Leitsatz (amtlich)
›Die fehlerhafte Bezeichnung des Urteils, das mit der Berufung angegriffen werden soll, ist jedenfalls dann unschädlich, wenn der Fehler offensichtlich ist und aufgrund der übrigen Angaben in der Berufungsschrift kein berechtigter Zweifel besteht, gegen welches Urteil sich die Berufung richtet.‹
Tatbestand
I. 1. Das Landgericht Berlin wies die Restwerklohnklage der Klägerin durch das am 19. März 1992 verkündete und ihr am 14. Mai 1992 zugestellte Urteil (Az.: 21 O 132/91) ab und gab der Widerklage dem Grunde nach statt. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin legte bei dem Kammergericht mit einem am Montag, den 15. Juni 1992, nach 15 Uhr eingegangenen Schriftsatz Berufung ein; als Aktenzeichen des angefochtenen Urteils war 21 O 132/92 und als Verkündungsdatum war der 13. März 1992 angegeben; dieses Datum trägt die in den Akten befindliche beglaubigte Ablichtung des Urteils. Nach vergeblicher Anforderung der Sache unter Aktenzeichen 21 O 132/92 teilte die Geschäftsstelle des Landgerichts das zutreffende Aktenzeichen mit. Auf den Hinweis der Verwechselung des Aktenzeichens berichtigte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin den Fehler, den er als unwesentlich bezeichnete. Vorsorglich beantragte er zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte erneut Berufung ein.
2. Das Kammergericht hat durch Beschluß die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil die Berufungsschrift das angefochtene Urteil nicht richtig bezeichnet habe und sich das Gericht nicht innerhalb der Berufungsfrist Gewißheit über die Identität des angefochtenen Urteils habe verschaffen können. Die unzutreffende Angabe des Aktenzeichens sei auch nicht unschädlich, weil die sonstigen in der Berufungsschrift enthaltenen Angaben eine Identität des angefochtenen Urteils nicht hätten erkennen lassen. Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, weil sich die Klägerin mehrfache Verletzungen der anwaltlichen Sorgfaltspflicht ihres Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen müsse.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin.
II. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Bezeichnung des angefochtenen Urteils in der Berufungsschrift überspannt und daher zu Unrecht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.
1. Nach § 518 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muß die Berufungsschrift die Bezeichnung des Urteils enthalten, gegen das die Berufung gerichtet wird. Das Gesetz bestimmt nicht, auf welche Weise das angefochtene Urteil bezeichnet werden muß. Da die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz form- und fristgebunden einen neuen Verfahrensabschnitt einleitet und die Einlegung der Berufung der Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Urteils aufschiebt, dürfen im Interesse der Rechtsklarheit an die Urteilsbezeichnung keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. In Rechtsprechung und Literatur ist daher anerkannt, daß eine vollständige Bezeichnung die Angabe der Parteien, des Gerichtes, das das angefochtene Urteil erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens erfordert (BGH Beschluß vom 12. April 1989 - IVb ZB 23/89 = FamRZ 1989, 1063 = NJW-RR 1989, 958 m.N.). Nicht jede Ungenauigkeit, die eine Berufungsschrift bei einzelnen Angaben enthält, führt jedoch zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Fehlerhafte oder unvollständige Angaben schaden nicht, wenn aufgrund der sonstigen erkennbaren Umstände für Gericht und Prozeßgegner nicht zweifelhaft bleibt, welches Urteil angefochten wird (BVerfG Beschluß vom 9. August 1991 - 1 BvR 630/91 = NJW 1991, 3140; BGH Beschluß vom 12. April 1989 aaO m.w.N.).
2. Derartige Zweifel konnten im vorliegenden Fall nicht bestehen. Der fehlerhaften Angabe des Aktenzeichens der erstinstanzlichen Entscheidung kommt jedenfalls dann keine ausschlaggebende Bedeutung zu, wenn das Gericht und der Prozeßgegner den Fehler erkennen und sie aufgrund der Angaben im übrigen keinen Zweifel haben können, welches Urteil angefochten wird. Für diese Beurteilung ist bei einem Rechtsmittel, das unmittelbar am Tage des Ablaufs der Frist nach Dienstschluß eingelegt wird, auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem sich das Gericht und der Prozeßgegner erstmals mit der Berufungsschrift befassen, da am nächsten Arbeitstag die Berufungsfrist abgelaufen ist und deshalb Maßnahmen des Gerichts zur Beseitigung von Unklarheiten nicht mehr möglich sind.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war das Aktenzeichen in der Berufungsschrift vom 15. Juni 1992 ersichtlich falsch, weil erfahrungsgemäß in einer Sache mit der laufenden Nummer 132 aus 1992 kaum bereits am 19. März 1992 ein Urteil verkündet sein konnte. Das Berufungsgericht hat sich auch mit zutreffenden Erwägungen nicht in der Lage gesehen, ohne weitere Maßnahmen das richtige Aktenzeichen der angefochtenen Entscheidung zu ermitteln oder festzustellen, ob ein Fehler nur bei der Angabe des Verkündungstages vorlag. Derartige Ermittlungen waren aber nicht notwendig, um hinreichende Gewißheit über das angefochtene Urteil zu erlangen; insoweit liegt der Sachverhalt anders als in Fällen einer irrtümlichen Angabe des Herkunftsgerichts in der Berufungsschrift (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 - VIII ZR 213/83 = VersR 1984, 870 und vom 16. Januar 1986 - I ZR 181/84 = VersR 1986, 574). Aufgrund der zutreffenden Angaben in der Berufungsschrift über die Parteien, das erkennende Gericht, das Zustellungsdatum sowie das Verkündungsdatum ausweislich der in der Akte befindlichen beglaubigten Ablichtung des Urteils konnte zu dem Zeitpunkt, in dem sich das Gericht erstmals mit der Berufung der Klägerin befaßte, kein objektiv begründeter Zweifel über die Identität des angefochtenen Urteils bestehen. Seine Bezeichnung war so, daß das Gericht unter Hinweis auf die Parteien und das Herkunftsgericht sowie auf die möglicherweise fehlerhaften Angaben des Aktenzeichens und/oder des Verkündungsdatums das zutreffende Aktenstück praktisch ohne Verwechselungsgefahr hätte anfordern können. Die Beklagten als Prozeßgegner konnten gleichfalls keine Zweifel haben, daß sich die Berufung der Klägerin gegen das am 19. März 1992 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin richtete, weil zwischen den Parteien lediglich der vorliegende Rechtsstreit anhängig war.
Fundstellen
Haufe-Index 2993187 |
NJW 1993, 1719 |
BRAK-Mitt 1993, 179 |
BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 Urteilsbezeichnung 7 |
MDR 1994, 98 |
VersR 1993, 714 |