag der Senat anhand der bei den Akten befindlichen Abbildungen dieser Uhren selbst zu beurteilen.

III. Danach war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 MarkenG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1143412

BGHR 2004, 963

EBE/BGH 2004, 4

GRUR 2004, 505

WRP 2004, 761

BPatGE 2005, 292

MarkenR 2004, 248

Mitt. 2004, 271

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