Leitsatz (amtlich)
›Über einen erstmalig im Verfahren der weiteren Beschwerde vor dem Bundesgerichtshof gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde bei dem Oberlandesgericht in einer Familiensache entscheidet der Bundesgerichtshof.‹
Verfahrensgang
AG Lingen (Ems) |
OLG Oldenburg (Oldenburg) |
Tatbestand
Die Eheleute O sind seit dem Jahre 1975 rechtskräftig geschieden. Die elterliche Gewalt über ihre sieben ehelichen Kinder wurde durch Gerichtsbeschluß vom 5. Februar 1976 dem in Lingen (Ems) wohnenden Vater übertragen. Die Kinder k, E und J wohnen beim Vater; P, K und H sind bei Pflegeeltern, R ist in einem Evangelischen Stift untergebracht.
Durch Beschluß vom 3. Oktober 1977 wies das Amtsgericht - Familiengericht - Lingen (Ems) die Anträge der Mutter auf Übertragung des Personensorgerechts für die Kinder P, K und H auf sie zurück; die Beschwerde der Mutter wurde durch Beschluß des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. April 1978 zurückgewiesen.
Durch Beschluß vom 5. Mai 1979 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Lingen (Ems) das Besuchsrecht der in Bremerhaven wohnenden Mutter für P, K, H und R für die Dauer von drei Jahren ausgeschlossen und das Besuchsrecht der Mutter für K, E und J in den Sommerferien geregelt. Die Entscheidung wurde der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Mutter am 16. Mai 1979 in Bremerhaven zugestellt. Mit einem an das Amtsgericht Lingen (Ems) gerichteten Schreiben vom 28. Juni 1979, bei dem es am 2. Juli 1979 einging, bat die Mutter, die sich wiederum nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ließ, "in Abänderung des Beschlusses vom 5. Mai 1979" um eine anderweitige Besuchsregelung für die Sommerferien. Mit einem von der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts - Familiengericht - in Bremerhaven aufgenommenen Antrag vom 9. Juli 1979 (bei dem Amtsgericht Lingen am 11. Juli 1979 und bei dem Oberlandesgericht Oldenburg am 16. Juli 1979 eingegangen) legte die Mutter gegen den Beschluß vom 5. Mai 1979 in vollem Umfange Beschwerde ein. Durch Beschluß vom 19. Juli 1979 hat das Oberlandesgericht die Beschwerde wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen. Die Entscheidung wurde der Mutter am 24. Juli 1979 zugestellt. Gegen sie richtet sich die am 23. August 1979 bei dem Bundesgerichtshof formgerecht eingelegte weitere Beschwerde der Mutter; mit ihr begehrt sie zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Lingen (Ems) vom 5. Mai 1979. Sie macht geltend, sie habe von dem rechtlichen Geschehen, in das sie hineingezogen worden sei, keine Vorstellung gehabt. Das könne auch dem Familiengericht Lingen (Ems) nicht entgangen sein. Es wäre daher wenigstens ein Gebot der Menschlichkeit gewesen, ihr mit dem Beschluß vom 5. Mai 1979 eine Rechtsbelehrung über die Beschwerdefrist zu geben, auch wenn eine solche Belehrung bisher nicht gesetzlich vorgesehen sei.
Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Der Wiedereinsetzungsantrag konnte allerdings noch im Verfahren über die weitere Beschwerde gestellt werden. Gemäß § 237 ZPO entscheidet zwar über den Antrag auf Wiedereinsetzung grundsätzlich das Gericht, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozeßhandlung zusteht; das wäre hier das Oberlandesgericht, das über die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluß des Amtsgerichts (Familiengericht) zu entscheiden hatte. Von dieser Regel gibt es indessen Ausnahmen. Über einen vom Berufungsgericht übergangenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist oder Berufungsbegründungsfrist entscheidet nach Einlegung der Revision das Revisionsgericht (vgl. BGHZ 7, 280, 283, 284 = NJW 1953, 504). Wenn das Berufungsgericht in einem besonderen, nicht angefochtenen und auch nicht selbständig anfechtbaren Beschluß die Wiedereinsetzung gewährt hatte, konnte vor Einfügung des Absatzes 3 in § 238 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 das Revisionsgericht von sich aus die Frage der Wiedereinsetzung prüfen und anderweitig entscheiden (BGHZ 6, 369, 370, 371 = NJW 1952, 1137; siehe auch BGH LM ZPO § 233 Nr. 8 = MDR 1951, 732). In beiden Fällen ist (war) die Wiedereinsetzungsfrage Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung und aus diesem Grunde von Amts wegen zu prüfen. Das gleiche gilt aber auch dann, wenn der Wiedereinsetzungsantrag erst in der Revisionsinstanz gestellt wird, weil auch hier die Wiedereinsetzung Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung ist (BGH , Urteil vom 14. Januar 1953 - VI ZR 50/52 -, in BGHZ 8, 303 und NJW 1953, 622 insoweit nicht abgedruckt). Diese Rechtsgrundsätze sind auf das Verfahren der Beschwerde und der weiteren Beschwerde entsprechend anzuwenden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde kann der Mutter indessen nicht gewährt werden, weil die Voraussetzungen des § 233 ZPO nicht erfüllt sind. Es ist weder dargetan noch glaubhaft gemacht, daß die Mutter die Beschwerdefrist ohne ihr Verschulden versäumt hat. Sie kann sich nicht darauf berufen, daß das Familiengericht sie anläßlich der Zustellung nicht über die Beschwerdefrist belehrt habe. Bei den der Zivilprozeßordnung unterliegenden (anfechtbaren) Entscheidungen, zu denen auch der vorliegende Fall gehört (§ 621 e ZPO), ist eine Rechtsmittelbelehrung nicht gesetzlich vorgeschrieben; sie ist auch nicht üblich. Es ist Sache einer juristisch nicht vorgebildeten Partei, der eine ihr ungünstige Gerichtsentscheidung zugestellt wird, sich alsbald nach der Form oder der Frist eines Rechtsmittels zu erkundigen, selbst wenn sie noch nicht sogleich zur Einlegung des Rechtsmittels entschlossen ist (BGH LM BEG § 218 Nr. 1 = NJW/RzW 1957, 204; vgl. auch BGHZ 42, 223, 229). Die Mutter hat keine erheblichen Umstände vorgetragen, aus denen sich ergäbe, daß sie hierzu ohne ihr Verschulden nicht in der Lage gewesen sei. Sie hätte sich z. B. ohne weiteres bei dem Amtsgericht ihres Wohnsitzes in Bremerhaven (mündlich) oder bei dem erstinstanzlichen Gericht in Lingen (schriftlich) insbesondere nach der Beschwerdefrist erkundigen können. Es kann auch keine Rede davon sein, daß sie von dem rechtlichen Geschehen keine Vorstellung gehabt habe und deshalb entschuldigt sei, wie die Beschwerdebegründung meint. Die Mutter war durchaus in der Lage, die Notwendigkeit einer Erkundigung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Das ergibt sich eindeutig aus verschiedenen von ihr eigenhändig geschriebenen Eingaben, die nach Wortlaut und Inhalt eine fast durchweg gute Rechtschreibung, eine klare Ausdrucksweise und eine ausgeprägte Zielstrebigkeit erkennen lassen (insbesondere: fünf Schreiben an das Amtsgericht jeweils vom 19. März 1979 sowie ein Schreiben an das Oberlandesgericht vom 5. August 1979 und ein weiteres Schreiben an ihren Prozeßbevollmächtigten vom 20. August 1979). Infolgedessen besteht auch kein tatsächlicher Anlaß, der Mutter nachzusehen, daß sie sich nicht auf die bezeichnete Weise erkundigt hat.
Kann aber der Mutter die Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, dann hat das Oberlandesgericht die Beschwerde mit Recht wegen Verspätung als unzulässig verworfen.
Infolgedessen war die weitere Beschwerde der Mutter als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2992701 |
NJW 1980, 1168 |
FamRZ 1980, 347 |
DAVorm 1980, 292 |