Leitsatz (amtlich)
Das Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die ihm gegenüber erklärte, gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners in dem Verlängerungsantrag nicht erwähnt.
Normenkette
ZPO (Fassung: 1.1.2002) §§ 233, 520
Verfahrensgang
OLG Bremen (Beschluss vom 08.07.2004; Aktenzeichen 4 U 22/04) |
LG Bremen |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des OLG Bremen v. 8.7.2004 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 161.587,18 EUR.
Gründe
I.
Der Kläger hat gegen das seine Klage abweisende Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Auf seinen Ersten - ohne Zustimmung des Beklagten gestellten - Antrag hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats die Begründungsfrist um einen Monat bis zum 26.5.2004 verlängert. Am 26.5.2004 um 17.25 Uhr reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers per Telefax einen zweiten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Monat bis zum 26.6.2004 ein, den er mit Arbeitsüberlastung begründete.
Der Senatsvorsitzende lehnte diesen Antrag am 1.6.2004 ab, weil die gem. § 520 Abs. 2 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners nicht binnen der am 26.5.2004 abgelaufenen Frist dargetan worden sei. Diese Verfügung wurde dem Prozessbevollmächtigen des Klägers am 15.6.2004 zugestellt, der mit Telefax v. 17.6.2004 die schriftliche Einverständniserklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten v. 26.5.2004 vorlegte.
Am 29.6.2004 hat der Kläger seine Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe auf die Gewährung der beantragten Fristverlängerung vertrauen dürfen, weil die Zustimmung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten objektiv vorgelegen habe. Dass dem Gericht im Antrag v. 26.5.2004 diese Zustimmung nicht mitgeteilt und die Zustimmungserklärung nicht mitübersandt worden sei, beruhe darauf, dass die zuständige und sonst immer zuverlässige Bürokraft seines Prozessbevollmächtigten die ihr insofern erteilte Einzelweisung versehentlich nicht beachtet habe. Sie sei angewiesen worden, den Fristverlängerungsantrag zu schreiben und auf das vorliegende Einverständnis der Gegenseite hinzuweisen sowie den Fristverlängerungsantrag vorab per Telefax unter Beifügung der Einverständniserklärung abzusenden. Sein Prozessbevollmächtigter habe den Fristverlängerungsantrag im Vertrauen darauf unterzeichnet, dass er ordnungsgemäß vorbereitet worden sei.
Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und gleichzeitig die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Insbesondere könne der Kläger seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht darauf stützen, dass er mit der Ablehnung seines zweiten Fristverlängerungsantrages nicht habe rechnen müssen. Da die Berufungsbegründungsfrist bereits erstmals um einen Monat verlängert gewesen sei, sei für eine weitere Fristverlängerung nach § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO die Einwilligung des Gegners notwendig gewesen. Nachdem der Kläger das Vorliegen dieser unverzichtbaren Voraussetzung für eine erneute Fristverlängerung nicht vorgetragen habe - und zwar weder bis zum Fristablauf noch bis zur Entscheidung des Vorsitzenden v. 1.6.2004 -, sei die Ablehnung des Fristverlängerungsantrages zu Recht erfolgt. Die Verfügung des Vorsitzenden werde nicht dadurch gesetzeswidrig, dass dem Kläger die Einwilligung des Gegners tatsächlich bei Stellung des Fristverlängerungsantrages vorgelegen habe. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers es zu vertreten habe, dass die vorliegende Zustimmung des Gegners im Antrag weder erwähnt noch diesem beigefügt worden sei.
Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Aufhebung dieses Beschlusses und die Bewilligung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGH, Beschl. v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, MDR 2004, 1135 = BGHReport 2004, 1185 = WM 2004, 1407 [1408], m.w.N. zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 135 vorgesehen; Beschl. v. 9.11.2004 - XI ZB 6/04, BGHReport 2005, 257 = NJW 2005, 72 [73], m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), sind nicht erfüllt.
1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Rechtsbeschwerde formuliert zwar die für grundsätzlich gehaltene Zulassungsfrage, ob "einem Berufungskläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren ist, wenn bei einem rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellten Fristverlängerungsantrag die nach § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners tatsächlich vorliegt und diese nur auf Grund eines Versehens einer Büroangestellten dem Gericht nicht mitgeteilt wird". In Rechtsprechung und Literatur ist aber bereits geklärt, dass ein berechtigtes Vertrauen auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung die Vollständigkeit des Verlängerungsantrages voraussetzt (BGH, Beschl. v. 7.10.1992 - VIII ZB 28/92, BRAK 1993, 64 = MDR 1993, 174 = NJW 1993, 134 [135]; Beschl. v. 4.12.1997 - V ZB 26/97, NJW-RR 1998, 573 [574]; Stein/Jonas/Herbert Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Rz. 33 - Fristverlängerung; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rz. 23 - Fristverlängerung; Musielak/Grandel, ZPO, 4. Aufl., § 233 Rz. 28; jeweils m.w.N.). Dazu gehört, wie das OLG zu Recht angenommen hat, die Darlegung der Einwilligung des Gegners (Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 142; Wieczorek/Schütze/Uwe Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 520 Rz. 37), wenn dieser sie nicht unmittelbar ggü. dem Gericht erklärt hat.
2. Eine Entscheidung des BGH ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt kein Verfahrensgrundrecht des Klägers (BGH v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 [296] = BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822, zu § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; Beschl. v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, MDR 2004, 1135 = BGHReport 2004, 1185 = WM 2004, 1407 [1408], m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 135 vorgesehen).
a) Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323 [326 f.]; BVerfGE 41, 332 [334 f.]; BVerfG v. 14.5.1985 - 1 BvR 370/84, BVerfGE 69, 381 [385] = BRAK 1986, 50 = MDR 1985, 816 = CR 1986, 491; v. 26.3.2001 - 1 BvR 383/00, NJW 2001, 2161 [2162]; v. 22.10.2004 - 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814 [815]; BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207). Deshalb darf ein Gericht einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht auf Grund von überspannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 [376 f.]; v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004; BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227 f.] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207; Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, MDR 2003, 1131 = FamRZ 2003, 1271).
Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht verstoßen. Insbesondere hat es die an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise überspannt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht vielmehr der ständigen Rechtsprechung des BGH. Danach darf ein Rechtsanwalt die Anfertigung von Rechtsmittelschriften nicht seinem Büropersonal überlassen, ohne das Arbeitsergebnis auf Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen (BGH, Beschl. v. 20.2.1995 - II ZB 16/94, BRAK 1995, 175 = MDR 1995, 527 = CR 1995, 598 = NJW 1995, 1499; Urt. v. 1.12.1997 - II ZR 85/97, MDR 1998, 363 = NJW 1998, 908, jeweils m.w.N.). Dasselbe gilt für Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (BGH, Beschl. v. 11.2.1998 - VIII ZB 50/97, MDR 1998, 982 = NJW 1998, 2291 [2292]). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kann sich deshalb zu seiner Entschuldigung nicht darauf berufen, die Büroangestellte, die die Antragsschrift geschrieben habe, habe die Einwilligung des Gegners versehentlich nicht erwähnt. Dies entlastet den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht, weil er die Antragsschrift nicht selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft hat.
b) Der angefochtene Beschluss verletzt auch nicht die Ansprüche des Klägers auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und auf ein faires Verfahren gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfG v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99 [113]; v. 22.10.2004 - 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814 [815]; BGH, Beschl. v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, MDR 2004, 1135 = BGHReport 2004, 1185 = WM 2004, 1407 [1409], zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 135 vorgesehen). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht bereits vor der Bescheidung seines Verlängerungsantrages darauf hingewiesen hat, dass in diesem Antrag die erforderliche Einwilligung des Gegners nicht erwähnt war. Einen gerichtlichen Hinweis, der ihm die Vorlage der Einwilligung des Gegners noch innerhalb der am 26.5.2004 ablaufenden Frist ermöglicht hätte, konnte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erwarten, weil er den Verlängerungsantrag erst so spät gestellt hatte, dass mit seiner Vorlage an den Vorsitzenden nicht mehr innerhalb der Frist zu rechnen war. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers durfte auch nicht darauf vertrauen, der Vorsitzende werde selbst ermitteln, ob die Einwilligung des Gegners vorliege. Hierzu bestand kein Anlass, weil der Antragsschrift nicht zu entnehmen war, dass der Gegner bereits von dem Verlängerungsantrag unterrichtet worden war. Der Vorsitzende musste deshalb nicht die fern liegende Möglichkeit in Erwägung ziehen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die Einwilligung des Gegners zwar eingeholt, aber in der Antragsschrift nicht erwähnt. Er konnte vielmehr davon ausgehen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe das Einwilligungserfordernis übersehen. Ob eine Fristverlängerung noch zulässig gewesen wäre, wenn die vor Fristablauf erteilte Einwilligung dem Vorsitzenden nach Fristablauf, aber noch vor seiner Entscheidung über den Verlängerungsantrag bekannt geworden wäre, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers mangels Darlegung der Einwilligung auf die Gewährung der Fristverlängerung nicht vertrauen durfte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1346236 |
BGHR 2005, 1002 |
FamRZ 2005, 1082 |
NJW-RR 2005, 865 |
JurBüro 2005, 503 |
AnwBl 2005, 77 |
MDR 2005, 1129 |
NJW-Spezial 2005, 335 |
PA 2005, 113 |
PA 2005, 166 |
BRAK-Mitt. 2005, 181 |
Mitt. 2005, 326 |
ProzRB 2005, 178 |