Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 08.05.2002) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 8. Mai 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit „einem Verstoß gegen das Waffengesetz” (Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts den Schuldspruch wegen versuchten Totschlags nicht trägt.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterhielt der Angeklagte eine mehrjährige außereheliche Beziehung zu der Nebenklägerin. Diese hatte sich im Sommer 2001 endgültig von ihm getrennt; der Angeklagte akzeptierte dies nicht, verfolgte und überwachte die Nebenklägerin und bedrohte sie wiederholt. Als die Nebenklägerin ihm mitteilte, sie habe sexuelle Beziehungen zu einem anderen Mann aufgenommen, beschloß der Angeklagte, „sie dafür büßen zu lassen”.
In der Tatnacht fuhr die Nebenklägerin mit dem Zeugen C., den sie in einer Gaststätte kennengelernt hatte, mit ihrem PKW auf eine große innerstädtische Parkfläche; beide beabsichtigten, dort im Fahrzeug sexuell miteinander zu verkehren. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin beobachtet und verfolgt hatte, fuhr auf dem Parkplatz zunächst, für die Nebenklägerin überraschend, dicht neben ihr Fahrzeug, entfernte sich kurz darauf jedoch wieder; nachdem er seine im Motorraum versteckte halbautomatische Pistole hervorgeholt hatte, kehrte er zurück. Er bedrohte die Nebenklägerin und den Zeugen C. mit der geladenen Waffe. Die Nebenklägerin versuchte zu fliehen, verursachte aufgrund ihrer Panik jedoch einen Fahrzeugdefekt, so daß sie noch auf dem Parkplatz wieder zum Stehen kam. Bevor sie anhielt, gab der Angeklagte aus ca. 50 m Entfernung einen Schuß ab, welcher den PKW nicht traf; ob dieser Schuß gezielt war, ist nicht festgestellt. Der Angeklagte begab sich zu dem Fahrzeug der Nebenklägerin, bedrohte zunächst den Zeugen C. und zwang diesen unter Vorhalt der Schußwaffe, sich zu entfernen. Dann forderte er die Nebenklägerin mit den Worten „Du mußt sterben! Du Hure mußt büßen für das, was Du mir angetan hast!” auf, aus dem Fahrzeug zu steigen. Die Nebenklägerin geriet in Todesangst; sie versuchte, sich auf der Rückbank des PKW in Sicherheit zu bringen. Hierzu stand sie im Fahrzeug auf und versuchte, über die Lehnen der Vordersitze hinweg nach hinten zu klettern. Sie stand dabei auf der Sitzfläche des Beifahrersitzes; ihr Rücken lag am Dach des Fahrzeugs an; Oberkörper und Kopf waren zum rückwärtigen Sitz gebeugt. In dieser Situation gab der Angeklagte, der unmittelbar vor der geöffneten Fahrertür stand, mit schräg nach unten gerichteter Waffe kurz hintereinander zwei Schüsse auf die Nebenklägerin ab. Der erste Schuß ging fehl; der zweite streifte den rechten Unterschenkel der Nebenklägerin und traf ihren linken Fuß, der auf dem Beifahrersitz stand. Die Nebenklägerin schrie vor Schmerz auf. Daraufhin floh der Angeklagte, dessen Waffe noch mit zwei scharfen Patronen geladen war, vom Tatort.
Das Landgericht hat bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten als bewiesen angesehen und dies auf die Erwägung gestützt, da der Angeklagte „gezielt aus einer Entfernung von kaum einem Meter” geschossen habe und „genau dahin zielte, wo sich die Zeugin K. bei den engen räumlichen Verhältnissen gerade aufhielt”, könne es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß er tödliche Verletzungen in Kauf nahm und billigte, denn es sei „Allgemeinwissen jedes erwachsenen Menschen, daß bei einem gezielten Schuß auf einen anderen in unmittelbarer Nähe befindlichen Menschen … dieser getroffen werden kann und dann prinzipiell mit lebensbedrohlichen Verletzungen zu rechnen ist” (UA S. 17/18). Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, der Angeklagte habe gehört, daß die Nebenklägerin vor Schmerz aufschrie. Aus seiner sofortigen Flucht erschließe sich, daß er mit tödlichen Verletzungen rechnete und daß ihm dies gleichgültig war; er sei daher davon ausgegangen, alles zur Herbeiführung des Todeserfolgs Erforderliche getan zu haben.
Diese Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft. Zwar müssen vom Tatrichter gezogene Schlüsse nicht zwingend sein; die Feststellung subjektiver Vorstellungen des Täters kann auch auf eine dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung der objektiven Tatumstände gestützt werden. Rechtsfehlerhaft und daher vom Revisionsgericht zu beanstanden ist die Beweiswürdigung jedoch, wenn die Urteilsgründe die Besorgnis begründen, der Tatrichter habe naheliegende abweichende Möglichkeiten nicht bedacht, oder wenn Schlußfolgerungen auf Erfahrungssätze gestützt werden, welche in dieser Form nicht bestehen, so daß sich das Ergebnis der Beweiswürdigung als bloße Vermutung darstellt. Ein solcher Mangel kann nicht dadurch geheilt werden, daß der Tatrichter in den Urteilsgründen seine zweifelsfreie Überzeugung besonders nachdrücklich betont.
Hier können schon die Erwägungen des Landgerichts zur Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes Bedenken begegnen. Die Feststellung, der Angeklagte habe aus einem Meter Entfernung „gezielt” geschossen, ist zumindest unklar, denn nach den landgerichtlichen Feststellungen befanden sich Körperteile der Nebenklägerin, bei deren Treffen eine naheliegende Wahrscheinlichkeit tödlicher Verletzungen bestand, zum Zeitpunkt der Schußabgabe nicht im Blickfeld des Angeklagten. Wenn der Angeklagte aber „gezielt” in den Fuß der Nebenklägerin schoß, so findet hierin der vom Landgericht herangezogene Erfahrungssatz keine Grundlage, wonach jeder erwachsene Mensch wisse, daß bei einem gezielten Schuß auf einen Menschen dieser „prinzipiell” tödlich getroffen werden könne.
Rechtsfehlerhaft sind insbesondere auch die Erwägungen, auf welche das Landgericht die Annahme eines beendeten Versuchs und damit den Ausschluß eines gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB strafbefreienden Rücktritts gestützt hat. Einen Erfahrungssatz, wonach Schmerzensschreie eines durch einen Schuß in den Fuß getroffenen Opfers die Annahme nahelegen, die geschädigte Person habe möglicherweise tödliche Verletzungen erlitten, gibt es nicht. Aus der Flucht des Versuchstäters vom Tatort allein kann schon nach dem Regelungsgehalt des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht darauf geschlossen werden, er habe angenommen, alles zur Vollendung Erforderliche getan zu haben. Eine Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1, 1. und 2. Variante, StGB setzt vielmehr konkrete Feststellungen zum Kenntnis- und Vorstellungsbild des Täters zum Zeitpunkt nach der letzten auf den Taterfolg abzielenden Handlung voraus (BGHSt 31, 175; 33, 298; 39, 227; st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer 51. Aufl. § 24 Rdn. 15 m.w.N.). Daran fehlt es hier; angesichts der konkreten äußeren Tatumstände („gezielter” Schuß in den Fuß; laut schreiendes Tatopfer) lag die Annahme eines beendeten Tötungsversuchs jedenfalls nicht so nahe, daß auf eine erschöpfende Erörterung aller wesentlichen Beweisanzeichen verzichtet werden konnte.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Bode, Otten, Rothfuß, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2558770 |
StV 2003, 213 |
StraFo 2003, 132 |