Normenkette
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nrn. 3-5
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Entscheidung vom 27.01.2020; Aktenzeichen 22 T 3124/19) |
AG Ingolstadt (Entscheidung vom 03.12.2019; Aktenzeichen 9 XIV 485/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Ingolstadt - 2. Zivilkammer - vom 27. Januar 2020 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 3. Dezember 2019 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein gambischer Staatsangehöriger, reiste am 8. Januar 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 30. Mai 2017 als unzulässig abgelehnt wurde, da der Betroffene bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Nachdem eine Überstellung nach Italien nicht fristgemäß durchführbar war, wurde der Asylantrag mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. Oktober 2018 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Betroffene ist seit dem 18. Oktober 2018 vollziehbar ausreisepflichtig.
Rz. 2
Während seines dreijährigen Aufenthalts im Bundesgebiet trat der Betroffene ab Juni 2017 45 Mal polizeilich in Erscheinung, unter anderem vielfach wegen Diebstahlsdelikten, aber auch wegen Drogendelikten und gefährlicher Körperverletzung. An eine ab dem 6. Oktober 2017 angeordnete Untersuchungshaft des Betroffenen schloss sich vom 23. April 2018 bis zum 25. Oktober 2019 Strafhaft an.
Rz. 3
Die direkte Abschiebung des Betroffenen aus der Strafhaft scheiterte, weil es die Staatsanwaltschaft ablehnte, auf die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe von wenigen Tagen zu verzichten.
Rz. 4
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Würzburg am 24. Oktober 2019 gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis längstens 3. Dezember 2019 an. Seine für den 2. Dezember 2019 geplante Abschiebung nach Gambia musste storniert werden, weil ein erforderliches Rückreisedokument der Bundespolizei am Flughafen Berlin-Tegel nicht zugestellt worden war.
Rz. 5
Auf den Verlängerungsantrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Ingolstadt mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Dezember 2019 gegen den Betroffenen weitere Abschiebungshaft bis längstens 24. Januar 2020 an. Am 23. Januar 2020 wurde der Betroffene nach Gambia abgeschoben.
Rz. 6
Die gegen die Haftanordnung vom 3. Dezember 2019 gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene die Feststellung, dass ihn die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt habe.
Rz. 7
II. Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Rz. 8
1. Das Beschwerdegericht meint, die Verlängerungshaft sei zu Recht angeordnet worden. Insbesondere habe ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag vorgelegen. Im Hinblick auf die sechswöchige Planungszeit für die Flugbuchung mit notwendiger Sicherheitsbegleitung habe Haft bis zum 24. Januar 2020 beantragt werden können.
Rz. 9
2. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt worden, weil es bereits an einem zulässigen Haftantrag gefehlt hat.
Rz. 10
a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
Rz. 11
b) Eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwands ist in aller Regel zwar dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle oder entsprechende eigene Erfahrungswerte beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es aber einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa durch Angaben zur Art des Fluges, zur Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, zur Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation; st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7). Schlägt eine Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung fehl, gelten grundsätzlich dieselben Grundsätze auch für einen Antrag auf Verlängerung der Haft (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 85/19, juris Rn. 24).
Rz. 12
c) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen zur erforderlichen Dauer der Haft in dem Antrag der beteiligten Behörde nicht.
Rz. 13
aa) Der lediglich eine Seite umfassende Haftantrag vom 2. Dezember 2019 enthält keine Erläuterung der Notwendigkeit der beantragten Haftdauer von sieben Wochen und drei Tagen. Es heißt lediglich, die Verlängerung der Sicherungshaft bis zum 24. Januar 2020 werde beantragt, um eine Entlassung des Betroffenen aus der Abschiebehaft am 3. Dezember 2019 zu verhindern und eine spätere Abschiebung planen und durchführen zu können. Der im Haftantrag erwähnte Umstand, bei dem Betroffenen handele es sich um einen Intensivstraftäter und "Task-Force-Fall" des Landesamtes für Asyl und Rückführungen, für den weiterhin von einer überdurchschnittlichen Fluchtgefahr ausgegangen werde, wird im Haftantrag lediglich als Motiv dafür angeführt, an einer Abschiebung und Abschiebehaft festzuhalten. Soweit schließlich der ursprüngliche Haftbeschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 24. Oktober 2019 im Einleitungssatz des Haftantrags erwähnt wird und darin eine Verweisung auf diesen Beschluss gesehen werden könnte, ergibt sich auch daraus nichts für die beantragte Dauer der Verlängerungshaft. In dem Beschluss vom 24. Oktober 2019 wird ausgeführt, die Dauer der Sicherungshaft werde mit dem Zeitbedarf für die Organisation der Abschiebung begründet. Weiter heißt es ohne jede nähere Erläuterung lediglich, die beteiligte Behörde habe ihre Bemühungen um eine beschleunigte Abschiebung ausreichend dargelegt.
Rz. 14
bb) Es ist damit bereits nicht unzweifelhaft, ob die beteiligte Behörde im Haftantrag vom 2. Dezember 2019 überhaupt die Notwendigkeit einer Sicherheitsbegleitung für die Abschiebung geltend gemacht hat, zumal sie sich auch nicht auf eine Auskunft der zuständigen Stelle oder entsprechende eigene Erfahrungen berufen hat, wonach der erforderliche Zeitraum für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung die beantragte Haftdauer rechtfertige.
Rz. 15
Jedenfalls fehlt aber die erforderliche Begründung dafür, warum einerseits für den Verlängerungsantrag mit sieben Wochen und drei Arbeitstagen ein längerer Zeitraum als sechs Wochen für die erneute Organisation der Abschiebung des Betroffenen erforderlich sein sollte, andererseits aber innerhalb dieser Frist die Abschiebung durchführbar sein sollte. Denn wenn der nach den Feststellungen als Passersatzpapier erforderliche, offenbar von den gambischen Behörden ausgestellte "Heimreiseschein" nicht auffindbar und daran die für den 2. Dezember 2019 organisierte Abschiebung gescheitert war, bedurfte es einer Darlegung, aufgrund welcher Umstände zu erwarten war, dass für die Abschiebung der beantragte Haftzeitraum voraussichtlich erforderlich, aber auch ausreichend sein werde.
Rz. 16
d) Diese Defizite des Haftantrags sind nicht geheilt worden. Die durch ergänzenden Vortrag der beteiligten Behörde mögliche Heilung solcher Defizite tritt nur nach erneuter persönlicher Anhörung des Betroffenen, nur für die Zukunft und erst mit der Entscheidung des Gerichts ein (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 10/20, juris Rn. 13 mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil der Betroffene durch das Beschwerdegericht nicht erneut angehört worden ist und dieses erst nach Ablauf der Haftzeit entschieden hat. Zudem hat die Behörde auch im Schriftsatz vom 2. Januar 2020 nur eine sechswöchige Planungszeit für die Abschiebung vorgetragen, wobei sich die Notwendigkeit einer Sicherheitsbeteiligung allein aus dem Gesamtzusammenhang dieses Schriftsatzes ergibt. Angaben zu der über sechs Wochen hinausgehenden Haftdauer von sieben Wochen und drei Tagen finden sich wiederum nicht. Ein solcher Vortrag genügt zur Heilung eines unzureichenden Haftantrags nicht (BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - XIII ZB 58/19, juris Rn. 25 f.).
Rz. 17
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Meier-Beck |
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Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch ist infolge Versetzung an eine oberste Bundesbehörde an der Unterschrift gehindert. |
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Kirchhoff |
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Meier-Beck |
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Roloff |
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Tolkmitt |
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Fundstellen