Verfahrensgang
LG Siegen (Urteil vom 10.04.2003) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 10. April 2003, auch soweit es den Mitangeklagten I. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten und den früheren Mitangeklagten I. jeweils des schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer in zwei Fällen für schuldig befunden und den Angeklagten R. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, den Angeklagten K. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und den Angeklagten I., der keine Revision eingelegt hat, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten R. und K. mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen; der Angeklagte K. beanstandet darüber hinaus das Verfahren.
Die Rechtsmittel haben mit den Sachrügen Erfolg; sie führen – gemäß § 357 StPO auch hinsichtlich des Mitangeklagten I. – zur Aufhebung des Urteils.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beabsichtigten die Angeklagten und der Mitangeklagte I., Taxifahrer zu überfallen und zu berauben. Im ersten Fall „lotsten” sie ein Taxi nachts zu einem Kindergarten und ließen den Fahrer dort anhalten. Die Angeklagten R. und I. entfernten sich zunächst, kehrten dann aber wieder zu K. in das Taxi zurück. Als der Taxifahrer „gerade wieder starten (wollte)”, nahmen sie ihm unter Einsatz einer (ungeladenen) Gaspistole und eines Messers seine Geldtasche mit 170 EUR Bargeld weg. Im zweiten Fall „dirigierte” der Angeklagte K. einen Taxifahrer nachts zu einem Sportplatz, wo er zum Anhalten aufgefordert wurde. Als „das Auto kaum stand”, bedrohten ihn die Angeklagten mit einem mitgeführten Messer und nahmen ihm seine Geldbörse mit ca. 500 EUR Bargeld und ein Handy weg.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagten ohne Rechtsfehler jeweils des gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) für schuldig befunden. Dagegen haben die Schuldsprüche keinen Bestand, soweit es die Angeklagten – tateinheitlich – auch wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer (§ 316 a Abs. 1 StGB) verurteilt hat. Das Urteil muß daher insgesamt aufgehoben werden (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 353 Rdn. 7 aE).
Allerdings wäre die den Schuldsprüchen nach § 316 a StGB zugrundeliegende Rechtsauffassung des Landgerichts nach der bisherigen Rechtsprechung nicht zu beanstanden (vgl. BGHSt 5, 280 ff.; BGH NStZ 2003, 35 m.w.N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat jedoch nicht länger fest. Wie er in seinem Urteil vom 20. November 2003 in der Strafsache 4 StR 150/03 (zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) im einzelnen dargelegt hat, erachtet er eine enger als bisher am Schutzzweck und den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 316 a StGB orientierte Auslegung für geboten. Danach setzt der Tatbestand des § 316 a StGB nach seinem Wortlaut eine zeitliche Verknüpfung zwischen tauglichem Tatopfer und tatbestandsmäßiger Angriffshandlung dergestalt voraus, daß im Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, das Tatopfer (noch) „Führer” oder „Mitfahrer” eines Kraftfahrzeugs ist. Daran könnte es hier fehlen: Denn „Führer” eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 316 a StGB ist nur, wer das Kraftfahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Das ist regelmäßig nicht mehr der Fall, wenn das Fahrzeug aus anderen als verkehrsbedingten Gründen anhält und der Fahrer den Motor ausstellt (Senatsurteil aaO).
Ob die hier geschädigten Taxifahrer bei Verüben des jeweiligen Angriffs in dem genannten Sinne „Führer” ihrer (nicht verkehrsbedingt haltenden) Fahrzeuge waren, sie – bei noch laufendem Fahrzeugmotor – in einer Weise mit der Beherrschung ihrer Kraftfahrzeuge und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt waren, daß sie gerade deshalb leichter Opfer eines räuberischen Angriffs waren, und ob die Angeklagten die möglicherweise hierin liegenden „besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs” für ihre Taten ausgenutzt haben (vgl. hierzu auch den Senatsbeschluß vom 27. November 2003 – 4 StR 338/03), läßt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Entsprechende Feststellungen müssen daher nachgeholt werden.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf folgendes hin:
Falls die nunmehr entscheidende Jugendkammer das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 316 a StGB nach der geänderten Rechtsprechung des Senats nicht mehr bejahen könnte, ist sie nicht gehindert, bei der Bemessung der Strafen wegen schweren Raubes strafschärfend zu werten, daß sich die Taten gegen Taxifahrer während der Ausübung ihres auch im Interesse der Allgemeinheit liegenden Berufs richteten und die Angeklagten ihre Opfer planmäßig an Orte lockten, wo für sie Hilfe nicht zu erwarten war.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2558078 |
VRS 2004, 199 |
JWO-VerkehrsR 2004, 66 |