Entscheidungsstichwort (Thema)
Funktionsunfähigkeit des Telefaxgeräts beim Rechtsmittelgericht. Fristversäumnis
Leitsatz (redaktionell)
Ist bei der Übermittlung eines Schriftsatzes alles Erforderliche unternommen worden, kann ein Verschulden des übermittlenden Rechtsanwalts nicht daraus abgeleitet werden, dass dieser ihm vielleicht noch mögliche weitere Schritte nicht eingeleitet habe, nachdem er das Fehlschlagen des von ihm zulässigerweise gewählten Übermittlungswegs erkannt hatte.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 04.11.2002) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 4.11.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG Oldenburg zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Beklagte ist vom LG Aurich zur Zahlung eines Geldbetrages an den Kläger verurteilt worden. Seine Berufungsschrift ist erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist hat das Berufungsgericht zurückgewiesen; zugleich hat es die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Urteils, Gewährung der Wiedereinsetzung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht begehrt. Die Klägerin tritt dem Rechtsbehelf entgegen.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO), da jedenfalls die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kommt nämlich dann in Frage, wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung einen zu strengen Sorgfaltsmaßstab zu Grunde gelegt und die besonderen Umstände des Falles nicht hinreichend berücksichtigt hat (BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, MDR 2003, 299 = BGHReport 2003, 252 = NJW 2003, 437). So liegt die Sache hier.
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a) Nach dem vom Berufungsgericht unterstellten Sachverhalt hat die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten versucht, die von einem anderen Rechtsanwalt verfasste Berufungsschrift am letzten Tag der Berufungsfrist zwischen 20.43 Uhr und 24.00 Uhr mittels Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln, was ihr nicht gelungen sei, weil das Telefaxgerät des Berufungsgerichts nicht empfangsbereit gewesen sei.
b) Das Berufungsgericht hat gleichwohl die Fristversäumnis als verschuldet angesehen, weil derjenige, der sich des risikobehafteten Telefax-Übertragungswegs- bediene, gehalten sei, dies so rechtzeitig zu tun, dass notfalls noch eine anderweitige Übermittlung möglich sei, und er alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen müsse, wenn sich herausstelle, dass die Übermittlung nicht gelungen sei. Hiergegen sei verstoßen worden. Jedenfalls nach einem laut Sendebericht um 22.52 Uhr wiederum gescheiterten Übermittlungsversuch habe für eine Übermittlung auf anderem Weg gesorgt werden müssen, wofür sich in erster Linie eine Fahrt von Leer nach Oldenburg, für die hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe, aber auch der Versuch, einen in Oldenburg tätigen Rechtsanwalt zu erreichen, oder telegrafische Übermittlung angeboten hätten, wovon kein Gebrauch gemacht worden sei.
c) Diese Ausführungen greift die Rechtsbeschwerde mit Erfolg als von Rechtsfehlern beeinflusst an.
Wie der BGH im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG v. 1.8.1996 - 1 BvR 121/95, CR 1996, 722 = NJW 1996, 2857) bereits entschieden hat, ist mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen wird, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss bis 24.00 Uhr zu rechnen ist (BGH, Beschl. v. 1.2.2001 - V ZB 33/00, BGHReport 2001, 436 = NJW-RR 2001, 916). Dass eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen sei, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die zu unterstellende Funktionsunfähigkeit des Telefaxgeräts des Berufungsgerichts kann dem Beklagten nicht angelastet werden.
War aufseiten des Beklagten alles Erforderliche unternommen worden, so kann ein Verschulden der Beklagtenvertreter nicht daraus abgeleitet werden, dass diese ihnen vielleicht noch mögliche weitere Schritte nicht eingeleitet haben, nachdem sie das Fehlschlagen des von ihnen zulässigerweise gewählten Übermittlungswegs erkannt hatten. Von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingestellt hat, einen Schriftsatz mittels Telefax zu übermitteln, kann nämlich beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts im Empfangsgerät oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, dass er unter Aufbietung aller nur denkbarer Anstrengungen innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (BVerfG v. 1.8.1996 - 1 BvR 121/95, CR 1996, 722 = NJW 1996, 2857). Dies hat das Berufungsgericht bereits im Ansatz verkannt.
3. Demnach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da die Sache auch hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags nicht entscheidungsreif ist, sind der angefochtene Beschluss insgesamt aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu übertragen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1050054 |
BGHR 2003, 1431 |
FamRZ 2004, 22 |
NJW-RR 2004, 283 |
AUR 2005, 73 |
BRAK-Mitt. 2003, 266 |