Leitsatz (amtlich)
Wegen des eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers, aus Gründen der Rechtssicherheit Rechtshandlungen eines Rechtsanwalts auch dann als wirksam zu behandeln, wenn der Rechtsanwalt damit einem ihm gegenüber verhängten Berufsverbot zuwider handelt, muss - ungeachtet der damit verbundenen, den Rechtsanwalt unbillig begünstigenden Rechtsfolgen - auch die fristgerechte Einlegung der Berufung durch einen sich selbst vertretenden Rechtsanwalt, der in Kenntnis des gegen ihn verhängten Berufsverbots und unter Verstoß gegen § 155 Abs. 2 i.V.m. § 155 Abs. 4 letzter Halbsatz BRAO handelt, als fristwahrende, wirksame Berufung behandelt werden.
Normenkette
BRAO § 155 Abs. 4, 5 S. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 26.02.2009; Aktenzeichen 51 S 249/08) |
AG Berlin-Charlottenburg (Urteil vom 01.10.2008; Aktenzeichen 212 C 13/08) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der Zivilkammer 51 des LG Berlin vom 26.2.2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 4.641,96 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Ausschlusses des Klägers aus dem beklagten Verein und einigen damit verbundenen Folgen.
Rz. 2
Das AG hat am 7.5.2008 die Klage des damals zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen, sich selbst vertretenden Klägers auf Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses durch Versäumnisurteil abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Einspruch eingelegt und die Klage um einige Folgeansprüche erweitert. Mit Urteil vom 1.10.2008 hat das AG das Versäumnisurteil aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger mit beim Berufungsgericht am 24.10.2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 17.12.2008 eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, die ihm bis zum 22.1.2009 bewilligt wurde. Mit am 14.1.2009 bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz bestellte sich Rechtsanwältin N. für den Kläger und begründete die Berufung. Am 6.2.2009 teilten die Prozessvertreter des Beklagten mit, dass der Kläger seit dem 21.6.2008 mit einem Berufsverbot belegt sei.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 26.2.2009 die Berufung des Klägers gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Die bei Gericht am 24.10.2008 eingegangene Berufungsschrift habe die Frist nicht gewahrt, weil der Kläger wegen des Berufsverbots die Berufung nicht wirksam habe einlegen können.
Rz. 4
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist (BGH, Beschl. v. 21.5.2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580 m.w.N.).
Rz. 7
Die statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Berufungsfrist des § 517 i.V.m. § 519 ZPO versäumt, verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.).
Rz. 8
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufungsfrist durch die am 24.10.2008 von dem Kläger eingelegte Berufung gewahrt worden. Dies folgt aus § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO. Danach wird die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts, die dieser unter Verstoß gegen das gegen ihn verhängte Berufsverbot vornimmt, durch das bestehende Verbot nicht berührt. Dies gilt bis zu seiner Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO.
Rz. 9
a) § 155 Abs. 5 BRAO greift vorliegend ein. Der Prozess war durch die Verhängung des Berufsverbots nicht gem. § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen.
Rz. 10
aa) Der Kläger durfte das erstinstanzliche Verfahren betreiben. Ein Rechtsanwalt, gegen den ein Berufsverbot verhängt ist, behält die Eigenschaft als Rechtsanwalt und auch seine Zulassung wird durch die vorläufige Maßnahme nicht berührt (BGHZ 111, 104, 106). Er ist aber gem. § 155 Abs. 2 BRAO nicht mehr befugt, den Beruf auszuüben. Eine Ausnahme hiervon enthält für den vorliegenden Fall, in dem der Rechtsanwalt eine eigene Angelegenheit vertritt, § 155 Abs. 4 BRAO. Danach ist der Rechtsanwalt im Verfahren ohne Anwaltszwang, also im hier erstinstanzlich vor dem AG geführten Verfahren, weiterhin zur Wahrnehmung u.a. seiner eigenen Angelegenheiten befugt.
Rz. 11
bb) Das von dem Kläger nach Verhängung des Berufsverbots bis zur Urteilszustellung zulässigerweise weiterbetriebene amtsgerichtliche Verfahren ist nicht gem. § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen worden. Diese Vorschrift findet im Parteiprozess - selbst bei Anwaltsvertretung - keine Anwendung (BGH, Beschl. v. 18.9.1991 - XII ZB 51/91, FamRZ 1992, 48, 49; Musielak/Musielak, ZPO, 7. Aufl., § 244 Rz. 1 m.w.N.). Unterliegt - wie hier - nur das zweitinstanzliche Verfahren dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO), greift § 244 ZPO, der ansonsten auch für den sich selbst vertretenden Rechtsanwalt (§ 78 Abs. 6 ZPO) gilt (BGHZ 111, 104, 107; BGH, Urt. v. 7.3.2002 - XI ZR 235/01, NJW 2002, 2107; Musielak, a.a.O., m.w.N.) nur, wenn bei Anwaltsverlust bereits Berufung eingelegt worden war (BGH, Urt. v. 18.9.1991, a.a.O.).
Rz. 12
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Berufungseinlegung durch den Kläger die fristwahrende Wirksamkeit abgesprochen.
Rz. 13
aa) Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass sich der Kläger wegen des im Berufungsverfahren bestehenden Anwaltszwangs (§ 78 Abs. 1 ZPO) nicht mehr selbst vertreten konnte (§ 155 Abs. 4 letzter Halbsatz BRAO). Es hat jedoch übersehen, dass die Berufungseinlegung gem. § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO gleichwohl als wirksam und damit fristwahrend zu behandeln ist.
Rz. 14
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zur Wahrung der Rechtssicherheit der Rechtsverkehr generell nicht mit der Prüfung belastet werden, ob gegen den Rechtsanwalt ein Berufs- oder Vertretungsverbot besteht (BGHZ 111, 104, 106; OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 626, 627; Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht § 155 Rz. 8 unter Hinweis auf die amtliche Begründung; Feuerich/Weyland, BRAO 7. Aufl., § 155 Rz. 9; Henssler/Dittmann, BRAO 3. Aufl., § 155 Rz. 7). Die Wirksamkeit der von dem Rechtsanwalt oder der gegen ihn vorgenommenen Rechtshandlungen ist deshalb auch unabhängig davon, ob der Teilnehmer an dieser Rechtshandlung - damit auch der unter Verstoß gegen das Berufsverbot handelnde Rechtsanwalt selbst - bösgläubig ist (Feuerich/Weyland, a.a.O., Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 15
bb) Der Senat verkennt nicht, dass diese Verabsolutierung des Schutzes der Rechtssicherheit bösgläubige Teilnehmer am Rechtsverkehr, insb. - wie hier - den Rechtsanwalt, der unter Verstoß gegen das ihm bekannte Berufsverbot tätig wird und damit einen erneuten Widerrufsgrund verwirklicht (§ 156 Abs. 1 BRAO), unangemessen begünstigt. Ebenso wie gutgläubige Teilnehmer am Rechtsverkehr, die an eine für sie nachteilige Rechtshandlung ihres mit einem Berufsverbot belegten Prozessvertreters (z.B. Erklärung der Berufungsrücknahme) gebunden werden, benachteiligt werden (kritisch insoweit deshalb auch Johnigk, a.a.O., Rz. 2, 9 m.w.N.; die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme in einem solchen Fall ablehnend: OLG Karlsruhe NJW 1997, 672, 673).
Rz. 16
Der Senat sieht sich jedoch - trotz des seiner Ansicht nach bedenklichen Ergebnisses in einem Fall wie dem vorliegenden - angesichts des eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO an den Willen des Gesetzgebers gebunden, berufsverbotswidrige Rechtshandlungen stets zur Wahrung der Rechtssicherheit bis zur Zurückweisung des Rechtsanwalts als wirksam zu behandeln.
Fundstellen
Haufe-Index 2317911 |
DB 2010, 6 |
DB 2010, 783 |
NJW 2010, 8 |
EBE/BGH 2010 |
FamRZ 2010, 810 |
WM 2010, 777 |
ZAP 2010, 531 |
AnwBl 2010, 361 |
JZ 2010, 317 |
MDR 2010, 779 |
VersR 2011, 555 |
BRAK-Mitt. 2010, 145 |
Mitt. 2010, 318 |