Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des Wertes der mit einer beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer i.S.v. § 26 Nr. 8 EGZPO sind die Forderungen mehrerer Beschwerdeführer, die einfache Streitgenossen nach §§ 59, 60 ZPO sind, grundsätzlich zu addieren.
Normenkette
ZPO §§ 2, 5, 59-60; EGZPO § 26 Nr. 8
Verfahrensgang
OLG Rostock (Entscheidung vom 14.05.2014; Aktenzeichen 1 U 77/11) |
LG Neubrandenburg (Entscheidung vom 16.05.2011; Aktenzeichen 2 O 43/10) |
Tenor
Der Wert der mit der beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer (§ 26 Nr. 8 EGZPO) wird auf 28.965,13 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerinnen verlangen von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von C.-Anleihen und begehren die Zulassung der Revision gegen das Berufungsurteil, mit dem ihre Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Die Klägerin zu 1) ist in den Vorinstanzen i.H.v. 12.962,05 EUR unterlegen, die Klägerin zu 2) i.H.v. 16.003,08 EUR.
Rz. 2
Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung sind für die Berechnung des Beschwerdewerts i.S.v. § 26 Nr. 8 EGZPO die Klageforderungen der Klägerinnen zu addieren.
Rz. 3
1. Die Wertberechnung im Rahmen des § 26 Nr. 8 EGZPO ist nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen (st.Rspr., BGH, Beschl. v. 25.11.2003 - VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639; v. 20.4.2005 - XII ZR 92/02, NJW-RR 2005, 1011; v. 3.5.2005 - IX ZR 195/02, juris Rz. 12; v. 11.4.2006 - XI ZR 199/04, NJW-RR 2006, 997; v. 8.5.2007 - VIII ZR 133/06, NZM 2007, 499 Rz. 2; v. 15.10.2008 - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rz. 5; v. 27.8.2009 - VII ZR 161/08, ZfBR 2010, 64; v. 10.7.2014 - V ZR 322/13, juris Rz. 6).
Rz. 4
a) Damit ist grundsätzlich auch § 5 ZPO anwendbar (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 3.5.2005 - IX ZR 195/02, juris Rz. 13; v. 28.11.2008 - LwZR 12/07, juris Rz. 11), zumal § 2 ZPO, der hinsichtlich der Vorschriften von ZPO und GVG für die Wertbestimmung auf die "nachfolgenden Vorschriften verweist", sowohl für den Wert des Beschwerdegegenstandes als auch für den Wert der Beschwer gilt. Gemäß § 5 ZPO werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet.
Rz. 5
Dementsprechend wird der Wert verschiedener Ansprüche, die im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden, zur Bemessung des Werts der Beschwer nach § 26 Nr. 8 EGZPO zusammengerechnet, auch wenn diese Ansprüche sich nicht aus einem einheitlichen Streitgegenstand ergeben (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2006 - I ZR 105/05, BGHZ 166, 327 Rz. 3 ff. unter Hinweis darauf, dass der IV. und V. BGH an abweichenden Entscheidungen nicht festhalten; v. 11.5.2006 - VII ZR 131/05, NJW-RR 2006, 1097 Rz. 8; v. 23.5.2007 - IV ZR 19/06, FamRZ 2007, 1644 Rz. 10).
Rz. 6
b) In zwei nach dem Zivilprozessreformgesetz vom 27.7.2001 ergangenen Entscheidungen ist der BGH bereits - wenn auch nicht tragend - davon ausgegangen, dass die Beschwer mehrerer Beschwerdeführer zu addieren ist, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt (BGH, Beschl. v. 28.11.2008 - LwZR 12/07, juris Rz. 11 zu § 26 Nr. 8 EGZPO unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 546 ZPO a.F.; v. 19.3.2013 - VIII ZB 45/12, NJW 2013, 2361 Rz. 20 zu § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unter Verweis auf §§ 2, 5 ZPO).
Rz. 7
c) Auch die Kommentarliteratur geht ganz überwiegend davon aus, dass bei Rechtsmitteleinlegung durch mehrere Streitgenossen für den Wert des Beschwerdegegenstandes die auf die einzelnen Streitgenossen entfallenden Beschwerdewerte zusammenzurechnen sind, sofern die verfolgten Ansprüche nicht wirtschaftlich identisch sind (zu § 26 Nr. 8 EGZPO: Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 544 Rz. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 2 Rz. 39, § 5 Rz. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 544 Rz. 4 i.V.m. § 511 Rz. 17, Anh. § 511 Rz. 7; zu Rechtsmitteln allgemein: Bork in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 61 Rz. 4; Wöstmann in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 2 Rz. 7 f. i.V.m. § 5 Rz. 19 f.; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3 Rz. 16 "Streitgenossen", § 5 Rz. 3, 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 61 Rz. 9; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 61 Rz. 6; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rz. 7 i.V.m. § 511 Rz. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 135 Rz. 31, 37 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 5 Rz. 1 [unter Verweis auf BGHZ 23, 333, 338; hier ohne die Einschränkung, die in der Kommentierung von § 26 Nr. 8 EGZPO Rz. 15 gemacht wird]; zur Berufung: Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 511 Rz. 46; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., Vor §§ 511 ff. Rz. 60; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 511 Rz. 90 f.; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 511 Rz. 25 f.; Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 511 Rz. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 511 Rz. 17, Anh. § 511 Rz. 1, 7; Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 511 Rz. 18, 18.24; im Ergebnis auch: Krüger in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 544 Rz. 6; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 26 EGZPO Rz. 14, 14a; Kessal-Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 544 Rz. 11; Prütting in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 544 Rz. 14; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rz. 6; HK-ZPO/Saenger, 6. Aufl., § 26 EGZPO Rz. 13; a.A.: Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 26 EGZPO Rz. 15 und Gehle in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 5 Rz. 20). Dabei können die Kommentierungen zur Zulässigkeit der Berufung gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch im Rahmen der Auslegung von § 26 Nr. 8 EGZPO berücksichtigt werden, da es nach beiden Vorschriften - im ersten Fall schon aufgrund des Wortlauts, im zweiten aufgrund der Auslegung durch die Rechtsprechung - auf den "Wert des Beschwerdegegenstandes" ankommt und in beiden Fällen maßgeblich ist, in welchem Umfang die Beseitigung der sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebenden Belastung begehrt wird (vgl. nur BGH, Beschl. v. 19.3.2009 - IX ZB 152/08, NJW-RR 2009, 853 Rz. 5 zur Berufung und BGH, Beschl. v. 27.6.2002 - V ZR 148/02, NJW 2002, 2720 f. zur Revision).
Rz. 8
d) Für die Addition der Beschwerdewerte spricht ferner, dass sie eine einheitliche Handhabung der Ermittlung der Beschwer für beide Seiten eines Prozesses bewirkt: Wenn bei einer Klage mehrerer Anleger gegen eine Bank oder Fondsgesellschaft im Fall der Verurteilung der Beschwerdewert der Beklagten ihrer gesamten Verurteilung entspricht, ohne nach den verschiedenen Klägern zu unterscheiden, profitiert die Beklagte von der gemeinsam erhobenen Klage, weil sie eine Überprüfung ihrer Verurteilung ermöglicht, die im Fall getrennter Klagen ausgeschlossen gewesen wäre. Dementsprechend muss auch im umgekehrten Fall der vollständigen Klageabweisung der Beschwerdewert der Kläger durch Addition ermittelt werden, um den Klägern eine Überprüfung des angefochtenen Urteils zu ermöglichen (vgl. BAG, BAGE 22, 383, 386).
Rz. 9
e) Schließlich entspricht die Addition der Beschwer einfacher Streitgenossen der ständigen Rechtsprechung des BGH zu § 546 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.), nach der in Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche, bei denen der Wert der Beschwer einen bestimmten Betrag überstieg, die Revision unabhängig von einer Zulassung durch das OLG statthaft war. Der BGH ist davon ausgegangen, dass gem. §§ 2, 5 ZPO bei subjektiver Klagehäufung die Beschwerdewerte der verschiedenen Streitgenossen zusammenzurechnen sind, sofern keine wirtschaftliche Identität vorliegt (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1957 - II ZR 287/54, BGHZ 23, 333, 339; Beschl. v. 28.10.1980 - VI ZR 303/79, NJW 1981, 578 f.; Urt. v. 16.9.1981 - VIII ZR 111/80, WM 1981, 1255, 1256; v. 9.7.1982 - V ZR 64/81, NJW 1983, 164 f.; Beschl. v. 23.6.1983 - IVa ZR 136/82, NJW 1984, 927, 928; Urt. v. 23.5.1989 - IVa ZR 88/88, NJW-RR 1989, 1206; v. 5.2.1997 - VIII ZR 41/96, NJW 1997, 1578; v. 31.10.1997 - V ZR 209/96, WM 1998, 402 f.; v. 30.3.1998 - II ZR 146/96, WM 1998, 944, 945 [insoweit in BGHZ 138, 211 nicht abgedruckt]; v. 16.3.2000 - IX ZR 10/99, NJW 2000, 1643; Beschl. v. 19.10.2000 - I ZR 176/00, NJW 2001, 230, 231; Urt. v. 27.11.2003 - VII ZR 93/01, NJW-RR 2004, 303, 304). Das BAG ist dem gefolgt (BAGE 22, 383, 385 f. und BAGE 45, 91, 98 f.). In den sämtlichen genannten Entscheidungen wurde nicht danach differenziert, ob es sich um einfache oder notwendige Streitgenossen handelte.
Rz. 10
§ 26 Nr. 8 EGZPO, der auf den "Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer" abstellt, weicht zwar insoweit von § 546 ZPO a.F. ab, als nicht mehr die Beschwer aus dem Berufungsurteil, sondern der Wert des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend ist, so dass es nicht auf die Wertdifferenz zwischen dem in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag und dem Tenor des Berufungsurteils, sondern den Umfang der nach dem Rechtsmittelantrag erstrebten Abänderung des angefochtenen Urteils ankommt (BGH, Beschl. v. 27.6.2002 - V ZR 148/02, NJW 2002, 2720 f.; v. 23.10.2002 - IV ZR 154/02, NJW-RR 2003, 159; v. 25.11.2003 - VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639; v. 3.5.2005 - IX ZR 195/02, juris Rz. 10, 12; v. 30.11.2005 - IV ZR 214/04, NJW 2006, 1142; v. 11.5.2006 - VII ZR 131/05, NJW-RR 2006, 1097 Rz. 8; v. 15.10.2008 - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rz. 5). Diese Änderung ist aber ohne Bedeutung für die Frage, ob für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren im Fall einer von mehreren Streitgenossen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die Ansprüche dieser Streitgenossen, die weiterverfolgt werden, zusammenzurechnen sind.
Rz. 11
2. Soweit der II. und der XII. Zivilsenat des BGH in zwei Fällen einfacher Streitgenossenschaft die Beschwer für jeden Beschwerdeführer gesondert ermittelt haben (BGH, Beschl. v. 10.7.2006 - II ZR 220/05, juris Rz. 1; v. 30.4.2014 - XII ZR 124/12, juris Rz. 11 f.), haben beide Senate auf Anfrage erklärt, dass sie an dieser Rechtsauffassung nicht festhalten.
Fundstellen
Haufe-Index 8383342 |
BGHZ 2016, 276 |
BB 2015, 2113 |
NJW 2015, 2816 |
NJW 2015, 8 |
WM 2015, 1669 |
WuB 2015, 669 |
ZIP 2015, 1754 |
ZIP 2015, 67 |
JZ 2015, 572 |
MDR 2015, 1149 |
NJ 2015, 4 |
StBW 2015, 715 |
PAK 2015, 186 |