Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der Berufung nach Erlass eines Versäumnisurteils. Zeitpunkt der Berufungsrücknahme
Leitsatz (amtlich)
Der Berufungskläger kann seine Berufung auch noch nach der Verkündung eines Versäumnisurteils zurücknehmen, wenn gegen dieses Urteil zulässig Einspruch eingelegt worden ist.
Normenkette
ZPO §§ 342, 516
Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 26.10.2005; Aktenzeichen 5 U 184/04) |
LG Hannover (Entscheidung vom 12.08.2004; Aktenzeichen 19 O 153/03) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des OLG Celle vom 26.10.2005 - 5 U 184/04, wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: 3.867,95 EUR (1.391,87 EUR + 175,27 EUR + 2.300,81 EUR)
Gründe
I.
In dem vorliegenden Rechtsstreit nahm die Klägerin die während des Berufungsverfahrens verstorbene ursprüngliche Beklagte, deren Alleinerbin die jetzige Beklagte ist (im Folgenden einheitlich: die Beklagte), auf Zahlung rückständiger Heimkosten von 5.203,11 EUR in Anspruch. Das LG gab der Klage i.H.v. 1.391,87 EUR (1.942,39 EUR abzgl. gezahlter 550,52 EUR) nebst Zinsen statt. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein und forderte die Leistung weiterer 2.476,08 EUR. Die Beklagte schloss sich der Berufung an, beantragte sinngemäß Klageabweisung sowie widerklagend, die Klägerin zur Zahlung von 2.300,81 EUR zzgl. Zinsen zu verurteilen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht trat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt nur noch die Feststellung einer Erledigung ihres Zahlungsantrags i.H.v. 2.300,81 EUR sowie Zahlung weiterer 175,27 EUR mit Zinsen begehrte, nicht auf. Das Berufungsgericht verkündete daraufhin ein Versäumnisurteil, durch das die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen und die Klägerin entsprechend dem Widerklageantrag verurteilt wurde.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig Einspruch eingelegt und ihre Berufung anschließend zurückgenommen. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht daraufhin antragsgemäß festgestellt, die Klägerin habe das Rechtsmittel der Berufung durch Rücknahme verloren und das Versäumnisurteil sei gegenstandslos. Es hat ferner die Kosten des Berufungsverfahrens der Klägerin auferlegt.
Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihre zweitinstanzlichen Sachanträge weiterverfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Klägerin durch den Erlass des Versäumnisurteils nicht gehindert war, gem. § 516 Abs. 1 ZPO ihre Berufung zurückzunehmen, nachdem sie gegen dieses Urteil rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte.
a) Das am 1.1.2002 in Kraft getretene Zivilprozessreformgesetz hat die zeitlichen Grenzen für die Berufungsrücknahme geändert. Während nach § 515 Abs. 1 ZPO a.F. die Zurücknahme der Berufung ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten zulässig war, kann der Berufungskläger gem. § 516 Abs. 1 ZPO in der jetzigen Fassung die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Dieser späte Zeitpunkt ist nach der Gesetzesbegründung gewählt worden, um ihm im Lichte der in der mündlichen Verhandlung vom Berufungsgericht geäußerten vorläufigen Rechtsauffassung auch nach deren Ende noch die Möglichkeit zu einer Berufungsrücknahme ohne zeitlichen Druck zu eröffnen. Ein schützenswertes Interesse des Berufungsbeklagten, im Falle einer unselbständigen Anschlussberufung diese nach Beginn der mündlichen Verhandlung auch gegen den Willen des Berufungsklägers durchführen zu können, hat der Gesetzgeber nicht mehr gesehen (BT-Drucks. 14/4722, 94).
b) Mit der gesetzlichen Formulierung "Verkündung des Berufungsurteils" ist eine instanzbeendigende Entscheidung gemeint. Das ergibt sich für die einem Endurteil vorausgehenden Zwischenurteile schon daraus, dass diese lediglich einzelne Streitpunkte innerhalb des Rechtsstreits erledigen und dadurch der Disposition der Parteien über ihr Streitverhältnis im Übrigen weiter Raum lassen, und folgt bei anderen Entscheidung jedenfalls aus der vom Gesetzgeber dem Berufungskläger zugestandenen weiträumigen Überlegungsfrist. Auf die Frage, inwieweit die richterliche Arbeit mit der Entscheidung bereits getan ist, kann es dabei entgegen der Beschwerdebegründung nicht ankommen. Allerdings soll die erweiterte Möglichkeit zur Berufungsrücknahme auch der Entlastung des Berufungsgerichts dienen (BT-Drucks. 14/4722, 94). Das hat im Wortlaut der Norm jedoch keinen Ausdruck gefunden und wäre schon wegen seiner Unschärfe als Tatbestandsmerkmal auch kaum geeignet. Einer solchen Erwägung steht zudem entgegen, dass spätestens unmittelbar vor der Verkündung eines Endurteils die richterliche Arbeitsleistung, abgesehen von einer Verkündung nur des Tenors (§ 310 Abs. 1 und 2 ZPO), abgeschlossen ist, nach dem klaren Wortsinn des § 516 Abs. 1 ZPO selbst dann aber eine Rücknahme der Berufung noch möglich sein soll.
c) Auf dieser Grundlage ist das Ende der Frist zur Berufungsrücknahme zwar zwingend weder an den Erlass eines Urteils noch an die Verkündung der Entscheidung geknüpft. Es genügt vielmehr vor allem auch ein nach § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur zuzustellender Beschluss über die Verwerfung des Rechtsmittels nach § 522 Abs. 1 ZPO (so zutreffend OLG Celle v. 14.4.2004 - 4 U 50/04, OLGReport Celle 2004, 336). Zu den die Berufungsinstanz abschließenden Entscheidungen kann darüber hinaus ein Versäumnisurteil gehören, sei es gegen den Berufungskläger oder sei es gegen den Berufungsbeklagten (§ 539 Abs. 1 und 2 ZPO), wenn dies nicht angefochten wird. Anders liegt es indes dann, wenn gegen das Versäumnisurteil gem. §§ 539 Abs. 3, 338 ff. ZPO in zulässiger Weise Einspruch eingelegt worden ist oder wenn bei einem gegen den Berufungskläger ergangenen Versäumnisurteil dieser noch innerhalb der Einspruchsfrist die Berufungsrücknahme erklärt (Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 516 Rz. 10; ähnlich Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 516 Rz. 3). Der zulässige Einspruch versetzt den Prozess, soweit der Einspruch reicht, in die Lage zurück, in der er sich vor dem Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Hierdurch wird das Versäumnisurteil zwar nicht beseitigt (§ 343 ZPO), in seinen sachlichen Wirkungen aber suspendiert. Das eröffnet den Parteien wie zuvor die Möglichkeit zu Verfügungen über den Klagegegenstand und damit auch dem Berufungskläger erneut einseitig das Recht zu einer Berufungsrücknahme (vgl. für das frühere Recht: RGZ 167, 293 [295]; BGHZ 4, 328 [339 f.]; BGH, Urt. v. 28.4.1980 - VII ZR 27/80, MDR 1980, 839 = NJW 1980, 2313 [2314]). Dass der Berufungskläger auf diese Weise die - von der Rechtsbeschwerde für kaum wünschenswert gehaltene - Möglichkeit erhält, die Chancen seiner Rechtsposition zunächst auszuloten, wenn er nur bereit ist, die dadurch entstehenden Mehrkosten zu tragen, muss in Kauf genommen werden.
2. Mit der hiernach wirksamen Rücknahme der Berufung durch die Klägerin hat die Anschlussberufung der Beklagten ihre Wirkung verloren (§ 524 Abs. 4 ZPO). Zutreffend hat das Berufungsgericht deswegen entsprechend §§ 525, 269 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 ZPO antragsgemäß festgestellt, dass auch das im Berufungsverfahren ergangene Versäumnisurteil wirkungslos geworden war. Ebenso wenig ist die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Kosten des Berufungsverfahrens zu beanstanden (BGH, Beschl. v. 26.1.2005 - XII ZB 163/04, MDR 2005, 704 = BGHReport 2005, 747 = NJW-RR 2005, 727 [728]; v. 2.2006 - XI ZB 9/05, Rz. 6; für das Revisionsverfahren: Beschl. v. 23.2.2005 - II ZR 147/03, BGHReport 2005, 935 = MDR 2005, 823 = NJW-RR 2005, 651).
Fundstellen
Haufe-Index 1503236 |
BB 2006, 1079 |
NJW 2006, 2124 |
BGHR 2006, 870 |
EBE/BGH 2006, 147 |
MDR 2006, 1303 |
GuT 2006, 156 |