Leitsatz (amtlich)
Zum notwendigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift bei auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützte Entscheidung.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 24.09.2015; Aktenzeichen 6 U 49/15) |
LG Potsdam (Urteil vom 20.03.2015; Aktenzeichen 12 O 403/13) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Brandenburg vom 24.9.2015 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17.11.2015 wird auf Kosten der Klägerin, die auch die dem Streithelfer erwachsenen Kosten zu tragen hat, als unzulässig verworfen.
Der Streitwert für das Verfahren der Rechtsbeschwerde wird auf 135.169,19 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin wurde vom Beklagten zu 1), bei dem der Streithelfer als freier Mitarbeiter tätig war, im Zusammenhang mit einem Unternehmensverkauf anwaltlich beraten und im sich anschließenden Prozess gegen die Käuferin anwaltlich vertreten. Der Streithelfer erbrachte für den Beklagten zu 1) gegenüber der Klägerin die anwaltlichen Leistungen. Der Beklagte zu 2) war ihr Steuerberater und hat im Rahmen der Verkaufsverhandlungen an Gesprächen teilgenommen. Die Klägerin wirft beiden Beklagten vor, sie während der laufenden Kaufverhandlungen falsch beraten zu haben, dem Beklagten zu 1) wirft sie zusätzlich vor, für sie einen aussichtslosen Prozess gegen die Käuferin geführt zu haben. Der Streithelfer ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist zwar kraft Gesetzes statthaft, §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, im Übrigen jedoch unzulässig. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO, weil das Berufungsgericht § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO rechtsfehlerfrei angewendet hat und die Klägerin weder in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG noch in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt ist.
Rz. 3
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufungsbegründung erfülle nicht die von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO gestellten Anforderungen. Zwar wende sich die Berufung gegen jeden der die klageabweisende Entscheidung selbständig tragenden Gründe des landgerichtlichen Urteils. Hinsichtlich der Annahmen des LG, die Klage sei mangels hinreichender Darlegung einer Pflichtverletzung sowie wegen Fehlens nachvollziehbaren Vortrags zu Schaden und Kausalität unbegründet, fehle es aber an einem hinreichenden Berufungsangriff. Ein solcher sei in der Rüge, das landgerichtliche Urteil stelle unter Verletzung von § 139 ZPO und Art. 103 Abs. 1 GG eine Überraschungsentscheidung dar, nicht zu sehen. Denn die Berufung setze sich insoweit mit den inhaltlichen Ausführungen des LG nicht auseinander. Auch werde nicht vorgetragen, was die Klägerin nach Erteilung des vermissten Hinweises vorgetragen hätte.
Rz. 4
2. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.
Rz. 5
a) Die Anforderungen an eine Berufungsbegründung sind geklärt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insb. ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein, es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Dabei muss die Berufung die tragenden Erwägungen des Erstgerichts angreifen und darlegen, warum diese aus Sicht des Berufungsklägers nicht zutreffen; die Begründung muss also - ihre Richtigkeit unterstellt - geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen (BGH, Beschl. v. 10.12.2015 - IX ZB 35/15, ZInsO 2016, 410 Rz. 7 m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Bezeichnung der konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 20.10.2015 - VI ZB 18/15, VersR 2016, 616 Rz. 8).
Rz. 6
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe genügt die klägerische Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
Rz. 7
aa) Das LG hat angenommen, etwaige Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten seien verjährt, zudem habe die Klägerin die Pflichtverletzungen der Beklagten, die Kausalität und den Schaden nicht hinreichend dargelegt. Die Berufungsbegründung setzt sich im Wesentlichen mit der Ansicht des erstinstanzlichen Urteils auseinander, die Ansprüche seien verjährt. Zu der alternativen Begründung führt die Berufungsbegründung lediglich am Ende des Schriftsatzes in einem Satz aus, die Darlegungen in der Urteilsbegründung auf Seite 13, in denen das erstinstanzliche Gericht inhaltliche Ausführungen gemacht habe, seien völlig überraschend, weil es hierzu weder Gespräche in der mündlichen Verhandlung noch anderweitige Hinweise gegeben habe.
Rz. 8
bb) Den an eine Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin damit nicht gerecht. Hinsichtlich der das landgerichtliche Urteil selbständig tragenden Annahme, die Klägerin habe zu den Anspruchsvoraussetzung der Anwalts- und Steuerberaterhaftung nicht hinreichend vorgetragen, fehlt es - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - an einem hinreichenden Berufungsangriff.
Rz. 9
(1) Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschl. v. 27.1.2015 - VI ZB 40/14, VersR 2015, 728 Rz. 8 m.w.N.; v. 3.3.2015 - VI ZB 6/14, VersR 2016, 480 Rz. 6). Bei der Annahme des LG, die Anspruchsvoraussetzungen der streitgegenständlichen Ansprüche seien nicht hinreichend dargetan, handelt es sich um eine rechtliche Erwägung, die das Urteil selbständig und unabhängig von den anderen rechtlichen Erwägungen, etwaige Ansprüche seien verjährt, trägt und deswegen auch insoweit ein Berufungsangriff erforderlich macht (vgl. BGH, Beschl. v. 27.1.2015, a.a.O., Rz. 10). Dies wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Frage gestellt.
Rz. 10
(2) Die Berufungsbegründung hätte sich deswegen entweder mit den Ausführungen des LG auseinandersetzen müssen, die Klägerin habe nicht hinreichend zu den Anspruchsvoraussetzungen eines Regressanspruchs vorgetragen, und darlegen müssen, dass sie dies sehr wohl gemacht und das LG die Anforderungen an die Substantiierung überspannt habe. Oder sie hätte, die Ansicht des LG hinnehmend, der Vortrag sei bislang nicht hinreichend, ausführen müssen, wie sie ihren Vortrag zu den Anspruchsvoraussetzungen der Haftung des Rechtsanwalts und des Steuerberaters nach Hinweiserteilung ergänzt hätte.
Rz. 11
(a) Ein tauglicher Berufungsangriff kann nicht darin erblickt werden, dass die Berufungsbegründung geltend macht, das erstinstanzliche Gericht habe trotz Hinweispflicht gem. § 139 ZPO keinen weiteren ergänzenden Vortrag gefordert. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 139 ZPO und/oder Art. 103 Abs. 1 GG ist nämlich nur dann in ausreichender Weise erhoben, wenn dargelegt wird, was auf einen entsprechenden Hinweis vorgetragen worden wäre (BGH, Beschl. v. 22.5.2014 - IX ZB 46/12, nv Rz. 10; vom 27.1.2015, a.a.O., Rz. 12; vom 3.3.2015, a.a.O., Rz. 8). Dies hat die Klägerin in der Berufungsbegründung nicht getan.
Rz. 12
(b) Ebenso wenig hat sich die Klägerin mit der Auffassung des LG auseinandergesetzt, ihr erstinstanzlicher Vortrag zu den Anspruchsvoraussetzungen der Beraterhaftung sei nicht ausreichend gewesen.
Rz. 13
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde genügen die im Zusammenhang mit dem Berufungsangriff gegen die Ansicht des LG, etwaige Forderungen gegen die Beklagten seien verjährt, gehaltenen Ausführungen zu den Anspruchsvoraussetzungen nicht. Sie enthalten keinen eigenständigen Berufungsangriff gegen die alternative Begründung der Klageabweisung im landgerichtlichen Urteil. Denn die Berufungsbegründung führt an den genannten Stellen nicht aus, dass die Klägerin entgegen der Ansicht des LG hinreichend zu den Anspruchsvoraussetzungen vorgetragen habe und deswegen die entgegengesetzte Ansicht des LG falsch sei. Mit den konkreten Erwägungen des LG zu den Anspruchsvoraussetzungen der Beraterhaftung befasst sich die Berufungsbegründung nämlich nicht. Damit lässt sie nicht erkennen, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Klägerin bezogen auf die Anspruchsvoraussetzungen das angefochtene Urteil für unrichtig hält (vgl. BGH, Beschl. v. 11.3.2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rz. 8; BGH, Beschl. v. 22.5.2014, a.a.O., Rz. 9). Dass sie rügt, das LG habe erforderliche Hinweise nicht erteilt, legt sogar nahe, die Berufungsbegründung teile die Ansicht des LG, ihr Vortrag zu den Anspruchsvoraussetzungen sei nicht substantiiert.
Rz. 14
(3) Die Klägerin kann sich mit der Rechtsbeschwerde auch nicht darauf berufen, das LG habe ihren Vortrag fehlerhaft als unsubstantiiert behandelt und sie dadurch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Diese Rüge hat sie in der Berufungsbegründungsschrift nicht ausdrücklich erhoben, wie die Rechtsbeschwerde einräumt. Aber auch aus dem Zusammenhang der Berufungsbegründung erschließt sich eine solche Gehörsrüge nicht. Die Klägerin hat an keiner Stelle behauptet, das LG habe klägerischen Vortrag übergangen. Sie hat den angeblich übergangenen Vortrag weder benannt noch die entsprechenden Fundstellen nachgewiesen. Deswegen hat das Berufungsgericht auch nicht gehörswidrig eine in der Berufungsbegründung erhobene Gehörsrüge übergangen.
Rz. 15
Der Rechtsstaatsgrundsatz verlangt es, für jede "neue und eigenständige Verletzung" des Art. 103 Abs. 1 GG durch eine gerichtliche Entscheidung die einmalige Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle zu gewähren. Wird im Zivilprozess die erstmalige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Eingangsgericht gerügt, so ist der danach erforderliche Rechtsbehelf mit der Berufung gem. § 520 ZPO gegeben und nach den hierfür maßgeblichen Bestimmungen durchzuführen. Ein zusätzlicher Rechtsbehelf im Wege der Rechtsbeschwerde ist danach nur erforderlich, wenn eine neue und eigenständige Verletzung durch das Berufungsgericht gerügt werden könnte; dies ist aber im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO durch das Berufungsgericht zu verneinen (BGH, Beschl. v. 22.5.2014 - IX ZB 46/12, nv Rz. 11).
Rz. 16
c) Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 14.9.2015 erfolgte erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und konnte die Berufung nicht mehr zulässig machen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.1.2015 - VI ZB 40/14, VersR 2015, 728 Rz. 15; v. 20.10.2015 - VI ZB 18/15, VersR 2016, 616 Rz. 9 a.E.).
Fundstellen
Haufe-Index 9664803 |
NJW-RR 2016, 1267 |
IBR 2016, 617 |
JZ 2016, 650 |
MDR 2016, 1221 |