Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsordnungswidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Bußgeldbescheid ist auch dann nach neuem Recht zu beurteilen, wenn er vor dem am 1. März 1998 erfolgten Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 156) erlassen worden war.
2. Die Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate gemäß § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG wird mit dem Erlaß des Bußgeldbescheids wirksam, sofern dieser binnen zwei Wochen zugestellt wird. Anderenfalls ist der Zeitpunkt der Zustellung maßgeblich; das gilt auch dann, wenn zwischen Erlaß und Zustellung andere verjährungsunterbrechende Maßnahmen getroffen werden.
Normenkette
OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9; StVG § 26 Abs. 3 Hs. 2
Verfahrensgang
KG Berlin (Aktenzeichen 3 Ws (B) 694/98) |
AG Berlin-Tiergarten (Aktenzeichen 316 OWi 32/98) |
Tenor
Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Bußgeldbescheid ist auch dann nach neuem Recht zu beurteilen, wenn er vor dem am 1. März 1998 erfolgten Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 156) erlassen worden war.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat dem Betroffenen wegen einer am 19. August 1997 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße auferlegt und ein Fahrverbot gegen ihn verhängt. Der Betroffene hat gegen das Urteil Rechtsbeschwerde eingelegt.
Das zur Entscheidung berufene Kammergericht beabsichtigt, das Verfahren wegen Verjährung einzustellen. Dem liegt zugrunde, daß der (als erste verjährungsunterbrechende Handlung in Betracht kommende) Bußgeldbescheid vom 23. Oktober 1997 dem Betroffenen erst am 20. November 1997 – und damit nach Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 1. Halbsatz StVG – zugestellt worden ist. Das Kammergericht ist der Auffassung, daß die Unterbrechung durch den Bußgeldbescheid nicht entsprechend § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 a.F. OWiG schon mit seinem Erlaß, sondern, weil er mehr als zwei Wochen nach diesem Zeitpunkt zugestellt worden sei, gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 156) erst mit dessen Zustellung wirksam geworden sei; seit dem Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes am 1. März 1998 sei das Wirksamwerden der Verjährungsunterbrechung durch einen Bußgeldbescheid auch in den Fällen nach dem neuen Recht zu beurteilen, in denen der Bescheid noch unter der Geltung des alten Rechts ergangen sei.
An der beabsichtigten Einstellung des Verfahrens sieht sich das Kammergericht durch die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluß vom 8. Juli 1998 - 1 ObOWi 257/98 = NZV 1998, 513 = NJW 1999, 159) und des Oberlandesgerichts Brandenburg (Beschluß vom 8. Juni 1998 - 2 Ss [Owi] 59 B/98 = NJW 1998, 3069) gehindert. Beiden Beschlüssen liegt die Auffassung zugrunde, daß in Fällen, in denen der Bußgeldbescheid vor dem Inkrafttreten des genannten Änderungsgesetzes erlassen worden sei, für die Frage der dadurch bewirkten Verjährungsunterbrechung altes Recht gelte (ebenso OLG Düsseldorf NZV 1999, 260).
Das Kammergericht hat deshalb die Sache (durch Beschluß vom 17. Dezember 1998 = NStZ 1999, 193) gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
„Ist die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Bußgeldbescheid, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 156) am 1. März 1998 erlassen worden war, nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung nach altem oder neuem Recht zu beurteilen?”
Der Generalbundesanwalt ist in seiner Stellungnahme der Auffassung des vorlegenden Gerichts entgegengetreten.
II.
Die Voraussetzungen für die Vorlegung gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG sind erfüllt.
An der beabsichtigten Entscheidung ist das Kammergericht gehindert, wenn – entsprechend der Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Oberlandesgerichts Brandenburg – für die Bestimmung des Zeitpunktes, in dem die Unterbrechung der Verjährung durch einen Bußgeldbescheid in den in Frage stehenden Fällen wirksam wird, altes Recht maßgeblich wäre.
Auf die vorgelegte Rechtsfrage käme es allerdings nicht an, wenn nicht die dreimonatige Verjährungfrist des § 26 Abs. 3 1. Halbsatz StVG Gültigkeit hätte, sondern die sechsmonatige Frist des § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG; denn dann könnte das Kammergericht das Verfahren auch unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung ohnehin nicht wegen Verjährung einstellen. Das ist indes nicht der Fall: Zwar beträgt die Verjährungsfrist nach dieser Vorschrift sechs Monate, „wenn ein Bußgeldbescheid ergangen” ist. Auch wurde diese Bedingung unter der Geltung des alten Rechts so verstanden, daß die sechsmonatige Verjährungsfrist ab dem Erlaß des Bußgeldbescheids gelte (Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 34. Aufl. § 26 StVG Rdn. 7; Mühlhaus/Janiszewski StVO 14. Aufl. § 26 StVG Rdn. 4). Daran kann aber jedenfalls nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 26. Januar 1998 mit Blick auf die Neuregelung der Verjährungsunterbrechung in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG nicht uneingeschränkt festgehalten werden:
Indem diese Vorschrift die verjährungsunterbrechende Wirkung des Bußgeldbescheids nur für den Fall an dessen Erlaß knüpft, daß die Zustellung binnen zwei Wochen nach diesem Zeitpunkt erfolgt, im übrigen an die Zustellung, macht sie zugleich eine Änderung der Auslegung des § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG erforderlich. Dem erklärten Sinn und Zweck der Änderung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG, nämlich die Verwaltungsbehörden zu einer zügigen Erledigung anzuhalten, auf diese Weise der Beschleunigung zu dienen und die Rechtssicherheit zu fördern (BTDrucks. 13/3691, S. 7, und 13/8655, S. 12), würde es ersichtlich zuwiderlaufen, wenn die Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate nach § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG unabhängig von dem Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids bereits mit dessen Erlaß einträte (so aber Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. § 26 StVG Rdn. 7). Eine § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 n.F. OWiG berücksichtigende Auslegung des § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG, die die Rechtsfolgen der beiden Vorschriften sinnvoll aufeinander abstimmt, kann nur dahin gehen, daß der Bußgeldbescheid – mit der Folge der Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate ab diesem Zeitpunkt – mit seinem Erlaß nur dann „ergangen” ist, wenn er binnen zwei Wochen zugestellt wird (so auch das Kammergericht im Vorlegungsbeschluß NStZ 1999, 513, 514; ebenso BayObLG NZV 1999, 433, 434; AG Bielefeld NZV 1999, 266; Gübner NZV 1998, 230, 235 und 1999, 434, 435).
Erfolgt die Zustellung dagegen – wie hier – später, so beginnt die sechsmonatige Verjährungsfrist erst mit diesem Ereignis. Das gilt auch dann, wenn im Zeitraum zwischen Erlaß des Bußgeldbescheids und seiner Zustellung andere verjährungsunterbrechende Maßnahmen getroffen werden. Der insoweit abweichenden Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (NZV 1999, 433), die Verlängerung der Verjährungsfrist werde in diesen Fällen „mit der ersten nach Erlaß des Bußgeldbescheids vorgenommenen Unterbrechung der bis dahin geltenden dreimonatigen Frist wirksam”, kann nicht gefolgt werden:
Diese Auslegung des § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG findet – entgegen der Annahme des Bayerischen Obersten Landesgerichts (NZV aaO S. 434) – im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Die Norm stellt ausschließlich auf den Bußgeldbescheid ab; von anderen verjährungsunterbrechenden Maßnahmen ist in ihr nicht die Rede. Hinzu kommt, daß die Anknüpfung der Verjährungsverlängerung an beliebige verjährungsunterbrechende Maßnahmen zwischen Erlaß des Bußgeldbescheids und seiner Zustellung mit dem Beschleunigungsanliegen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 n.F. OWiG ebensowenig in Einklang zu bringen ist wie das ausnahmslose Abstellen auf den Zeitpunkt des Erlasses. Die Bußgeldstellen würden etwa durch die vorläufige Einstellung des Verfahrens nicht nur eine Unterbrechung der dreimonatigen Verjährung erreichen – wie es dem Gesetz entspricht, sofern diese Maßnahme rechtzeitig erfolgt. Sie würden sich zugleich die Möglichkeit verschaffen, der Beschleunigung des Verfahrens im weiteren weniger Aufmerksamkeit widmen zu müssen, als es der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG erreichen wollte. Nachfolgende weitere Unterbrechungshandlungen müßten nicht mehr innerhalb von drei Monaten nach der letzten wirksamen Unterbrechung vorgenommen werden; vielmehr hätten die Bußgeldstellen für eine erneute verjährungsunterbrechende Tätigkeit sechs Monate Zeit.
Gegen die Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts spricht schließlich auch der Sinn und Zweck der Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG. Anlaß für die Einfügung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 7. Juli 1986 (BGBl. I S. 977) war, daß sich die bis dahin in Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten durchgehend geltende kurze – dreimonatige – Verjährungsfrist zwar für das „summarische Vorverfahren” bewährt, für das „Verfahren nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid” aber häufig als zu kurz erwiesen hatte. Der Gesetzgeber hatte beobachtet, daß „wegen der hier notwendig werdenden näheren Aufklärung des Sachverhalts … oft erheblich mehr Zeit für den Einzelfall benötigt” wird. Eine Verlängerung der Verjährungsfrist hielt er deshalb „vor allem im gerichtlichen Verfahren” für geboten, „das häufig eine Hauptverhandlung sowie mündliche Vernehmungen durch den ersuchten Richter usw. erfordert” (BRDrucks. 371/82 S. 40 f.). Auch diese Gründe für die Verlängerung der Verjährungsfrist nach dem „Ergehen” des Bußgeldbescheids lassen es sachgerecht erscheinen, diese Wirkung in Fällen einer „verspäteten” Zustellung erst dann eintreten zu lassen, wenn diese erfolgt; erst durch die Zustellung – und nicht schon durch die ihr gegebenenfalls vorausgehende erste „nach Erlaß des Bußgeldbescheids vorgenomme Unterbrechung der bis dahin geltenden dreimonatigen Frist” – wird nämlich der Übergang vom summarischen Vorverfahren zum weiteren Verfahren markiert.
Ausgehend von dieser Auslegung des § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG bestehen an der Entscheidungserheblichkeit der Vorlegungsfrage keine Zweifel.
III.
In der Sache ist die Vorlegungsfrage zu bejahen.
Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Bußgeldbescheid, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 156) erlassen worden war, ist nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 1. März 1998 (vgl. Berichtigung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze BGBl. 1998 I 340) nicht nach altem, sondern nach neuem Recht zu beurteilen.
1. Eine ausdrückliche Regelung der vorgelegten Frage hat das Änderungsgesetz nicht getroffen. Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes sieht zwar für mehrere Änderungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes in dem neugefaßten und ergänzten § 133 OWiG Übergangsvorschriften vor. Die Änderung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG ist aber nicht deren Gegenstand.
2. Die Anwendung neuen Rechts folgt indes aus allgemeinen Grundsätzen. Sie ist dabei unabhängig davon geboten, ob die Strafverfolgungsverjährung als reines Verfahrenshindernis, als sachlichrechtlicher Strafaufhebungsgrund oder als Hindernis gemischtrechtlicher Natur zu beurteilen ist (vgl. Jähnke in LK-StGB 11. Aufl. Vor § 78 Rdn. 7 ff m.w.N.).
Bei rein formell-rechtlicher Bedeutung der Verjährung ist § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 n.F. OWiG anwendbar, weil ein Verfahrenshindernis, das erst im Laufe eines Verfahrens eingetreten ist, ebenso zu berücksichtigen ist, wie wenn es von vornherein bestanden hätte. Sieht man in der Verfolgungsverjährung einen sachlichrechtlichen Aufhebungsgrund, so ergibt sich die Notwendigkeit, die verjährungsunterbrechende Wirkung eines Bußgeldbescheids auch dann nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 n.F. OWiG zu beurteilen, wenn dieser vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erlassen worden ist, aus § 4 Abs. 3 OWiG. Das nach dieser (§ 2 Abs. 3 StGB entsprechenden) Vorschrift im Falle einer Gesetzesänderung zwischen Tat und Entscheidung anzuwendende tätergünstigere Gesetz ist § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG in seiner neuen Fassung. Ist danach sowohl bei sachlichrechtlicher wie auch bei verfahrensrechtlicher Deutung des Wesens der Verfolgungsverjährung die Vorlegungsfrage zu bejahen, so kann das Ergebnis bei Annahme einer gemischtrechtlichen Natur kein anderes sein.
3. Soweit das Bayerische Oberste Landesgericht und das Oberlandesgericht Brandenburg einen ihre abweichende Auffassung stützenden allgemeinen Rechtsgrundsatz den Regelungen in Art. 155 Abs. 2 Satz 3 EGOWiG, Art. 309 Abs. 2 EGStGB und § 78c Abs. 5 StGB entnehmen wollen, kann ihnen nicht gefolgt werden.
Art. 155 Abs. 2 Satz 3 EGOWiG und § 78c Abs. 5 StGB scheiden als gesetzlicher Ausdruck des behaupteten allgemeinen Rechtsgedankens schon mit Blick auf ihren Regelungsgegenstand aus. Gegenstand beider Vorschriften ist nicht die hier zu beurteilende Frage, welches Recht in Übergangsfällen nach einer Änderung der gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer verjährungsunterbrechenden Verfahrenshandlung anzuwenden ist. Vielmehr befassen sie sich mit der Frage, ob nach einer gesetzlichen Verkürzung der Verjährungsfrist – unmittelbar oder als Folge einer Herabsetzung der für die Frist maßgebenden Strafdrohung – eine vor der Gesetzesänderung rechtzeitig vorgenommene Unterbrechungshandlung weiterhin auch dann als fristgerecht vorgenommen gilt, wenn sie nach neuem Recht verspätet wäre. Davon abgesehen hat der Gesetzgeber, indem er mit diesen Vorschriften festgelegt hat, daß eine Verkürzung der Verjährungsfrist einer einmal fristgerecht vorgenommenen Verjährungsunterbrechung nicht ihre Wirkung nimmt, daß also das alte, zum Zeitpunkt der Vornahme der Unterbrechungshandlung maßgebliche Recht insoweit fortgilt, auch nach seiner eigenen Einschätzung nicht etwa nur deklaratorisch zum Ausdruck gebracht, was sich als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch sonst verstanden hätte. Im Gegenteil: In der Begründung zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz wird – bezogen auf Art. 155 des Gesetzes (gleich Art. 145 in der Zählung des Entwurfs) – mit Blick auf „die allgemeinen Grundsätze des § 2 StGB über die zeitliche Geltung von Strafvorschriften, die nach § 3 des OWiG Entwurfs entsprechend gelten”, die Notwendigkeit der Vorschrift betont und ausgeführt, daß sich sonst „Zweifelsfragen … hinsichtlich der Verjährung ergeben (könnten), weil umstritten ist, ob die Vorschriften über die Verjährung als reines Verfahrensrecht anzusehen sind und ob das Rückwirkungsverbot für sie gilt” (BTDrucks. V/1319, S. 131 f.). Mit der Annahme, der Gesetzgeber habe nur einem ohnehin gültigen allgemeinen Rechtsgrundsatz Ausdruck verleihen wollen, ist diese Begründung nicht in Einklang zu bringen.
Die Übergangsregelung des Art. 309 Abs. 2 EGStGB betrifft – anders als Art. 155 Abs. 2 Satz 3 EGOWiG und § 78c Abs. 5 StGB – zwar die auch hier zu beurteilende Konstellation einer Änderung der gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen von Verjährungsunterbrechungshandlungen. Auch dieser Vorschrift kann aber kein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts entnommen werden, daß sich die Wirksamkeit der Unterbrechungshandlung stets nach dem zur Zeit ihrer Vornahme geltenden Recht zu beurteilen habe:
Abgesehen davon, daß sich eine einzelne Rechtsvorschrift – und zumal eine Übergangsvorschrift – allenfalls in Ausnahmefällen als überzeugender Beleg für einen allgemeinen Rechtsgrundsatz heranziehen lassen wird, steht dem, soweit es Art. 309 Abs. 2 EGStGB anbelangt, auch die Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs entgegen. Anlaß für die Norm war die grundlegende Änderung, die das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts in Bezug auf die Regelung der Verjährungsunterbrechung vorsah. Während nach altem Recht die Verjährung schlechthin durch jede richterliche Verfolgungshandlung unterbrochen wurde, sollte diese Wirkung nach neuem Recht ausschließlich bestimmten, im einzelnen aufgeführten Handlungen zukommen. Angesichts einer derartig umfassenden und tiefgreifenden Änderung der Verjährungsunterbrechung erscheint es nahezu selbstverständlich, daß der Gesetzgeber in Art. 309 Abs. 2 EGStGB die Aufrechterhaltung der Wirksamkeit von Unterbrechungshandlungen, die unter Geltung des alten Rechts vorgenommen worden waren, angeordnet und dies damit begründet hat, daß „eine rückwirkende Anwendung des neuen Rechts … insoweit praktisch gar nicht möglich” wäre (BTDrucks. 7/550, S. 461). Für die in Umfang und Inhalt eher geringfügige Änderung der Verjährungsunterbrechung durch das Gesetz zur Änderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 ergibt sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Handhabung der Übergangsfälle indes keineswegs.
4. Daß die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen vor dem 1. März 1998 erlassenen Bußgeldbescheid nach altem Recht zu beurteilen sei, läßt sich entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg (NJW 1998, 3069, 3070) schließlich auch nicht mit der Erwägung begründen, daß das Vertrauen von Verwaltung und Justiz, schon durch den Erlaß des Bußgeldbescheids – unabhängig von dessen alsbaldiger Zustellung – die Unterbrechung der Verjährung bewirkt zu haben, Schutz verdiene. Von den grundsätzlichen Bedenken abgesehen, denen die Berufung auf ein „schutzwürdiges Vertrauen” der Verfolgungsbehörden im Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts im Ansatz begegnen muß, kann der Gedanke auch sonst nicht überzeugen. Wenn nach neuem Recht die Verjährung bei „verspäteter” Zustellung des Bußgeldbescheids erst durch diese und nicht schon durch seinen Erlaß unterbrochen wird, so ist – mangels abweichender Übergangsregelung – nicht ersichtlich, warum diese Vergünstigung den Betroffenen in noch nicht abgeschlossenen Altfällen vorenthalten bleiben muß. Hat sich in solchen Verfahren die Zustellung des Bußgeldbescheids aus Gründen verzögert, die dem Einfluß der Bußgeldstelle entzogen waren, so fehlt für eine Differenzierung in der Verfolgung von Alt- und Neufällen auch aus ihrer Sicht von vornherein jeder Anlaß. Nichts anderes kann im Ergebnis aber auch dann gelten, wenn die verzögerte Zustellung ihre Ursache im Verantwortungsbereich der Bußgeldstelle hatte.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Tolksdorf, Kuckein, Athing
Fundstellen
Haufe-Index 540825 |
BGHSt |
BGHSt, 261 |
NJW 2000, 820 |
EBE/BGH 1999, 406 |
JR 2000, 342 |
NStZ 2000, 150 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2000, 9 |
wistra 2000, 102 |
DAR 2000, 74 |
MDR 2000, 208 |
NJ 2000, 208 |
NZV 2000, 131 |
VRS 2000, 210 |
VersR 2000, 248 |
BA 2001, 53 |