Normenkette

ZPO § 119

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 08.12.2020; Aktenzeichen VIII ZR 71/20)

LG Berlin (Urteil vom 13.02.2020; Aktenzeichen 67 S 369/18)

AG Berlin-Mitte (Entscheidung vom 05.11.2018; Aktenzeichen 123 C 108/15)

 

Tenor

1. Den Beklagten zu 1 und zu 4 wird als Revisionsbeklagten für die Verteidigung gegen die Revision der Klägerin jeweils Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Prof. Dr. Siegmann beigeordnet. Die Beiordnung ist auf die Gebühr nach Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (sogenannte Mehrvertretungsgebühr) - nebst Auslagen - beschränkt.

2. Der Antrag der Beklagten zu 1, ihr für eine Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 22. Juni 2021 sowie für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

 

Gründe

Rz. 1

1. Hinsichtlich der Rechtsverteidigung der Beklagten zu 1 und zu 4 gegen die Revision der Klägerin liegt jeweils ein Fall notwendiger Prozesskostenhilfe (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO) vor. Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Beklagten zu 1 und zu 4 ist Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen.

Rz. 2

Da im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof eine Vertretung durch Rechtsanwälte vorgeschrieben ist (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO), ist den Beklagten zu 1 und zu 4 ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beizuordnen (§ 121 Abs. 1 ZPO), vorliegend Rechtsanwalt Prof. Dr. Siegmann.

Rz. 3

Denn bei den (familiär verbundenen) Beklagten handelt es sich um Streitgenossen, die hinsichtlich der Verteidigung gegen die die Räumung und Herausgabe der von ihnen gemieteten beziehungsweise bewohnten Räumlichkeiten betreffenden Revision der Klägerin gleichgerichtete Interessen verfolgen, so dass vorliegend nur die Beiordnung eines Anwalts zur gemeinsamen Vertretung in Betracht kommt (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl., § 114 Rn. 8; MünchKommZPO/Wache, 6. Aufl., § 114 Rn. 40; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 121 Rn. 3).

Rz. 4

Somit war den Beklagten zu 1 und zu 4 der bereits für den Beklagten zu 2 tätige und zur Vertretung bereite Prozessbevollmächtigte beizuordnen. Dessen Beiordnung ist auf die Mehrvertretungsgebühr nebst Auslagen zu beschränken (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. März 1993 - II ZR 179/91, NJW 1993, 1715 unter II; vom 15. Juli 2019 - II ZA 17/19, juris Rn. 7 ff.).

Rz. 5

2. Der Antrag der Beklagten zu 1 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine - noch zu erhebende - Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rz. 6

a) Soweit die Beklagte zu 1 eine vermeintliche Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) beanstanden möchte, wäre die Anhörungsrüge insoweit bereits deshalb unzulässig, weil mit ihr allein geltend gemacht werden kann, das Gericht habe den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Andere Rechtsverletzungen können nach § 321a ZPO nicht gerügt werden (vgl. BVerfG, NJW 2009, 3710 Rn. 17; BGH, Urteil vom 14. April 2016 - IX ZR 197/15, NJW 2016, 3035 Rn. 13; Beschlüsse vom 23. August 2016 - VIII ZR 79/15, juris Rn. 2; vom 16. April 2021 - XI ZR 137/20, juris Rn. 1; vom 31. August 2021 - X ZR 109/18, juris Rn. 6).

Rz. 7

b) Soweit die Beklagte zu 1 eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch den Senat rügen will, wäre eine Anhörungsrüge jedenfalls unbegründet, da der Senat bei seiner Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde die Ausführungen der Beklagten zu 1 in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, aber nicht für durchgreifend erachtet hat.

Rz. 8

aa) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Senat habe am 22. Juni 2021 über ihre Nichtzulassungsbeschwerde entschieden, ohne dass der von ihrem Rechtsanwalt in der Begründung dieses Rechtsmittels in Bezug genommene, von ihr persönlich verfasste Schriftsatz vom 3. Mai 2021, der erst am 24. Juli 2021 bei dem Bundesgerichtshof eingegangen ist, vorgelegen habe. Hierin liegt kein Gehörsverstoß.

Rz. 9

(1) Zum einen wurde das vorgenannte Parteivorbringen der Beklagten zu 1 bereits nicht wirksam Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung. Denn ein Vorbringen der Partei kann nicht - wie hier - durch bloße pauschale Bezugnahme zum Inhalt eines bestimmenden Schriftsatzes im Anwaltsprozess - wozu auch Rechtsmittelbegründungsschriften zählen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 1979 - VII ZB 13/79, VersR 1980, 331 unter [II] 1; vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 46/03, juris Rn. 4) - gemacht werden (vgl. BGH, Urteile vom 29. November 1956 - III ZR 235/55, BGHZ 22, 254, 255 f.; vom 17. März 2016 - III ZR 200/15, NJW 2016, 2747 Rn. 20 [jeweils für die Klageschrift]; vom 24. Mai 1982 - VIII ZR 181/81, BGHZ 84, 136, 138 [dort anders bezüglich der Anspruchsbegründung im Mahnverfahren]; Beschluss vom 22. September 1952 - IV ZB 69/52, BGHZ 7, 170, 174 [für die Berufungsbegründung]).

Rz. 10

(2) Ungeachtet dessen wären die Ausführungen der Beklagten zu 1 in dem von ihr verfassten Schreiben vom 3. Mai 2021 nicht geeignet gewesen, der Nichtzulassungsbeschwerde in der Sache zum Erfolg zu verhelfen, da hiermit entgegen dem Begründungserfordernis des § 544 Abs. 4 Satz 3 ZPO Revisionszulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht in der gebotenen Weise dargelegt wurden.

Rz. 11

bb) Soweit die Beklagte zu 1 beanstandet, dem - ihre Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden - Senatsbeschluss vom 22. Juni 2021 fehle eine nähere Begründung, liegt hierin keine Gehörsverletzung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2009 - V ZR 142/08, NJW 2009, 1609 Rn. 6; vom 28. Mai 2013 - IV ZR 149/12, juris Rn. 6). Die Anhörungsrüge kann nicht zur Herbeiführung der Begründung einer Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde, bei der gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 ZPO von einer näheren Begründung abgesehen wurde, eingelegt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - VIII ZR 353/18, juris Rn. 6 mwN).

Rz. 12

3. Der Beklagten zu 1 ist Prozesskostenhilfe zur Beantragung von Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bereits deshalb nicht zu gewähren, weil eine von ihrem vormaligen Prozessbevollmächtigten verfasste, fristgerecht eingereichte und umfassend begründete Nichtzulassungsbeschwerde vorliegt.

Dr. Fetzer     

Dr. Schneider     

Dr. Bünger

Kosziol      

Dr. Schmidt      

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15171809

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