Verfahrensgang
LG Chemnitz (Urteil vom 08.09.2010) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 8. September 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO in den Schuldsprüchen dahingehend abgeändert, dass
- die Angeklagten T. jeweils wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt, auch ohne Pass, und mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge,
- der Angeklagte L. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen
verurteilt sind.
Ferner wird das Urteil in den gesamten Strafaussprüchen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht Dresden zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten V. P. T. und S. H. T. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einreise, unerlaubtem Aufenthalt und unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass schuldig gesprochen und auf Freiheitsstrafen von vier Jahren und drei Monaten (V. P. T.) und drei Jahren und sechs Monaten (S. H. T.) erkannt. Es hat ferner den Angeklagten L. wegen Beihilfe zum unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Einsatzstrafe zwei Jahre und acht Monate Freiheitsstrafe) in Tatmehrheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen (Geldstrafe 100 Tagessätze zu je 30 EUR) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hinsichtlich eines weiteren Tatvorwurfs wurden sämtliche Angeklagte freigesprochen. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
a) Der bisher unbestraft gebliebene 40 Jahre alte Angeklagte L. mietete 1999 in Hainichen die im Erdgeschoss des Anwesens … gelegenen Räumlichkeiten zum Betrieb einer Diskothek. Der Hauseigentümer B. erschien im August 2009 mit zwei Vietnamesen und veranlasste L., die durch einen zur Diskothek gehörenden Billardraum und durch eine die Kellertreppe verschließende Tür zu betretenden Kellerräume aufzugeben. L. verfügte weiter über Schlüssel zur Hauseingangstür und zu der Tür, durch die der Billardraum nach Passieren der Hauseingangstür betreten werden konnte. Im Herbst 2009 richteten Unbekannte in den Kellerräumen 5, 6 und 11 eine Cannabisaufzuchtanlage mit 825 Pflanztöpfen, 123 Hochleistungswärmelampen mit je 600 W Leistung nebst Filtern, Lüftern, Ventilatoren, Heizstäben und weiterem Zubehör ein. Die Anlage wurde von ständig anwesenden Pflanzenpflegekräften nach in vietnamesischer Sprache verfassten Anweisungen betrieben. Der Angeklagte L. ließ im November/Dezember 2009 auf Anweisung des Vietnamesen Th. die dort Beschäftigten mit einer Lebensmittelration für eine Woche beliefern, die in dem Billardraum abgelegt wurde.
Rz. 4
b) Der 21 Jahre alte Angeklagte V. P. T. war in Vietnam Gelegenheitsarbeiter. Er lieh sich für eine Schleusung über Russland nach Deutschland 15.000 EUR. Spätestens am 3. Dezember 2009 wurde er von unbekannt gebliebenen Personen in den Kellerräumen untergebracht und nahm seine Tätigkeit als Pflanzenpflegekraft auf. Noch am gleichen Tag war der Angeklagte mit drei weiteren „asiatisch aussehenden Personen” (UA S. 6) damit betraut, in den Pkw zweier niederländischer Kuriere im Keller zwischengelagerte 9,5 kg getrocknete Cannabisblüten (THC 1,1 kg) einzuladen. V. P. T. verfügte über einen Schlüssel zu der aus dem Keller in den Billardraum führenden Tür und – wie L. – über einen Schlüssel zum Verlassen dieses Raumes, nicht aber über einen Schlüssel zum Verlassen des Anwesens. Im Billardraum holte er die zur Versorgung der Pflanzenpflegekräfte bestimmten Lebensmittel ab. Unbekannte Mitglieder der Tätergruppierung hatten im Keller ein Mobiltelefon hinterlassen, mittels dessen der Angeklagte V. P. T. besondere Vorkommnisse melden sollte und Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen konnte.
Rz. 5
c) Der 31 Jahre alte Angeklagte S. H. T. war in Vietnam Textilhändler. Seine gesamten Ersparnisse in Höhe von mindestens 15.000 EUR bezahlte er für eine Schleusung über Russland nach Deutschland. In der ersten Januarwoche 2010 wurde er von einem unbekannten Vietnamesen aus Halle, der über einen Schlüssel zur Hauseingangstür des Anwesens verfügte, in die Kellerräume der … gebracht. Der Angeklagte V. P. T. öffnete ihm die Tür zum Billardraum von innen und informierte ihn über den Anbau der Cannabispflanzen, die er bis zu seiner Festnahme am 21. Januar 2010 zusammen mit V. P. T. entsprechend den schriftlichen Anweisungen pflegte.
Rz. 6
d) Der Grundstückseigentümer B. rief den Angeklagten L. am Abend des 20. Januar 2010 viermal an und veranlasste ihn in Anbetracht einer am nächsten Morgen stattfindenden Kontrolle der Stromzähler durch Mitarbeiter des Energieversorgungsunternehmens, mit einem Mittäter zwei Zähler zurückzudrehen (von 46.000 kWh auf 14.000 kWh und von 90.000 kWh auf 16.000 kWh). Auf einen Telefonanruf des Th. begab sich L. um 0.15 Uhr des nächsten Tages in das Anwesen und nahm Kontakt mit V. P. T. auf. L. konnte ihm das Anliegen von B. … und Th. nicht verständlich machen, die im Keller lebenden und arbeitenden Vietnamesen dürften am kommenden Vormittag keinerlei Strom verbrauchen. Während eines weiteren Anrufs des Th. gab L. sein Mobiltelefon an V. P. T. weiter, der nunmehr von Th. die Verhaltensanweisungen in vietnamesicher Sprache mitgeteilt bekam. L. erklärte sich Th. gegenüber bereit, die sich in den Kellerräumen aufhaltenden Vietnamesen vom Zeitpunkt der Beendigung der Kontrolle zu unterrichten.
Rz. 7
e) Bei der am 21. Januar 2010 vorgenommenen Durchsuchung der Kellerräume 5, 6 und 11 wurden 825 erntereife Cannabispflanzen mit einem Gewicht von nahezu 30 kg und einem Gehalt von 3,725 kg THC sichergestellt, ferner in den Kellerräumen 4 und 8 weitere 67 kg bereits getrocknete Teile von Cannabispflanzen mit über 1,2 kg THC.
Rz. 8
f) Das Landgericht hat alle Angeklagten hinsichtlich des unter Ziffer 3 des Anklagesatzes der Anklageschrift vom 7. Mai 2010 erhobenen Tatvorwurfs freigesprochen. Dieser hatte zum Gegenstand, dass die Angeklagten die in den Kellerräumen 4 und 8 weiter aufgefundenen 755 Cannabisstängel (67 kg; THC 1,27 kg) abgeerntet hätten; die ebenfalls von ihnen abgeernteten 9,42 kg Cannabisblüten (THC 1,11 kg) seien in zehn Tüten verpackt worden und von dem Angeklagten V. P. T. und drei weiteren Personen am 3. Dezember 2009 an niederländische Kuriere übergeben worden.
Rz. 9
Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten L. den THC-Gehalt der angebauten Pflanzen zugrunde gelegt (3,7 kg); bei dem Angeklagten S. H. T. zusätzlich den der aufgefundenen abgeernteten Pflanzen (1,27 kg) und bei dem Angeklagten V. P. T. darüber hinaus den der an die Kuriere übergebenen Blüten mit 1,11 kg THC.
Rz. 10
g) Das Landgericht hat sich aufgrund des Geständnisses des Angeklagten S. H. T. davon überzeugt, dass auch V. P. T. Kenntnis von der illegalen Cannabispflanzung hatte. Es hat sich ferner maßgeblich aufgrund des Inhalts von Telefongesprächen beweiswürdigend davon überzeugt, dass der Angeklagte L. Unterstützungshandlungen in Kenntnis dessen vorgenommen hat, dass Hinterleute in den Kellerräumen eine umfängliche illegale Cannabisplantage betrieben.
Rz. 11
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei (vgl. zum Prüfungsmaßstab BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt). Indes enthält das angefochtene Urteil hinsichtlich aller Angeklagten Subsumtionsfehler, die vom Senat – wie geschehen – zu korrigieren sind.
Rz. 12
a) Hinsichtlich der Angeklagten T. geht das Landgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass diejenigen, die Cannabispflanzen aufziehen, bei Überschreiten der Grenze zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC nicht mehr wegen des Vergehens des unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), sondern wegen des Verbrechens des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar sein können (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1990 – 1 StR 708/89, BGHR BtMG, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Anbau 1; Weber, BtMG 3. Aufl., § 29 Rn. 107 f.; Rahlf in MünchKomm-StGB, § 29 BtMG Rn. 93 f.), falls nicht gar eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 StR 192/05, NStZ 2006, 578; BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2005 – 1 StR 476/04 und vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 409/08, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 4 und 5). Ein Schuldspruch setzt indes – selbstverständlich – das Vorliegen der vom Gesetz verlangten Merkmale des Besitzes als eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses und den Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Betäubungsmittel im Sinne einer sicheren Verfügungsmacht zu erhalten (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2004 – 3 StR 71/04, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 5 mwN; BGH, Urteil vom 3. März 1978 – 2 StR 717/77, BGHSt 27, 380, 382). Solches belegen die Feststellungen nicht.
Rz. 13
b) Die den Besitz von Betäubungsmitteln begründende tatsächliche Verfügungsmacht über das Rauschgift hat es dem Täter zu ermöglichen, mit den Betäubungsmitteln nach Belieben zu verfahren, insbesondere sie zu verbrauchen, abzugeben, zu verstecken oder zu vernichten (Weber, aaO, § 29 Rn. 1173). Hierzu waren die Angeklagten T. aufgrund der festgestellten Umstände nicht in der Lage.
Rz. 14
Ein Verbrauch durch die Angeklagten T. scheidet angesichts der großen Mengen aus. Gleiches gilt für ein Vernichten. Solches hätte nur unter Inkaufnahme hoher Gefahr der Selbstschädigung bei einem Verbrennen in den Kellerräumen realisiert werden können und hätte – einer darauf gerichteten Willensentschließung entgegenstehend – offensichtlich zudem Sanktionen durch höher gestellte Mitglieder der Tätergruppe provoziert. Ein Abgeben der Cannabisprodukte an Dritte oder deren Verstecken außerhalb der Kellerräume schied ebenfalls aus. Die Angeklagten T. waren nicht in der Lage, das Anwesen … zu verlassen. Über Schlüssel zur Hauseingangstür verfügten lediglich Personen, die die verbrecherischen Ziele der Betreiber der Cannabisplantage teilten oder zumindest unterstützten, wie der Angeklagte L., der Vietnamese Th. und der aus Halle stammende Vietnamese. Hieraus folgt, dass die Angeklagten T. die Cannabisprodukte an außerhalb der die Plantage betreibenden Tätergruppe stehende Personen nicht hätten übergeben können. Demnach scheidet die Annahme eines täterschaftlichen Besitzes durch die Angeklagten T. aus. Deren Tatbeiträge können nur als die von Gehilfen qualifiziert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 443/09, NStZ-RR 2010, 51, 52).
Rz. 15
c) Der Senat entscheidet entsprechend § 354 Abs. 1 StPO bei allen drei Angeklagten auf Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB). Dass die Angeklagten Hinterleute bei der von diesen organisierten Aufzucht von Cannabispflanzen zur gewinnbringenden Weiterveräußerung von Haschisch und Marihuana unterstützten (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 StR 192/05, NStZ 2006, 578; BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2005 – 1 StR 476/04 und vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 409/08, BGHR BtMG, § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 4 und 5), liegt auf der Hand. Es ist offensichtlich, dass niemand eine aufwändige Plantage mit hunderten von Pflanzen betreibt, um Marihuana und Haschisch lediglich zum Eigenverbrauch zu gewinnen.
Rz. 16
d) Eine Sanktionierung wegen tateinheitlichen Anbaus von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG scheidet aus. Der Verbrechenstatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bei der Aufzucht von Cannabispflanzen zu eigennütziger Weiterveräußerung verdrängt den Vergehenstatbestand des unerlaubten Anbaus (BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2005 – 1 StR 476/04 und vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 409/08, BGHR BtMG, § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 4 und 5). Dies ist auch für die hier zu beurteilende Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gegenüber dem wegen der strengen Weisungsgebundenheit gleichfalls als Gehilfen begangenen Vergehenstatbestand des unerlaubten Anbaus anzunehmen.
Rz. 17
e) Hinsichtlich des Angeklagten L. hat das Landgericht zwar zu Recht dessen beide Unterstützungshandlungen als ein Verbrechen ausgeurteilt (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 27 Rn. 31a und Vor § 52 Rn. 36). Nachdem eine Unterstützungshandlung ein zweites Strafgesetz (§ 268 StGB) verletzt hat, wäre indes gemäß § 52 Abs. 1 StGB Tateinheit anzunehmen gewesen. Auch dies ändert der Senat.
Rz. 18
3. Sämtliche Strafaussprüche haben keinen Bestand. Dies folgt hinsichtlich der Angeklagten T. schon daraus, dass deren Schuldsprüche zu ihren Gunsten verringert worden sind und die Strafen aus anderen Strafrahmen insgesamt neu zu bemessen sind. Der Senat hebt auch den Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten L. auf, weil zu besorgen ist, dass das Landgericht nicht berücksichtigt hat, dass der Angeklagte kein eigenes Tatinteresse hatte und keinen Nutzen aus der Tat gezogen hat.
Rz. 19
4. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei den hier vorliegenden bloßen Subsumtionsfehlern nicht. Die Strafen können auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen bemessen werden, die freilich um solche Feststellungen ergänzt werden können, die den bisher getroffenen nicht widersprechen. Hinsichtlich der Angeklagten T. wird es nahe liegen, davon auszugehen, dass diese als illegal eingereiste Arbeitsmigranten ihre Verbrechen aus einer gewissen Zwangslage heraus begangen haben. Angesichts dessen scheinen die ausgeworfenen Strafen deutlich übersetzt.
Rz. 20
Der Senat weist darauf hin, dass bezüglich der Angeklagten T. die – wenn auch wegen Nichtausurteilung von deren Handlungen als Verpackungs- und Verwahrungsgehilfen bedenklichen – rechtskräftigen Teilfreisprüche dazu nötigen werden, bei der Bemessung der Strafen wegen des Betäubungsmitteldelikts lediglich den THC-Gehalt der noch nicht abgeernteten Pflanzen zugrunde zu legen. Die bisher weitergehend angelasteten THC-Gehalte sind Gegenstand der Teilfreisprüche.
Unterschriften
Basdorf, Raum, Brause, Schneider, Bellay
Fundstellen