Entscheidungsstichwort (Thema)

Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht”

 

Leitsatz (amtlich)

a) Durch den erfolgreichen Abschluß der Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst in der Steuerverwaltung erbringt der Rechtsanwalt in der Regel den Nachweis besonderer Kenntnisse im Steuerrecht, wenn er in der Zwischenzeit seinen Kenntnisstand durch geeignete Maßnahmen gesichert und fortentwickelt hat.

b) Das Ergebnis eines zu Unrecht angeordneten Fachgesprächs darf in der Regel nicht zum Nachteil des Rechtsanwalts verwertet werden.

 

Normenkette

BRAO § 43c; RAFachBezG §§ 8, 10

 

Verfahrensgang

AGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 33 AR 20/98)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. September 1998 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu ersetzen.

Der Geschäftswert wird auf 25.000 DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der im Jahre 1961 geborene Antragsteller war seit dem 1. September 1983 in der Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg tätig. Am 8. Oktober 1986 schloß er die Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst mit dem Hochschulgrad des Diplom-Finanzwirts (FH) ab. Ab 1987 studierte er Rechtswissenschaft. Nachdem er die Zweite juristische Staatsprüfung bestanden hatte, wurde der Antragsteller am 29. März 1994 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit einem bei der Antragsgegnerin am 25. Februar 1997 eingegangenen Schreiben beantragte der Antragsteller, ihm die Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht” zu gestatten. Die Antragsgegnerin leitete dem Gemeinsamen Prüfungsausschuß „Fachanwalt für Steuerrecht” der Rechtsanwaltskammern in Baden-Württemberg die Unterlagen des Antragstellers mit der Bitte um Erstattung eines Votums zu. Am 17. Juni 1997 schlug der Prüfungsausschuß einstimmig vor, dem Rechtsanwalt die begehrte Erlaubnis zu erteilen. Zwar habe er den grundsätzlich vorgeschriebenen Lehrgang nicht besucht. Die erforderlichen theoretischen Kenntnisse seien jedoch durch die Ausbildung in der Finanzverwaltung, die wissenschaftlich vertiefte schriftstellerische Tätigkeit (17 Urteilsanmerkungen, 3 Aufsätze, Mitautor von 2 Büchern) sowie die seit 1993 besuchten fünf Fortbildungsveranstaltungen nachgewiesen. Auch die erforderliche praktische Erfahrung sei belegt.

Die Antragsgegnerin schloß sich dem nicht an, sondern bat den Ausschuß um Durchführung eines Fachgesprächs, das am 8. November 1997 stattfand. Der Prüfungsausschuß bewertete dessen Ergebnisse in den Bereichen Umsatzsteuerrecht, Ertragsteuerrecht und Verfahrensrecht jeweils als den Anforderungen entsprechend, im Teil Bilanzsteuerrecht dagegen mit „mangelhaft”. Gleichwohl erteilte er erneut die einstimmige Empfehlung, die Führung der Fachanwaltsbezeichnung zu gestatten, weil nach seiner ständigen Praxis das Fachgespräch positiv zu werten sei, wenn die Leistungen des Bewerbers in drei der vier im Gesetz genannten Bereiche den Anforderungen genügten. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag jedoch im Hinblick auf das negative Ergebnis im Bereich Bilanzsteuerrecht ab.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte beim Anwaltsgerichtshof Erfolg. Dagegen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde der Anwaltskammer.

II.

Die gemäß § 223 Abs. 3 BRAO zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet.

1. Der Antragsgegner hat seinen Antrag vor dem Inkrafttreten der Fachanwaltsordnung (dazu Senatsbeschluß vom heutigen Tage – AnwZ (B) 85/98) eingereicht. Daher finden noch die Vorschriften des Gesetzes über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 27. Februar 1992 (RAFachBezG) als das für den Bewerber günstigere Recht Anwendung (§ 16 Abs. 1 FAO).

2. Der Anwaltsgerichtshof hat die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung zu versagen, weil die besonderen theoretischen Kenntnisse nicht nachgewiesen seien, zu Recht aufgehoben.

a) Der Nachweis entsprechender Kenntnisse wird in der Regel geführt durch die erfolgreiche Teilnahme an einem auf den Erwerb der betreffenden Fachanwaltsbezeichnung vorbereitenden Lehrgang, der die maßgeblichen Teilbereiche des Fachgebietes umfaßt (§ 8 Abs. 1 RAFachBezG). Hat der Rechtsanwalt, wie der Antragsteller, an einem solchen Lehrgang nicht teilgenommen, kann der erforderliche Kenntnisstand auch auf andere Weise belegt werden. Nachzuweisen ist dann, daß auf dem vom Bewerber gewählten Weg mindestens das im jeweiligen Lehrgang vermittelte Wissen erworben wurde (§ 8 Abs. 3 RAFachBezG).

Es kann offenbleiben, ob die Anordnung eines Fachgesprächs stets einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Ergebnis eines solchen Gesprächs, soweit es um prüfungsspezifische Wertungen geht, nur eingeschränkt kontrollierbar (Beschl. v. 26. Januar 1998 - AnwZ (B) 55/97, BRAK-Mitt. 1998, 153, 154). Soweit die Entscheidung über die Anordnung eines Fachgesprächs eine umfassende Bewertung und Gewichtung der vom Antragsteller vorgelegten Nachweise erfordert, mag es gerechtfertigt sein, auch diese Entscheidung nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen, zumal es sich nicht um die Bewertung einer Berufszugangsprüfung handelt (BVerfGE 84, 34, 50 m.w.N.).

Weder § 43 c BRAO noch die Vorschriften des RAFachBezG gewähren der Rechtsanwaltskammer jedoch in dem hier maßgeblichen Punkt einen der richterlichen Nachprüfung entzogenen persönlichen Beurteilungsspielraum. Die Frage, ob die vom Bewerber vorgelegten Unterlagen die besonderen theoretischen Kenntnisse nachweisen, ist eine Rechtsfrage und daher gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar. Hatte der Rechtsanwalt die gesetzlich geforderten Nachweise bereits durch die schriftlichen Unterlagen erbracht, ist für die Anordnung eines Fachgesprächs kein Raum (Senatsbeschl. v. 18. November 1996 - AnwZ (B) 29/96, BRAK-Mitt. 1997, 128 = NJW 1997, 1307, 1308; v. 29. September 1997 - AnwZ (B) 33/97, NJW-RR 1998, 635, 636; v. 26. Januar 1998 - AnwZ (B) 55/97, BRAK-Mitt. 1998, 153).

b) Der Senat teilt die Auffassung des Anwaltsgerichtshofs und des Gemeinsamen Prüfungsausschusses „Fachanwalt für Steuerrecht” der Rechtsanwaltskammern in Baden-Württemberg in dessen Stellungnahme vom 17. Juni 1997, daß der Antragsteller den Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse gemäß § 8 Abs. 3 RAFachBezG geführt hat und infolgedessen die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fachgesprächs von Anfang an nicht gegeben waren.

aa) Der Antragsteller hat am 8. Oktober 1986 die Staatsprüfung für den gehobenen Dienst der Steuerverwaltung bestanden und damit den akademischen Grad des Diplom-Finanzwirts (FH) erworben. Diese Prüfung umfaßt alle in § 4 RAFachBezG genannten Fachgebiete. § 20 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Steuerbeamten (StBAPO) schreibt vor, daß auf die Fachstudien in den Fächern (1) Abgabenrecht, Finanzgerichtsordnung, (2) Bewertungsrecht, (3) Steuern vom Einkommen und Ertrag, (4) Umsatzsteuer, (5) Bilanzsteuerrecht, betriebliches Rechnungswesen, Außenprüfung insgesamt mindestens 1.400 Stunden entfallen müssen. Die Gesamtdauer des Lehrgangs nach § 8 Abs. 1 RAFachBezG braucht dagegen nur mindestens drei Wochen (120 Zeitstunden) zu betragen. § 4 Abs. 1 FAO verlangt nunmehr im Steuerrecht 160 Stunden. Zwar ist ein Rechtsanwalt aufgrund seiner Ausbildung und seiner beruflichen Erfahrung fähig, in der zur Verfügung stehenden Zeit weitaus mehr neues Wissen zu erwerben und sachgerecht zu verarbeiten, als ein Student, der vergleichbare fachliche Grundlagen noch nicht besitzt. Trotzdem kann nicht zweifelhaft sein, daß eine erfolgreich abgeschlossene Fachhochschulausbildung für den gehobenen Dienst in der Steuerverwaltung infolge der gesetzlichen Anforderungen mindestens dasselbe steuerrechtliche Wissen zu vermitteln vermag wie die in § 8 Abs. 1 RAFachBezG beschriebenen Lehrgänge.

bb) Aus diesem Grunde läßt offenbar der Fachausschuß für Steuerrecht im Bezirk des OLG Hamm den erfolgreichen Abschluß der Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt (FH) in ständiger Praxis zum Nachweis der theoretischen Kenntnisse genügen. Ob eine entsprechende generelle Handhabung gerechtfertigt ist, kann offenbleiben. Hier hat der Antragsteller jedenfalls nachgewiesen, daß er seine Kenntnisse seit der im Jahre 1986 abgeschlossenen Ausbildung gesichert und fortentwickelt hat. Er hat in den Jahren 1993 bis 1997 fünf überwiegend mehrtägige Fortbildungskurse besucht und in dieser Zeit 17 Urteilsanmerkungen und drei Aufsätze geschrieben sowie an zwei Büchern als Autor mitgewirkt. Daß es sich dabei um wissenschaftlich vertiefte Ausführungen auf verschiedenen praxisrelevanten Gebieten des Steuerrechts gehandelt hat, wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt. Im Hinblick darauf waren die schriftlichen Unterlagen des Antragstellers zum Nachweis besonderer Kenntnisse des Steuerrechts, insgesamt gewertet, mindestens ebenso geeignet wie das Zeugnis über die erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs zum Erwerb der betreffenden Fachanwaltsbezeichnung. Die Anordnung des Fachgesprächs zur Überprüfung der theoretischen Kenntnisse beruhte daher auf rechtlich nicht haltbaren Erwägungen und verletzte den Antragsteller in seinen Rechten.

3. Die Antragsgegnerin hat das Ergebnis des von ihr veranlaßten Fachgesprächs – im Gegensatz zum Prüfungsausschuß – in dem Sinne gewertet, daß es zum Nachweis besonderer Kenntnisse auf dem Gebiet des Steuerrechts nicht geeignet ist. Ob dieser inhaltlichen Beurteilung zuzustimmen ist, mag offenbleiben; denn das Fachgespräch kann, weil es nicht hätte angeordnet werden dürfen, nicht zum Nachteil des Rechtsanwalts verwertet werden.

Der Senat hat allerdings bisher die Einbeziehung eines für den Bewerber ungünstig ausgegangenen Fachgesprächs in die Beurteilung auch dann gebilligt, wenn es zu Unrecht durchgeführt worden war (Senatsbeschl. v. 14. Februar 1994 - AnwZ (B) 75/93, BRAK-Mitt. 1994, 104 = NJW-RR 1994, 1080, 1081; v. 24. Oktober 1994 - AnwZ (B) 23/94, BRAK-Mitt. 1995, 75 = NJW-RR 1995, 1146; v. 26. Januar 1998, aaO). Maßgebend war dafür hauptsächlich die Erwägung, der Antragsteller habe mit seiner Teilnahme an dem Fachgespräch freiwillig eine Beurteilungsgrundlage geliefert. An dieser Auffassung hält der Senat jedoch nach erneuter Überprüfung nicht fest. Die für den Bewerber negative Entscheidung greift in dessen anwaltliche Berufsausübung ein, berührt also dessen Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich; ferner können sie auf vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht und – im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung – auf autonomem Satzungsrecht von Berufsverbänden beruhen (BVerfGE 57, 121, 131; 76, 171, 184 f). Demnach braucht der Rechtsanwalt nicht hinzunehmen, daß berufsregulierende Maßnahmen auf der Grundlage von Erkenntnissen getroffen werden, die gesetzlich nicht gedeckt waren. Der Rechtsanwalt kann die besonderen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen gemäß §§ 8, 9 RAFachBezG in der Regel bereits durch schriftliche Unterlagen nachweisen; das Gesetz hat die Voraussetzungen zum Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung in dieser Hinsicht weitgehend formalisiert (Senatsbeschl. v. 18.11.1996, aaO; v. 29. September 1997, aaO). Ist der gesetzlich vorgesehene Nachweis erbracht, steht dem Rechtsanwalt ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung zu.

Dieser Anspruch kann nicht mittels eines rechtswidrig erlangten Erkenntnismittels wieder beseitigt werden. Eine solche Rechtsfolge läßt sich insbesondere nicht mit der Erwägung rechtfertigen, der Anwalt habe sich freiwillig dem Fachgespräch gestellt. Vielmehr führt eine solche Betrachtungsweise zu einem für den Bewerber unzumutbaren Entscheidungskonflikt. Verweigert er die Teilnahme, muß er damit rechnen, daß sein Antrag ohne weiteres abgelehnt wird (vgl. § 10 Abs. 3 RAFachBezG), wogegen er den Rechtsweg beschreiten müßte. Stellt er sich dem Fachgespräch, geht er das Risiko ein, eine schon erlangte Rechtsposition zu verlieren.

Es widerspräche zudem eindeutig dem Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung über den Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung, wenn deren Verleihung bei Durchführung eines Fachgesprächs generell von dessen Ergebnis abhängig wäre, ohne Rücksicht darauf, ob die Durchführung des Fachgesprächs hätte angeordnet werden dürfen. § 10 RAFachBezG gestattet die Ladung zu einem Fachgespräch nur dort, wo die schriftlichen Unterlagen des Bewerbers den gesetzlichen Anforderungen nicht ganz genügen, es jedoch möglich erscheint, daß der Rechtsanwalt das danach im Bereich der Fachkenntnisse oder der besonderen praktischen Erfahrungen vorhandene (geringe) Defizit durch einen positiven Eindruck im Fachgespräch auszugleichen vermag (vgl. Senatsbeschl. v. 18. November 1996 - AnwZ (B) 29/96, aaO).

4. Den von § 9 Abs. 1 Buchst. b RAFachBezG geforderten Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen hat der Antragsteller ebenfalls erbracht. Das Fachgespräch ist zudem nur zur Überprüfung seiner theoretischen Kenntnisse angeordnet worden, so daß dessen Ergebnis schon deshalb in diesem Zusammenhang keine rechtliche Bedeutung besitzt.

 

Unterschriften

Geiß, Fischer, Basdorf, Ganter, Kieserling, Müller, Christian

 

Fundstellen

Haufe-Index 539927

BGHZ

BGHZ, 97

BB 1999, 2269

DB 1999, 2159

DStZ 2000, 312

NJW 1999, 2677

NWB 1999, 3182

NWB 1999, 4046

EBE/BGH 1999, 339

EWiR 1999, 839

Nachschlagewerk BGH

AnwBl 2000, 202

MDR 1999, 1227

MittRKKöln 1999, 330

BRAK-Mitt. 1999, 271

StB 2000, 18

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