Verfahrensgang
LG Offenburg (Entscheidung vom 05.02.2020; Aktenzeichen 1 T 9/20) |
AG Offenburg (Entscheidung vom 16.01.2020; Aktenzeichen 1 XIV 46/20 B) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 16. Januar 2020 und der Beschluss des Landgerichts Offenburg, 1. Zivilkammer, vom 5. Februar 2020 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 15. Januar 2020 unerlaubt in das Bundesgebiet ein. Die beteiligte Behörde verfügte noch am gleichen Tag die Abschiebung, die für den darauffolgenden Tag anberaumt wurde. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. Januar 2020 gegen den Betroffenen Haft bis zum 16. Januar 2020, 12.00 Uhr, an. Die beabsichtigte Abschiebung scheiterte jedoch, weil der Betroffene sich und die begleitenden Polizeibeamten mit Exkrementen beschmierte.
Rz. 2
Das Amtsgericht hat auf weiteren Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 16. Januar 2020 Abschiebungshaft bis zum 6. Februar 2020 angeordnet. Die dagegen eingelegte Beschwerde des nunmehr anwaltlich vertretenen Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 5. Februar 2020 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, nachdem er zwischenzeitlich abgeschoben wurde, die Feststellung, dass sowohl der Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Januar 2020 als auch der Beschluss des Landgerichts vom 5. Februar 2020 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
Rz. 3
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Anordnung der Abschiebungshaft sei nicht zu beanstanden. Die Verfahrensgestaltung des Amtsgerichts habe nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Die vom Betroffenen während der persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht geäußerte Bitte, einen Anwalt sprechen zu wollen, sei bei verständiger Würdigung als Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe zu verstehen.
Rz. 5
2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts hat den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt.
Rz. 6
a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erklärt der Betroffene im Verlauf der persönlichen Anhörung, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen zu wollen, so muss das Gericht - falls dieser keinen Bevollmächtigten benennt - ihm für die Suche eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts Gelegenheit geben und darf die Haft im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG nur vorläufig anordnen, wobei die Abschiebung aus der nur vorläufig angeordneten Haft heraus gleichwohl erfolgen darf (BGH, Beschluss vom 25. April 2022 - XIII ZB 34/21, juris Rn. 7 f., mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung die gewünschte Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, führt das ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 25. April 2022 - XIII ZB 50/21, juris Rn. 6).
Rz. 7
b) Diesen Maßstäben ist die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht gerecht geworden. Der bis dahin anwaltlich nicht vertretene Betroffene hatte ausweislich des Anhörungsprotokolls ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, einen Anwalt sprechen zu wollen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen sodann darauf hingewiesen, dass die Bestellung eines Rechtsanwalts durch das Gericht nicht gesetzlich vorgesehen sei, den Wunsch des Betroffenen als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ausgelegt und diesen Antrag zurückgewiesen. Angesichts des eindeutigen Erklärungsinhalts durfte das Amtsgericht die Äußerung des Betroffenen nicht ohne weitere und erkennbare Aufklärung seines wirklichen Willens lediglich als Antrag auf Verfahrenskostenhilfe verstehen. Sein Schweigen auf den gerichtlichen Hinweis durfte das Amtsgericht daher auch nicht als Verzicht auf die Anwesenheit eines noch zu bestellenden Verfahrensbevollmächtigten auslegen. Auch die Mittellosigkeit des Betroffenen rechtfertigt die Annahme nicht, der Betroffene habe mit seinem Wunsch ausschließlich einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe stellen wollen. Zureichende konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene wegen fehlender finanzieller Mittel nicht in der Lage gewesen wäre, einen zu seiner Vertretung bereiten Bevollmächtigten zu finden, bestanden nicht. Wie sich gezeigt hat, war der Betroffene in der Lage, einen Rechtsanwalt zu finden, der sich bereitgefunden hat, ihn zu vertreten.
Rz. 8
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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