Verfahrensgang
AGH Hamburg (Entscheidung vom 19.07.2022; Aktenzeichen AGH I ZU 11/2018 (I-24)) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 19. Juli 2022 an Verkündungs statt zugestellte Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Hamburg wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger ist seit dem 6. August 2003 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 7. März 2018 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies sie mit Bescheid vom 17. September 2018 zurück. Die Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 7. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 2
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rz. 3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2019 - AnwZ(Brfg) 44/19, juris Rn. 3 mwN). Daran fehlt es.
Rz. 4
a) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das [nach neuem Recht] grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; vom 10. März 2014 - AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3 mwN und vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 60/17, juris Rn. 4).
Rz. 5
b) Der Kläger hat sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 in Vermögensverfall befunden.
Rz. 6
aa) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 21. April 2016 - AnwZ (Brfg) 1/16, juris Rn. 6 und vom 15. Dezember 2017 - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 4; jeweils mwN).
Rz. 7
Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO). Ein Rechtsanwalt, der in diesem Verzeichnis eingetragen ist, muss zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2017 - AnwZ (Brfg) 61/16, juris Rn. 4; vom 7. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 8 und vom 17. November 2020 - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 32, 34 ff.; jeweils mwN).
Rz. 8
bb) Der Anwaltsgerichtshof hat den Vermögensverfall des Klägers aus der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO hergeleitet, da zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis vom 24. April 2017 und 9. August 2018 bestanden hätten. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass die Forderungen, die diesen Eintragungen zugrunde gelegen hätten, zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids bereits getilgt gewesen seien (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - AnwZ (Brfg) 50/19, juris Rn. 20).
Rz. 9
(1) Soweit der Kläger hiergegen einwendet, die der Eintragung vom 24. April 2017 zugrundeliegende Forderung sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids bereits erfüllt gewesen, ergibt sich dies aus den von ihm vorgetragenen Umständen nicht. Insbesondere lässt der vom Kläger zitierte Beschluss des Amtsgerichts S. vom 24. Oktober 2018 in dem Verfahren MZ keinen hinreichend sicheren Rückschluss auf eine Tilgung der Forderung, die der Eintragung im Schuldnerverzeichnis vom 24. April 2017 zugrunde lag, bis zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 zu. Danach hat der Kläger mit Schreiben vom 16. Mai 2018 mitgeteilt, dass die der Eintragung im Schuldnerverzeichnis zugrundeliegende Forderung vollständig befriedigt worden sei. Der Nachweis der vollständigen Befriedigung sei durch Vorlage einer Bestätigung der Gläubigerseite erbracht worden. Entgegen der Annahme des Klägers lässt diese Formulierung, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, nicht den Schluss darauf zu, dass der Kläger in dem vorbezeichneten Löschungsverfahren die vollständige Befriedigung bereits mit dem - von ihm trotz seiner offensichtlichen Relevanz in vorliegendem Verfahren nicht vorgelegten - Schreiben vom 16. Mai 2018 gegenüber dem Amtsgericht S. nachgewiesen hatte. Denkbar ist vielmehr auch, dass er mit diesem Schreiben zwar die vollständige Befriedigung vorgetragen, letztere aber erst - etwa nach Vorlage von seitens des Amtsgerichts angeforderten hinreichenden Unterlagen (Gläubigerbestätigung) - zu einem späteren Zeitpunkt nachgewiesen hatte. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass die vollständige Tilgung zwar vor dem Beschluss des Amtsgerichts S. vom 24. Oktober 2018, aber erst nach dem vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 erfolgte. Es ist entgegen der Auffassung des Klägers keineswegs zwingend, dass in diesem Fall das Datum einer erst später erfolgten Nachweisführung in dem Beschluss vom 24. Oktober 2018 hätte Erwähnung finden müssen.
Rz. 10
Aus der E-Mail des Amtsgerichts S. vom 14. Januar 2021 ergibt sich nichts Anderes. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (S. 13).
Rz. 11
(2) Da die Vermutung des Vermögensverfalls somit bereits im Hinblick auf die zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 bestehende Eintragung in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) vom 24. April 2017 besteht, kommt es auf die Berücksichtigungsfähigkeit der weiteren, von der Beklagten erstmals im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof angeführten Eintragung des Klägers in das vorgenannte Verzeichnis vom 9. August 2018 nicht an. Sollten insofern ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, wird hiervon jedenfalls nicht die Richtigkeit des Ergebnisses des Urteils im Hinblick auf die Vermutung des Vermögensverfalls erfasst.
Rz. 12
cc) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht, soweit der Anwaltsgerichtshof angenommen hat, der Kläger habe die Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt.
Rz. 13
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt, der in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist, zur Widerlegung der daraus folgenden Vermutung des Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO) ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und - bezogen auf den Zeitpunkt des Widerrufs- beziehungsweise Widerspruchsbescheids - konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (vgl. nur Senat, Beschluss vom 30. Mai 2022 - AnwZ (Brfg) 6/22, Rn. 6 mwN).
Rz. 14
Insoweit fehlt es, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, jedenfalls an einem vollständigen Verzeichnis des Klägers seiner zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 bestehenden Verbindlichkeiten. Seine Prozessbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 28. Januar 2021 insoweit ausgeführt, eine im Hinblick auf die Eintragung im Schuldnerverzeichnis mit dem Aktenzeichen DR gegebene Vermutung des Vermögensverfalls des Klägers ließe sich widerlegen. Diese Vermutung würde sich auf eine einzige Eintragung im Schuldnerverzeichnis betreffend eine Forderung in Höhe von 2.428 € gründen, die am 17. Oktober 2018 durch den Kläger beglichen worden sei. Die Höhe aller sonstigen gegenüber dem Kläger bestehenden Forderungen habe sich am 17. September 2018 ausweislich der beigefügten Aufstellung auf nur 1.430,33 € belaufen, so dass sich zusammen mit der Forderung von 2.428 € ein "Gesamt-Schuldenstand" am 17. September 2018 von 3.858,33 € ergebe. Die darin liegende Übersicht über die Verbindlichkeiten des Klägers ist, wie der Anwaltsgerichtshof zu Recht angenommen hat, in Anbetracht der weiteren zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 gegen den Kläger bestehenden Forderungen unzutreffend und unvollständig.
Rz. 15
Entgegen der Auffassung des Klägers kann sein Vortrag in dem Schriftsatz vom 28. Januar 2021 nicht - jedenfalls nicht im Hinblick auf die gegen ihn am 17. September 2018 bestehenden Forderungen - lediglich als ergänzende Angabe zu von ihm bereits zuvor dargelegten Forderungen in dem Sinne verstanden werden, dass die im Schriftsatz vom 28. Januar 2021 genannten Forderungen zusätzlich zu zuvor angegebenen Forderungen bestanden hätten. Soweit auf Seite 5 unter Ziffer II. 2 dieses Schriftsatzes von "sonstigen gegenüber dem Kläger bestehenden Forderungen" die Rede ist, bezieht sich das Wort "sonstigen" ersichtlich auf die kurz zuvor in demselben Schriftsatz erörterte Forderung von 2.428 €, neben der nur noch die "sonstigen" Forderungen von 1.433,33 € bestanden haben sollen. Damit erhält der anschließend genannte "Gesamt-Schuldenstand" von 3.858,33 € - einschließlich der in Anlage B043 beigefügten Aufstellung "Forderungen 17.09.2018" - den Charakter einer abschließenden Angabe aller gegen den Kläger am 17. September 2018 bestehenden Forderungen, was in Anbetracht der weiteren gegen den Kläger zu diesem Zeitpunkt bestehenden und in dem angefochtenen Urteil aufgeführten Forderungen unzutreffend ist. Der Kläger hat diese Forderungen zwar nicht verschwiegen, sondern in seinem Schriftsatz vom 16. November 2020 - in Replik auf vorhergehende Schriftsätze der Beklagten - ausgeführt, die entsprechenden Beträge seien jeweils bezahlt worden. Daraus ergibt sich jedoch schon nicht ausdrücklich, ob die Forderungen zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018 bestanden. Vor allem aber hätten sie in den im Schriftsatz des Klägers vom 28. Januar 2021 berechneten "Gesamt-Schuldenstand" einbezogen werden müssen, um ein vollständiges und zu dem Vortrag des Klägers nicht in Widerspruch stehendes Verzeichnis der gegen ihn am 17. September 2018 bestehenden Forderungen zu begründen. Will der Rechtsanwalt die durch die Eintragung in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) begründete Vermutung des Vermögensverfalls, d.h. die Vermutung, dass er in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, widerlegen, kann dies nur durch die nachvollziehbare, widerspruchsfreie und vollständige Darlegung geordneter finanzieller Verhältnisse geschehen. Hierzu hat er ein Verzeichnis der gegen ihn bestehenden Forderungen vorzulegen. Dazu genügt es nicht, wenn er im Verlauf des Anfechtungsprozesses betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtanwaltschaft zu den gegen ihn zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bestehenden Forderungen einzeln vorträgt. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, aus dem entsprechenden Sachvortrag des Klägers ein vollständiges und widerspruchsfreies Forderungsverzeichnis zu erstellen. Legt der Kläger ein solches Verzeichnis nicht vor oder gelingt es ihm jedenfalls nicht, ein Verzeichnis vollständig und widerspruchsfrei zu erstellen, bestätigt dies die von ihm zu widerlegende Vermutung ungeordneter finanzieller Verhältnisse.
Rz. 16
Es kommt hinzu, dass ausweislich des mit Schriftsatz der Beklagten vom 11. August 2019 (zutreffend wohl: 11. August 2020) vorgelegten Haftbefehls des Amtsgerichts L. vom 4. März 2020 mit dem Aktenzeichen M nach dem darin genannten Auszug aus dem Heberegister der Gläubigerin vom 15. Mai 2018 (mindestens) seit diesem Datum eine Forderung der Betriebskrankenkasse gegen den Kläger bestand. Dieser hat hierzu mit Schriftsatz vom 16. November 2020 (unter II 1 c) vortragen lassen, die zugrundeliegende Forderung sei ausweislich der beigefügten Kontoauszüge aus November 2020 und der ebenfalls beigefügten dienstlichen Äußerung der Obergerichtsvollzieherin Anfang vom 16. November 2020 vollständig beglichen. Dann aber bestand diese Forderung auch am 17. September 2018 und hätte im Rahmen eines vollständigen Verzeichnisses der gegen den Kläger zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bestehenden Forderungen angegeben werden müssen. Das ist weder in dem vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 28. Januar 2021 dargelegten "Gesamt-Schuldenstand" geschehen noch in der Forderungsaufstellung des Klägers in der Begründung seines Antrages auf Zulassung der Berufung (S. 10 des Schriftsatzes vom 13. September 2022). Dem Kläger ist es mithin auch jetzt noch nicht gelungen, eine vollständige Übersicht über die gegen ihn zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bestehenden Verbindlichkeiten vorzulegen.
Rz. 17
c) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht, soweit dort ausgeführt wird, die Beklagte habe einen Ausnahmefall, in dem der Vermögensverfall des Klägers die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährde, zu Recht verneint.
Rz. 18
Soweit der Kläger in dem Zeitraum seit Erlass des Widerrufsbescheids vom 7. März 2018 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof am 29. Juni 2022 "ungewöhnliche Zeitläufe" zu erkennen meint, angesichts deren Länge die Besorgnis einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Kläger als "widerlegt" gelten müsse, übersieht er, dass - wie ausgeführt - für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, vorliegend also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2018, abzustellen ist. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen, so auch das Verhalten des Klägers nach diesem Zeitpunkt, ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.
Rz. 19
Um eine solche nachträgliche Entwicklung handelt es sich auch, soweit der Kläger geltend macht, im Falle der Bestandskraft des angefochtenen Urteils werde sich eine Gefährdung der Interessen seiner Mandanten ergeben, da er aktuell in großem Umfang für Mandanten tätig werde, die im Zuge des W. -Skandals und sonstiger Vorfälle erheblichen Schaden erlitten hätten, und es kaum möglich sei, ihnen im Rahmen einer von der Beklagten zu bewerkstelligenden Bestellung eines Abwicklers kurzfristig einen adäquaten Ersatz zur Seite zu stellen. Dem Kläger stand es frei, nach dem Widerrufsbescheid bei der Beklagten einen Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft zu stellen (vgl. dazu auch unten zu 2 c). Lagen die Voraussetzungen hierfür vor, wäre es ihm möglich, die Interessen der von ihm genannten Mandanten durchgehend zu vertreten.
Rz. 20
Aus den vorgenannten Gründen verstößt eine Aufrechterhaltung des Widerrufsbescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht gegen das Übermaßverbot und gegen Art. 12 Abs. 1 GG.
Rz. 21
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Rechtslage ist eindeutig und nicht klärungsbedürftig. Das gilt auch für die vom Kläger aufgeworfenen Fragen.
Rz. 22
a) Die Frage, wie die durch Eintragungen im Schuldnerverzeichnis ausgelöste Vermutung eines Vermögensverfalls widerlegt werden kann, ist in der Senatsrechtsprechung geklärt (s.o. zu 1 b cc). Mit der danach erforderlichen Erstellung eines Vermögensverzeichnisses wird von den Betroffenen entgegen der Auffassung des Klägers nichts "Unmögliches" verlangt.
Rz. 23
b) In der Senatsrechtsprechung ist des Weiteren geklärt, wann bei Vorliegen eines Vermögensverfalls von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden auszugehen ist. Danach ist keineswegs "praktisch in jedem Fall" von einer solchen Gefährdung auszugehen. Allerdings ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts bereits nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ("es sei denn") zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Die Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. nur zuletzt Senat, Beschluss vom 30. Mai 2022 - AnwZ (Brfg) 43/21, juris Rn. 8 mwN). Auch wenn die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, nach der der Vermögensverfall die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden indiziert, nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen des Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen, in der Rechtsprechung des Senats näher beschriebenen Ausnahmefällen verneint werden (Senat, Beschluss vom 30. Mai 2022 aaO).
Rz. 24
Der pauschale Einwand des Klägers, dass Beweise für eine verstärkte Kriminalität von Rechtsanwälten mit Vermögensverfall nicht erbracht werden könnten, ist ungeeignet, diese gesetzgeberische Wertung ernsthaft in Frage zu stellen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Mai 2013 - AnwZ (Brfg) 73/12, juris Rn. 4). Im Übrigen rückt die Rechtsprechung des Senats keineswegs jeden Rechtsanwalt, der - aus welchen Gründen auch immer - in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist, in die Nähe eines potenziellen Straftäters. Denn eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden kann auch völlig unabhängig von einem kriminellen Verhalten des Betroffenen eintreten (Senat, Beschluss vom 22. Mai 2013 aaO), etwa dadurch, dass bei einem in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalt das Risiko eines Zugriffs von Gläubigern auf Fremdgelder erheblich größer ist als im Fall eines Rechtsanwalts mit geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
Rz. 25
c) Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache schließlich auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit des Rechtsanwalts zu, noch während des laufenden Rechtsmittelverfahrens betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die Wiederzulassung zu beantragen.
Rz. 26
Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung von Entwicklungen, die nach dem Abschluss des Widerrufsverfahrens eingetreten sind, einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. Die beruflichen Nachteile, die einem Rechtsanwalt durch den Verweis auf ein erneutes Zulassungsverfahren entstehen, sind vergleichsweise gering, denn der Rechtsanwalt hat bei nachträglichem Wegfall des Widerrufsgrundes einen Anspruch auf sofortige Wiederzulassung und kann jederzeit einen entsprechenden Antrag stellen. Dieser setzt nicht voraus, dass der Anfechtungsprozess abgeschlossen ist. Sind die Voraussetzungen für die Wiederzulassung erfüllt, ist die Rechtsanwaltskammer vielmehr unabhängig davon zur Wiederzulassung verpflichtet und kann gegebenenfalls der Rechtsanwalt gegen einen ablehnenden Bescheid gerichtlich vorgehen und dieses Verfahren mit dem Anfechtungsprozess verbunden werden. Auf diese Weise kann bei zweifelsfreiem Wegfall des Widerrufsgrundes eine lückenlose Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sichergestellt werden (Senat, Beschlüsse vom 13. Juni 2019 - AnwZ (Brfg) 25/19, juris Rn. 5 f.; vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 4; vom 7. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 6 und vom 20. Mai 2015 - AnwZ (Brfg) 7/15, juris Rn. 5; jeweils mwN; siehe auch BVerwG, NVwZ 1991, 372, 373 zu § 35 Abs. 1 GewO).
Rz. 27
Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass die Möglichkeit, eine negative (Wieder-)Zulassungsentscheidung zusammen mit der Widerrufsentscheidung in demselben (verbundenen) gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen, voraussetzt, dass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerrufsverfahrens über den Antrag auf Wiederzulassung entschieden worden ist. Indes ist nicht erkennbar, weshalb dies im Regelfall nicht erfolgen sollte. Denn die Rechtsanwaltskammer ist gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 BRAO i.V.m. § 42a Abs. 2 VwVfG verpflichtet, über den Antrag - bei einmaliger Verlängerungsmöglichkeit - innerhalb von drei Monaten zu entscheiden.
Rz. 28
Es trifft nicht zu, dass - wie der Kläger meint - einer positiven Bescheidung eines Antrages seinerseits auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bis zur Rechtskraft der Widerrufsentscheidung das Bestehen der bisherigen Zulassung entgegensteht. Anders als das vom Kläger bei der Beklagten beantragte Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG setzt - wie ausgeführt - die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nach der Rechtsprechung des Senats nicht voraus, dass ein zuvor erfolgter Widerruf der Zulassung unanfechtbar geworden und der betreffende Anfechtungsprozess abgeschlossen ist (vgl. im Übrigen zur Unanwendbarkeit von § 51 VwVfG auf Widerrufsverfahren betreffend die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2010 - AnwZ (B) 22/10, NJW-RR 2011, 561 Rn. 7 f.).
Rz. 29
3. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Rz. 30
Ein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht darin begründet, dass der Anwaltsgerichtshof den Vortrag des Klägers und die von ihm vorgelegten Unterlagen betreffend seine Einnahmen und die gegen ihn gerichteten Forderungen als nicht nachvollziehbar beziehungsweise widersprüchlich und unvollständig erachtet hat. Diese Bewertung trifft jedenfalls im Hinblick auf die gegen den Kläger gerichteten Forderungen zu (s.o. zu 1 b cc). Schon gar nicht erlaubt sie den Schluss, dass der Anwaltsgerichtshof den Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Vielmehr hat er das Vorbringen des Klägers und das von ihm vorgelegte Zahlenmaterial ausdrücklich genannt und - unter näherer Begründung seiner Rechtsauffassung - lediglich nicht für hinreichend erachtet, um den an eine Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls zu stellenden Anforderungen zu genügen.
Rz. 31
Ob die Zustellung des Urteils statt einer Verkündung nach § 116 Abs. 2 VwGO - wie der Kläger geltend macht - gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK verstößt, bedarf keiner Entscheidung. Zum einen hat der Kläger diesbezüglich seine Rügebefugnis verloren, weil er ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022 dem verkündeten Beschluss des Gerichts, die Verkündung des Urteils durch Zustellung zu ersetzen, nicht widersprochen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - AnwZ (Brfg) 50/19, juris Rn. 56 mwN). Zum anderen ist jedenfalls - wie auch der Kläger nicht verkennt - auszuschließen, dass das Urteil auf dem (unterstellten) Verfahrensmangel einer fehlenden öffentlichen Verkündung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Dezember 2019 aaO mwN).
III.
Rz. 32
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert wurde nach § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO festgesetzt.
Limperg |
|
Remmert |
|
Grüneberg |
|
Schmittmann |
|
Niggemeyer-Müller |
|
Fundstellen
Haufe-Index 15568103 |
EWiR 2023, 333 |
ZAP 2023, 217 |
ZInsO 2023, 612 |
ZVI 2023, 287 |