Leitsatz (amtlich)
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Artikel 2 Nr. 28 und 29, Artikel 30 ff. der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen die Art. 2 Nr. 28 und 29, Art. 30 ff. der Richtlinie 2019/944 einer Bestimmung wie § 3 Nr. 24a i.V.m. Nr. 16 EnWG entgegen, wonach den Betreiber einer Energieanlage zur Abgabe von Energie keine Pflichten eines Verteilernetzbetreibers treffen, wenn er die Energieanlage anstelle des bisherigen Verteilernetzes errichtet und betreibt, um mittels in einem Blockheizkraftwerk erzeugten Stroms mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 vermieteten Wohneinheiten und mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage als Bestandteil eines einheitlich für die gelieferte Wärme zu zahlenden monatlichen Grundentgelts von den Letztverbrauchern (Mietern) getragen werden und der Betreiber den erzeugten Strom an die Mieter verkauft?
Normenkette
EURL 2019/944 Art. 2 Nrn. 28-29, Art. 30, 30 ff.; EnWG § 3 Nrn. 16, 24a
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Artikel 2 Nr. 28 und 29, Artikel 30 ff. der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitäts-binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen die Art. 2 Nr. 28 und 29, Art. 30 ff. der Richtlinie 2019/944 einer Bestimmung wie § 3 Nr. 24a i.V.m. Nr. 16 EnWG entgegen, wonach den Betreiber einer Energieanlage zur Abgabe von Energie keine Pflichten eines Verteilernetz-betreibers treffen, wenn er die Energieanlage anstelle des bis-herigen Verteilernetzes errichtet und betreibt, um mittels in einem Blockheizkraftwerk erzeugten Stroms mehrere Wohn-blöcke mit bis zu 200 vermieteten Wohneinheiten und mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage als Bestandteil eines einheitlich für die gelieferte Wärme zu zahlenden monatlichen Grundentgelts von den Letztverbrauchern (Mietern) getragen werden und der Betreiber den erzeugten Strom an die Mieter verkauft?
Gründe
Rz. 1
I. Die Antragstellerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Sie betreibt an mehreren Standorten unter anderem Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Nahwärmenetze und Energieanlagen zur Abgabe von Energie, mit denen sie Letztverbraucher mit Wärme und Strom versorgt, wobei sie im Jahr 2019 einen Umsatz von mehr als 1 Mrd. € erzielt hat. Die Antragsgegnerin (nachfolgend: Verteilernetzbetreiberin) betreibt das Elektrizitätsverteilungsnetz in Z.. Die Parteien streiten darüber, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, zwei Energieanlagen der Antragstellerin als Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG an ihr Netz anzuschließen.
Rz. 2
Die Antragstellerin versorgte aufgrund eines Wärmelieferungsvertrags mit der Grundstückseigentümerin, der Z. Wohnungsbaugenossenschaft eG (nachfolgend: Wohnungsbaugenossenschaft) vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten, gelegen auf einer Fläche von 9.000 m2 (nachfolgend: Gebiet 1), sowie sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten, gelegen auf einer Fläche von 25.500 m2 (nachfolgend: Gebiet 2), durch jeweils eine Energiezentrale und ein daran angeschlossenes Nahwärmenetz mit Wärme und Warmwasser. Die Gebiete 1 und 2 grenzen aneinander an; die Nahwärmenetze sind untereinander aber nicht verbunden. Die in den beiden Gebieten gelegenen Wohnblöcke waren sämtlich an das Verteilernetz der Verteilernetzbetreiberin angeschlossen.
Rz. 3
2018 plante die Antragstellerin, zwei Blockheizkraftwerke mit 20 kW (Gebiet 1) und 40 kW (Gebiet 2) elektrischer Leistung und zwei galvanisch getrennte elektrische Leitungssysteme (die Leitungssysteme nachfolgend Anlage 1 und Anlage 2) zu errichten und zu betreiben, an die die Letztverbraucher (Mieter) nunmehr angeschlossen werden sollen. Den in den Blockheizkraftwerken neben Wärme und Warmwasser erzeugten Strom wollte sie an die in den Wohnblöcken wohnhaften Mieter verkaufen, wobei im Gebiet 1 voraussichtlich von einer jähr-lichen Menge an durchgeleiteter Energie von 288 MWh und im Gebiet 2 von 480 MWh auszugehen ist. Sie meldete daher bei der Antragsgegnerin Netzanschlüsse für zwei getrennte Kundenanlagen mit Elektrohauptanschlüssen in den Gebieten 1 und 2 an und beantragte den Anschluss an deren Netz sowie die Bereitstellung der erforderlichen Zählpunkte gemäß § 20 Abs. 1d EnWG. Die Antragsgegnerin lehnte die Anträge ab, weil es sich um keine Kundenanlagen handele.
Rz. 4
Die bei der Rechtsbeschwerdegegnerin als Landesregulierungsbehörde (nachfolgend: Landesregulierungsbehörde) gestellten Anträge der Antragstellerin auf Überprüfung dieses Verhaltens und Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Anlagen als Kundenanlagen an ihr Netz anzuschließen und eine Abrechnung gemäß § 20 Abs. 1d EnWG zu ermöglichen, hat die Landesregulierungsbehörde abgelehnt. Während des vor dem Oberlandesgericht geführten Beschwerdeverfahrens haben die Antragstellerin und die Wohnungsbaugenossenschaft am 21./27. April 2020 einen neuen Wärmelieferungsvertrag geschlossen. Danach sollten die beiden Blockheizkraftwerke voraussichtlich bis Dezember 2020 errichtet werden.
Rz. 5
II. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde sind Vorschriften des deutschen Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) maßgeblich, die wie folgt lauten:
§ 3 EnWG
Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet
3. Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen
natürliche oder juristische Personen oder rechtlich unselbständige Organisationseinheiten eines Energieversorgungsunternehmens, die die Aufgabe der Verteilung von Elektrizität wahrnehmen und verantwortlich sind für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen,
15. Energieanlagen
Anlagen zur Erzeugung, Speicherung, Fortleitung oder Abgabe von Energie, soweit sie nicht lediglich der Übertragung von Signalen dienen, dies schließt die Verteileranlagen der Letztverbraucher (…) ein,
16. Energieversorgungsnetze
Elektrizitätsversorgungsnetze und Gasversorgungsnetze über eine oder mehrere Spannungsebenen oder Druckstufen mit Ausnahme von Kundenanlagen im Sinne der Nummern 24a (…),
18. Energieversorgungsunternehmen
natürliche oder juristische Personen, die Energie an andere liefern, ein Energieversorgungsnetz betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzen; der Betrieb einer Kundenanlage oder einer Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung macht den Betreiber nicht zum Energieversorgungsunternehmen,
24a. Kundenanlagen
Energieanlagen zur Abgabe von Energie,
a) die sich auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befinden,
b) mit einem Energieversorgungsnetz oder mit einer Erzeugungsanlage verbunden sind,
c) für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend sind und
d) jedermann zum Zwecke der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung unabhängig von der Wahl des Energielieferanten diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden,
§ 20 Abs. 1d EnWG (…)
Der Betreiber des Energieversorgungsnetzes, an das eine Kundenanlage (…) angeschlossen ist, hat den Zählpunkt zur Erfassung der durch die Kundenanlage aus dem Netz der allgemeinen Versorgung entnommenen und in das Netz der allgemeinen Versorgung eingespeisten Strommenge (Summenzähler) sowie alle Zählpunkte bereitzustellen, die für die Gewährung des Netzzugangs für Unterzähler innerhalb der Kundenanlage im Wege der Durchleitung (bilanzierungsrelevante Unterzähler) erforderlich sind. Bei der Belieferung der Letztverbraucher durch Dritte findet im erforderlichen Umfang eine Verrechnung der Zählwerte über Unterzähler statt. (…)
Rz. 6
III. Der Erfolg der Rechtsbeschwerde hängt von der Vorlagefrage ab. Vor einer Entscheidung ist daher das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
Rz. 7
1. Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen von Kundenanlagen verneint, weil die Anlagen 1 und 2 für die Sicherstellung eines wirksamen unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas nicht im Sinn des § 3 Nr. 24a Buchst. c EnWG unbedeutend seien. Der Wärmelieferungsvertrag verknüpfe die Gebiete 1 und 2 als gemeinsamer Rahmen zu einem gemeinsamen Gebilde mit 10 Wohnblöcken, fast 30.000 m2 Fläche und mehr als 300 angeschlossenen Wohneinheiten, wobei die Antragstellerin den Mietern als Betreiberin der Anlagen 1 und 2 und gleichzeitig als Stromlieferantin gegenübertrete.
Rz. 8
2. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde hat Erfolg, wenn die Anlagen 1 und 2 als Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG einzuordnen sind. Das ist nach Ansicht des Senats auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts zu bejahen.
Rz. 9
a) Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 24a Buchst. a und b EnWG sind erfüllt. Die Anlagen 1 und 2 befinden sich jeweils auf einem räumlich zusammengehörigen Gebiet (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - EnVR 66/18, WM 2020, 901 Rn. 22 - Netze BW) und sind mit einem Energieversorgungsnetz und einer Erzeugungsanlage verbunden. § 3 Nr. 24a Buchst. b EnWG verlangt trotz seines Wortlauts ("oder") nicht, dass eine Verbindung nur mit dem Energieversorgungsnetz oder nur mit einer Erzeugungsanlage besteht. Die Regelung bringt lediglich zum Ausdruck, dass die Verbindung mit einer Erzeugungsanlage, die über keine Verbindung mit einem Energieversorgungsnetz verfügt ("Insellösungen"), ausreichend ist (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 6. Juni 2011, BT-Drucks. 17/6072 S. 51).
Rz. 10
b) Die Anlagen werden auch gemäß § 3 Nr. 24a Buchst. d EnWG jedermann zum Zwecke der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung unabhängig von der Wahl des Energielieferanten diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Rz. 11
aa) Verbrauchsabhängige Entgelte für die Nutzung der Kundenanlage stehen einer Unentgeltlichkeit entgegen. Dies erfasst jede Form einer Vergütung nach der Menge der durchgeleiteten Energie (OLG Frankfurt, EnWZ 2018, 182 Rn. 40; Burbach, RdE 2019, 56, 60; Boesche, in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 3 EnWG Rn. 141; Theobald in Theobald/Kühling, Energierecht, Mai 2022, § 3 EnWG Rn. 205f; Vollprecht/Ahlers/Albrecht, EnWZ 2018, 398, 401; Goetzendorf, RdE 2020, 16, 21; Thomale/Berger, EnWZ 2018, 147, 153). Damit verfolgt das Gesetz das Ziel, auf eine - bei natürlichen Monopolen auch im Hinblick auf die Preisgestaltung erforderliche - Regulierung bei Kundenanlagen nur dann zu verzichten, wenn von vornherein keine Gefahr besteht, dass die Kosten der Kundenanlage nutzungsabhängig erhoben werden. Diese Gefahr besteht auch, wenn der Betreiber der Kundenanlage selbst als Energielieferant auftritt (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 - EnVR 20/18, ZNER 2022, 258 Rn. 20 mwN).
Rz. 12
bb) Verbrauchsabhängige Entgelte erhebt die Antragstellerin nicht. Sie erhält für alle nach dem Wärmelieferungsvertrag vorzuhaltenden Leistungen einschließlich aller nicht verbrauchsabhängiger Kosten, wie unter anderem für die Errichtung und den Betrieb der Blockheizkraftwerke und der Energieanlagen ab Übergabepunkt vom öffentlichen Verteilernetz bis zur Übergabe an die Mieter und die Gewährleistung des Datenaustauschprozesses unter anderem mit dem Verteilernetzbetreiber nach dem Wärmelieferungsvertrag (§ 2 Nr. 1, § 5, Anlage 7 - Mieterstrom) ein einheitliches, verbrauchsunabhängiges monatliches Grundentgelt. Das Grundentgelt wird von der Wohnungsbaugenossenschaft nach der bewohnten Fläche auf die Letztverbraucher umgelegt.
Rz. 13
cc) Auf dieser Tatsachengrundlage muss die Antragstellerin nicht darlegen und nachweisen, dass im Strompreis, den sie den Letztverbrauchern anbietet, kein Nutzungsentgelt für die Anlage enthalten ist. Der Sinn und Zweck des Unentgeltlichkeitskriteriums ist erfüllt. Die Regelung will schon nach dem eindeutigen Wortlaut (nur) sicherstellen, dass die Belieferung der Letztverbraucher unentgeltlich und diskriminierungsfrei erfolgt. Das ist der Fall. Alle Stromlieferanten einschließlich der Antragstellerin werden gleichbehandelt, da sie die Anlage unentgeltlich nutzen. Alle an die Energieanlagen angeschlossenen Letztverbraucher werden gleichmäßig und unabhängig von der Wahl ihres Stromlieferanten und der Höhe ihres Stromverbrauchs dazu herangezogen, die Kosten zu tragen. Anhaltspunkte für prohibitiv hohe netznutzungsabhängige Nutzungsentgelte sind dabei nicht gegeben. Ob die Umlage der Kosten für die Errichtung und den Betrieb der Anlage auf die Mieter nach den in Deutschland für die Umlage von Betriebskosten geltenden Regelungen zulässig ist, kann dahinstehen (vgl. § 2 Nr. 6 Buchst. b i.V.m. Nr. 4 Buchst. c und Nr. 2 BetrKV, § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 7, 9, 11 Abs. 3 Buchst. b HeizkostenV; Lammel, ZMR 2020, 93, 97 unter Hinweis auf die VDI-Richtlinie 2077 Bl. 3.1 Ermittlung der umlagefähigen Wärmeerzeugungskosten von KWK-Anlagen; zum Wärmecontracting BGH, Urteile vom 28. November 2007 - VIII ZR 243/06, NJW 2008, 440 Rn. 12; vom 20. Juni 2007 - VIII ZR 244/06, WuM 2007, 445 Rn. 12 ff.; Drager in BeckOGK, HeizkostenV, Stand 1. Juli 2021, § 7 Rn. 47). Für die Unentgeltlichkeit gemäß § 3 Nr. 24a Buchst. d EnWG kommt es darauf nicht an. Eine etwaige betriebskostenrechtliche Unzulässigkeit, die die Letztverbraucher und Mieter im Verhältnis zur Wohnungsbaugenossenschaft geltend machen müssten, könnte nach den genannten Grundsätzen jedenfalls nicht dazu führen, dass das Unentgeltlichkeitskriterium des § 3 Nr. 24a Buchst. d EnWG zu verneinen wäre.
Rz. 14
c) Die Anlagen 1 und 2 sind gemäß § 3 Nr. 24a Buchst. c EnWG für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas auch unbedeutend.
Rz. 15
aa) Eine Energieanlage ist für den Wettbewerb unbedeutend, wenn sie weder in technischer noch in wirtschaftlicher noch in versorgungsrechtlicher Hinsicht ein Ausmaß erreicht, das Einfluss auf den Versorgungswettbewerb und die durch die Regulierung bestimmte Lage des Netzbetreibers haben kann. Dabei kommt es maßgeblich auf die Größe der Anlage an (BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - EnVR 65/18, WM 2020, 897 Rn. 31 f. - Gewoba). Eine Kundenanlage liegt regelmäßig nicht mehr vor, wenn mehrere Hundert Letztverbraucher angeschlossen sind, eine Fläche von deutlich mehr als 10.000 m² versorgt wird, mehrere Gebäude angeschlossen sind und die jährliche Menge von durchgeleiteter Energie voraussichtlich 1.000 MWh deutlich überschreitet. Bleibt die Größe der Energieanlage hingegen in mehreren dieser Punkte hinter den genannten Werten zurück, handelt es sich regelmäßig um eine Kundenanlage. Dabei hat der Tatrichter jedoch auch in diesem Fall zu entscheiden, ob die Anlage gleichwohl nach der Gesamtwürdigung insbesondere bei Berücksichtigung weiterer Umstände nicht mehr als wettbewerblich unbedeutend anzusehen ist (BGH, aaO Rn. 32 - Gewoba).
Rz. 16
bb) Nach diesen Grundsätzen sind die Anlagen 1 und 2 für den Wettbewerb unbedeutend. Die Anlage 1 bleibt in Bezug auf drei und die Anlage 2 in Bezug auf zwei der Punkte hinter den genannten Werten zurück.
Rz. 17
(1) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht bei der Gesamtwürdigung beide Anlagen gemeinsam betrachtet. Da sie galvanisch getrennt sind, handelt es sich um zwei verschiedene Anlagen, für die die Voraussetzungen des § 3 Nr. 24a EnWG jeweils getrennt zu prüfen sind. Die Gesetzesbegründung, wonach beispielsweise das Vorhandensein einer größeren Anzahl weiterer angeschlossener Kundenanlagen zu berücksichtigen ist (BT-Drucks. 17/6072 S. 51; vgl. BGH, aaO Rn. 28 - Gewoba), bezieht sich lediglich auf an die fragliche Energieanlage angeschlossene weitere Kundenanlagen (und nicht: an das vorgelagerte Verteilernetz angeschlossene weitere Kundenanlagen; Vogt, RdE 2012, 95, 96; Burbach, RdE 2019, 56, 59; Schex in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl., § 3 Rn. 59; Sahle, Die Kundenanlagen (Strom) unter besonderer Betrachtung wohnungswirtschaftlicher Aspekte, 2019, S. 142; Goetzendorf, Geschlossene Verteilernetze, 2016, S. 67; Buchmüller/Kisker, RdE 2022, 381, 387, 388).
Rz. 18
(2) Wird die für das Wettbewerbskriterium erforderliche Gesamtwürdigung nur mit Blick auf die jeweils betrachtete Anlage vorgenommen, führt sie zu dem Ergebnis, dass die Anlagen 1 und 2 wettbewerblich unbedeutend sind. Zwar hat der Senat bisher nicht entschieden, ob auch eine Anlage, die - wie hier die Anlage 2 - in zwei Punkten hinter den genannten Werten zurückbleibt, regelmäßig als Kundenanlage anzusehen ist. Das ist aber zu bejahen. Eine für den Wettbewerb bedeutende Größe liegt dann regelmäßig nicht vor (anders wohl der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 26. Februar 2020 - 3 Kart 729/19, EnWZ 2020, 234 Rn. 134, der nach Rücknahme der Beschwerde im Rechtsbeschwerdeverfahren durch Beschluss des Senats vom 28. September 2020 - EnVR 26/20 [unveröffentl.] für wirkungslos erklärt worden ist). Angesichts der geringen Zahl der an die Anlagen jeweils angeschlossenen Letztverbraucher sind auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Antragstellerin den Letztverbrauchern als Betreiberin der Kundenanlage und gleichzeitig als Stromlieferantin gegenübertritt, keine mehr als unbedeutende Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation der Antragsgegnerin und den Versorgungswettbewerb zu erwarten.
Rz. 19
3. § 3 Nr. 24a EnWG in der obigen Auslegung, von der der Senat im Hinblick auf Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der Gesetzgebungsgeschichte der Regelung auszugehen hat, und die auch die Bundesnetzagentur als nationale Regulierungsbehörde nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung für zutreffend hält, ist mit Art. 2 Nr. 28 und Nr. 29 sowie Art. 30 ff. der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 (im Folgenden: EltRL 2019) aber nicht vereinbar, wenn die Anlagen 1 und 2 Bestandteil des Verteilernetzes im Sinn von Art. 2 Nr. 28 und Nr. 29 EltRL 2019 sind. Denn gemäß § 3 Nr. 16 EnWG sind Kundenanlagen nicht Bestandteil eines Energieversorgungsnetzes. Ihre Betreiber sind keine Verteilernetzbetreiber gemäß § 3 Nr. 3 EnWG und unterfallen daher nicht der Regulierung gemäß §§ 11 ff. EnWG. Am Netzanschlusspunkt der Kundenanlage an das Energieversorgungsnetz endet das regulierte Netz und beginnt die nicht regulierte Kundenanlage (vgl. BT-Drucks. 17/6072 S. 51). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich mit dem Begriff des Verteilernetzes im Hinblick auf die Frage, ob er auch Kundenanlagen im Sinn von § 3 Nr. 24a EnWG umfasst, noch nicht befasst. Das ist auch nicht zweifelsfrei.
Rz. 20
a) Verteilung ist gemäß Art. 2 Nr. 28 der Transport von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung über Verteilernetze zur Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung. Versorgung ist der Verkauf, einschließlich des Weiterverkaufs, von Elektrizität an Kunden (Art. 2 Nr. 12 EltRL). Dabei sollen bestimmte Übertragungs- oder Verteilernetze nicht wegen ihrer Größe oder ihres Stromverbrauchs vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden (EuGH, Urteil vom 22. Mai 2008 - C-439/06, EuZW 2008, 406 Rn. 49 - citiworks AG u.a. zur Richtlinie 2003/54/EG). Welche Strukturen Verteilernetze bilden, und nach welchen Kriterien das zu bestimmen ist, ist ungeklärt. Unzweifelhaft erscheint, dass vom Vermieter betriebene Hausverteilanlagen im Innenbereich eines Gebäudes unabhängig von dessen Größe keine Verteilernetze darstellen (Boesche in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 3 Rn. 123; Burbach, RdE 2019, 56, 57, 58; Schwintowski, EWeRK 2020, 160, 161; Hartmann in FS Danner 2019, S. 207, 215). Das gilt auch für eine im Eigentum einer Wohnungseigentümergemeinschaft stehende Energie-anlage zur Abgabe von Energie, durch die 20 Einfamilienhäuser auf einem Grundstück im Rechtssinne versorgt werden (vgl. BGH, WM 2020, 901 Rn. 22 - Netze BW). Angesichts der Größe der hier zu beurteilenden Anlagen 1 und 2 und des Umstands, dass die Antragstellerin den Mietern sowohl als Eigentümerin und Betreiberin der Anlagen als auch als Stromlieferantin gegenübertritt (vgl. dazu Theobald in Theobald/Kühling, Energierecht, Mai 2022, § 3 Rn. 205e; Goetzendorf, RdE 2020, 16, 20; Thomale/Berger, EnWZ 2018, 147, 152; Vogt, RdE 2012, 95, 100), kann aber nicht ohne jeden Zweifel davon ausgegangen werden, dass die Anlagen kein Bestandteil des Verteilernetzes im Sinn von Art. 2 Nr. 28 und Nr. 29, Artikel 30 ff. EltRL 2019 sind.
Rz. 21
b) Durch den Anschluss der Anlagen 1 und 2 als Kundenanlagen an das Verteilernetz werden die Ziele von Art. 1 Abs. 1 und 2 EltRL 2019, integrierte, wettbewerbsgeprägte, faire und transparente Elektrizitätsmärkte zu schaffen, sowie für die Verbraucher erschwingliche und transparente Energiepreise und -kosten, ein hohes Maß an Versorgungssicherheit und einen reibungslosen Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem mit geringen CO2-Emissionen sicherzustellen, berührt. Zwar ist das im Hinblick auf die einzelne Anlage, die wie oben ausgeführt jeweils für sich allein zu betrachten ist, unbedeutend. Je mehr Energieanlagen zur Abgabe von Energie vergleichbarer Art und Größe aber als Kundenanlagen an das Verteilernetz angeschlossen werden, desto gewichtiger sind die möglichen, teils nachteiligen und - worauf die Antragstellerin zu Recht hinweist - teils vorteilhaften Auswirkungen auf die genannten Ziele.
Rz. 22
aa) Mit dezentralen Erzeugungsanlagen verbundene Energieanlagen zur Abgabe von Energie wie die Anlagen 1 und 2 können einen Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem mit geringen CO2-Emissionen zwar erleichtern (vgl. Buchmüller/Kisker, RdE 2022, 381, 384, 385). Beim Anschluss einer Vielzahl vergleichbarer Kundenanlagen an das Verteilernetz wird der Netzbetrieb aber generell teurer und weniger effizient. Zunehmend weniger Letztverbraucher tragen die Gesamtkosten des Netzes. Denn für Strom, der durch eine dezentrale Erzeugungsanlage erzeugt und in der daran angeschlossenen Kundenanlage verbraucht wird, sind keine Netzentgelte gemäß §§ 20 ff. EnWG zu zahlen, während der Verteilernetzbetreiber gleichwohl genug Netzkapazität vorhalten muss, um bei einem Ausfall der dezentralen Erzeugungsanlagen die Versorgung aufrecht zu erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - KVR 27/04, BGHZ 163, 296 [juris Rn. 48]; Booz, N&R 2018, 130, 133, 134; Hartmann in FS Danner 2019, S. 207, 215, 216; Burbach RdE 2019, 56, 60, 61; Buchmüller/Kisker, RdE 2022, 381, 386, 387). Auch im Hinblick auf Art. 15 Abs. 2 Buchst. e und Art. 16 Abs. 1 Buchst. e EltRL 2019, wonach sicherzustellen ist, dass (sogar) aktive Kunden und Bürgerenergiegemeinschaften in geeigneter und ausgewogener Art und Weise zu den Gesamtsystemkosten beitragen, ergeben sich daher Zweifel, ob die Anlagen 1 und 2 vom Verteilernetz ausgenommen werden können.
Rz. 23
bb) Dass die Kosten für die Errichtung, den Betrieb und die Wartung der Anlagen 1 und 2 aufgrund des Wärmelieferungsvertrags von der Wohnungsbaugenossenschaft (und letztlich von den Letztverbrauchern und Mietern) getragen werden, führt zu einer Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und anderen Stromlieferanten. Die Antragstellerin hat weder die Kosten für die Energieanlagen zur Abgabe von Energie zu tragen noch Netzentgelte zu zahlen (zum Gesichtspunkt der [Quer-]subventionierung in dieser Fallgestaltung Rasbach/Brodowski in FS Danner 2019, 537, 547; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 - EnVR 33/21, ZNER 2022, 454 Rn. 17 - Energiespezifische Dienstleistungserbringer). Je mehr Anlagen vergleichbarer Art und Größe die Antragstellerin betreibt, desto größere Auswirkungen auf den Wettbewerb sind daher zu erwarten.
Rz. 24
cc) Darüber hinaus besteht auch im Verhältnis zu den Letztverbrauchern ein systemimmanenter Interessenkonflikt, weil die Antragstellerin ihnen sowohl als Eigentümerin und Betreiberin der Kundenanlage als auch als Stromlieferantin gegenübertritt. Als Stromlieferantin hat die Antragstellerin ein Interesse an der Durchsetzung möglichst hoher Strompreise. Dieses Interesse würde bei transparenter Ausweisung der von ihr erhobenen Entgelte für die Errichtung, den Betrieb und die Wartung der Anlagen 1 und 2 beeinträchtigt. Folgerichtig weisen die vorliegend im Wärmelieferungsvertrag getroffenen Vereinbarungen das Nutzungsentgelt nicht gesondert aus. Den Mietern ist es daher nicht möglich, die insgesamt anfallenden Entgelte für den von ihnen bezogenen Strom zu ermitteln.
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