Leitsatz (amtlich)
Einer Prozesspartei, die vor Ablauf einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist lediglich Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Fristversäumung nur dann zu bewilligen, wenn sie vernünftigerweise nicht mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste. Mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu rechnen, wenn das Rechtsmittelgericht auf Zweifel hinsichtlich der Bedürftigkeit der Prozesspartei hingewiesen hat und diese vernünftigerweise davon ausgehen muss, dass sie die Zweifel nicht ausräumen kann (Anschluss BGH, Beschl. v. 13.1.2010 - XII ZB 108/09= NJW-RR 2010, 424).
Normenkette
ZPO §§ 115, 233-234
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 30.08.2017; Aktenzeichen 11 U 40/16) |
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 20.01.2016; Aktenzeichen 14 O 81/15) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Nebenintervenientin der Klägerin gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG Brandenburg vom 30.8.2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Nebenintervenientin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger Kosten der Klägerin, die diese auf sich behält.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens und des Berufungsverfahrens wird auf 11.242,98 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Glatteisunfall. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat beim OLG am letzten Tag der Berufungsfrist Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Verfügung vom 21.10.2016, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 24.10.2016, hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an mangelnder Bedürftigkeit scheitern könnte, weil mit zwei Lebensversicherungen und einem Bausparguthaben das Schonvermögen übersteigende und das zweitinstanzliche Kostenrisiko deckende finanzielle Mittel vorhanden seien. Dem ist die Klägerin mit Anwaltsschriftsatz vom 17.11.2016 entgegengetreten, wobei sie geltend gemacht hat, die Verwendung der Mittel sei ihr hinsichtlich der Lebensversicherungen nicht zumutbar und hinsichtlich des Bausparguthabens mangels Zuteilungsreife noch nicht möglich. Das Berufungsgericht hat anschließend den Prozesskostenhilfeantrag mit einem der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8.12.2016 zugestellten Beschluss zurückgewiesen. Daraufhin hat die Klägerin am 21.12.2016 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Rz. 2
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die der Klägerin mit Einlegung der Rechtsbeschwerde als Nebenintervenientin beigetreten ist.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Denn eine Entscheidung des BGH ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit der Rechtsprechung des BGH im Einklang.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen, weil diese verspätet eingelegt worden sei. Die beantragte Wiedereinsetzung sei der Klägerin zu versagen, weil sie die Wiedereinsetzungsfrist versäumt habe. Die Frist habe nicht erst mit der Zustellung des die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses zu laufen begonnen, sondern aufgrund des Hinweises des Berufungssenats schon vorher, weil sie schon deswegen nicht mehr mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe rechnen können. Das ist nicht zu beanstanden.
Rz. 5
2. Nach der Rechtsprechung des BGH ist einer Prozesspartei, die vor Ablauf einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist lediglich Prozesskostenhilfe beantragt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Fristversäumung nur dann zu bewilligen, wenn sie vernünftigerweise nicht mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste (BGH, Beschl. v. 13.1.2010 - XII ZB 108/09 = NJW-RR 2010, 424 Rz. 5; v. 11.6.2008 - XII ZB 184/05 = NJW-RR 2008, 1313 Rz. 26; v. 31.8.2005 - XII ZB 116/05 = NJW-RR 2006, 140, 141). Das war hier nicht der Fall. Mit Zugang des Hinweises des Berufungsgerichts vom 21.10.2016, jedenfalls aber nach Prüfung der darin aufgeworfenen Fragen und damit spätestens mit Fertigung der Stellungnahme ihrer Prozessbevollmächtigen vom 17.11.2016, musste die Klägerin vernünftigerweise damit rechnen, dass ihr die beantragte Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit versagt werden würde (vgl. BGH, Beschl. v. 13.1.2010 - XII ZB 108/09 = NJW-RR 2010, 424 Rz. 5).
Rz. 6
Ein etwaiges Vertrauen der Klägerin, der erstinstanzlich bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt worden war, wurde mit dem hinreichend substantiierten Hinweis des Berufungsgerichts erschüttert. Die Klägerin musste seither gewärtigen, dass das Berufungsgericht die Sache anders einschätzen würde als das Gericht erster Instanz. In der Sache ist, was auch die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 17.11.2016 im Grundsatz nicht verkannt hat, das Bausparguthaben jedenfalls ab Zuteilungsreife zu verwerten (BAGE 118, 57; weitergehend OLG Brandenburg FamRZ 2011, 52 zum Einsatz des Bausparguthabens vor Zuteilungsreife). Da Zuteilungsreife im Januar 2017 eingetreten ist, das Bausparguthaben das zweitinstanzliche Kostenrisiko vollständig abgedeckt hätte und damit nur noch zwei Monate zu überbrücken gewesen wären, wäre es der Klägerin zudem zuzumuten gewesen, die Kosten kurzfristig durch Beleihung einer ihrer zwei Lebensversicherungen zwischenzufinanzieren. Dies wäre nach den von der Klägerin selbst eingereichten Unterlagen zu einem monatlichen Betrag von 32,92 EUR möglich gewesen. Die der werktätigen Klägerin hierdurch entstehende Belastung mit insgesamt 65,84 EUR wäre damit geringer gewesen als die ihr nach den Berechnungen des Berufungsgerichts im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe monatlich aufzuerlegende Ratenzahlung i.H.v. 88 EUR, so dass die Klägerin schon in Ansehung von § 115 Abs. 4 ZPO vernünftigerweise nicht mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe hätte rechnen dürfen.
III.
Rz. 7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Rz. 8
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Die Klägerin verfolgt ihre ursprünglichen Klageansprüche mit der Berufung unter nunmehriger Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens lediglich zu 50 Prozent weiter. § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG ist nicht einschlägig, weil die Frage der Fristgemäßheit von Berufung und Berufungsbegründung unmittelbar von der Bewertung des streitgegenständlichen Wiedereinsetzungsgesuchs abhängt.
IV.
Rz. 9
Mit der Verwerfung der Rechtsbeschwerde erledigt sich der Antrag der Beklagten zu 1) und 3) auf Einsicht in die PKH-Unterlagen der Klägerin.
Fundstellen
Haufe-Index 12052294 |
NJW 2018, 3394 |
NJW 2018, 9 |
FamRZ 2018, 1762 |
NJW-RR 2018, 1270 |
FA 2018, 386 |
JZ 2018, 712 |
MDR 2018, 1332 |
VersR 2018, 1533 |
AK 2018, 201 |
SR-aktuell 2018, 164 |