Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterschreiben eines Empfangsbekenntnisses ohne Vorliegen des Urteils
Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsanwalt hat vor Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses zu prüfen, ob das Schriftstück, dessen Empfang er bestätigen soll, beigefügt ist (BGH v. 21.3.2000 - VI ZB 4/00, MDR 2000, 853).
Ein Rechtsanwalt, der das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung zurückreicht, genügt der ihn treffenden besonderen Sorgfaltspflicht nur dann, wenn er das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnet und an das zustellende Gericht zurückgibt, wenn neben dem Zustellungsdatum auch die Eintragung des Frist-Endes in den Fristenkalender und in die Handakten sichergestellt ist.
Verfahrensgang
AG Lübeck (Aktenzeichen 123 F 241/03) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
Der Kläger begehrt die Abänderung eines Unterhaltstitels. Er ist der Vater der Beklagten und dieser aufgrund Urkunde des Jugendamtes der Hansestadt Lübeck vom 19.8.2003 (UR-Nr. 635/2003) verpflichtet, ab 1.4.2003 100 % des jeweiligen Regelbetrages zu zahlen. Das AG Lübeck - FamG - hat durch das am 15.9.2004 verkündete Urteil der Abänderungsklage insoweit stattgegeben, als es die Jugendamtsurkunde dahin abgeändert hat, dass der Kläger ab Juli 2003 lediglich noch monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 70 Euro zu zahlen hat.
Das Urteil vom 15.9.2004 wurde der Beklagten in der Weise zugestellt, dass es in Form von 2 Ausfertigungen zusammen mit 2 Protokollabschriften sowie dem vorbereiteten Empfangsbekenntnis in das Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten geschickt wurde. Rechtsanwalt L. unterzeichnete das Empfangsbekenntnis am 16.9.2004 und gab es an das AG zurück.
Das AG stellte eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils her. Diese wurde wiederum Rechtsanwalt L. mit vorbereitetem Empfangsbekenntnis zugestellt. Rechtsanwalt L. unterzeichnete das Empfangsbekenntnis am 28.9.2004.
Mit Schriftsatz vom 18.10.2004, der am 19.10.2004 beim OLG einging, legte Rechtsanwalt L. namens der Beklagten Berufung gegen das Urteil vom 15.9.2004 ein, die er zugleich begründete. Er teilte in dem Schriftsatz mit, das Urteil sei ihm am 28.9.2004 zugestellt worden.
Durch Schreiben vom 2.11.2004 wurde Rechtsanwalt L. darauf hingewiesen, dass das angefochtene Urteil ihm ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 16.9.2004 zugestellt und somit seine Berufungsschrift nicht innerhalb der einmonatigen Notfrist, welche am Montag, den 18.10.2004, ablief, eingegangen sei.
Mit Schriftsatz vom 4.11.2004, am selben Tage beim OLG eingegangen, beantragt die Beklagte, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.
Zur Begründung ihres Gesuchs macht die Beklagte geltend:
Die Überwachung von Berufungsfristen sei in dem Büro ihres Prozessbevollmächtigten so organisiert, dass eine hierfür gesondert ausgebildete Angestellte bei Eingang eines Urteils sogleich den Eingang des Urteils vermerke und die Berufungsfrist sowie eine Vorfrist von 1 Woche in dem Fristenkalender notiere. Sodann werde das Urteil gemeinsam mit der Akte dem Anwalt vorgelegt.
Um auszuschließen, dass eine Akte, zu der ein Posteingang erfolgt sei, ohne Vorlage an den Anwalt wieder weggehängt werde, überprüfe eine bestimmte Auszubildende im 3. Lehrjahr vor Weghängen der Akte nochmals gesondert, ob ein Posteingang zu verzeichnen sei.
Sobald der Anwalt die Akte mit Urteil vorliegen habe, überprüfe dieser das Urteil auf die Rechtsmittelfähigkeit und notiere ggf. für sich die Rechtsmittelfrist sowie eine gesonderte Vorfrist. Die Notierung der Rechtsmittelfristen werde regelmäßig abgeglichen.
Zudem werde jeden Tag durch die gesondert ausgebildete Angestellte vor Büroschluss überprüft, ob Fristensachen unerledigt geblieben seien.
Fristensachen würden dem Anwalt zudem von dieser Angestellten mit einem deutlichen Hinweis gesondert vorgelegt.
Im vorliegenden Fall sei die Handakte des Anwalts nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.8.2004 zunächst zu einer Frist vom 5.10.2004 gegeben worden. Als das angefochtene Urteil am 16.9.2004 dem Anwalt zugestellt worden sei, habe die gesondert ausgebildete Angestellte zwar das Empfangsbekenntnis in die Unterschriftenmappe gegeben, jedoch weder den Eingang des Urteils vermerkt, noch eine Frist eingetragen, noch die Akte dem Anwalt vorgelegt. Auch der Auszubildenden im 3. Lehrjahr sei bei der anschließenden Kontrolle nicht aufgefallen, dass in dieser Sache ein Posteingang erfolgt sei, so dass sie die Akte wieder zur ursprünglichen Frist vom 5.10.2004 weggehängt habe.
Erst als die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils am 28.9.2004 zugestellt worden sei, sei die Akte dem Anwalt gemeinsam mit dem bereits 12 Tage zuvor eingegangenen Urteil vorgelegt worden. Das Urteil habe keinen Eingangsstempel getragen. Der Anwalt sei nicht misstrauisch geworden, weil seit der Urteilsverkündung...