Leitsatz (amtlich)
Zur Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Eingangs eines nicht zu den Gerichtsakten gelangten Fristverlängerungsantrags (hier: Berufungsbegründungsfrist) bei Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs.
Normenkette
ZPO § 130a Abs. 5, § 233 S. 1, § 234 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.01.2022; Aktenzeichen 13 S 1/21) |
AG Neuss (Urteil vom 30.11.2020; Aktenzeichen 86 C 155/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 6. Januar 2022 - 13 S 1/21 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Streitwert: bis 1.500 €
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin bietet Online-Zahlungsdienste an. Sie verlangt von dem Beklagten den Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 1.019 €, die ihr infolge fehlender Deckung seines bei ihr geführten Kontos im Zusammenhang mit der Ausführung einer Überweisung an ein Online-Glücksspielcasino entstanden sind. Außerdem begehrt sie die Erstattung vorgerichtlicher Kosten sowie die Feststellung, dass die Hauptsacheforderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht.
Rz. 2
1. Das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts wurde dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigen der Klägerin am 15. Dezember 2020 zugestellt. Dieser legte am 14. Januar 2021 Berufung ein, die er mit am 15. März 2021 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage begründete.
Rz. 3
Mit Verfügung vom 16. April 2021 bestimmte das Landgericht zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Dezember 2021. Unter dem 9. Dezember 2021 wies es die Parteien darauf hin, dass die Berufung nach Aktenlage nicht fristgerecht begründet worden sei, weshalb deren Verwerfung als unzulässig in Betracht komme, und hob den Verhandlungstermin wieder auf.
Rz. 4
Mit Stellungnahme vom 13. Dezember 2021 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen - allerdings einen anderen Rechtsstreit gegen den Beklagten betreffenden - Fristverlängerungsantrag vom 15. Februar 2021 vor und beantragte, der Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dazu versicherte er anwaltlich, er habe die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bereits mit Schriftsatz vom 15. Februar 2021 beantragt. Diesen habe er eigenhändig am Computer geschrieben, noch am selben Tage über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versandt und "wie stets … den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als 'erfolgreich' zur Kenntnis genommen". "Anderenfalls wäre das Schreiben … wiederholt an das Gericht per beA … gesandt worden, bis der erfolgreiche Zugang bestätigt wird, was im vorliegenden Fall nicht notwendig war". Alle das vorliegende Berufungsverfahren betreffenden Fristen seien "wie stets" ordnungsgemäß in der Kanzleisoftware beziehungsweise im elektronisch geführten Fristenkalender erfasst und von ihm persönlich geprüft worden. Allerdings sei infolge des Zeitablaufs von etwa elf Monaten nunmehr durch die automatische Löschung der Zugangsbestätigung nach § 27 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) eine Beweisnot für den erfolgreichen Zugang des am 15. Februar 2021 per beA versandten Fristverlängerungsantrags entstanden. Er, der Prozessbevollmächtigte, sei von einer stillschweigenden Verlängerung der Begründungsfrist ausgegangen.
Rz. 5
2. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Januar 2022 die Berufung der Klägerin unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht verlängert worden sei. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin einen Fristverlängerungsantrag gestellt habe. Dass sie geltend mache, einen solchen rechtzeitig am 15. Februar 2021 übersandt zu haben, sei unerheblich, da sich der mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 vorgelegte Antrag auf ein anderes Verfahren beziehe. Vor diesem Hintergrund sei ihr auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, was schon daraus folge, dass ein mangelndes Verschulden nicht ersichtlich sei. Der Beschluss ist am 13. Januar 2022 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden, der mit Gegenvorstellung vom selben Tage einen Fristverlängerungsantrag vom 15. Februar 2021 in dieser Sache nachgereicht hat. Am 14. Februar 2022 (Montag) hat die Klägerin gegen den Beschluss Rechtsbeschwerde erhoben und diese innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 23. Mai 2022 begründet.
II.
Rz. 6
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihren verfassungsrechtlich garantierten Ansprüchen auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Indem das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsgesuch vom 13. Dezember 2021 unter Hinweis darauf zurückgewiesen hat, dass diesem ein "falscher", ein anderes Verfahren betreffender Fristverlängerungsantrag beigefügt gewesen und ein mangelndes Verschulden nicht ersichtlich sei, hat es die anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gehörswidrig unberücksichtigt gelassen. Insbesondere hat es sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob bereits mit dieser anwaltlichen Versicherung ein Wiedereinsetzungsgrund hinreichend dargetan worden ist.
Rz. 7
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nach § 577 Abs. 3 ZPO unbegründet, da sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Berufung der Klägerin unter gleichzeitiger Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.
Rz. 8
a) Die Berufung der Klägerin ist mit dem am 15. März 2021 eingegangenen Schriftsatz - der keine Bezugnahme auf eine gewährte Fristverlängerung enthält - verspätet begründet worden. Denn die mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils beginnende zweimonatige Begründungsfrist ist bereits zuvor am 15. Februar 2021 abgelaufen (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und ausweislich des Akteninhalts nicht verlängert worden. Allein aus dem Umstand, dass der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 16. April 2021 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hat, kann nicht geschlossen werden, dass er damit auch die Berufungsbegründungsfrist stillschweigend verlängert hat, zumal ein (rechtzeitiger) Fristverlängerungsantrag der Klägerin überhaupt nicht zur Akte gelangt ist.
Rz. 9
b) Der Klägerin ist wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO zu gewähren. Denn sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass der behauptete Fristverlängerungsantrag am 15. Februar 2021 tatsächlich bei Gericht eingegangen ist oder ihr Prozessbevollmächtigter davon zumindest mit Recht überzeugt sein durfte. Es fehlt somit an der Voraussetzung, dass die Klägerin ohne Verschulden (ihres Prozessbevollmächtigten, § 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, die Frist einzuhalten.
Rz. 10
aa) Nach § 130a Abs. 5 Satz 1 und 2 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist, wobei dem Absender eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen ist. Danach ist ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert ist, wobei unerheblich ist, ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 - VI ZB 25/20, juris Rn. 8; vom 29. September 2021 - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 9 und vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, juris Rn. 18). Die Eingangsbestätigung, die der Justizserver bei ordnungsgemäßem Zugang der Nachricht automatisch generiert, soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Zutun von Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2022 - XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 Rn. 7 und vom 24. Mai 2022 - XI ZB 18/21, juris Rn. 11). Sie wird durch das beA-System in die gesendete Nachricht eingebettet und kann nach deren Öffnen vom Absender in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung auf dem Computerbildschirm anhand des Meldetextes "Request executed", dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus "Erfolgreich" optisch wahrgenommen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Mai 2022, aaO Rn. 12; vom 8. März 2022, aaO Rn. 13 und vom 11. Mai 2021, aaO Rn. 33; BRAK, beA-Newsletter 31/2019, "Wo findet man Eingangsbestätigung, Prüf- und Übermittlungsprotokoll?", abrufbar über das beA-Newsletter Archiv unter https://www.brak.de/bea-newsletter/).
Rz. 11
Abgesehen von der Möglichkeit, diese Bildschirmansicht durch einen sogenannten Screenshot festzuhalten, ist die Eingangsbestätigung ebenfalls in der Druckansicht der Nachricht dargestellt, so dass sie zusammen mit dieser ausgedruckt und zu einer papiergeführten Handakte des Rechtsanwalts genommen werden kann. Schließlich kann die Nachricht mit der Eingangsbestätigung auch elektronisch aus dem beA-System exportiert werden, wodurch die Informationen über Absender, Empfänger, übermitteltes Dokument sowie Versand- und Zugangszeitpunkt dauerhaft gespeichert werden können. Mit der Export-Datei lässt sich der vollständige und rechtzeitige Zugang von Nachrichten auf der Empfangseinrichtung des Gerichts auch dann noch sicher nachweisen, wenn - wie mittlerweile hier - die Nachricht im beA des Rechtsanwalts bereits gelöscht sein sollte. Sie repräsentiert die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO und kann im Bedarfsfall dem Gericht vorgelegt werden (vgl. dazu https://portal.beasupport.de/neuigkeiten/nachweis-ueber-den-zugang-von-nachrichten-bei-gerichten-stellungnahme-der-brak und BRAK, beA-Newsletter 31/2019, aaO).
Rz. 12
bb) Die anwaltliche Sorgfalt erfordert es, beim Versand von fristgebundenen Schriftsätzen per beA im Rahmen der Überprüfung ihrer ordnungsgemäßen Übermittlung zu kontrollieren, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist, was der Pflicht des Rechtsanwalts zur Kontrolle des Telefax-Sendeprotokolls beim Versand von Schriftsätzen per Telefax entspricht. Hat der Rechtsanwalt eine automatisierte Eingangsbestätigung erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich gewesen ist. Bleibt sie aus, muss ihn dies zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2022, aaO Rn. 7; vom 29. September 2021, aaO Rn. 12; vom 11. Mai 2021, aaO Rn. 21 ff, BAGE 167, 221 Rn. 19 f).
Rz. 13
cc) Aus der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergibt sich nicht, dass in der Eingangsbestätigung in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung als Meldetext "Request executed" und als Übermittlungsstatus "Erfolgreich" angezeigt wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2022, aaO Rn. 8).
Rz. 14
Seine Erklärung, er habe "wie stets … den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als 'erfolgreich' zur Kenntnis genommen", ist in Bezug auf das, was er auf dem Computerbildschirm wahrgenommen haben will, inhaltlich vage und unsubstantiiert. Denn er hat weder konkret behauptet, dass sich das angeblich angezeigte "Erfolgreich" auf den Übermittlungsstatus bezogen habe, noch geltend gemacht, darüber hinaus den Meldetext "Request executed" und ein bestimmtes Eingangsdatum in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung gesehen zu haben. Nach dem Inhalt seiner anwaltlichen Versicherung ist daher bereits unklar, ob er die gesendete Nachricht überhaupt geöffnet und sodann die in diese eingebettete Eingangsbestätigung optisch auf dem Computerbildschirm wahrgenommen hat. Auch das übrige Wiedereinsetzungsvorbringen enthält keinen hinreichend detaillierten Tatsachenvortrag, der aber im Hinblick auf die dargestellte komplexe Funktionsweise des beA-Systems geboten gewesen wäre. Die vage Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, er habe "den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als 'erfolgreich' zur Kenntnis genommen", ist daher zur Glaubhaftmachung des Eingangs des Fristverlängerungsantrags ungenügend.
Rz. 15
dd) Da das Wiedereinsetzungsgesuch schon aus diesem Grund zurückzuweisen ist, kann dahinstehen, ob ein der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO darin zu sehen wäre, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach seinem eigenen Vorbringen nicht durch Nutzung der ihm insoweit zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten (elektronischer Export, Ausdrucken oder Screenshot) dafür gesorgt hat, dass die angeblich von ihm optisch wahrgenommene Eingangsbestätigung dauerhaft auch für Dritte lesbar erhalten bleibt.
Reiter |
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Arend |
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Böttcher |
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Kessen |
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Fundstellen
Haufe-Index 15697704 |
BB 2023, 1153 |
BB 2023, 1423 |