Tenor
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Kammergerichts vom 29. Juli 2020 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache seit dem 5. Dezember 2017 ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. September 2017, sodann aufgrund des Haftbefehls des Kammergerichts vom 21. September 2018, ergänzt durch dessen Haftfortdauerbeschlüsse vom 22. März 2019 und vom 20. September 2019, sowie schließlich aufgrund des am 30. Juli 2020 verkündeten Haftbefehls des Kammergerichts vom 29. Juli 2020 ((1) 3 StE 3/18-4 (3/18)). Zuvor war gegen den Angeklagten in einem anderen Verfahren seit dem 24. Mai 2017 Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom selben Tag vollzogen worden.
Rz. 2
Gegenstand des gegenwärtig vollstreckten Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich als Jugendlicher mit Verantwortungsreife in der Zeit vom 10. Juni 2014 bis zum 23. oder 24. Oktober 2014 in Mossul (Irak) durch zwei selbständige Handlungen als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, dabei in einem Fall durch dieselbe Handlung im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt und zugleich vorsätzlich anderen zu deren vorsätzlich begangener rechtswidrigen Tat Hilfe geleistet, nämlich zur Tötung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in Tateinheit mit der Tötung eines Menschen aus niedrigen Beweggründen, strafbar gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 9 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 3 Satz 1 JGG.
Rz. 3
Mit Beschlüssen vom 22. Februar 2018 (AK 5/18), vom 28. Juni 2018 (AK 24 u. 25/18) und vom 18. Oktober 2018 (AK 38 u. 39/18) hat der Senat im besonderen Haftprüfungsverfahren jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Dabei hat er angenommen, dass der für die Bestimmung des Fristbeginns nach § 121 Abs. 1 StPO maßgebende Tag für den Angeklagten auf den 15. Juni 2017 gefallen war, weil zu diesem Zeitpunkt ausreichende Erkenntnisse für den Erlass eines Haftbefehls in dieser Sache vorgelegen hatten.
Rz. 4
Der Generalbundesanwalt hat am 9. August 2018 Anklage gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten A., seinen Vater, erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens dauert die Hauptverhandlung gegen beide Angeklagte seit dem 22. November 2018 an. Bis zum Erlass des gegenwärtig vollstreckten Haftbefehls vom 29. Juli 2020, der auf eine Haftbeschwerde des Angeklagten mit Schriftsatz seiner beiden Verteidiger vom 15. Juli 2020 ergangen ist, ist an 110 Tagen verhandelt worden.
Rz. 5
Gegen den Haftbefehl wendet sich der Angeklagte mit seiner neuerlichen Beschwerde, die einer seiner Verteidiger mit Schriftsatz vom 30. Juli 2020 eingelegt hat. Er macht – unter Bezugnahme auf die vorausgegangene Beschwerdeschrift vom 15. Juli 2020 und eine Stellungnahme dieses Verteidigers vom 29. Juli 2020 – insbesondere geltend, es bestehe kein dringender Tatverdacht hinsichtlich der Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und zum Mord sowie hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung, es lägen keine Haftgründe vor und der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig.
Rz. 6
Mit ergänzend begründetem Beschluss vom 4. August 2020 hat das Kammergericht nach nunmehr 112 Hauptverhandlungstagen der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Rz. 8
1. Der Angeklagte ist der ihm im angefochtenen Haftbefehl angelasteten Taten dringend verdächtig.
Rz. 9
a) Im Sinne eines solchen Verdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Rz. 10
aa) Spätestens kurz nachdem die außereuropäische terroristische Vereinigung „Islamischer Staat” (IS) am 10. Juni 2014 – damals noch als „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien” – die Kontrolle über die irakische Millionenstadt Mossul erlangt hatte, schloss sich der dort lebende – mindestens 15-jährige – Angeklagte dieser Organisation als Mitglied an und unterstellte sich ihrer Befehlsgewalt. In der Folgezeit betätigte sich der Angeklagte, der die militärische und religiöse Ausbildung des IS durchlief, aktiv an der Förderung von dessen kriminellen Zwecken, unter anderem durch die bewaffnete Bewachung beschlagnahmter Fahrzeuge in der Nähe des von ihm und seiner Familie bewohnten Hauses.
Rz. 11
Am 23. oder 24. Oktober 2014 nahm der Angeklagte als Mitglied des IS an der öffentlichen Hinrichtung des von der Vereinigung gefangen gehaltenen U., eines ranghohen Polizeioffiziers, auf dem Platz … in Mossul teil. Am Tattag geleiteten andere IS-Mitglieder, zu denen der Mitangeklagte A. gehörte, den Gefangenen zu diesem Platz, wo er festgehalten wurde. Der Angeklagte löste sich, wie zuvor abgesprochen, unmittelbar vor der Hinrichtung aus der dort versammelten Menschenmenge, ging mit erhobenem Zeigefinger auf den von bewaffneten IS-Kämpfern, darunter dem Mitangeklagten A., umringten U. zu und beschimpfte ihn in dem Wissen um die bevorstehende Erschießung öffentlich mit Äußerungen in arabischer Sprache, die übersetzt auszugsweise wie folgt lauten: „Ja, du Hund! … du Hundesohn! Ein Hase bist du! Und dank des Islamischen Staates bist du von ihnen hierhergebracht worden, und du wirst hingerichtet, du Idiot, du Mistkerl! … werden dich exekutieren!” Sodann drehte er sich kurz von U. weg, wandte sich ihm wieder zu und schrie: „Ich spucke dich an, du Hund!” Dabei spie er in Richtung des nur wenige Schritte von ihm entfernt festgehaltenen Polizeioffiziers aus, um seine Verachtung für ihn weiter zu unterstreichen. Daraufhin tötete ein IS-Mitglied, vermutlich … Al., das Opfer mit mehreren Schüssen aus einer Handfeuerwaffe in den Hinterkopf. Dem Angeklagten war bewusst, dass seine Äußerungen und Handlungen Teilakte der inszenierten Hinrichtung waren. Von dem Geschehen wurde, wie ihm bekannt war, eine Videoaufnahme gefertigt. Diese sollte dem IS dazu dienen, seine Macht propagandistisch zu demonstrieren und seine Gegner einzuschüchtern.
Rz. 12
Der Angeklagte war im Tatzeitraum nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug, das Unrecht seiner Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Rz. 13
bb) Hinsichtlich der Struktur, der Tätigkeiten und der Zielsetzungen des IS wird auf den Senatsbeschluss vom 22. Februar 2018 (AK 5/18, juris Rn. 12 ff.) sowie den angefochtenen Haftbefehl verwiesen.
Rz. 14
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus dem Inhalt der Sachakten und insbesondere den vom Kammergericht in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen.
Rz. 15
aa) Hinsichtlich der dem Angeklagten angelasteten Tathandlungen ist im angefochtenen Haftbefehl auf rund 18 Seiten und ergänzend im Nichtabhilfebeschluss dargelegt, wie sich die Ergebnisse der Beweisaufnahme nach der Überzeugung des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt dargestellt haben.
Rz. 16
(1) Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder weggefallen ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss es in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die von Verfassungs wegen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das erkennende Gericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung zu unterziehen hat. Seine abschließende Bewertung der Beweise und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (s. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2015 – StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3 Rn. 5; vom 29. September 2016 – StB 30/16, NJW 2017, 341 Rn. 5, 7; vom 26. Mai 2020 – StB 15/20, juris Rn. 10, jeweils mwN).
Rz. 17
Für die Darlegung der den dringenden Tatverdacht begründenden Beweislage in den Gründen einer vom erkennenden Gericht während laufender Hauptverhandlung getroffenen Haftanordnung sowie für den vom Beschwerdegericht anzulegenden Prüfungsmaßstab bedeutet dies: Um dem Beschwerdegericht eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, bedarf es einer – wenn auch knappen – Darstellung, ob und inwieweit sowie durch welche Beweismittel sich der zu Beginn der Beweisaufnahme vorliegende Verdacht bestätigt oder geändert hat und welche Beweisergebnisse gegebenenfalls noch zu erwarten sind. Es genügt, wenn das erkennende Gericht darlegt, auf welche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise es den dringenden Tatverdacht stützt. Deren Bewertung bedarf es regelmäßig nicht (s. BGH, Beschluss vom 29. September 2016 – StB 30/16, aaO, Rn. 7). Da eine nähere Analyse der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen nicht erforderlich ist, kann die Beschwerde mit hiergegen gerichteten Angriffen grundsätzlich nicht durchdringen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2017 – StB 2/17, juris Rn. 17). Das Beschwerdegericht prüft die Ausführungen in der Haftentscheidung zu den Erkenntnissen der Hauptverhandlung auf ihre Nachvollziehbarkeit und Plausibilität (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. September 2003 – StB 11/03, BGHR StPO § 117 Begründung 1; vom 26. Mai 2020 – StB 15/20, juris Rn. 12). Es beanstandet die Annahme des dringenden Tatverdachts, soweit die Würdigung des Erstgerichts offensichtliche Mängel aufweist, welche die Beurteilung der Verdachtslage als unvertretbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2003 – StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3; ferner BGH, Beschluss vom 21. April 2016 – StB 5/16, juris Rn. 12 [insoweit in NStZ-RR 2016, 217 nicht abgedruckt]). Der Beschwerde vermag es indes nicht zum Erfolg verhelfen, wenn der Rechtsmittelführer die Ausführungen als lückenhaft betrachtet, weil er die Ergebnisse der Beweisaufnahme abweichend bewertet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. April 2016 – StB 5/16, aaO; vom 26. Mai 2020 – StB 15/20, aaO).
Rz. 18
(2) Bei Anlegung der aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe hat das Kammergericht beanstandungsfrei dargelegt, aufgrund welcher Beweisergebnisse die bisherige Hauptverhandlung aus seiner Sicht ergeben hat, dass sich der dem Angeklagten vorgeworfene Sachverhalt mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie oben geschildert (s. a)), zutrug.
Rz. 19
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung bisher nicht zur Sache eingelassen. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte er angegeben, selbst vom IS gefangen genommen und zur Beleidigung des U. gezwungen worden zu sein. Das Kammergericht hat aufgrund der bisher durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass diese Angaben mit hoher Wahrscheinlichkeit als den Tatsachen nicht entsprechende Schutzbehauptung zu bewerten sind. Es hat die Beweisergebnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Haftbefehls dahin gewürdigt, dass der dringende Tatverdacht gestützt wird insbesondere durch die Inaugenscheinnahme der vom Tatgeschehen am 23. oder 24. Oktober 2014 gefertigten Videoaufnahme sowie durch die – von ihm jedenfalls im Kern für glaubhaft befundenen – Aussagen der Zeugen Ab., Al-, Alk., All., Als., M., S. und Y.. Mit Schwächen im Aussageverhalten der Zeugen Ab. und All. hat es sich näher auseinandergesetzt. Ergänzend hat es die Bekundungen des Zeugen K. bei verschiedenen polizeilichen Vernehmungen berücksichtigt, von denen er in der Hauptverhandlung abgerückt ist. Um das Aussageverhalten zu beurteilen, hat es die Angaben von zeugenschaftlich vernommenen Polizeibeamten sowie des Zeugen Rechtsanwalt Sc. herangezogen. Das Kammergericht hat sich an dieser vorläufigen Würdigung nicht durch andere Beweiserhebungen gehindert gesehen; es hat namentlich die abweichenden Bekundungen der Zeugen Ad., O., Sa. und Ma. als derzeit nicht glaubhaft erachtet. Hinsichtlich aller dieser Zeugen sind in dem Haftbefehl und dem Nichtabhilfebeschluss die Aussageinhalte wiedergegeben, die für die Überzeugungsbildung des Staatsschutzsenats maßgebend gewesen sind.
Rz. 20
Im Hinblick auf die eingeschränkte Prüfungsbefugnis des Senats trägt diese hinreichend konkrete Darlegung der wesentlichen Beweisergebnisse die Annahme des dringenden Tatverdachts. Die Ausführungen genügen den an die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität zu stellenden Anforderungen. Sie sind nicht in dem Sinne mangelhaft, dass sie die Beurteilung der Verdachtslage als unvertretbar erscheinen ließen. Eine weitergehende Darstellung und Würdigung der Beweislage ist nicht erforderlich gewesen. Insbesondere hat es keiner noch detaillierteren Darlegung der Gründe bedurft, weshalb das Kammergericht bestimmten belastenden Zeugenangaben gefolgt ist und anderen entlastenden nicht. Eine nähere Glaubhaftigkeitsanalyse ist einem abschließenden Urteil vorbehalten.
Rz. 21
Ohne Erfolg macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen vermeintliche Lücken in der Beweiswürdigung des Kammergerichts geltend und nimmt dabei vielfach eigene Wertungen vor. So beanstandet er beispielsweise:
- Entgegen der Beurteilung im angefochtenen Haftbefehl seien eine aus der Videoaufnahme hervorgehende „kraftvolle und selbstsichere Mimik und Gestik” sowie ein „energisches und selbstbewusstes” Auftreten des Angeklagten ohne Weiteres damit vereinbar, dass er zum Beschimpfen und Bespucken des U. gezwungen worden sei. Ohne nähere Begründung habe der erkennende Staatsschutzsenat solchen Erkenntnissen aus der Inaugenscheinnahme kein Indiz für die Freiwilligkeit des Tuns entnehmen dürfen.
- In den Gründen des Haftbefehls sei die Inkonstanz der Aussagen des Zeugen All. nicht kritisch gewürdigt. Zwar gehe die Haftentscheidung auf eine „Ergänzung” der Aussage des Zeugen ein. Soweit das Kammergericht dessen Angaben dennoch als glaubhaft behandelt habe, gehe aus den Ausführungen jedoch hervor, dass es „das Problem der inkonstanten Angaben nicht erkannt” habe.
- Der erkennende Staatsschutzsenat habe seine Überzeugung nicht ohne nähere Darlegung auf die Aussage des Zeugen M. stützen dürfen, weil dieser im Kern nur dazu ausgesagt habe, was der Angeklagte ihm gegenüber erklärt habe.
- Das Kammergericht sei von der Richtigkeit der Bekundungen des Zeugen Ab. bei der Polizei ausgegangen, ohne dass dies (ausreichend) begründet werde. Die in Bezug genommene Aussage des Zeugen S. – der ausweislich des Haftbefehls über hierzu stimmige Bekundungen des Zeugen Ab. ihm gegenüber berichtet hat – vermöge diese „Begründungslücke” nicht zu schließen.
Rz. 22
In Anbetracht des anzulegenden – oben dargelegten (s. (1)) – Prüfungsmaßstabs kann der Beschwerdeführer mit alledem nicht gehört werden. Wegen der Einzelheiten der Beweislage zu den dem Angeklagten angelasteten Tathandlungen wird daher ebenso wie hinsichtlich seiner Verantwortungsreife auf den angefochtenen Haftbefehl und ergänzend den Nichtabhilfebeschluss verwiesen.
Rz. 23
bb) Was die Struktur, die Tätigkeiten und die Zielsetzungen des IS betrifft, hat sich die Verdachtslage seit der Haftfortdauerentscheidung des Senats vom 22. Februar 2018 (AK 5/18, juris Rn. 18) nicht geändert. Der angefochtene Haftbefehl nimmt insoweit zutreffend Bezug „auf das zu den Akten gelangte Gutachten des (in der Hauptverhandlung noch zu hörenden) Sachverständigen Dr. St. „.
Rz. 24
c) In rechtlicher Hinsicht ist der oben geschilderte (s. a)) Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass der Angeklagte – als zur Zeit der Taten strafmündiger (§ 19 StGB) und strafrechtlich verantwortlicher (§§ 1, 3 Satz 1 JGG) Jugendlicher – der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch schwerwiegend entwürdigende oder erniedrigende Behandlung sowie mit Beihilfe zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und zum Mord, dringend verdächtig ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 und 9 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB).
Rz. 25
aa) Der Angeklagte machte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Beihilfe zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 2 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB strafbar. Unter Zugrundelegung des Sachverhalts, auf den sich der dringende Tatverdacht bezieht, gilt Folgendes:
Rz. 26
(1) Bei den kriegerischen Auseinandersetzungen, die im Jahr 2014 in der Region um die irakische Stadt Mossul stattfanden, handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Die von den IS-Mitgliedern mittäterschaftlich begangene Tötung des U. stand im erforderlichen Zusammenhang mit dem Konflikt (s. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2018 – AK 4/18 u. StB 29/17, juris Rn. 32 mwN). Das Tatopfer war eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person unabhängig davon, ob er den Streitkräften oder der Polizei angehörte (§ 8 Abs. 6 Nr. 2 und/oder 3 VStGB).
Rz. 27
(2) Der Angeklagte leistete dem die Tötung ausführenden IS-Mitglied sowie dessen Mittätern Beihilfe.
Rz. 28
(a) Der Angeklagte erbrachte einen objektiven Gehilfenbeitrag.
Rz. 29
(aa) Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert. Dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem individuellen Gepräge in irgendeiner Form kausal wird, ist nicht notwendig. Objektiv gefördert oder erleichtert werden kann die Haupttat unter anderem in der Form psychischer Beihilfe, wenn der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung – sei es bereits in seinem Tatentschluss – bestärkt wird (s. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 17; Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, NJW 2019, 1818 Rn. 95). Wenngleich die Beihilfe keinen ursächlichen Beitrag zum Taterfolg voraussetzt, stellt ein solcher Beitrag stets eine objektiv für § 27 Abs. 1 StGB ausreichende Hilfeleistung dar. Für die Kausalitätsbeurteilung kommt es dabei wie für die weitergehende Förderungs- und Erleichterungswirkung auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt an (s. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1996 – 2 StR 641/95, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 17; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., Vor § 13 Rn. 79 mwN).
Rz. 30
(bb) Gemessen daran liegt ein objektiver – psychisch vermittelter – Gehilfenbeitrag des Angeklagten vor.
Rz. 31
In Betracht kommt bereits, dass sein „Auftritt” im Rahmen der öffentlich inszenierten Hinrichtung kausal für den Todeserfolg in seiner konkreten Gestalt war. Die individuelle Art und Weise des Tötungsvorgangs dürfte sich an ihrer propagandistischen Verwertung orientiert haben, für die der „Auftritt” des Angeklagten wesentliche Bedeutung hatte. Der Angeklagte kündigte dem Tatopfer im Einvernehmen mit den Tätern die Hinrichtung unmittelbar zuvor an. Das Beschimpfen und Bespucken des Polizeioffiziers war ein Teilakt der Inszenierung zu Propagandazwecken. Wie auch die frühere Beschwerdeschrift vom 15. Juli 2020 herausgestellt hat (S. 29 f.), wartete das tatausführende IS-Mitglied wegen der Videoaufnahme naheliegenderweise die zuvor abgesprochenen Äußerungen und Handlungen des Angeklagten ab, bis es U. erschoss. Denn der Videomitschnitt war erkennbar darauf angelegt, dass vor der Hinrichtung deren vermeintliche Billigung durch die Bevölkerung zum Ausdruck kommt. Darauf, dass der IS für das von ihm mit Blick auf die Rolle des Angeklagten gestaltete Hinrichtungsgeschehen zweifellos auch ein anderes seiner jugendlichen Mitglieder hätte einsetzen können, kommt es indes nicht an; derartige „Ersatzursachen” haben außer Betracht zu bleiben (s. BGH, Urteile vom 27. November 1951 – 1 StR 303/51, BGHSt 2, 20, 24; vom 8. November 1999 – 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270, 294 f.).
Rz. 32
Jedenfalls bestärkte der Angeklagte den Todesschützen ebenso wie dessen Mittäter im Willen zur Tatbegehung. Der gemeinsame Tatplan der Täter war auf die öffentlich inszenierte Hinrichtung gerichtet. Zu seinem Gelingen trug der im Vorfeld verabredete „Auftritt” des Angeklagten wesentlich bei. Dies stärkte die Bereitschaft, den Tatplan weiterzuverfolgen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte die Billigung des konkreten Tatgeschehens auch nach außen zum Ausdruck brachte.
Rz. 33
Entgegen dem Vorbringen in der Stellungnahmeschrift vom 29. Juli 2020 (S. 2 f.) ist es ohne Bedeutung, dass das Beschimpfen und Bespucken des Tatopfers für dessen Tötung als solche nicht erforderlich und das tatausführende IS-Mitglied hierzu aller Wahrscheinlichkeit nach schon vor diesen Äußerungen und Handlungen fest entschlossen war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. August 1995 – 1 StR 377/95, NStZ-RR 1996, 1). Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass es für den objektiven Gehilfenbeitrag nicht nur isoliert auf das Verhalten des Angeklagten unmittelbar vor den tödlichen Schüssen ankommt, sondern auch auf die im Vorfeld hierüber getroffene Absprache.
Rz. 34
(b) Der Angeklagte handelte mit doppeltem Gehilfenvorsatz. Zum einen wusste er um die bevorstehende vorsätzliche Tötung des U.. Zum anderen hatte er Kenntnis, dass sein „Auftritt” Teil der inszenierten Hinrichtung mit dem Ziel deren propagandistischer Verwertung war und den Täter bestärkte. Dass seine vorher abgesprochenen Äußerungen und Handlungen Einfluss auf den Zeitpunkt sowie die Art und Weise der Tötung hatten, war ihm ebenfalls bewusst.
Rz. 35
(3) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 1 Satz 1 VStGB.
Rz. 36
bb) Der Angeklagte ist der Beihilfe zum Mord gemäß § 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1 StGB dringend verdächtig.
Rz. 37
(1) Auf der Grundlage des oben geschilderten (s. a)) Sachverhalts stellt sich die vorsätzliche Tötung des U., zu welcher der Angeklagte Beihilfe leistete, außerdem als Mord dar, weil das tatausführende IS-Mitglied und dessen Mittäter aus niedrigen Beweggründen handelten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass politische Motive zur Tötung eines Menschen – jenseits der Ausübung des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG – per se den niedrigen Beweggründen unterfallen (s. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2018 – 3 StR 355/17, NStZ-RR 2018, 245). Auf eine etwaige Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB im Rahmen einer Parallelwertung für die Bemessung der Jugendstrafe kommt es hier nicht an.
Rz. 38
(2) Da dieselbe Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB die Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord und zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – AK 48-50/18, juris Rn. 27), folgt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts jedenfalls aus einer Annexkompetenz zu § 1 Satz 1 VStGB. Zwar sind verschiedene Delikte trotz idealkonkurrierender Tatbestandsverwirklichung an sich gesondert zu beurteilen (s. etwa Schönke/Schröder/Eser/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 6 Rn. 1b mwN). Hier rechtfertigt sich die Annahme, das in § 1 Satz 1 StGB verankerte Weltrechtsprinzip erfasse tateinheitlich mit dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung begangene Verbrechen nach §§ 211, 212 StGB, jedoch daraus, dass – wegen der weitgehenden Identität der Tatbestandsmerkmale – der Sachverhalt, der für eine Verurteilung wegen des Kriegsverbrechens ermittelt und festgestellt werden muss, auch eine Verurteilung wegen dieser Tötungsdelikte trägt (s. – für § 1 Satz 1 VStGB im Verhältnis von Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB zu §§ 223 ff. StGB – BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, NJW 2019, 2627 Rn. 71; vom 5. September 2019 – AK 47/19, juris Rn. 53; ferner – für § 6 Nr. 1 StGB aF im Verhältnis von Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF zu §§ 211, 212 StGB – BGH, Urteil vom 30. April 1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 69 f.).
Rz. 39
cc) Hinsichtlich einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung und eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch schwerwiegend entwürdigende oder erniedrigende Behandlung verweist der Senat auf seine Haftfortdauerentscheidung vom 22. Februar 2018 (AK 5/18, juris Rn. 25 ff.).
Rz. 40
dd) Für die Konkurrenzen gilt: Indem sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch als Mitglied für den IS betätigte, dass er nach vorheriger Absprache den in der Gewalt der Organisation befindlichen U. beschimpfte und bespuckte, ist er der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch schwerwiegend entwürdigende oder erniedrigende Behandlung sowie mit Beihilfe zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und zum Mord dringend verdächtig. Soweit sich der Angeklagte hochwahrscheinlich über sein Verhalten bei der Hinrichtung hinaus am IS beteiligte, namentlich durch die bewaffnete Bewachung beschlagnahmter Fahrzeuge in der Nähe des von seiner Familie bewohnten Hauses, treten diese Beteiligungshandlungen in ihrer Gesamtheit als materiellrechtlich eigenständige Tat (§ 53 StGB) zu dem auch gegen andere Strafgesetze verstoßenden mitgliedschaftlichen Betätigungsakt hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23, 37 ff.; vom 20. Dezember 2016 – 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6 Rn. 5).
Rz. 41
2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).
Rz. 42
a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, weil es die Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.
Rz. 43
Wenngleich der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz mit zunehmender – in dieser Sache mehr als zweieinhalb Jahre anhaltender – Dauer des Untersuchungshaftvollzugs geringer wird (zur sog. Nettostraferwartung s. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 – StB 35/16, juris Rn. 9 mwN), ist die im angefochtenen Haftbefehl näher dargelegte tatrichterliche Prognose nicht zu beanstanden, dass der Angeklagte für den Fall seiner Verurteilung gleichwohl eine noch zu vollstreckende Jugendstrafe zu erwarten hat, die ihn empfindlich trifft. Hierzu verhält sich die neuerliche Beschwerde nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund des im angefochtenen Haftbefehl dargelegten fortbestehenden erheblichen Erziehungsbedarfs vermag der Senat der vorausgegangenen Beschwerdeschrift vom 15. Juli 2020 (S. 69) nicht darin zu folgen, dass der Angeklagte im Fall der Verurteilung mit einer frühzeitigen Aussetzung der Restjugendstrafe zur Bewährung nach § 88 JGG rechnen könnte.
Rz. 44
Dem weiterhin gegebenen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Vielmehr hat der – nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens 21½-jährige – Angeklagte im Inland über die Mitglieder seiner Familie hinaus keine gefestigten sozialen Bindungen; er reiste erst 2015 nach Deutschland ein. Hinzu kommt, dass ihm möglicherweise – jedenfalls aus seiner Sicht – die Abschiebung droht. Mit Beschluss vom 8. Juli 2020 hat das Verwaltungsgericht Berlin (25 L 120/20 A, juris) zwar entschieden, dass eine beachtliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, aufgrund derer das für den Angeklagten vormals festgestellte Abschiebungsverbot gemäß § 73c Abs. 2 AsylG zu widerrufen wäre, weiterhin nicht vorliegt. Nach den Gründen der Entscheidung scheint es jedoch möglich, dass es künftig zu einem solchen Widerruf kommt. Dort ist dargelegt: Nach den mittlerweile vorliegenden Erkenntnissen sei im Irak nicht mehr von der Gefahr der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe auszugehen. Die Gefahren der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung seien hingegen durch die Verbalnote der Botschaft der Republik Irak vom 8. Juni 2020 nicht ausgeräumt, weil die diesbezügliche Bestätigung zu vage sei und keine hinreichenden Sicherungen in Form von Kontrollmechanismen enthalte. Danach ist eine künftige Präzisierung diplomatischer Zusicherungen indes nicht ausgeschlossen. Ungeachtet dessen ist den Sachakten zu entnehmen, dass der Angeklagte das Risiko einer Abschiebung als real empfindet und sich ihr in jedem Fall entziehen will (zum notwendigen Beweismaß für die die Fluchtgefahr begründenden tatsächlichen Umstände s. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37).
Rz. 45
b) Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr liegt ebenfalls vor. In dem angefochtenen Haftbefehl sind die Umstände, welche Verdunkelungshandlungen des Angeklagten konkret besorgen lassen, im Einzelnen beanstandungsfrei dargelegt. Diese ergeben sich insbesondere aus in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen. Mit diesen Darlegungen setzt sich die neuerliche Beschwerde ebenfalls nicht auseinander. Soweit – hiermit teilweise übereinstimmend – die Verdunkelungsgefahr bereits in den Haftfortdauerbeschlüssen vom 22. März 2019 und vom 20. September 2019 begründet worden war, erschöpfen sich die Angriffe in der vorausgegangenen Beschwerdeschrift vom 15. Juli 2020 (S. 53 ff.) weitgehend in einer abweichenden Bewertung der Äußerungen des Angeklagten sowie der Aussagen und des Verhaltens von Zeugen. Damit kann die Beschwerde auch hinsichtlich des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr nicht gehört werden.
Rz. 46
c) Die Fortdauer der Untersuchungshaft kann überdies auf den – subsidiären – Haftgrund der Schwerkriminalität, auch bei der verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN), gestützt werden. Die aufgeführten Umstände begründen die Gefahr, dass die Aufklärung und Ahndung der Taten ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte. Denn dafür genügt eine zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls gleichwohl nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.
Rz. 47
d) Eine – auch bei verfassungskonformer Auslegung im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche – Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
Rz. 48
3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Senat berücksichtigt dabei die in der früheren Beschwerdeschrift vom 15. Juli 2020 vorgebrachten Umstände (S. 71 ff.). Das gilt zum einen für die nachteiligen Wirkungen des – insgesamt bereits rund drei Jahre und vier Monate dauernden – Untersuchungshaftvollzugs für die persönliche Entwicklung des Angeklagten und zum anderen für dessen Suizidalität. Was die Suizidgefährdung betrifft, ist freilich nicht außer Acht zu lassen, dass diese nach der Stellungnahme des Leiters der Jugendstrafanstalt vom 30. Juni 2020 eine wesentliche Ursache in der „Auslieferungsproblematik” hat und im Fall der Haftentlassung fortbestünde.
Rz. 49
Das Verfahren ist nach der letzten Haftfortdauerentscheidung des Senats vom 18. Oktober 2018 (AK 38 u. 39/18, Rn. 8 f. [unveröffentlicht]) mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Seit dem 22. November 2018 hat die Hauptverhandlung grundsätzlich an zwei Sitzungstagen pro Woche stattgefunden. Bis zum Erlass des Nichtabhilfebeschlusses ist an 112 Tagen verhandelt worden. Bisher sind 35 Zeugen vernommen und das in der Anklageschrift umrissene Beweisprogramm weitgehend abgearbeitet worden. Viele der Zeugen sind mehrtägig vernommen worden, so der Zeuge Ab. an sieben Tagen, die Zeugen All. und M. jeweils an zehn Tagen, der Zeuge Als. an elf Tagen sowie der Zeuge Alk. an – bislang – 16 Tagen. Nach den Ausführungen im Nichtabhilfebeschluss und der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Juli 2020 (S. 18) ist die Dauer der Vernehmungen vornehmlich in der intensiven Befragung der Zeugen durch die Verteidiger beider Angeklagten begründet. Danach beruht der bisherige konkrete Verlauf der Hauptverhandlung zumindest auch auf dem Prozessverhalten der Verteidiger des Angeklagten. Dies hat bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer Berücksichtigung zu finden, ohne dass dies von einer Bewertung des Verhaltens als nicht sachdienlich abhängig wäre (s. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 – StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18, 19; vom 3. Mai 2019 – AK 15/19 u. StB 9/19, NJW 2019, 2249 Rn. 36, 38, jeweils mwN).
Unterschriften
Spaniol, Berg, Anstötz
Fundstellen
Haufe-Index 14174007 |
NStZ-RR 2020, 351 |