Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 16.12.2003) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 16. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in zehn Fällen sowie wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Es hat ihn weiter verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld von 8.000 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 15. Dezember 2003 zu zahlen.
Mit der gegen seine Verurteilung gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechtes. Sein Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Entscheidungsgründe
II.
Die Rüge, es liege ein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO vor, greift durch.
Der Angeklagte war gemäß § 247 Satz 1 StPO für die Zeit der Vernehmung des Tatopfers aus dem Sitzungszimmer entfernt worden. Während der Vernehmung dieser Zeugin wurden im Wege des Urkundenbeweises (vgl. Strafakten Bd. II Bl. 344) deren handschriftliche Aufzeichnungen zum Tatgeschehen verlesen, die im angefochtenen Urteil wörtlich wiedergegeben sind (UA S. 14/15) und im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden.
Dies beanstandet der Revisionsführer zu Recht. Eine Verlesung zum Zwecke des Urkundenbeweises durfte nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen (vgl. u.a. BGH NStZ 1997, 402 m.w.N.). Zumindest hätte die Verlesung der Aufzeichnungen in Gegenwart des Angeklagten wiederholt werden müssen. Dies ist ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen, so daß der unbedingte Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vorliegt.
Eine Heilung des Verstoßes ist hier auch nicht dadurch eingetreten, daß im Rahmen der Vernehmung der Stiefmutter des Tatopfers dieser Vorhalte aus den handschriftlichen Aufzeichnungen der Stieftochter gemacht wurden (vgl. Strafakten Bd. II Bl. 365).
Zum einen besteht zwischen der Verlesung im Wege des Urkundenbeweises und der Verlesung zum Zwecke des Vorhaltes ein wesentlicher Unterschied, da im letzteren Fall nur die daraufhin erfolgte Zeugenaussage maßgeblich ist. Zum anderen ist nicht sicher, daß der Vorhalt die gesamten Aufzeichnungen erfaßte. Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, daß die Stiefmutter – anders als das Tatopfer – zu den konkreten Mißbrauchsfällen nichts bekunden konnte und es naheliegt, daß sie in erster Linie zum Entstehen der schriftlichen Aufzeichnungen befragt wurde. Der Senat kann sich danach von einer Heilung des Verstoßes im erforderlichen Umfang nicht überzeugen.
III.
Da die Verfahrensrüge zur vollständigen Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten führt, kommt es auf die Sachrüge nicht an. Der Senat merkt jedoch für den neuen Tatrichter an:
1. Der Generalbundesanwalt weist in seiner Antragsschrift zutreffend darauf hin, daß in mehreren Fällen die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenem sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) wegen Verjährung zu entfallen hat. Die Verjährung wurde am 26. April 2002 durch Erlaß des Haftbefehls gegen den Angeklagten unterbrochen (§ 78 c Abs. 1 Nr. 5 StGB). Soweit die Taten gemäß § 174 StGB vor dem 27. April 1997 begangen wurden, sind sie verjährt.
Der Verjährung steht nicht entgegen, daß die Vergehen tateinheitlich mit sexuellem Mißbrauch von Kindern zusammentreffen. Auch bei Tateinheit unterliegt jede Gesetzesverletzung einer eigenen Verjährung (vgl. u.a. BGH, Beschluß vom 6. August 2003 – 2 StR 235/00 m.w.N.).
Auch die am 1. April 2004 in Kraft getretene Neufassung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB hindert hier die Entstehung der Verfolgungsverjährung nicht, da die Taten bereits vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung verjährt waren (vgl. BGH, Beschluß vom 24. Juni 2004 – 4 StR 165/04). Danach war hinsichtlich des § 174 StGB jedenfalls bei den Taten 1. bis 4. Verjährung sicher eingetreten und bei den Taten 5. bis 9., bei denen die Tatzeit nicht eindeutig ist, lag dies nahe. Sollte das Landgericht erneut die Tatzeit nicht näher bestimmen können, müßte es insoweit zugunsten des Angeklagten davon ausgehen, daß auch diese Fälle in verjährter Zeit begangen wurden (vgl. u.a. BGH, Beschluß vom 13. Oktober 1993 – 3 StR 514/93; BGHSt 33, 271, 277).
2. Zutreffend zeigt der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift weiter auf, daß die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen die Verurteilung „wegen versuchter Vergewaltigung” (in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen) nicht tragen. Der Senat kann allerdings dem Urteil in seiner Gesamtheit entnehmen, daß die Kammer insoweit wegen versuchten schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen) verurteilen wollte.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Rothfuß, Fischer
Fundstellen