Entscheidungsstichwort (Thema)

Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten bei Fristsäumnis. Fristensicherung im Zusammenhang mit der Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei Versäumen der Revisionsbegründungsfrist ist ein Organisationsverschulden des Rechtsanwaltes zu vermuten, wenn der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Beschlusses über die Revisionszulassung unterzeichnet und zurückgibt, ohne zuvor die Revisionsbegründungsfrist zu notieren oder durch eine konkrete Einzelanweisung die erforderliche Eintragung zu veranlassen.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 17.03.2004; Aktenzeichen 6 U 134/03)

 

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision wird zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Köln v. 17.3.2004 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Gegenstandswert für das Revisionsverfahren wird auf 250.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beklagte vertreibt in Deutschland unter der Bezeichnung "K. PRO" ein Arzneimittel, das die Klägerin in Spanien unter der Bezeichnung "K. Comprimidos" auf den Markt bringt. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verletze ihre Rechte an der Marke "K.", indem sie die Originalverpackung des spanischen Präparats mit der Bezeichnung "K. PRO" überklebe, und hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG zurückgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil hat die Beklagte Beschwerde eingelegt. Der Senat hat mit Beschluss v. 16.12.2004 die Revision zugelassen. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 Abs. 1 ZPO) am 20.12.2004 zugestellt worden. Durch Verfügung v. 2.3.2005 ist die Beklagte darauf hingewiesen worden, dass bislang eine Schrift zur Revisionsbegründung nicht zu den Akten gelangt sei. Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz v. 10.3.2005 unter Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und in Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen. Weiter hat sie beantragt, ihr gegen die Versäumung der Frist für die Revisionsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs trägt sie vor, im Büro ihres Prozessbevollmächtigten in der Revisionsinstanz sei versäumt worden, die Revisionsbegründungsfrist einzutragen. In dessen Kanzlei sei die Eintragung aller gesetzlichen und richterlichen Fristen unter Einschluss der Fristen des seit dem 1.1.2002 geltenden Revisionsrechts so organisiert, dass seine beiden Büroangestellten angewiesen seien, die Fristen selbstständig zu berechnen, zu kontrollieren und in den Fristenkalender einzutragen. Zudem werde von dem Prozessbevollmächtigten die Eintragung in den Fristenkalender - bei gesetzlichen Fristen unter ausdrücklicher Nennung des Ablaufdatums - vorsorglich in jedem Einzelfall noch einmal mündlich angeordnet. Die Eintragung im Fristenkalender werde sodann zusätzlich in den Handakten vermerkt. Darüber hinaus führe eine der Büroangestellten selbstständig eine Computerliste, in der sie alle Fristen und Termine zusätzlich erfasse. Der Prozessbevollmächtigte selbst führe unabhängig von seinem Sekretariat einen eigenen Termin- und Fristenkalender. Ihr Prozessbevollmächtigter könne nicht ausschließen, dass im konkreten Fall die Eintragung der Revisionsbegründungsfrist in den beiden Fristenkalendern, der Computerliste und der Handakte deshalb versäumt worden sei, weil er unter sehr großem Zeitdruck gestanden und die Zulassung der Revision mit der Annahme der Revision nach altem Recht verwechselt habe, die ein weiteres Tätigwerden nicht erfordert hätte. Eine der beiden Büroangestellten habe sich in einer schweren persönlichen und familiären Krise befunden, die bereits zu innerbetrieblichen Störungen einschließlich anderer Fehler im Sekretariatsbereich geführt gehabt habe. Die andere Büroangestellte sei dadurch zusätzlich belastet gewesen.

II. Die Revision ist unzulässig und deshalb zu verwerfen (§ 552 Abs. 1 S. 2 ZPO). Sie ist erst am 10.3.2005 und daher nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten seit Zustellung der der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten stattgebenden Entscheidung des Senats am 20.12.2004 (§ 544 Abs. 6 S. 3 i.V.m. § 551 Abs. 2 S. 2 ZPO) begründet worden.

1. Die Revision ist nicht schon zugleich mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde begründet worden (BGH, Urt. v. 7.7.2004 - IV ZR 140/03, MDR 2004, 1422 = BGHReport 2004, 1438 m. Anm. Vorwerk = NJW 2004, 2981). Die Beschwerdebegründung der Beklagten v. 2.8.2004 enthält nur die Darlegung der Zulassungsgründe und genügt daher nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 S. 1 ZPO.

2. Gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Ihr hierauf gerichteter Antrag ist zwar zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

a) Nach § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Die mit dem Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft gemachten Angaben schließen ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der Revisionsinstanz bei der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht aus. Die Partei muss sich dieses nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist daher zurückzuweisen (BGH, Beschl. v. 18.10.1995 - I ZB 15/95, MDR 1996, 315 = BRAK 1996, 88 = NJW 1996, 319; Beschl. v. 4.11.2003 - VI ZB 50/03, MDR 2004, 478 = BGHReport 2004, 263 = NJW 2004, 688 [689]).

b) Die Revisionsbegründungsfrist (§ 551 Abs. 2 S. 2 ZPO), deren Lauf mit der Zustellung des Beschlusses zur Zulassung der Revision begann (§ 544 Abs. 6 S. 3 ZPO), ist im Fristenkalender des Rechtsanwalts der Beklagten nicht eingetragen worden. Deshalb wurde die Frist versäumt. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Unterbleiben der Eintragung nicht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten in der Revisionsinstanz beruht.

c) Nach ihrem Vortrag zur allgemeinen Behandlung der Fristen im Büro ihres Prozessbevollmächtigten und zu den Gründen, aus denen dessen Büropersonal die Eintragung der Revisionsbegründungsfrist unterlassen hat, kann ein für die Fristversäumung ursächliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht ausgeschlossen werden. Denn dieser hat das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Senatsbeschlusses v. 16.12.2004 unterzeichnet und zurückgegeben, obwohl das Datum der Zustellung nicht in den Handakten vermerkt war.

aa) Da es für den Fristbeginn im Falle einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis darauf ankommt, wann der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat (vgl. § 174 Abs. 4 S. 1 ZPO), bedarf es darüber eines besonderen Vermerks (BGH, Beschl. v. 17.9.2002 - VI ZR 419/01, MDR 2003, 239 = BGHReport 2003, 99 = NJW 2002, 3782, m.w.N.). Um sicherzustellen, dass ein solcher Vermerk angefertigt wird und das maßgebliche Datum zutreffend wiedergibt, darf der Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des BGH das Empfangsbekenntnis über die Zustellung einer Entscheidung, mit der eine Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist (BGH, Beschl. v. 13.2.2003 - V ZR 422/02, MDR 2003, 708 = NJW 2003, 1528 [1529], m.w.N.).

bb) Dieses Sorgfaltsgebot hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten objektiv verletzt, als er am 20.12.2004 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgegeben hat, ohne dass die Revisionsbegründungsfrist notiert war. Nach dem Vortrag der Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihn insoweit kein Verschulden trifft.

Dass dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses die Handakten vorgelegt worden sind und er überprüft hat, ob die Frist bereits notiert worden war, kann nach dem Vorbringen der Beklagten ausgeschlossen werden. Es ist zwar nicht erforderlich, dass das Empfangsbekenntnis erst nach vollständiger Fristensicherung unterzeichnet und in den allgemeinen Geschäftsbetrieb des Rechtsanwalts und von dort an das zuständige Gericht zurückgegeben wird (BGH v. 13.2.2003 - V ZR 422/00, NJW 2003, 1528 [1529]). Unterzeichnet der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis, bevor die Frist in den Fristenkalender eingetragen und dies in den Handakten vermerkt ist, dann muss er aber durch konkrete Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen (BGH v. 13.2.2003 - V ZR 422/00, NJW 2003, 1528 [1529]). Eine solche konkrete Einzelanweisung ist im vorliegenden Fall nicht erteilt worden. Ob eine Einzelanweisung entbehrlich sein kann, wenn ausreichende organisatorische Maßnahmen getroffen worden sind, damit die erforderlichen Eintragungen nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses nachgeholt werden (BGH, Urt. v. 5.5.1993 - XII ZR 44/92, NJW-RR 1993, 1213 [1214 f.]), kann dahingestellt bleiben. Denn die Beklagte hat nicht hinreichend vorgetragen, welche organisatorischen Maßnahmen im Büro ihres Prozessbevollmächtigten zur Fristensicherung im Zusammenhang mit der Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses bestanden haben. Ihrem Vortrag zur allgemeinen Behandlung der Fristen und deren Eintragung in die Fristenkalender, die Handakten und die Computerliste lässt sich nicht entnehmen, ob diese Eintragungen vor oder nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch den Rechtsanwalt erfolgen und durch welche organisatorischen Maßnahmen überprüft wird, ob die Fristensicherung im Einzelfall auch tatsächlich erfolgt, bevor das Empfangsbekenntnis an das Gericht zurückgegeben wird. Werden die getroffenen organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung hinreichend vorgetragen und glaubhaft gemacht, so ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten zu vermuten (BGH v. 4.11.2003 - VI ZB 50/03, MDR 2004, 478 = BGHReport 2004, 263 = NJW 2004, 688 [689]).

Dem Vortrag der Beklagten, ihr Prozessbevollmächtigter könne nicht ausschließen, dass die Eintragung der Revisionsbegründungsfrist nach Zustellung des Senatsbeschlusses v. 16.12.2004 unterblieben sei, weil er die Zulassung der Revision mit der Annahme der Revision nach altem Recht verwechselt und deshalb angenommen habe, ein weiteres Tätigwerden sei nicht erforderlich, kann nicht entnommen werden, dass die Fristversäumung auf einem unverschuldeten Irrtum des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruht. Der Umstand, dass ihr Prozessbevollmächtigter unter sehr großem Zeitdruck stand, weil er bis zum 23.12.2004 noch verschiedene Arbeiten abzuschließen hatte, vermag den Irrtum nicht zu entschuldigen. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter anführt, ihr Prozessbevollmächtigter in der Revisionsinstanz sei möglicherweise durch die Vorkorrespondenz mit ihrem Bevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen beeinflusst gewesen, weil dieser in seinem Schreiben v. 8.12.2004 von der "Annahme der Nichtzulassungsbeschwerde" gesprochen habe, kann darin gleichfalls kein Umstand gesehen werden, der den Irrtum als unverschuldet erscheinen lassen könnte.

d) Da somit nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht ausgeschlossen ist, dass die Fristversäumung auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten in der Revisionsinstanz beruht, kann die beantragte Wiedereinsetzung nicht gewährt werden. Eine Wiedereinsetzung kommt schon dann nicht in Betracht, wenn ein Mitverschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 1 ZPO) Ursache für die Fristversäumung war (BGH, Beschl. v. 8.3.2001 - V ZB 5/01, MDR 2001, 889 = BGHReport 2001, 526 = NJW-RR 2001, 1072, m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1379362

BGHR 2005, 1280

JurBüro 2005, 669

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge