Leitsatz (amtlich)

Hat ein Beteiligter eine mündliche Verhandlung beantragt, so wird ihm das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht - ohne zuvor diese Absicht mitzuteilen - ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

 

Normenkette

MarkenG § 69 Nr. 1, § 83 Abs. 3 Nr. 3; GG § 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BPatG (Beschluss vom 13.01.2000)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss des 25. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des BPatG v. 13.1.2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegen das am 7.12.1995 für "Pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich Ohrkerzen, bestehend aus Bienenwachs und Leinenstoff, angereichert mit Essenzen der Bachblüte", eingetragene Zeichen hat die Inhaberin der prioritätsälteren Marken 1 114 987 "Bach" und 1 099 376 "Bach-Blüten-Konzentrate" Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsmarken sind für "Präparate für die Gesundheitspflege" eingetragen.

Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch aus den beiden Marken mit der Begründung zurückgewiesen, es bestehe keine Verwechslungsgefahr. Die Nichtbenutzungseinrede des Markeninhabers hat es ungeprüft gelassen.

Gegen diesen Beschluss hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt und beantragt, Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Eine schriftliche Begründung der Beschwerde hat die Widersprechende nicht eingereicht. Das BPatG hat die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen. Die Widersprechende habe - so hat das BPatG ausgeführt - eine Benutzung der Widerspruchsmarken nicht dargetan. Ein gerichtlicher Aufklärungshinweis sei nicht veranlasst gewesen, nachdem der Markeninhaber die Nichtbenutzungseinrede erhoben habe und von der Markenstelle ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass diese Einrede Gegenstand eines möglichen Beschwerdeverfahrens sein werde. Das Gericht sei auch nicht gehalten, den Beteiligten Äußerungsfristen zu setzen oder einen beabsichtigten Entscheidungstermin mitzuteilen. In den zehn Monaten zwischen Eingang der Beschwerde und Entscheidung habe hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden, die bestrittene Benutzung der Widerspruchsmarken glaubhaft zu machen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die - vom BPatG nicht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Widersprechenden.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das BPatG hat sie zwar nicht zugelassen. Ihre Statthaftigkeit folgt jedoch daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.2002 - I ZB 27/00, BGHReport 2003, 517 = GRUR 2003, 546 = WRP 2003, 655 - TURBO-TABS, m. w. N.). Hier beruft sich die Rechtsbeschwerde auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG). Dies hat sie im Einzelnen begründet. Darauf, ob die Rügen durchgreifen, kommt es für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht an.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Verfahren vor dem BPatG verletzt die Widersprechende in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG).

a) Nach § 69 Nr. 1 MarkenG findet eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde statt, wenn sie von einem Beteiligten beantragt worden ist. Im Streitfall hat die Widersprechende einen solchen Antrag gestellt. Dass das BPatG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist mit dem Verfahrensrecht nicht in Einklang zu bringen.

Allerdings liegt nicht in jeder Entscheidung, die verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung ergeht, ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den an einem Rechtsstreit Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den in Rede stehenden Sach- und Rechtsfragen zu geben. Daraus folgt nicht, dass das rechtliche Gehör in einer bestimmten Form gewährt werden muss. Erhalten die Verfahrensbeteiligten in dem erforderlichen Umfang Gelegenheit zur Stellungnahme, ist, auch wenn die im Gesetz vorgeschriebene mündliche Verhandlung nicht stattfindet, nicht das Grundrecht, sondern allein das Verfahrensrecht verletzt (BGH v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [341 f.] = MDR 1988, 470).

Anders verhält es sich aber, wenn ein Verfahrensbeteiligter davon ausgehen kann, eine Entscheidung werde - dem Verfahrensrecht entsprechend - nicht ohne mündliche Verhandlung ergehen. So liegt der Streitfall. Eine Frist für die - verfahrensrechtlich nicht gebotene (vgl. nur Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 66 Rz. 68) - Begründung der Beschwerde bestand nicht. Die Widersprechende konnte daher annehmen, dass sie vor oder spätestens in der mündlichen Verhandlung hinreichend Gelegenheit haben werde, ergänzend vorzutragen und Rechtsausführungen zu machen. Darin, dass ihr diese Möglichkeit abgeschnitten worden ist, liegt eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BGH, Beschl. v. 14.10.1999 - I ZB 15/97, GRUR 2000, 512 [513] = WRP 2000, 542 - COMPUTER ASSOCIATES; Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 69 Rz. 23; vgl. ferner BGH, Beschl. v. 12.12.1996 - I ZB 8/96, MDR 1997, 683 = GRUR 1997, 223 = WRP 1997, 560 - Ceco).

b) Die angefochtene Entscheidung des BPatG beruht auch auf der Versagung des rechtlichen Gehörs (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 [638 f.] = WRP 1997, 762 - Top Selection). Ungeachtet der Frage, ob die Rüge des § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG in einem Fall wie dem vorliegenden eine Darlegung dessen erfordert, was vor oder in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden wäre (vgl. KG v. 14.10.1999 - I ZB 15/97, GRUR 2000, 512 [514] - COMPUTER ASSOCIATES), hat die Rechtsbeschwerde im Einzelnen dargelegt, was sie zur Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarken vorgebracht hätte. Es ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung des BPatG bei Berücksichtigung dieses Vorbringens anders ausgefallen wäre.

III. Die Begründetheit der Rüge nach § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG (§ 89 Abs. 4 MarkenG).Eine Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses auf sonstige Verstöße gegen das formelle oder gegen das materielle Recht findet - anders als bei der zugelassenen Rechtsbeschwerde (§ 83 Abs. 2 MarkenG) - bei Begründetheit einer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nicht statt (vgl. BGH v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 [639] - Top Selection, m. w. N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1050035

BGHR 2003, 1436

GRUR 2003, 1067

JurBüro 2004, 221

WRP 2003, 1444

BPatGE 2003, 281

Mitt. 2003, 569

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