Entscheidungsstichwort (Thema)
Falsche Adresse auf Berufungsschrift. Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten. Berufungsfrist
Leitsatz (redaktionell)
Der Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwisen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Magdeburg v. 30.8.2002 aufgehoben.
Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des AG Magdeburg v. 27.6.2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 1.330,02 EUR.
Gründe
I.
Durch Urt. v. 27.6.2002 hat das AG die auf Zahlung von 1.076,60 DM nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage des Beklagten zur Zahlung von 779,57 Euro (= 1.524,70 DM) nebst Zinsen verurteilt. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 2.7.2002 zugestellt worden. Mit einem an das AG gerichteten Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten v. 1.8.2002 hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist per Telefax am gleichen Tag beim AG eingegangen und von dort an das LG weitergeleitet worden, wo er am 6.8.2002 eingetroffen ist.
Auf den Hinweis des LG, dass die Berufung nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist beim zuständigen LG eingegangen sei, hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten innerhalb von zwei Wochen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung hat er vorgetragen: Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Versehen einer seit 1971 in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten beschäftigten und sonst sehr zuverlässigen Büroangestellten. Diese habe die Berufungsschrift falsch an das AG adressiert. Der Prozessbevollmächtigte habe dies bei der Unterzeichnung bemerkt und die Angestellte angewiesen, die Adresse zu berichtigen und die Berufungsschrift an das LG zu senden. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund habe die Angestellte die Anweisung jedoch nicht ausgeführt. Diesen Vortrag hat der Kläger durch eine eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten glaubhaft gemacht.
Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufsfrist gehindert gewesen. Sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müsse, habe versäumt, die Berufungsschrift nach der von ihm angeordneten Korrektur erneut auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu kontrollieren. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1i. V. m. § 238 Abs. 2 S. 1 und § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft. Sie ist weiter nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Auch im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde zulässig (§ 575 ZPO), nachdem der Senat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt hat. Auf die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 4.9.2002 - VIII ZB 23/02, BGHReport 2002, 1113 = WM 2003, 554 unter II 1 b).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Kläger auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag gem. §§ 233 ff. ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen. Damit ist die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig durch das LG gegenstandslos.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ein dem Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass sich dieser die Berufungsschrift nach der von ihm angeordneten Berichtigung der falschen Adressierung an das AG nicht noch einmal zur Kontrolle hat vorlegen lassen. Zwar trägt der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Insofern muss er sich - wie hier auch geschehen - bei der Unterzeichnung davon überzeugen, dass sie zutreffend adressiert ist. Der Anwalt darf aber andererseits grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich - wie hier - bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Es kann ihm auch nicht als Verschulden zugerechnet werden, dass er den Schriftsatz vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet (BGH, Beschl. v. 27.2.2003 - III ZB 82/02, BGHReport 2003, 511m. w. N. = MDR 2003, 763).
Aus den vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des BGH ergibt sich nichts Anderes. Vielmehr hat der Senat in dem Beschl. v. 10.2.1982 (BGH, Beschl. v. 10.2.1982 -VIII ZB 76/81, VersR 1982, 471 = NJW 1982, 2670 unter 2b ee) ebenso wie in dem dort zitierten Beschl. v. 4.11.1981 (BGH, Beschl. v. 4.11.1981 - VIII ZB 59/81, VIII ZB 60/81, VersR 1982, 190 = NJW 1982, 2670 unter 2 b) ausgesprochen, dass die Anforderungen an die Sorgfalt des Prozessbevollmächtigten überspannt würden, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestünden, die Vornahme der angeordneten einfachen Korrektur der falschen Adressierung kontrolliere. In dem Beschl. v. 6.5.1992 (BGH, Beschl. v. 6.5.1992 - XII ZB 39/92, VersR 1993, 79) hat der BGH offen gelassen, ob der Rechtsanwalt wegen der von ihm angeordneten erheblichen Änderungen zu einer Kontrolle verpflichtet war. Er hat lediglich angenommen, dass ein Rechtsanwalt dann schuldhaft handelt, wenn er den ihm zum zweiten Mal vorgelegten und erneut fehlerhaften Berufungsschriftsatz unterzeichnet, ohne ihn zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Soweit der BGH schließlich in einem - vom Berufungsgericht nicht erwähnten - Fall entschieden hat, der Anwalt dürfe auch bei einer zuverlässigen Kanzleikraft nicht darauf vertrauen, dass die von ihm mündlich angeordneten Korrekturen in der bereits unterschriebenen Rechtsmittelschrift vollständig und richtig ausgeführt werden, lag dem die Besonderheit zu Grunde, dass der Schriftsatz mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler enthielt. Anders als hier war dort nicht nur die vollständige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu korrigieren, sondern auch Datum und Aktenzeichen des angefochtenen Urteils. In diesem Sonderfall hat der BGH unter ausdrücklicher Abgrenzung zu den vorgenannten Senatsbeschlüssen v. 4.11.1981 und 10.2.1982 (BGH, Beschl. v. 4.11.1981 - VIII ZB 59/81, VIII ZB 60/81, VersR 1982, 190 = NJW 1982, 2670 unter 2b; Beschl. v. 10.2.1982 -VIII ZB 76/81, VersR 1982, 471 = NJW 1982, 2670 unter 2b ee) wegen der Häufung der Fehler eine Überprüfung durch den Anwalt für erforderlich erachtet, ob die nur mündlich erteilten Weisungen vor Abgang nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch vollständig ausgeführt worden waren (BGH, Beschl. v. 18.10.1994 - XI ZB 10/94, MDR 1995, 529 = NJW 1995, 263 = VersR 1995, 558 unter II).
Fundstellen
Haufe-Index 982561 |
FamRZ 2003, 1650 |
BRAK-Mitt. 2003, 266 |
NJOZ 2003, 2736 |