Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 31.08.2017; Aktenzeichen 22 U 38/16) |
LG Darmstadt (Entscheidung vom 02.02.2016; Aktenzeichen 9 O 16/14) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 31.8.2017 zugelassen.
Auf die Revision des Beklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 7.771 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das LG hat den Beklagten zur Räumung und Herausgabe einer gemieteten Gewerbefläche verurteilt. Die Widerklage des Beklagten hatte keinen Erfolg, soweit der Kläger auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die Abwehr einer Kündigung vom 20.7.2013 in Anspruch genommen ist. Das OLG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 6.571,44 EUR festgesetzt. In dem vom Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Berufungsurteil hat das OLG gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO von der Wiedergabe des Sachverhalts abgesehen und hinsichtlich der Begründung auf die protokollierten Hinweise in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
Rz. 2
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die zugelassene Revision führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 3
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist gem. § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO statthaft. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 EUR.
Rz. 4
Den Wert der Beschwer hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Es ist dabei weder an die Streitwertangaben der Parteien noch an die Festsetzung des Berufungsgerichts gebunden (BGH, Beschl. v. 18.7.2007 - XII ZR 87/05 - juris Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 5
Dem Berufungsurteil lässt sich zwar nicht entnehmen, was der Beklagte als Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat. Aus der Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung in Verbindung mit den gestellten Anträgen ergibt sich indes, dass er die Abweisung der Räumungs- und Herausgabeklage und eine Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 571,44 EUR begehrt hat.
Rz. 6
Der Wert der Beschwer der Räumungs- und Herausgabeverurteilung richtet sich gem. § 8 ZPO vorliegend nach dem Betrag der auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Miete, maximal nach dem 25fachen Betrag des einjährigen Entgelts. Beruft sich ein Nutzungsberechtigter gegenüber einer Kündigung auf Schutzregeln, die das Kündigungsrecht einschränken und ihm ein Recht zur Fortsetzung der Nutzung geben, so dauert die streitige Zeit i.S.d. § 8 ZPO vom Tag der Erhebung der Räumungsklage bis zu dem Zeitpunkt, den derjenige, der sich auf ein Nutzungsrecht beruft, als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt des Nutzungsvertrags in Anspruch nimmt. Nur wenn der Beendigungszeitpunkt ungewiss ist oder sich die streitige Zeit nicht ermitteln lässt, ist § 9 ZPO für die Bemessung der Beschwer entsprechend anwendbar und der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts anzusetzen (vgl. BGH v. 18.10.2017 - XII ZR 6/17, WuM 2017, 724 m.w.N. und BGH Beschl. v. 3.4.2014 - V ZR 185/13, WuM 2014, 353, 354 m.w.N.).
Rz. 7
Der Beklagte hält die vom Kläger ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam und beruft sich auf den 1.8.2020 als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt. Mangels tatbestandlicher Feststellungen im Berufungsurteil, das entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch keine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil enthält, ist insoweit allein von den Angaben in der Beschwerdebegründung auszugehen (BGH, Beschl. v. 18.7.2007 - XII ZR 87/05 - juris Rz. 9 m.w.N.). Als streitige Zeit i.S.d. § 8 ZPO ist daher der Zeitraum vom 29.3.2014 (Tag der Erhebung der Räumungsklage) bis zum 1.8.2020 anzusehen. Der Beklagte schuldete ausweislich des geschlossenen Mietvertrags bis zum 31.7.2014 eine Monatsmiete von 500 EUR und ab dem 1.8.2014 eine solche von 600 EUR, so dass auf die streitige Zeit eine Gesamtmiete i.H.v. 45.200 EUR (500 EUR x 4 + 600 EUR x 72) entfällt (vgl. Wöstmann in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 8 Rz. 16). Daraus ergibt sich zusammen mit dem Beschwerdewert der erfolglosen Widerklage eine die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO übersteigende Beschwer des Beklagten i.H.v. insgesamt 45.771,44 EUR.
Rz. 8
2. Die auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Der Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Die zugelassene Revision führt daher gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 9
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BGH v. 27.9.2017 - XII ZR 54/16, NJW-RR 2018, 74 Rz. 7; v. 7.9.2011 - XII ZR 114/10 - GuT 2012, 268 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 10
b) Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung, nach deren Schluss es das angefochtene Urteil verkündet hat, darauf hingewiesen, dass es die Berufung für erfolglos halte und das LG der Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht stattgegeben habe. Zwar bestehe - entgegen der Ansicht des LG - kein ordentliches Kündigungsrecht zum 11.8.2015, aber das Verhalten des Beklagten reiche aus, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Aus dem Mietvertrag sei nicht erkennbar, dass der Beklagte berechtigt gewesen sei, das Mietgrundstück vollständig einzuzäunen. Selbst wenn eine Zufahrt zu den nachträglich in der Nähe der Mietfläche errichteten Garagen des Klägers nur unter Verletzung des Mietrechts des Beklagten möglich gewesen sein sollte, "wäre es aus Fürsorgegründen beiden Parteien zuzumuten gewesen", in gewisser Weise eine Erreichbarkeit der Garagen sicherzustellen. Der Beklagte hätte "insoweit auf die komplette Durchführung des Mietrechts" verzichten und der Kläger eine nicht ganz so breite Zufahrt akzeptieren müssen. Infolge der Kündigung sei der Beklagte zur Räumung und Herausgabe verpflichtet, während die Widerklageforderung unbegründet sei, weil der Beklagte sich nicht gegen eine unberechtigte Kündigung zur Wehr gesetzt habe.
Rz. 11
c) Der Beklagte rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entscheidungserheblichen Vortrag des Beklagten entweder nicht zur Kenntnis genommen oder zumindest nicht erwogen hat.
Rz. 12
aa) Den protokollierten Hinweisen lässt sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, welche der zahlreichen Kündigungen des Klägers nach Ansicht des Berufungsgerichts zum Erfolg geführt hat. Allerdings kommt deutlich zum Ausdruck, dass ein Kündigungsrecht des Klägers ausschließlich wegen der vom Beklagten vorgenommenen Einzäunung bejaht wurde. Somit kann nur diesbezügliches Verteidigungsvorbringen des Beklagten übergangen worden sein.
Rz. 13
bb) Das Berufungsgericht hat in seinen Hinweisen keine Rechtsgrundlage für die von ihm als wirksam erachtete Kündigung benannt, sondern eingangs die Auffassung geäußert, das Verhalten des Beklagten reiche aus, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Im Folgenden hat es die Berechtigung des Beklagten geprüft, die Mietfläche einzuzäunen. Gestützt hat sich das Berufungsgericht "insoweit auf § 313 BGB, wonach es dem Beklagten nicht gestattet war, durch die Zaunerrichtung den Zugang zur Garage vollständig zu verhindern". Das Berufungsgericht scheint also von einer gestörten Geschäftsgrundlage ausgegangen zu sein, ohne dass ersichtlich wäre, ob es den Kläger dadurch zu einer fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB berechtigt gesehen oder die Kündigungsvoraussetzungen des § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB für gegeben erachtet hat. Nicht einmal ansatzweise erkennbar ist, welche Umstände zur Grundlage des Vertrags geworden sein mögen und ob bzw. wie diese sich schwerwiegend verändert haben sollen. Daher ist auch nicht nachzuvollziehen, welche Aspekte bei der Begründung der Geschäftsgrundlage bzw. deren Störung und welche bei der gebotenen Einzelfallwürdigung im Rahmen der Unzumutbarkeit (entweder des Festhaltens am unveränderten Vertrag nach § 313 Abs. 1 BGB oder der Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum vereinbarten Vertragsende nach § 543 Abs. 1 BGB) Berücksichtigung gefunden haben.
Rz. 14
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Mietvertrag sei nicht zu entnehmen, dass der Beklagte berechtigt gewesen sei, das Mietgrundstück einzuzäunen. Der Beklagte hat insoweit allerdings vorgetragen, er habe die von ihm angemietete Fläche, "wie mit dem Kläger bei Beginn des Mietverhältnisses besprochen", einzäunen lassen. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde hat er geltend gemacht, der Kläger habe die behauptete Vereinbarung auch zugestanden und lediglich gerügt, dass die Umzäunung zum Teil außerhalb der Mietfläche erfolgt sei. Ob das Berufungsgericht diesen Vortrag des Beklagten bei seiner Entscheidung hinreichend berücksichtigt hat, kann indes nicht beurteilt werden. Dass die angefochtene Entscheidung insoweit auf einer unzureichenden Würdigung des Beklagtenvortrags beruht, ist mangels tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil nicht von vornherein ausgeschlossen und aufgrund des Vortrags des Beklagten zu unterstellen (vgl. BGH Beschluss vom 16.5.2017 - VI ZR 25/16, NJW 2017, 2561 Rz. 10; BGH vom 18.7.2007 - XII ZR 87/05 - juris Rz. 26 m.w.N.). Der übergangene Vortrag betrifft einen entscheidungserheblichen Punkt (§ 544 Abs. 7 ZPO), da nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht bei Vorliegen der behaupteten Vereinbarung hinsichtlich der Geschäftsgrundlage, deren Störung oder der Unzumutbarkeit zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Rz. 15
cc) Darüber hinaus hat der Beklagte vorgetragen, er habe die Umzäunung bereits wenige Wochen nach Vertragsschluss im Jahr 2010 und nicht (wie vom Kläger behauptet) erst im Juli 2013 errichtet, weshalb ein etwaiges Kündigungsrecht des Klägers jedenfalls verwirkt sei. Dass die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt auf einer unzureichenden Würdigung des Beklagtenvortrags beruht, ist auch insoweit mangels tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil nicht von vornherein ausgeschlossen und aufgrund des Vortrags des Beklagten zu unterstellen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Vortrags eine Verwirkung des Kündigungsrechts angenommen hätte, wenn der Zaun bereits rund drei Jahre vor der Kündigung aufgestellt worden wäre (vgl. zur Verwirkung eines außerordentlichen Kündigungsrechts BGH, Urt. v. 13.7.2016 - VIII ZR 296/15, NJW 2016, 3720 Rz. 20 m.w.N.). Im Falle einer Verwirkung wäre die Kündigung im Ergebnis nicht wirksam gewesen.
Fundstellen
ZfIR 2019, 580 |
AGS 2019, 410 |
MietRB 2019, 138 |
NJW-Spezial 2019, 220 |