Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenfolge bei Wegfall der Rechtshängigkeit durch Rücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
§ 269 Abs. 3 S. 2 ZPO findet nicht entsprechend Anwendung, wenn der Kläger nach Abschluss des Mahnverfahrens und Abgabe des Verfahrens an das Streitgericht den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens zurücknimmt.
Normenkette
ZPO § 269 Abs. 3, § 696 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 13.12.2004; Aktenzeichen 9 T 27/04) |
AG Karlsruhe |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Karlsruhe v. 13.12.2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: bis 600 EUR
Gründe
I.
Der Beklagte wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, nachdem diese den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens nach Abgabe des Mahnverfahrens an das Streitgericht zurückgenommen hat.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Mahnbescheid über 3.483,18 EUR erwirkt, gegen den der Beklagte rechtzeitig Widerspruch erhoben hat. Auf Antrag der Klägerin ist das Verfahren nach Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses an das für das Streitverfahren zuständige AG abgegeben worden. Nachdem die Klägerin aufgefordert worden war, den Anspruch zu begründen, hat sie den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens zurückgenommen und um Erstattung der nicht verbrauchten Gerichtskosten gebeten.
Auf Antrag des Beklagten hat das AG der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Das Beschwerdegericht hat den Beschluss des AG aufgehoben und den Kostenantrag des Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte seinen Antrag weiter, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
II.
Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die Kostenregelung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO sei auf die Rücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens nicht entsprechend anwendbar. Der Wegfall von Rechtshängigkeit und Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Klagerücknahme stehe dem bloßen Wegfall der Rechtshängigkeit bei Rücknahme des Streitantrags nicht gleich. Für die entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bestehe kein Anlass, weil es dem Beklagten offen stehe, selbst einen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens zu stellen und eine Kostenentscheidung herbeizuführen. Der Umstand, dass er hierdurch hinsichtlich der Gerichtsgebühren zum Kostenschuldner werde, rechtfertige sich aus seinem auf den Erlass einer ihm günstigen Kostengrundentscheidung gerichteten Rechtsschutzbegehren.
2. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht entsprechend Anwendung findet, wenn der Kläger nach Abschluss des Mahnverfahrens und Abgabe des Verfahrens an das Streitgericht den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gem. § 696 Abs. 4 ZPO zurücknimmt.
a) Ob in diesem Fall dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO aufzuerlegen sind, wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (vgl. für die entsprechende Anwendung von § 269 ZPO: OLG München v. 28.5.1991 - 5 U 5054/90, MDR 1992, 187 = OLGReport München 1992, 107; KG v. 18.5.1993 - 18 W 2694/93, NJW-RR 1993, 1472; LG Dortmund v. 23.1.2001 - 21 T 5/01, NJW-RR 2001, 1438; LG Frankfurt/M. v. 29.6.1988 - 2/9 T 659/88, NJW-RR 1988, 1021; Stein/Jonas-Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 696 Rz. 2; Musielak-Voit, ZPO, 4. Aufl., § 696 Rz. 5; Wieczorek/Schütze-Olzen, ZPO, 3. Aufl., § 696 Rz. 41; dagegen: OLG Stuttgart v. 28.9.1999 - 13 W 12/99, OLGReport Stuttgart 2000, 165 = MDR 2000, 791; LG Kaiserslautern v. 5.8.1993 - 1 T 140/93, MDR 1994, 417; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 696 Rz. 2; Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., § 696 Rz. 20; Fischer, MDR 1994, 124 [125]).
b) Die Zurücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens steht der Klagerücknahme nicht gleich. Durch die Zurücknahme dieses Antrags wird der Rechtsstreit nicht wie durch die Zurücknahme der Klage endgültig beendet OLG Stuttgart v. 28.9.1999 - 13 W 12/99, MDR 2000, 791; LG Kaiserslautern v. 5.8.1993 - 1 T 140/93, MDR 1994, 417; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 696 Rz. 2; Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., § 696 Rz. 20). Gemäß § 696 Abs. 4 S. 3 ZPO entfällt lediglich die Rechtshängigkeit. Das Verfahren bleibt als Mahnverfahren bei dem Gericht anhängig, bei dem es sich zum Zeitpunkt der Rücknahme befindet. Das Verfahren kommt zum Stillstand. Beide Parteien können die Fortführung des Rechtsstreits herbeiführen, indem sie erneut die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragen (OLG Stuttgart v. 28.9.1999 - 13 W 12/99, OLGReport Stuttgart 2000, 165 = MDR 2000, 791; OLG Düsseldorf v. 14.5.1981 - 21 W 16/81, MDR 1981, 766; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 696 Rz. 2; MünchKomm-Holch, ZPO, 2. Aufl., § 696 Rz. 28; Musielak-Voit, ZPO, 4. Aufl., § 696 Rz. 5; Wieczorek/Schütze-Olzen, ZPO, 3. Aufl., § 696 Rz. 37). Die Zurücknahme der Klage beseitigt demgegenüber sowohl die Rechtshängigkeit als auch die Anhängigkeit des Rechtsstreits. Dieser ist infolge der Klagerücknahme endgültig beendet.
c) Bei dieser Sachlage kann die entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht mit dem Zweck des § 696 Abs. 4 ZPO, eine einfache und Kosten sparende Erledigung des Rechtsstreits zu ermöglichen, und dem Interesse der Parteien an der Beendigung des Verfahrens begründet werden (vgl. KG v. 18.5.1993 - 18 W 2694/93, NJW-RR 1993, 1472; LG Dortmund v. 23.1.2001 - 21 T 5/01, NJW-RR 2001, 1438; LG Frankfurt/M. v. 29.6.1988 - 2/9 T 659/88, NJW-RR 1988, 1021).
(1) Der Umstand, dass die Zurücknahme des Streitantrags wie die Klagerücknahme die Ermäßigung der Gerichtsgebühren zur Folge hat (vgl. GKV Nr. 1211), rechtfertigt es nicht, eine abschließende Kostenentscheidung zu treffen, da das Verfahren als Mahnverfahren anhängig bleibt. Allein auf prozessökonomische Erwägungen kann eine abschließende Kostenentscheidung im Rahmen eines noch anhängigen Verfahrens nicht gestützt werden.
(2) Mit der Zurücknahme des Streitantrags bringt der Kläger zudem nicht, wie mit der Zurücknahme der Klage, eindeutig sein Interesse an einer endgültigen Beendigung des Rechtsstreits zum Ausdruck. Er kann aus anderen Gründen von der Durchführung des streitigen Verfahrens Abstand nehmen wollen, etwa weil der Beklagte Zahlung zugesagt hat oder Vergleichsverhandlungen geführt werden sollen. Die auf Rücknahme des Streitantrags gerichtete Prozesserklärung des Klägers darf der Beklagte daher nicht ohne weiteres dahin verstehen, dass das Verfahren endgültig beendet werden soll. Das Interesse des Beklagten daran, in diesem Fall unmittelbar eine Kostengrundentscheidung zu Lasten des Klägers zu erhalten, ist nicht schutzwürdig.
d) Bei einer entsprechenden Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bestünde zudem die Gefahr, dass nach Wiederaufnahme des streitigen Verfahrens eine Kostenentscheidung zu treffen ist, die von der vorher ergangenen Kostenentscheidung nach abweicht. Sofern die Beschwerdefrist abgelaufen ist, kann die Kostenentscheidung, die auf der Grundlage des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO getroffen worden ist, nachträglich nicht mehr korrigiert werden. (OLG Stuttgart v. 28.9.1999 - 13 W 12/99, OLGReport Stuttgart 2000, 165 = MDR 2000, 791; LG Kaiserslautern v. 5.8.1993 - 1 T 140/93, MDR 1994, 417; Fischer, MDR 1994, 124 [125]). Dieser Gefahr sich widersprechender Kostenentscheidungen kann nicht dadurch begegnet werden, dass dem Kläger im Falle der Zurücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens lediglich die Kosten auferlegt werden, die wegen des dadurch entfallenden streitigen Verfahrens entstanden sind (vgl. Musielak-Voit, ZPO, 4. Aufl., § 696 Rz. 5; Wolff, NJW 2003, 553 [558]). Für das vom Kläger ursprünglich beantragte streitige Verfahren entstehen auf Seiten des Beklagten keine abgrenzbaren Kosten, über die gesondert entschieden werden könnte. Die bereits angefallene Prozessgebühr entsteht, sofern nicht der frühere Auftrag seit mehr als zwei Jahren erledigt ist (§ 13 Abs. 5 BRAGO), nicht erneut, wenn der Rechtsstreit auf Antrag einer der Parteien fortgeführt wird. Sie ist Teil der Kosten, über die nach Abschluss des Rechtsstreits einheitlich zu entscheiden ist.
e) Für eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO besteht im Übrigen kein Bedürfnis. Der Beklagte ist ausreichend dadurch geschützt, dass er selbst die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragen und damit eine Entscheidung über die im Verfahren entstandenen Kosten herbeiführen kann (vgl. OLG Stuttgart v. 28.9.1999 - 13 W 12/99, OLGReport Stuttgart 2000, 165 = MDR 2000, 791; OLG Braunschweig v. 6.3.2000 - 7 W 53/99, OLGReport Braunschweig 2000, 222). Dem Beklagten ist es zumutbar, einen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens zu stellen, wenn er eine Entscheidung über die ihm im Prozess entstandenen Kosten erstrebt.
(1) Die Situation des Beklagten nach Rücknahme des Streitantrags ist mit derjenigen vergleichbar, die besteht, wenn der Kläger den im Mahnbescheid gestellten Anspruch nicht begründet oder das Verfahren aus anderen Gründen nicht weiter betreibt. In diesen Fällen ist der Beklagte, wenn er eine Entscheidung über die ihm entstandenen Verfahrenskosten erreichen will, ebenfalls gehalten, durch einen Antrag auf Terminsbestimmung die Fortführung des Verfahrens zu veranlassen, um eine Entscheidung des Gerichts in der Sache und über die Kosten herbeizuführen.
(2) Der Umstand, dass der Beklagte gem. § 49 S. 1 GKG a.F. nach Beantragung des streitigen Verfahrens für die entstehenden Gerichtsgebühren haftet, macht das Betreiben des streitigen Verfahrens für ihn nicht unzumutbar. Der Beklagte haftet für die Gerichtsgebühren, sofern nach Abschluss des Verfahrens eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten ergeht, nur subsidiär (§ 58 Abs. 2 GKG a.F.). Die Kostenhaftung des Beklagten rechtfertigt sich im Übrigen, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, auf Grund des mit dem Antrag verfolgten Rechtsschutzinteresses an einer ihm günstigen Kostenentscheidung.
f) § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO ist auf die Rücknahme des Streitantrags gem. § 696 Abs. 4 ZPO auch nicht entsprechend anzuwenden, wenn der Kläger den Rechtsstreit durch Zurücknahme des Streitantrags nicht nur vorübergehend zum Ruhen bringen, sondern endgültig beenden will (in diesem Sinne differenzierend: OLG München v. 1.12.1999 - 1 W 3034/99, OLGReport München 2000, 229; v. 28.5.1991 - 5 U 5054/90, MDR 1992, 187 = OLGReport München 1992, 107; KG v. 18.5.1993 - 18 W 2694/93, NJW-RR 1993, 1472; LG Frankfurt/M. v. 29.6.1988 - 2/9 T 659/88, NJW-RR 1988, 1021; Wieczorek/Schütze-Olzen, ZPO, 3. Aufl., § 696 Rz. 41).
(1) Die Zurücknahme des Streitantrags ist als Prozesserklärung bedingungsfeindlich. Ihre Rechtsfolgen bestimmen sich nicht danach, welche Motive des Erklärenden ihr im Einzelfall zu Grunde liegen. Nur wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kläger nicht lediglich den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens, sondern zugleich die Klage zurücknehmen will, kann die Erklärung, den Streitantrag zurückzunehmen, auch als Klagerücknahme ausgelegt werden. Auf diese findet § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO dann unmittelbar Anwendung (vgl. OLG München v. 6.4.1984 - 8 W 966/84, AnwBl. 1984, 371).
(2) Das Beschwerdegericht hat die Erklärung der Klägerin, den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens zurückzunehmen und die nicht verbrauchten Gerichtskosten zu erstatten, rechtsfehlerfrei nicht als Klagerücknahme ausgelegt. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin das Verfahren endgültig beenden wollte.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1408550 |
BGHR 2005, 1423 |
BauR 2005, 1667 |
EBE/BGH 2005, 275 |
NJW-RR 2006, 201 |
ZAP 2005, 1180 |
ZAP 2006, 205 |
AnwBl 2005, 122 |
InVo 2006, 153 |
JA 2006, 86 |
MDR 2006, 42 |
Rpfleger 2005, 674 |
WuM 2005, 606 |
AGS 2005, 570 |
NZBau 2005, 588 |
RENOpraxis 2006, 124 |
RENOpraxis 2006, 27 |
RVGreport 2005, 395 |
GK/Bay 2006, 98 |
ProzRB 2005, 258 |