Leitsatz (amtlich)

Vor Verwerfung einer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist ist dem Rechtsmittelführer durch einen Hinweis rechtliches Gehör zu gewähren, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu der Fristversäumung zu äußern und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen (im Anschluss an BGH v. 24.2.2010 - XII ZB 168/08, FamRZ 2010, 882).

 

Normenkette

FamFG § 70 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 10.01.2013; Aktenzeichen 13 T 110/13)

AG Schwabach (Beschluss vom 24.10.2012; Aktenzeichen 2 XVII 413/12)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth vom 10.1.2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beteiligte zu 1) wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde, die sie in einem - ihre Tante betreffenden - Betreuungsverfahren eingelegt hat.

Rz. 2

Das AG hat für die Betroffene, die im September 2011 der Beteiligten zu 1) eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilt hatte, eine Betreuung angeordnet und einen Betreuer bestellt. Dieser Beschluss ist der Beteiligten zu 1) am 29.10.2012 zugestellt worden. Ihre mit Schriftsatz vom 29.11.2012 eingelegte Beschwerde hat das LG als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Rz. 4

1. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) folgt die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde indessen nicht aus § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, weil es sich vorliegend nicht um eine Familienstreitsache i.S.v. § 112 i.V.m. § 117 FamFG handelt, sondern um ein Betreuungsverfahren und damit um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich allerdings aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG. Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers ohne Zulassung statthaft.

Rz. 5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Durch die Verwerfung ihrer Beschwerde wird die Beteiligte in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Rz. 6

a) Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt nach ständiger Rechtsprechung des BGH unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG. Diese Norm gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt (hier: zu der vom LG angenommenen Fristversäumung) zu äußern (BGH v. 24.2.2010 - XII ZB 168/08, FamRZ 2010, 882 Rz. 7 m.w.N.) und ggf. auch einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.

Rz. 7

b) Gemessen hieran ist die Entscheidung des LG - was die Rechtsbeschwerde im Ergebnis zu Recht gerügt hat - verfahrensfehlerhaft ergangen.

Rz. 8

Das LG ist davon ausgegangen, dass die mit Schriftsatz vom 29.11.2012 erfolgte Beschwerde der Beteiligten zu 1) erst am 30.11.2012 beim AG eingegangen ist, und damit ein Tag nach Fristablauf. Dabei hat es versäumt, die Beteiligte zu 1) vor seiner Entscheidung hierauf hinzuweisen und ihr somit die Möglichkeit genommen, hierzu Stellung zu nehmen und - wie nunmehr mit der Rechtsbeschwerde vorgebracht - ein entsprechendes Sendeprotokoll für eine Telefaxversendung zur Kenntnis zu geben, wonach die Beschwerde bereits am 29.11.2012 versandt worden ist.

Rz. 9

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Eine abschließende Entscheidung durch den Senat selbst gem. § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ist nicht möglich, da das LG keine Feststellungen zur Sache getroffen hat. Deshalb ist die Sache gem. § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das LG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 5133857

HFR 2014, 80

NJW 2013, 8

EBE/BGH 2013

FamRZ 2013, 1569

FuR 2013, 702

NJW-RR 2013, 1281

FGPrax 2013, 286

JurBüro 2013, 669

AnwBl 2013, 829

BtPrax 2013, 205

JZ 2013, 648

MDR 2013, 1115

FamRB 2014, 10

GuT 2014, 222

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge