Leitsatz (amtlich)
Besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse sind auch solche Fachkenntnisse, die den Umgang mit und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken und Behinderten fördern, wie sie etwa durch die Ausbildung zum staatlich anerkannten Heilerziehungspfleger vermittelt werden (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 22.8.2012 - XII ZB 319/11 NJW-RR 2012, 1475).
Normenkette
VBVG § 4 Abs. 1 S. 2 in der bis zum 26.7.2019 geltenden Fassung
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Beschluss vom 06.03.2019; Aktenzeichen I-5 T 10/19) |
AG Schmallenberg (Beschluss vom 26.11.2018; Aktenzeichen 2 XVII 150/09) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Arnsberg vom 6.3.2019 aufgehoben.
Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des AG Schmallenberg vom 26.11.2018 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 68 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beteiligte zu 1) begehrt die Festsetzung seiner Betreuervergütung für den Zeitraum vom 24.4.2018 bis 23.7.2018 auf der Grundlage eines Stundensatzes von 33,50 EUR.
Rz. 2
Der Betroffene leidet an einer Hirnleistungsstörung und einer schizotypen Störung. Für ihn ist seit dem 12.11.2010 der Beteiligte zu 1), der über eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung als staatlich anerkannter Heilerziehungspfleger verfügt, als Berufsbetreuer bestellt mit dem Aufgabenkreis Vermögensangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Ämtern sowie der Befugnis zum Empfang von nicht offensichtlich privater Post. Für den gesamten Zeitraum der Betreuung bis 23.4.2018 wurde die Betreuervergütung auf der Grundlage eines Stundensatzes von 33,50 EUR im vereinfachten Verwaltungsweg zur Auszahlung angewiesen.
Rz. 3
Für den Zeitraum vom 24.4.2018 bis 23.7.2018 hat der Beteiligte zu 1) die Festsetzung der Betreuervergütung i.H.v. insgesamt 351,75 EUR auf der Grundlage eines Stundensatzes von 33,50 EUR beantragt.
Rz. 4
Das AG hat die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das LG die Vergütung auf der Grundlage eines Stundensatzes von 27 EUR auf 283,50 EUR herabgesetzt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde strebt der Beteiligte zu 1) die Wiederherstellung der Entscheidung des AG an.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen die Entscheidung des AG.
Rz. 6
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, aufgrund der beruflichen Qualifikation des Beteiligten zu 1) könne lediglich ein Stundensatz von 27 EUR angesetzt werden.
Rz. 7
Einen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG erhöhten Stundensatz erhalte der Berufsbetreuer nur, wenn die besonderen Kenntnisse, die für die Führung einer Betreuung nutzbar sind, durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare Ausbildung erworben worden seien.
Rz. 8
Für die Führung einer Betreuung nutzbar seien Fachkenntnisse, die ihrer Art nach betreuungsrelevant seien und den Betreuer befähigten, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen. Nicht nötig sei, dass die Fachkenntnisse für die Betreuung erforderlich seien, auch nicht, dass der Betreuer sie tatsächlich nutzen könne. Durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare Ausbildung seien die für die Betreuung nutzbaren besonderen Kenntnisse erworben, wenn der Kernbereich der Ausbildung auf die Vermittlung dieser Kenntnisse ausgerichtet sei.
Rz. 9
Dies sei bei dem Beruf des Heilerziehungspflegers nur insoweit gegeben, als der Betreuer mit dem Aufgabenbereich der Gesundheitssorge betraut sei. Denn von den insgesamt ca. 2.400 Unterrichtsstunden der staatlich anerkannten Fachschulausbildung entfielen 1.800 Stunden auf den fachrichtungsbezogenen Lernbereich, davon ca. 550 Stunden auf Theorie und Praxis der Heilerziehung, ca. 550 Stunden auf Gesundheit und Pflege, ca. 100 Stunden auf Psychiatrie und ca. 420 Stunden auf die kreativ-musischen, sprachlich-kommunikativen, gesundheits-bewegungsorientierten und organisatorisch-technologischen Bereiche. Damit würden Fachkenntnisse im Bereich der Gesundheitssorge vermittelt. Eine darüberhinausgehende Nutzbarkeit wegen der durch die Ausbildung erworbenen Kenntnisse im Bereich Organisation, Recht und Verwaltung sei dagegen nicht gegeben, da die Vermittlung dieser Kenntnisse nicht zum Kernbereich der Ausbildung gehöre. Denn nach der Stundentafel des vom Beteiligten zu 1) besuchten Berufskollegs entfielen auf diesen Bereich lediglich 80-120 Stunden des theoretischen Teils von insgesamt 2.400 Stunden.
Rz. 10
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 11
a) Ob ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG in der hier maßgeblichen bis zum 26.7.2019 geltenden Fassung (§ 12 VBVG) die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, unterliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgeblichen Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungsgesetze verletzt und die allgemeinen Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 29.1.2020 - XII ZB 530/19 FamRZ 2020, 787 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 12
b) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts, nach der der Beteiligte zu 1) die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Stundensatzes gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG a.F. nicht erfüllt, nicht stand.
Rz. 13
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG a.F. beträgt der Stundensatz eines Berufsbetreuers 33,50 EUR, wenn der Betreuer über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, und diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind. Dies ist hier entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts der Fall.
Rz. 14
aa) Besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG a.F. sind solche, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohle des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen (vgl. BGH, Beschl. v. 29.1.2020 - XII ZB 530/19 FamRZ 2020, 787 Rz. 10 m.w.N.; vgl. auch BT-Drucks. 13/7158, 14 f.).
Rz. 15
Solche Kenntnisse sind im Hinblick darauf, dass es sich bei der Betreuung um eine rechtliche Betreuung handelt, regelmäßig Rechtskenntnisse. Darüber hinaus sind angesichts der Pflichten des Betreuers, auf den Willen des Betreuten einzugehen, um seine Wünsche zu erkennen und ihnen weitgehend zu entsprechen (§ 1901 Abs. 2, Abs. 3 BGB), auch Fachkenntnisse, die den Umgang mit und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken und Behinderten fördern, als für die Betreuung nutzbar anzusehen (BGH, Beschl. v. 22.8.2012 - XII ZB 319/11 NJW-RR 2012, 1475 Rz. 17 m.w.N.). Ebenso sind Fachkenntnisse, die die Betreuung für einen Aufgabenbereich erleichtern, wie medizinische Kenntnisse für den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge und wirtschaftliche Kenntnisse im Bereich der Vermögenssorge, für die Betreuung nutzbar (vgl. BGH, Beschl. v. 22.8.2012 - XII ZB 319/11 NJW-RR 2012, 1475 Rz. 17 m.w.N.).
Rz. 16
Dabei ist nicht notwendig, dass diese Fachkenntnisse für die Führung der Betreuung erforderlich sind und vom Betreuer konkret genutzt werden; vielmehr ist die potentielle Nützlichkeit der Fachkenntnisse ausreichend (vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.2012 - XII ZB 461/10 - juris Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 17
Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG a.F. rechtfertigen besondere betreuungsrelevante Kenntnisse eines Betreuers einen höheren Stundensatz jedoch nur, wenn sie durch eine abgeschlossene Lehre oder vergleichbare Ausbildung erworben wurden. Davon ist auszugehen, wenn ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet ist und dadurch das erworbene betreuungsrelevante Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht. Erforderlich ist daher, dass die Ausbildung in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist. Wissen, das durch Lebenserfahrungen, Fortbildungen oder Berufspraxis erworben wurde, führt ebenso wenig zu einer erhöhten Vergütung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG a.F. wie betreuungsrelevante Kenntnisse, die gleichsam nur am Rande der Ausbildung vermittelt wurden (vgl. BGH, Beschl. v. 29.1.2020 - XII ZB 530/19 FamRZ 2020, 787 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 18
bb) Hiervon ausgehend hat das Beschwerdegericht zu Unrecht die dem Beteiligten zu 1) durch die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger vermittelten Kenntnisse als nicht betreuungsrelevant bewertet.
Rz. 19
Zwar ist das Beschwerdegericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass durch die Ausbildung zum staatlich anerkannten Heilerziehungspfleger besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG a.F. vermittelt werden, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen.
Rz. 20
Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht indessen angenommen, dass diese Fachkenntnisse einen erhöhten Stundensatz des Berufsbetreuers nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG a.F. nur in den Fällen rechtfertigen könnten, in denen auch die Gesundheitssorge zum Aufgabenkreis des Betreuers gehöre. Dies nimmt nicht ausreichend in den Blick, dass die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger nach den in Bezug genommenen Feststellungen des AG ein umfangreiches Wissen speziell über Behinderung, Pflege, Erziehung, Förderung und Begleitung solcher Personengruppen vermittelt, die von Behinderung bedroht oder (mehrfach) behindert sind. Danach handelt es sich um Fachkenntnisse, die den Umgang mit und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken und Behinderten fördern und mithin als für die Betreuung nutzbar anzusehen sind.
Rz. 21
cc) Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Da unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
Rz. 22
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
FuR 2021, 107 |
BtPrax 2021, 39 |
JZ 2021, 50 |
MDR 2021, 262 |
Rpfleger 2021, 220 |
FF 2021, 39 |