Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 05.08.2019; Aktenzeichen 10 Js 6/19 7 Ks 1/19) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 5. August 2019 wirksam zurückgenommen ist.
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte selbst als auch sein Verteidiger Revision eingelegt. Mit an das Landgericht gerichtetem Schreiben vom 11. Oktober 2019 hat der Angeklagte erklärt, dass er seine Revision „zurückziehe”. Weitere Ausführungen blieben vorbehalten. Nunmehr hat er mit einem weiteren, nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Schreiben Wiedereinsetzung in diese Frist beantragt. Zur Begründung hat er angeführt, dass er sein Rechtsmittel „absichtlich” innerhalb der Frist zurückgenommen habe, um zu verdeutlichen, dass er durch seinen Pflichtverteidiger an einer rechtzeitigen eigenen Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle gehindert worden sei. Dieser habe sich auch geweigert, die von ihm selbst erstellte Begründungsschrift „zu übernehmen oder unterschrieben an das Gericht zu versenden”. Die Verteidigerin des Angeklagten hat in ihrem Schriftsatz vom 20. November 2019 die Wirksamkeit der Rücknahme des Rechtsmittels in Zweifel gezogen.
Rz. 2
1. Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dies ist, da es in Zweifel steht, durch deklaratorischen Beschluss festzustellen (BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 – 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318; vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180, 181; vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19, juris Rn. 4). Insoweit gilt:
Rz. 3
a) Die Rücknahme ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf eine Beendigung des Revisionsverfahrens und damit den Eintritt der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils gerichtet. Dem angefügten Satz, dass weitere Ausführungen vorbehalten bleiben, ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte seine Rücknahmeerklärung mit einer Bedingung, die die Wirksamkeit der Rücknahme in Frage stellen könnte, verknüpft hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 – 3 StR 311/16, juris Rn. 2). Ebenso ist es ohne Belang, dass das Rechtsmittel auch von dem Verteidiger des Angeklagten eingelegt worden war; der erklärte Wille des Angeklagten hat stets Vorrang (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 – 4 StR 85/19, NStZ 2019, 692 Rn. 5 mwN).
Rz. 4
b) Der Angeklagte war bei Abgabe der Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig.
Rz. 5
aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird – wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt – allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180, 181; vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19, juris Rn. 10; jeweils mwN).
Rz. 6
bb) Nach diesen Maßstäben liegen Anhaltspunkte, die Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Rechtsmittelrücknahme aufkommen ließen, nicht vor. Schon die Urteilsgründe und die dort wiedergegebenen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen belegen die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten während der Hauptverhandlung. Danach leidet dieser zwar an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung sowie einer wahnhaften Störung als Querulantenwahn. Eine schizophrene Erkrankung hat der Sachverständige aber schon deshalb ausgeschlossen, weil die Vigilanz und Konzentrationsfähigkeit des Angeklagten, der mit eigenen Befragungen der Zeugen und Anträgen an das Gericht den Ablauf der Hauptverhandlung mitbeeinflusste, ausgeprägt vorhanden seien. Seine Intelligenz liege im höheren Bereich. Dem Verfahren habe er insgesamt gut folgen können. Daraus ist zu schließen, dass der Angeklagte ohne weiteres in der Lage war, die Bedeutung seines Rücknahmeschreibens, das formgerecht mit Datum und Aktenzeichen versehen ist, erfassen zu können. Auch die Ausführungen des Wiedereinsetzungsantrags lassen erkennen, dass dem Angeklagten sowohl die Bedeutung der Rechtsmittelrücknahme als auch die Förmlichkeiten der Revisionsbegründung und die rechtlichen Vorgaben für Wiedereinsetzungsanträge geläufig sind.
Rz. 7
Eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Angeklagten bei der Revisionsrücknahme ist ebenfalls nicht zu erkennen. Diese könnte sich vorliegend nur daraus ergeben, dass sich der Angeklagte aus krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen heraus zur Rücknahme des Rechtsmittels gezwungen gesehen haben könnte. Dies ist indes ersichtlich nicht der Fall. Der Angeklagte, der sich offensichtlich mit dem strafprozessualen Rechtsmittelsystem vertraut gemacht hat, hat mit der Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags zum Ausdruck gebracht, die Rücknahme aus prozesstaktischen Gründen erklärt zu haben, um über eine Wiedereinsetzung eine neue Revisionsbegründungsfrist in Gang zu setzen und so Gelegenheit zu haben, die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen. Soweit er die Rechtsfolgen der Revisionsrücknahme falsch eingeschätzt hat, liegt lediglich ein Irrtum vor, dem eine rechtliche Fehlvorstellung zugrunde liegt, nicht aber eine auf seine Erkrankung zurückzuführende Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit. Ein solcher Irrtum berührt die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488).
Rz. 8
2. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist ist unzulässig. Der Wiedereinsetzung steht die wirksame und damit nicht widerrufbare oder anfechtbare Rücknahmeerklärung entgegen, die zum Verlust des Rechtsmittels führt (BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2016 – 4 StR 558/16, juris Rn. 6 ff.; vom 15. April 2015 – 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24). Eine Wiedereinsetzung ist rechtlich ausgeschlossen und daher unzulässig (BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 – 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318; vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 489).
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Paul, Berg, Anstötz
Fundstellen
Haufe-Index 13932069 |
NStZ-RR 2020, 287 |
StraFo 2020, 458 |