Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Werterhöhung durch vorprozessuale Geschäftsgebühr für wettbewerbsrechtliche Abmahnung bei deren Abhängigkeit zur Hauptforderung
Leitsatz (amtlich)
Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken nicht werterhöhend unabhängig davon, ob diese Kosten der Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines eigenen Antrags sind.
Normenkette
ZPO § 4 Abs. 1; RVG § 23 Abs. 1; GKG § 43 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Duisburg (Beschluss vom 23.02.2006; Aktenzeichen 12 S 4/06) |
AG Duisburg (Entscheidung vom 07.12.2005; Aktenzeichen 53 C 2931/05) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Duisburg vom 23.2.2006 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 577,20 EUR
Gründe
[1] I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Reisepreisminderung und Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit i.H.v. 577,20 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Daneben begehrt sie den Ersatz des auf die Verfahrensgebühr nicht anrechenbaren Teils der vorprozessualen Geschäftsgebühr ihres Prozessbevollmächtigten i.H.v. 40,72 EUR nebst Zinsen.
[2] Das AG hat die Klage abgewiesen und den Streitwert auf 577,20 EUR festgesetzt. Gegen die Streitwertfestsetzung hat die Klägerin Beschwerde und gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Streitwertbeschwerde zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.
[3] II. 1. Die gem. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Wie sich aus der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und der zu den Akten gereichten Entscheidung des AG München vom 12.1.2006 - 331 C 32140/05 - andererseits ergibt, wird die Frage, ob der nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG nicht auf die Verfahrensgebühr anrechenbare Teil einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 (bis zum 30.6.2006 Nr. 2400) des Vergütungsverzeichnisses streitwerterhöhend wirkt, wenn er neben der Hauptsache zum Gegenstand der Klage gemacht wird, von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt und ist Gegenstand der Diskussion in der Literatur (vgl. nur Ruess, MDR 2005, 313; Steenbruck, MDR 2006, 423; Tomsen, NJW 2007, 267).
[4] 2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
[5] Das Berufungsgericht nimmt mit zutreffender Begründung an, dass die Berufung der Klägerin nicht statthaft ist, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR nicht übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Denn nach § 4 Abs. 1 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG und § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG bleiben Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bei der Wertberechnung unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden. Wie bei Zinsen (dazu BGHZ 26, 174, 175; BGH, Urt. v. 24.3.1994 - VII ZR 146/93, MDR 1994, 720; BGH, Beschl. v. 18.1.1995 - XII ZB 204/94, NJW-RR 1995, 706) besteht auch bezüglich der Kosten das Wesen einer Nebenforderung darin, dass sie vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist.
[6] Einem allgemeinen Grundsatz entsprechend sind die Kosten des laufenden Prozesses bei der Wertbemessung nicht zu berücksichtigen, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist (§ 4 ZPO; vgl. BGH v. 24.11.1994 - GSZ 1/94, BGHZ 128, 85, 92 = GmbHR 1995, 301 = BRAK 1995, 131). Zu den Prozesskosten rechnen nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern grundsätzlich auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (BGH, Beschl. v. 20.10.2005 - I ZB 21/05, MDR 2006, 776 = BGHReport 2006, 270 = NJW-RR 2006, 501). Soweit derartige Kosten zu den Kosten des Rechtsstreits i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehören, können sie im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG geltend gemacht werden; einer auf den materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch gestützten Klage fehlt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu BGH v. 24.4.1990 - VI ZR 110/89, BGHZ 111, 168, 171 = MDR 1990, 1099; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., vor § 91 ZPO Rz. 22 m.w.N.). Soweit derartige Kosten nicht auf diesem Wege festgesetzt werden können, wie dies für den nicht auf die Verfahrensgebühr anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr für eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 20.10.2005 - I ZB 21/05, MDR 2006, 776 = BGHReport 2006, 270 = NJW-RR 2006, 501) oder für den nicht auf die Verfahrensgebühr anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr für ein Mahnschreiben gilt (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 27.4.2006 - VII ZB 116/05, BGHReport 2006, 1070 = MDR 2006, 1436 = NJW 2006, 2560), können sie auf der Grundlage eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs Gegenstand einer unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses zulässigen Klage auf Erstattung dieser Kosten sein.
[7] Anspruchsvoraussetzung des materiellrechtlichen Kostenersatzbegehrens ist das Bestehen einer sachlich-rechtlichen Anspruchgrundlage, nämlich dass der Schuldner wegen einer Vertragsverletzung, Verzugs oder sonstigen Rechtsverletzung für den adäquat verursachten Schaden einzustehen hat (Stein/Jonas/Bork, a.a.O., vor § 91 ZPO, Rz. 16; Belz in Münch.Komm/ZPO, vor § 91 Rz. 9). Wird der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, so dass es sich bei den zur Durchsetzung eines Anspruchs vorprozessual aufgewendeten und unter dem Gesichtspunkt des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend gemachten Geschäftsgebühren um Nebenforderungen i.S.v. § 4 ZPO handelt, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist (Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 4 Rz. 12; Musielak/Heinrich, ZPO, 5. Aufl., § 4 Rz. 16; Steenbruck, MDR 2006, 423, 424; Tomsen, NJW 2007, 267, 269). Die geltend gemachten Beträge wirken deshalb nicht werterhöhend, solange das Abhängigkeitsverhältnis zur Hauptforderung besteht (Zöller/Herget, a.a.O., § 4 ZPO Rz. 13 m.w.N.; Enders, JurBüro 2004, 57 f.; Tomsen, NJW 2007, 267, 269). Durch das Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes hat sich daran nichts geändert, da die einschlägigen Wertvorschriften inhaltlich unverändert geblieben sind (zu § 4 ZPO vor Inkrafttreten des RVG vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 4 Rz. 26; Schwerdtfeger in Münch.Komm/ZPO, 2. Aufl., § 4 Rz. 26).
[8] Diese Berechnung gilt unabhängig davon, ob die Kosten der Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines eigenen Antrags sind (Steenbruck, a.a.O., S. 424; Enders, JurBüro 2004, 57, 58; für den Fall der Geltendmachung von Zinsen als Nebenforderung vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.1995 - XII ZB 204/94, NJW-RR 1995, 706, 707; BGH, Beschl. v. 25.3.1998 - VIII ZR 298/97, MDR 1998, 857 = NJW 1998, 2060, 2061).
Fundstellen
NJW 2007, 3289 |
BGHR 2007, 571 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 808 |
JurBüro 2007, 313 |
ZAP 2007, 514 |
MDR 2007, 919 |
VersR 2007, 1102 |
ZfS 2007, 284 |
AGS 2007, 231 |
RVGreport 2007, 194 |
VRR 2007, 319 |
AG/KOMPAKT 2011, 43 |