Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 10.12.2013) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere für Jugendschutzsachen zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat zur Person des Angeklagten festgestellt, dass dieser durch Kriegserlebnisse im Kosovo traumatisiert ist. In Deutschland hat er im Jahre 2005 bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten. Er befindet sich „wegen neurologischer Probleme” in ärztlicher Behandlung und leidet „unter einem chronifizierten schweren psychiatrischen Krankheitsbild”, das zu Angstzuständen führt. Auch entwickelt der Angeklagte „überwertige Ideen” und verliert den Realitätssinn. Er „fühlt sich oft bedroht und hört teilweise Stimmen. Bei einer Belastung kommt es zu psychotischer Dekompensation.”
Rz. 3
Am 13. Januar 2010 begegnete der Angeklagte drei Jugendlichen, die zu der „verfeindeten” Familie der Ehefrau des Bruders gehörten. „Diese Konfrontation belastete ihn derart, dass er psychotisch dekompensierte”. Er beschimpfte die Jugendlichen und kramte in seinen Taschen, worauf diese davonliefen. Der Angeklagte verfolgte einen der Jugendlichen und griff ihn mit einem Beil an. Damit brachte er dem sich wehrenden 14jährigen Nebenkläger eine stark blutende Schnittwunde am Arm bei.
Rz. 4
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, aufgrund des Krankheitsbildes sei nicht auszuschließen, dass die Fähigkeit des Angeklagten, entsprechend seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln, zur Tatzeit erheblich vermindert gewesen sei. Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit lägen nicht vor.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Diese Bewertung der Schuldfähigkeit ist rechtsfehlerhaft. Die Annahme des Landgerichts, dass bereits keine Anhaltspunkte für einen kompletten Ausschluss der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Tat vorlägen, trifft nach den Feststellungen zur Person des Angeklagten nicht zu.
Rz. 6
Festgestellt ist insoweit, dass der Angeklagte unter der wahnhaften Vorstellung litt, bedroht zu sein, weshalb er zur Tatzeit ein Beil mit sich führte, um sich verteidigen zu können. In dieser Absicht hatte er sich nach einer Zeugenaussage schon früher gefüllte Wasserflaschen um den Hals gehängt.
Rz. 7
Der aus diesem Verhalten offenbar werdende Verlust des Realitätssinns und das ohne nähere Erläuterung angenommene Vorliegen paranoider Ideen sprechen für eine Wahnerkrankung. Eine solche Erkrankung schließt die Unrechtseinsicht zwar nicht generell aus, in der Regel aber bei einem akuten Schub. Lag – so die Feststellungen – zur Tatzeit eine „psychotische Dekompensation” des Angeklagten vor, kann sich dies auf seine Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ausgewirkt haben, was das Landgericht nicht hinreichend geprüft hat.
Rz. 8
Selbst wenn der Angeklagte zur Tatzeit das Unrecht seiner Handlung eingesehen hätte, wäre weiter zu erörtern gewesen, wie sich die „psychotische Dekompensation” auf sein Hemmungsvermögen ausgewirkt hat. Einem Wahnkranken stehen in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 1997 – 1 StR 351/97, StV 1998, 15; Beschluss vom 19. Dezember 2013 – 2 StR 534/13). Die Behauptung des Landgerichts, nur eine „eingeschränkte Steuerungsfähigkeit” sei nicht auszuschließen, ist nicht nachvollziehbar dargelegt.
III.
Rz. 9
Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs das Verschlechterungsverbot für den Strafausspruch gemäß § 331 Abs. 1 StPO auch dann gilt, wenn – wie hier – das Berufungsgericht die Sache an eine große Strafkammer verwiesen hat, die sodann als erstinstanzliches Gericht entscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom
2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04; s.a. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140, 141; a.A. Meyer-Goßner, in Festschrift für Volk, 2009, S. 455, 457 ff. und ders., Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse, 2011, S. 81 ff.).
Unterschriften
Appl, Schmitt, Krehl, Eschelbach, Zeng
Fundstellen
Haufe-Index 7436584 |
NStZ-RR 2015, 162 |
NStZ-RR 2017, 132 |