Leitsatz (amtlich)
Zum Ausschluss des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit (§ 1587c Nr. 1 BGB), wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte während der Ehezeit weder erwerbstätig war, noch den gemeinsamen Haushalt überwiegend versorgt, sondern auf Kosten des anderen Ehegatten eine Berufsausbildung absolviert hat, die es ihm ermöglicht, sich im Rahmen einer späteren Berufsausübung eine eigene Alterssicherung zu verschaffen.
Normenkette
BGB § 1587c Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 26.11.1998) |
AG Dortmund (Beschluss vom 18.05.1998) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des OLG Hamm v. 26.11.1998 aufgehoben.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG - FamG - Dortmund v. 18.5.1998 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde werden gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: bis 3.000 EUR
Gründe
I.
Die Parteien haben am 12.7.1985 geheiratet. Der Scheidungsantrag der Ehefrau (Antragstellerin; geboren am 5.1.1954) ist dem Ehemann (Antragsgegner; geboren am 13.12.1957) am 12.3.1996 zugestellt worden. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat durch Urteil die Ehe geschieden (insoweit rechtskräftig), nachdem der Versorgungsausgleich abgetrennt worden war. Im Weiteren hat das AG den Versorgungsausgleich durch Beschluss gem. § 1587c Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Dabei hat es nach den Auskünften der weiteren Beteiligten zu 1) und 2) beamtenrechtliche Versorgungsanwartschaften der Ehefrau beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV; weiterer Beteiligter zu 2) i. H. v. monatlich 971,03 DM sowie gesetzliche Rentenanwartschaften des Ehemannes bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA; weitere Beteiligte zu 1) i. H. v. monatlich 151,05 DM, bezogen auf den 29.2.1996, zu Grunde gelegt. Auf die Beschwerde des Ehemannes hat das OLG die Entscheidung des AG dahin gehend abgeändert, dass zu Lasten der für die Ehefrau beim LBV bestehenden Anwartschaften auf dem Versicherungskonto des Ehemannes bei der BfA monatliche Rentenanwartschaften i. H. v. 377,92 DM, bezogen auf den 29.2.1996, begründet werden. Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde möchte die Ehefrau die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen. Der Ehemann beantragt die Zurückweisung der weiteren Beschwerde. Die weiteren Beteiligten haben sich im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht geäußert.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners.
1. Das OLG hat ausgeführt, dass die Anwendung der Härteklausel nach § 1587c Nr. 1 BGB vorliegend nicht gerechtfertigt sei, weil unter Berücksichtigung aller hier zu bewertenden Umstände die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht als grob unbillig erscheine. Zwar habe die Ehefrau dem Ehemann das Studium finanziert und - als Ausgleichspflichtige - den größeren Anteil an der Hausarbeit und der Kinderbetreuung wahrgenommen. Die Besonderheiten des vorliegenden Falles lägen jedoch darin, dass die Ehefrau das Studium des Ehemannes nur bis zu seinem erfolgreichen Abschluss im Februar 1992 finanziert habe. Von September 1992 bis Dezember 1993 habe der Ehemann eine eigene Erwerbstätigkeit ausgeübt. Anschließende Zeiten der Arbeitslosigkeit seien unschädlich. Der Ehemann habe sich während seines Studiums nach seinen Kräften auch um Haushalt und Kinderbetreuung gekümmert, woraus die Ehefrau jedenfalls insoweit auf eine partnerschaftliche Gesinnung des Ehemannes habe schließen können. Im Übrigen habe der Ehemann in gewissem Umfang zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen, wenn er auch aus der Nachbetrachtung heraus offensichtlich den finanziellen Erfolg seiner zeitweiligen Berufstätigkeiten während seines Studiums überschätze. Schließlich seien dem Ehemann durch seine Übersiedlung nach Deutschland ebenfalls berufliche Nachteile entstanden.
2. Diese Erwägungen werden der Sachlage nicht gerecht.
Zwar unterliegt es in erster Linie der tatrichterlichen Beurteilung, ob und inwieweit die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig nach § 1587c Nr. 1 BGB erscheint. Die tatrichterliche Bewertung ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind und das Gericht sein Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 4.9.2002 - XII ZB 130/98, BGHReport 2003, 69 = FamRZ 2003, 437 [438]; v. 5.9.2001 - XII ZB 56/98, BGHReport 2001, 963 = FPR 2002, 86; v. 12.4.1989 - IVb ZB 159/87, FamRZ 1989, 1060 [1061]; v. 9.3.1988 - IVb ZB 147/86, MDR 1988, 657 = FamRZ 1988, 600; v. 18.2.1987 - IVb ZB 112/85, NJW-RR 1987, 578 [579]; v. 12.11.1986 - IVb ZB 67/85, FamRZ 1978, 362 [364]; und v. 5.10.1983 - IVb ZB 807/81, MDR 1984, 212 = FamRZ 1983, 1217 [1218]).
Dabei hat das OLG indes nicht ausreichend gewürdigt, dass die Ehefrau nicht nur für die gesamte Ausbildung des Ehemannes in Deutschland aufgekommen ist, sondern dass er auch nach Abschluss des Studiums lediglich für den Zeitraum von September 1992 bis Dezember 1993 einer eigenen Beschäftigung nachgegangen ist, während er ansonsten weiterhin vom Einkommen der Ehefrau gelebt hat, ohne sich seinerseits in angemessener Weise in den Dienst der Familie zu stellen. Nach den Feststellungen des OLG hat die Ehefrau sogar nach der Geburt der Tochter der Parteien am 10.10.1987 im Erziehungsurlaub (6.12.1987 bis 9.10.1988) weiter gearbeitet (v. 1.2.1988 bis 9.10.1988 als Teilzeitbeschäftigte), um den Unterhaltsbedarf der Familie sicherzustellen. Die Ehefrau hat während sieben der acht Jahre, die die Parteien nach der Eheschließung zusammengelebt haben, durch ihre Erwerbstätigkeit nahezu allein für den Unterhalt der Familie gesorgt. Die geringen und sehr unregelmäßigen Einkünfte, die der Ehemann während seines Studiums durch Gelegenheitsarbeiten erzielt hat, fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Die Ehefrau hat somit sowohl das Studium des Ehemannes finanziert als ihn auch in der anschließenden Zeit seiner Arbeitslosigkeit unterhalten. Auf der anderen Seite kann nach den Feststellungen des OLG nicht davon ausgegangen werden, dass der Ehemann etwa die Führung des Haushaltes übernommen hätte. Die Mithilfe, die er geleistet hat, hat sich im Wesentlichen auf die Kindesbetreuung unmittelbar nach der Geburt der Tochter beschränkt. Denn er räumt selbst ein, dass in den Jahren 1990 bis 1992 eine Betreuerin für die Tochter herangezogen werden musste, da seine Examensvorbereitungen ihn daran gehindert hätten, die Tochter selbst zu versorgen. Entgegen der Auffassung des OLG kann die fehlende Haushaltstätigkeit des Ehemannes auch nicht etwa durch eine partnerschaftliche Gesinnung ausgeglichen werden.
Indem das OLG selbst unter diesen Umständen nicht von der Härteklausel des § 1587c Nr. 1 BGB Gebrauch gemacht hat, hat es an das Vorliegen einer groben Unbilligkeit im Sinne dieser Bestimmung zu strenge Anforderungen gestellt. Die Anwendung der Härteklausel kommt jeweils in Betracht, wenn auf Grund besonderer Verhältnisse die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs dem Grundgedanken des Rechtsinstituts in unerträglicher Weise widersprechen würde (vgl. BGH v. 5.9.2001 - XII ZB 56/98, BGHReport 2001, 963 = FPR 2002, 86; v. 12.4.1989 - IVb ZB 159/87, FamRZ 1989, 1060 [1061]; v. 9.3.1988 - IVb ZB 147/86, MDR 1988, 657 = FamRZ 1988, 600; v. 18.2.1987 - IVb ZB 112/85, NJW-RR 1987, 578 [579]; und v. 5.10.1983 - IVb ZB 807/81, MDR 1984, 212 = FamRZ 1983, 1217 [1218]; Wick, Der Versorgungsausgleich, 2004, Rz. 240). So liegt der Fall hier.
Der Gesetzgeber wollte mit dem Versorgungsausgleich vornehmlich die soziale Lage desjenigen Ehegatten verbessern, der wegen in der Ehe übernommener anderer Aufgaben Einschränkungen in seiner beruflichen Entfaltung auf sich genommen und dadurch ehebedingte Nachteile in seiner versorgungsrechtlichen Lage erlitten hat (st. Rspr. des Senats seit BGH BGHZ 74, 38 [42 ff.]). Das trifft nicht auf einen Ehegatten zu, der während der Ehezeit weder erwerbstätig war, noch den Haushalt versorgt, sondern sich - wie hier der Ehemann - einer Ausbildung gewidmet hat, die es ihm zudem ermöglicht, sich im Rahmen einer späteren Berufsausübung eine Alterssicherung zu verschaffen. Er erleidet dann keine ehebedingten Nachteile im Aufbau eigener Versorgungsanwartschaften, sondern steht insoweit nicht anders da, als wenn er nicht geheiratet hätte. Allerdings vermag es für sich allein noch keine "grobe" Unbilligkeit i. S. v. § 1587c Nr. 1 BGB zu begründen, dass der Fall von der Grundkonstellation abweicht, die dem Gesetzgeber bei der Einführung des Versorgungsausgleichs vor Augen stand. Entscheidend ist vielmehr, wie der Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat, der Umstand, dass der erwerbstätige Teil das Studium des anderen finanziert und ihm damit die Basis für ein eigenes berufliches Fortkommen und den Aufbau einer eigenen Altersversorgung verschafft hat. Es wäre grob unbillig, ihn ohne Rücksicht darauf dem Versorgungsausgleich zu unterwerfen, dass er sein Einkommen bereits in dieser Form für den anderen Ehegatten zur Verfügung gestellt hat. Dieser würde dann aus dem Einkommen des erwerbstätigen Teils gleichsam zum zweiten Mal Nutzen ziehen (vgl. BGH v. 12.4.1989 - IVb ZB 159/87, FamRZ 1989, 1060 [1061]; v. 9.3.1988 - IVb ZB 147/86, MDR 1988, 657 = FamRZ 1988, 600; v. 18.2.1987 - IVb ZB 112/85, NJW-RR 1987, 578 [579]; und v. 5.10.1983 - IVb ZB 807/81, MDR 1984, 212 = FamRZ 1983, 1217 [1218]; Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. Aufl., § 1587c Rz. 21; Wick, Der Versorgungsausgleich, 2004, Rz. 248).
Danach war vorliegend die Durchführung des Versorgungsausgleichs insgesamt auszuschließen. Von der Heirat im Juli 1985 bis zur Trennung der Parteien im Oktober 1993 lebte der Ehemann bis auf die Zeit ab September 1992 nahezu ausschließlich vom Einkommen der Ehefrau. Auch hatte er nach den Feststellungen des OLG weder die Haushaltsführung übernommen, noch sich überwiegend der Kindesbetreuung gewidmet. Unter diesen Umständen wäre es grob unbillig, wenn man die Ehefrau gleichwohl zusätzlich zum Versorgungsausgleich heranziehen würde.
Dass der Ehemann nach seinen Angaben sein Studium in Frankreich bis 1985 hätte abschließen können, vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen, da die Parteien erst im Juli 1985 geheiratet haben. Damit kann der Abbruch des Studiums in Frankreich nicht als ehebedingter Nachteil gewertet werden.
3. Einer Zurückverweisung der Sache an den Tatrichter bedarf es nicht. Der Senat sieht sich auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts zu einer abschließenden Entscheidung in der Lage. Zwar können die Voraussetzungen des § 1587c Nr. 1 BGB i. d. R. erst dann geprüft werden, wenn ermittelt ist, welche Versorgungsanrechte die Ehegatten in der Ehezeit erworben haben. Denn erst dann wird eine Abwägung aller Umstände möglich sein (vgl. Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. Aufl., § 1587c Rz. 6 m. w. N.).
Vorliegend berücksichtigen die Auskünfte der weiteren Beteiligten zu 1 und 2, die das Berufungsgericht seinen Feststellungen zu Grunde gelegt hat, naturgemäß noch nicht die zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts v. 24.2.1997 (BGBl. I, 322) und die Absenkung des Höchstruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 1 S. 1 BeamtVG i. d. F. des Art. 1 Nr. 11 des Versorgungsänderungsgesetzes 2001v. 20.12.2001 (BGBl. I, 3926) und den nordrhein-westfälischen Bemessungsfaktor von 50 % für 2004 hinsichtlich der Sonderzuwendung (Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2003/2004 sowie zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften v. 10.9.2003 - BGBl. I, 1798 - i. V. m. § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzahlung an Beamte, Richter und Versorgungsempfänger für das Land Nordrhein-Westfalen v. 20.11.2003 - GVBl. S. 696) sowie die Absenkung des Rentenniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz/AVmG - v. 26.6.2001, BGBl. I, 1310) und das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensergänzungsgesetz/AVmEG - v. 21.3.2001, BGBl. I, 403; zur Anwendung des zur Zeit der Entscheidung geltenden Versorgungsrechts, sofern es seinem zeitlichen Geltungswillen nach auch das ehezeitlich erworbene Versorgungsanrecht umfasst, vgl. etwa BGH, Beschl. v. 4.9.2002 - XII ZB 46/98, FamRZ 2003, 435 ff. m. w. N.).
Auch mit Rücksicht darauf, dass die zum Ruhegehalt gezahlte jährliche Sonderzuwendung als einheitlicher Bestandteil der Beamtenversorgung keiner Dynamisierung bedarf (vgl. BGH, Beschl. v. 3.2.1999 - XII ZB 124/98, MDR 1999, 483 = FamRZ 1999, 713 f.; v. 9.2.2000 - XII ZB 24/96, MDR 2000, 644 = FamRZ 2000, 748 [749]; und v. 4.9.2002 - XII ZB 46/98; und v. 4.9.2002 - XII ZB 130/98, BGHReport 2003, 69 = FamRZ 2003, 435 [437, 438]), wird auf Grund der genannten Rechtsänderungen weder eine gravierende Änderung des ermittelten Betrages noch eine Umkehr des Versorgungsausgleichs zu Gunsten der Ehefrau in Betracht kommen. Der Senat erachtet es deswegen für ausgeschlossen, dass das Beschwerdegericht bei den vorliegenden Gegebenheiten nach Ermittlung der zutreffenden Beträge sein Ermessen in anderer Weise ausübt, als den Versorgungsausgleich insgesamt auszuschließen, und entscheidet daher selbst abschließend.
Fundstellen
Haufe-Index 1147609 |
NWB 2004, 2556 |
BGHR 2004, 942 |
EBE/BGH 2004, 157 |
FuR 2004, 573 |
NJW-RR 2004, 1009 |
ZAP 2004, 815 |
FPR 2004, 378 |
FPR 2005, 364 |
JuS 2004, 735 |
JuS 2004, 838 |
MDR 2004, 1002 |
Streit 2004, 135 |
FF 2004, 223 |
FamRB 2004, 219 |
JWO-FamR 2004, 173 |
KammerForum 2004, 320 |