Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahmefiktion des Eröffnungsantrags im Insolvenzverfahren. Verstoß gegen das Willkürverbot
Leitsatz (amtlich)
Die Rücknahmefiktion ist auch dann unanfechtbar, wenn das Insolvenzgericht, ohne gegen das Willkürverbot zu verstoßen, dem Schuldner erfüllbare Auflagen unterbreitet, die dieser innerhalb der gesetzlichen Frist nicht erfüllt; in jeder Hinsicht rechtmäßig müssen sie nicht sein.
Normenkette
InsO § 34 Abs. 1, § 305 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
LG Stralsund (Beschluss vom 15.07.2008; Aktenzeichen 2 T 265/08) |
AG Stralsund (Entscheidung vom 31.03.2008; Aktenzeichen 12 IK 42/08) |
Tenor
Der Antrag des Schuldners auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Stralsund vom 15.7.2008 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 300 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Der Schuldner beantragte am 14.2.2008 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen mit Restschuldbefreiung und Kostenstundung. Dabei bediente er sich der amtlichen Vordrucke. Mit Verfügung vom selben Tage forderte das Insolvenzgericht - soweit im Verfahren der Rechtsbeschwerde noch von Interesse - den Schuldner auf, innerhalb eines Monats die Verbindlichkeiten "konkret entsprechend Nr. 65 der amtlichen Erläuterungen zur Anlage 6" zu bezeichnen, eine entsprechend geänderte Anlage einzureichen und die Kontoauszüge ab dem 1.6.2007 zur Einsichtnahme zu überreichen. Geschehe dies nicht, gelte der Eröffnungsantrag kraft Gesetzes als zurückgenommen. Mit Begleitschreiben vom 13.3.2008 reichte der Schuldner eine präzisierte Anlage 6 ein; die eingeforderten Kontoauszüge fügte er nicht bei.
[2] Mit Schreiben vom 15.4.2008 teilte das Insolvenzgericht dem Schuldner mit, dass der Eröffnungsantrag als zurückgenommen gelte, weil hinsichtlich der Gläubiger der laufenden Nr. 9, 11, 15, 16, 19, 21, 22, 27, 28, 31 und 32 ein Schuldgrund nicht angegeben sei und die Kontoauszüge nicht vorlägen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hat das LG als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit der Rechtsbeschwerde, für die er Prozesskostenhilfe beantragt.
II.
[3] Die Rechtsbeschwerde des Schuldners ist nach § 7 InsO nicht statthaft und deshalb nach § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 4 InsO als unzulässig zu verwerfen, weil bereits die sofortige (erste) Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO nicht eröffnet ist (vgl. BGHZ 144, 78, 82158, 212, 214; BGH, Beschl. v. 25.6.2009 - IX ZB 161/08WM 2009, 1582, 1583 Rz. 5 m.w.N.).
[4] 1. Nach § 6 Abs. 1 InsO unterliegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, so steht dem Antragsteller nach § 34 Abs. 1 Fall 1 InsO die sofortige Beschwerde zu. Diese Bestimmung gilt aufgrund der Verweisung in § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO auch im Verbraucherinsolvenzverfahren. Demgegenüber sieht die Insolvenzordnung weder gegen die Aufforderung des Insolvenzgerichts nach § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO noch hinsichtlich der kraft Gesetzes gem. § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO eingetretenen Rücknahmewirkung oder gegen den Eintritt dieser Wirkung feststellende Mitteilungen oder Beschlüsse des Insolvenzgerichts ein Rechtsmittel vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats ist deshalb hiergegen eine sofortige Beschwerde grundsätzlich nicht gegeben, was zwingend die Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach sich zieht (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2003 - IX ZB 599/02ZInsO 2003, 1040 f.; v. 7.4.2005 - IX ZB 129/03, ZInsO 2005, 537 f.; v. 7.4.2005 - IX ZB 195/03WM 2005, 1131 f.).
[5] In den genannten Entscheidungen hat der Senat allerdings offen gelassen, ob § 34 Abs. 1 InsO entsprechend anzuwenden ist, wenn die gerichtliche Aufforderung nach § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO, Erklärungen oder Unterlagen zu ergänzen, nicht erfüllbar ist, oder vom Insolvenzgericht Anforderungen gestellt werden, die mit der Regelung des § 305 Abs. 1 InsO nicht in Einklang stehen. Werden mit der gerichtlichen Aufforderung mehrere Punkte beanstandet, ist die Beschwerde nicht eröffnet, wenn der Schuldner erfüllbare Anforderungen innerhalb der Frist teilweise nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschl. v. 7.4.2005 - IX ZB 63/03WM 2005, 1246, 1247; Kirchhof in HK/InsO, 5. Aufl., § 34 Rz. 7). Dies gilt jedenfalls dann, wenn das, was von dem Schuldner vergeblich verlangt wird, nicht dem Willkürverbot unterfällt.
[6] 2. So liegt der Fall hier. Mit der Aufforderung des Insolvenzgerichts, Kontoauszüge für einen begrenzten Zeitraum zur Einsicht vorzulegen, wird dem Schuldner, ohne gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zu verstoßen, eine erfüllbare Verpflichtung auferlegt, welcher er nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen ist.
[7] a) Dass dem Schuldner die Vorlage der Kontoauszüge aus besonderen, in seiner Sphäre liegenden Gründen nicht möglich war, macht er nicht geltend. Er hat die Nichtvorlage allein damit gerechtfertigt, dass er hierzu rechtlich nicht verpflichtet sei. Selbst wenn dies zuträfe, führte dies nicht zur Rechtsmittelfähigkeit der durch die Nichtvorlage ausgelösten Rücknahmefiktion.
[8] aa) Nach § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO hat das Insolvenzgericht bereits im Verfahrensabschnitt der gerichtlichen Schuldenbereinigung (§§ 305 ff. InsO) von Amts wegen zu prüfen, ob der Schuldner die in § 305 Abs. 1 InsO genannten Erklärungen und Unterlagen vollständig abgegeben und eingereicht hat (vgl. Ott/Vuia in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 304 Rz. 74, § 305 Rz. 79). Diese Prüfungspunkte dienen neben der Verfahrensökonomie auch dem Schutz des Schuldners. Seine Chancen, zu einer gerichtlich vermittelten einvernehmlichen Schuldenbereinigung oder notfalls zu einer Restschuldbefreiung zu gelangen, sollen nicht durch das Fehlen oder die Unvollständigkeit notwendiger Angaben oder Unterlagen von vornherein zunichte gemacht werden. Die Bestimmung der Grenzen der Prüfungskompetenz obliegt dem Insolvenzgericht grundsätzlich abschließend. Allgemein gültige Regeln lassen sich auch insoweit nur aufstellen, als sich das Gericht in dieser Phase des Verfahrens auf eine Prüfung der Vollständigkeit der Erklärungen und eingereichten Unterlagen zu beschränken hat. Eine inhaltliche Prüfung hat das Gericht dagegen grundsätzlich nicht vorzunehmen (vgl. Landfermann in HK/InsO, a.a.O., § 305 Rz. 53; Ott/Vuia in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 305 Rz. 80; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl., § 305 Rz. 28; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 305 Rz. 141; zu Fällen missbräuchlicher Überdehnung von Ermittlungsmaßnahmen vgl. Pape ZInsO 2003, 61 ff.).
[9] bb) Nicht jede Überschreitung der Prüfungskompetenz nach § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO hat zur Folge, dass die an die Nichterfüllung der Auflage anknüpfende Rücknahmefiktion im Instanzenzug nachgeprüft werden kann.
[10] Die in der Entscheidung vom 16.10.2003 (IX ZB 599/02, a.a.O.) noch offen gelassene Frage, ob die Rücknahmefiktion rechtsmittelfähig ist, wenn die Verfügung des Insolvenzgerichts mit der Regelung des § 305 Abs. 3 InsO nicht in Einklang steht, ohne unerfüllbare Anforderungen zu stellen oder gegen das Willkürverbot zu verstoßen, ist zu verneinen. Wäre jede Überdehnung der Vorschrift wie eine abgelehnte Verfahrenseröffnung entsprechend § 34 Abs. 1 InsO der Anfechtung unterworfen, liefe dies auf eine Korrektur des Gesetzes hinaus, das in diesem Bereich im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung den Rechtsmittelzug nicht eröffnen will (vgl. BT-Drucks. 12/7302, 191 zu Nr. 196; a.A. FK-InsO/Grote, 5. Aufl., § 305 Rz. 50b; ähnlich Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 34 Rz. 55 f.). Die Grenze zwischen der durch § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO gedeckten Vervollständigung und einer geforderten oder jedenfalls anheim gegebenen Berichtigung ist zudem fließend. In der Literatur wird folgerichtig gefordert, die offensichtliche Unzulänglichkeit einer Unterlage der Unvollständigkeit gleichzustellen (vgl. Uhlenbruck/Vallender, a.a.O., § 305 Rz. 141). So hat im Streitfall das Insolvenzgericht durch die Aufforderung, nähere Angaben zu einem in den Unterlagen erwähnten Ratenkreditvertrag zu tätigen, die als Vervollständigung der Angaben zu werten ist, zugleich darauf hingewirkt, dass der Schuldner die von ihm abgegebene Abtretungserklärung (§ 287 Abs. 2 InsO) berichtigt hat. Von der bloß rechtsfehlerhaften Anwendung des § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO kann die Rechtsmittelfähigkeit deshalb auch aus Praktikabilitätsgründen nicht abhängen.
[11] b) Die Anforderung von Kontoauszügen kann ein geeignetes Mittel sein, die Vollständigkeit der nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnisse und Übersichten zu überprüfen. Hierzu kann das Insolvenzgericht insb. Veranlassung haben, wenn die Angaben des Schuldners unvollständig erscheinen. Im Streitfall hat sich der Schuldner zu den Vorausabtretungen seiner Einkünfte unvollständig, jedenfalls missverständlich erklärt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann deshalb nicht gesagt werden, dass die Anforderung von Kontounterlagen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BGHZ 154, 288, 299 f.171, 326, 332 f Rz. 17). Aus der Pflicht des Insolvenzgerichts, auf die Vervollständigung lückenhafter Verzeichnisse und Zusammenfassungen nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO hinzuwirken, folgt zugleich, dass im Rahmen der Amtsprüfung im Einzelfall auch ergänzende Unterlagen angefordert werden dürfen, die in der Vorschrift nicht ausdrücklich genannt sind. Dass die Vorschrift die Beifügung von Kontoauszügen unerwähnt lässt, begründet daher ebenfalls keinen Willkürverstoß.
[12] c) Da der Schuldner die angeforderten Kontoauszüge nicht zur Einsichtnahme vorgelegt hat, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Verbindlichkeiten der in dem Schreiben des Insolvenzgerichts vom 15.4.2008 genannten Gläubiger in dem vom Schuldner mit Begleitschreiben vom 13.3.2008 eingereichten berichtigten Gläubiger- und Forderungsverzeichnis (Anl. 6) hinreichend bestimmt sind. Für ein wiederholtes Verfahren wird jedoch vorsorglich darauf hingewiesen, dass hieran keine übermäßigen Anforderungen zu stellen sind. Aus der Erläuterung Nr. 65 der amtlichen Hinweise (abgedruckt bei Kübler/Prütting/Bork, a.a.O., Bd. V VbrInsVV S. 42 f.) folgt nicht zwingend, dass der Forderungsgrund stets mit einem datierten Vertrag oder Ereignis oder aber mit einer Vorgangsnummer des Gläubigers zu bezeichnen ist. Dies gilt insb. für die Konkretisierung von Kleinforderungen.
III.
[13] Da die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat, war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 4 InsO, § 114 Satz 1 ZPO).
Fundstellen
EBE/BGH 2009 |
NJW-RR 2010, 1068 |
WM 2009, 2326 |
DZWir 2010, 79 |
MDR 2010, 233 |
NZI 2009, 900 |
NZI 2010, 44 |
ZInsO 2009, 2262 |
ZVI 2010, 18 |