Tenor
1. Das Revisionsverfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes wird die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob in Prozessen mit Vertretungszwang bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übermittlung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten (sog. Computerfax) eingereicht werden können.
Gründe
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid über 49.379,11 DM erwirkt, den das Landgericht nach Einspruch der Beklagten aufrechterhalten hat. Die Begründung der dagegen gerichteten Berufung wurde am letzten Tag der Frist durch sogenanntes Computerfax mit eingescannter Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten übermittelt. Eine inhaltsgleiche vom Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung ging am folgenden Tage ein.
II.
1. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NJW 1998, 1650 f. abgedruckt ist, hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Rechtsmittel sei nicht rechtzeitig begründet worden. Die durch Computerfax übermittelte Begründung sei wegen fehlender Unterzeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten unwirksam. Der am nächsten Tag übermittelte Schriftsatz sei nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangen.
2. Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts und möchte deshalb die nach § 547 ZPO unbeschränkt zulässige Revision zurückweisen. Er würde damit jedoch von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts abweichen.
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat durch Beschluß vom 15. Oktober 1996 (14 BEg 9/96 = MDR 1997, 374) entschieden, daß das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift bei einer mittels PC-Modem an das Telefax-Empfangsgerät des Landessozialgerichts geleiteten Berufung nicht zur Formunwirksamkeit führe. Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seinem Beschluß vom 19. Dezember 1994 (5 B 79/94 = NJW 1995, 2121) entschieden, daß eine Klageerhebung durch Btx-Mitteilung die Schriftform des § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO trotz Fehlens einer Unterschrift wahre. Beide Gerichte stützen sich auf die von der Rechtsprechung im Interesse der Nutzung des technischen Fortschritts bisher bereits zugelassenen Ausnahmen von den Erfordernissen einer eigenhändigen Unterschrift. Sie lassen es deshalb genügen, daß sich aus dem bestimmenden Schriftsatz selbst oder in Verbindung mit den ihn begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt, ohne daß darüber Beweis erhoben werden müßte.
3. Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar auf unterschiedliche Gesetzesvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG und § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Regelungsgegenstand ist jedoch jeweils ein allgemeiner Rechtsgrundsatz: Das Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze. Die unterschiedliche Auslegung dieses Grundsatzes macht eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 RsprEinhG notwendig (vgl. BGHZ 9, 170, 181 für das Verfahren nach § 136 GVG a.F.; Schulte, Rechtsprechungseinheit als Verfassungsauftrag, S. 100 f.). Die Tatsache, daß in Verfahren nach § 78 ZPO eine strengere Handhabung von Formvorschriften gerechtfertigt sein kann als etwa in sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten (vgl. BGHZ 75, 340, 345, 347), läßt jedenfalls in Prozessen mit Vertretungszwang – nach § 78 Abs. 1 ZPO, § 67 Abs. 1 VwGO und § 166 Abs. 1 SGG – unterschiedliche Anforderungen an bestimmende Schriftsätze nicht sachgerecht erscheinen. Soweit der Vertretungszwang sich auf Anwälte bezieht, verbieten sich divergierende Ansprüche an die Schriftform von selbst. Daran vermag die Zulässigkeit der Vertretung durch andere Personen in einzelnen Verfahrensordnungen nichts zu ändern.
III.
Nach Ansicht des erkennenden Senats ist in Verfahren mit Vertretungszwang die Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes mittels Computerfax nicht zulässig, weil ein per Computerfax versandtes Schreiben nicht eigenhändig von dem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben werden kann.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes, daß bestimmende Schriftsätze grundsätzlich eigenhändig von der postulationsfähigen Person unterschrieben sein müssen (vgl. RGZ 119, 62, 63; RGZ 151, 82, 84 f.; Senatsbeschluß vom 8. Oktober 1991 - XI ZB 6/91, NJW 1992, 243; BGH, Beschluß vom 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097; BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - IX ZR 24/97, VersR 1998, 340 m.w.Nachw.; BAG, Urteil vom 27. März 1996 - 5 AZR 576/94, NJW 1996, 3164; BVerwG, Beschluß vom 27. Oktober 1961 - VI B 2, 7/61, NJW 1962, 555; Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 40/87, NJW 1989, 1175 f.; BSG, Beschluß vom 24. Februar 1992 - 7 BAr 86/91, Breithaupt 1992, 787 f.; Urteil vom 20. Dezember 1990 - 4 REg 41/89, SozSich 1991, 222 (Leitsatz); BFH, Urteil vom 7. August 1974 - II R 169/70, DB 1975, 88).
Im Prozeß mit Vertretungszwang sind die Urschriften derjenigen Schriftsätze, mit deren Einreichung eine wesentliche, den Gang des Verfahrens bestimmende Prozeßhandlung vorgenommen wird (bestimmende Schriftsätze), vom Prozeßbevollmächtigten handschriftlich zu unterzeichnen. Fehlt die Unterschrift, so ist die Prozeßhandlung nicht wirksam vorgenommen (BGH, Beschluß vom 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097; BGHZ 101, 134, 136 ff.). Damit soll von vornherein möglichst jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, ob diese für den Gang des Verfahrens wesentlichen Prozeßhandlungen von der nach dem Gesetz allein befugten Person vorgenommen sind. Würde man vom Erfordernis eigenhändiger Unterschrift absehen, so wäre nicht auszuschließen, daß ein bloßer Entwurf, der gegen den Willen des Anwalts versehentlich bei Gericht eingereicht worden ist, als ordnungsmäßige Schrift behandelt wird (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1975 - VII ZR 123/75, NJW 1976, 966 f.; BGHZ 92, 251, 254). - Deswegen kann mit einem Unterschriftsstempel (Faksimile) nicht wirksam unterschrieben werden (vgl. RGZ 119, 62, 63; BGHZ 57, 160, 164; BGH, Urteile vom 29. Mai 1962 - I ZR 137/61, NJW 1962, 1505, 1507 und vom 18. Dezember 1975 - VII ZR 123/75, NJW 1976, 966, 967; Beschluß vom 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097). Das Hinzufügen einer im Computer abgespeicherten Unterschrift oder deren Einscannen sind nicht anders zu werten als ein solches Faksimile (vgl. Melullis MDR 1994, 109, 110).
2. Es ist zwar zulässig, bestimmende Schriftsätze mittels Telefax einzureichen. Um dem Gebot der eigenhändigen Unterschrift zu genügen, muß aber die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben worden sein und diese Unterschrift auf der bei Gericht eingehenden Kopie wiedergegeben werden (vgl. BGH, Beschluß vom 11. Oktober 1989 - IVa ZB 7/89, WM 1989, 1820, 1821; Beschluß vom 20. September 1993 - II ZB 10/93, NJW 1993, 3141; Beschluß vom 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097; BAG, Urteil vom 27. März 1996 - 5 AZR 576/94, NJW 1996, 3164; Ebnet NJW 1992, 2985, 2987; Eckert/Scalia DStR 1996, 1608, 1611; Pape/Notthoff NJW 1996, 417, 419).
Das vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten versandte Computerfax entspricht diesen Anforderungen nicht. Anders als beim Versand von einem herkömmlichen Telefaxgerät bedarf es beim Computerfax keines körperlichen Originalschriftstücks. Es ist keine Kopiervorlage vorhanden, die der Anwalt unterzeichnen könnte. Der Text erhält erst beim Ausdruck durch das Telefaxgerät des Empfängers erstmalig eine körperliche Gestalt. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Absender den Text zuvor selbst ausdruckt. Denn auch dann erreicht den Empfänger keine Kopie dieses Schriftstückes, sondern es werden nur die im Computer gespeicherten Zeichen versandt, die beim Empfänger in einen entsprechenden Ausdruck umgesetzt werden. Augenfällig wird das hier durch die Unterschiede in Schriftbild, Format und Briefkopf der beiden am 4. und 5. November 1997 eingegangenen Begründungsschriften.
3. Der Senat verkennt nicht, daß die Rechtsprechung das Schriftformerfordernis im Interesse einer vollen Ausnutzung von Fristen schon sehr früh relativiert hat, indem sie die telegrafische Rechtsmittelbegründung sogar bei telefonischer Aufgabe des Telegramms (RGZ 139, 45, 47 f.; auch RAG 3, 252, 254 und BGHSt 8, 174, 176 f.) und die fernschriftliche Rechsmitteleinlegung (BGHZ 65, 10, 11; 101, 276, 279 f.) zuließ, obwohl in beiden Fällen ein unterschriebenes Original nicht existiert. Diese Ausnahmen für relativ seltene – inzwischen kaum noch praktische – Einzelfälle reichen jedoch aus, dem Interesse an einer extensiven Ausnutzung der gesetzlichen Klage- und Rechtsmittelfristen Rechnung zu tragen. Sie sind kein Grund, die vom Gesetzgeber aus wohlerwogenen Gründen vorgeschriebene Schriftform völlig aufzugeben, indem ohne Not ein jedermann zugängliches technisches Verfahren als die Schriftform wahrend anerkannt wird, das im Prinzip die Verwendung eines elektronischen Faksimile-Stempel darstellt.
Die Zulassung des Computerfaxverfahrens würde – ebenso wie diejenige des Btx-Verfahrens (heute: T-Online) – zur massenhaften Benutzung dieser einfachen technischen Möglichkeit führen und die Rechtsprechung zur Nichtanerkennung eines Faksimile-Stempels als Unterschriftersatz nicht länger vertretbar erscheinen lassen. Das Schriftformerfordernis wäre damit de facto aufgegeben.
Dazu besteht kein Anlaß. Das jedermann – insbesondere jedem Rechtsanwalt – zur Verfügung stehende Telefax-Verfahren erlaubt die rasche Übermittlung ordnungsgemäß unterzeichneter bestimmender Schriftsätze auch außerhalb der Dienststunden und damit die Ausnutzung von Klage- und Rechtsmittelfristen bis zum Ende des Tages, an dem die jeweilige Frist abläuft. Die zusätzliche Zeitersparnis, die durch die unmittelbare Übermittlung der den Schriftsatz enthaltenden Datei durch Computerfax oder e-mail erzielt wird, ist so geringfügig, daß sie die erheblichen Gefahren und Manipulationsmöglichkeiten, die durch den notwendigen Verzicht auf die Unterschrift des allein postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten geschaffen werden, nicht aufwiegt (vgl. auch BAG NJW 1996, 3164, 3165). Die Voraussetzungen einer Gleichstellung von nicht verkörperten, durch Datenübertragung vermittelten Mitteilungen mit eigenhändig unterzeichneten Schriftstücken sind vom Gesetzgeber zu bestimmen. Es ist seine Aufgabe, in Abstimmung mit den beteiligten Wirtschaftskreisen auf supranationaler Ebene die Voraussetzungen festzulegen, die im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs für eine Gleichstellung zu erfüllen ist. Der durch die Bedürfnisse eines effektiven Rechtsschutzes nicht gebotene voraussetzungslose faktische Verzicht auf die im Gesetz vorgeschriebene Schriftform im Prozeßrecht überschreitet nach Auffassung des Senats die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.
Unterschriften
Schimansky, Dr. Siol, Nobbe, Dr. van Gelder, Dr. Müller
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.09.1998 durch Bartholomäus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 541124 |
CR 1999, 144 |
FA 1999, 93 |
WM 1998, 2301 |
ZAP 1998, 1206 |
ZAP 1998, 1271 |
AP, 0 |
DVP 2002, 261 |
VersR 1999, 465 |
MittRKKöln 1999, 60 |
SozSi 1999, 222 |