Leitsatz (amtlich)
Zu den formalen Schranken, die der Kritik einer Gewerkschaftszeitung an einem als unsozial beurteilten Unternehmer gesetzt sind.
Normenkette
GG Art. 5; BGB § 823
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 11.06.1974) |
LG Köln (Urteil vom 19.09.1973) |
Tenor
I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juni 1974 im Kostenpunkt und teilweise in der sachlichen Entscheidung aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 19. September 1973 wird auch insoweit zurückgewiesen, als sie verurteilt sind, die Bezeichnung des Klägers als „Halsabschneider” zu unterlassen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 und die Beklagten 1/3.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger betreibt mehrere Glashütten. Die erstbeklagte Gewerkschaft gibt für ihre Angehörigen die „Gewerkschaftspost” heraus. Die Beklagten zu 2) sind die verantwortlichen Redakteure dieser Zeitung. Der Beklagte zu 3) ist der Verfasser eines Artikels über den Kläger, der unter der Überschrift, „Wie W. (der Kläger) abblitzte” in der Ausgabe der Gewerkschaftspost vom Mai 1972 erschienen ist.
Der Artikel trägt die Überschrift: „Der berüchtigte Chef der I.-Hütte wollte ein neues Glaswerk kaufen. Doch die Belegschaft lehnte ihn ab.”
Es heißt dann weiter:
„Durch solidarisches Handeln bewiesen die 250 Belegschaftsmitglieder der vor der Liquidation stehenden Kristallglaswerke H., daß sie eher bereit sind, die Unannehmlichkeiten einer Betriebsstillegung auf sich zu nehmen, als sich einem Halsabschneider auszuliefern.”
Sodann wird ausgeführt, daß die Belegschaft in einer außerordentlichen Betriebsversammlung auf die Frage, ob sie bereit sei, unter dem Kläger zu arbeiten, mit „nein” geantwortet habe. Der Kläger habe daraufhin verzichtet.
Ferner ist mitgeteilt, daß der Kläger bekannt und in der Vergangenheit schon mehrfach negativ aufgefallen sei. So habe er 220 Arbeiter seiner Glashütte in Sch. (Österreich) entlassen, weil sie es gewagt hätten, „wegen ihrer untertariflichen Bezahlung” 20 Minuten zu streiken. – Auch dulde der Kläger die Prügelstrafe in seinem Betrieb in E. So sei eine Türkin von einem Vorarbeiter verprügelt worden, weil sie ein Glas habe fallen lassen; eine andere Türkin sei ebenfalls verprügelt und durch den Betrieb geschleift worden.
Der Kläger hat beantragt,
I. die Beklagten zu verurteilen, es bei Vermeidung von Zwangsmitteln zu unterlassen, folgende Behauptungen aufzustellen:
1) der Kläger sei ein Halsabschneider;
2) der Kläger sei der berüchtigte Chef der I.-Hütte;
3) der Kläger habe auf den Ankauf der Kristallglaswerke H. verzichtet, nachdem die Belegschaft die Frage des Vorstandssprechers der V-AG in einer außerordentlichen Betriebsversammlung, ob sie bereit sei, unter dem Kläger zu arbeiten, verneint hätte;
4) in der außerordentlichen Betriebsversammlung der Kristallglaswerke H. vom 30.3.1972 habe die Belegschaft die Frage des Vorstandssprechers, ob sie bereit sei, unter dem Kläger zu arbeiten, einstimmig abgelehnt, sie habe dem Kläger eine eindeutige Abfuhr erteilt, ohne in diesem Zusammenhang ergänzend hinzuzufügen, daß die aufgetretenen Unstimmigkeiten am 18.4.1972 ausgeräumt wurden, nachdem der Kläger sich bereit erklärt hatte, für das Werk A. dem zuständigen Arbeitgeberverband beizutreten;
5) der Kläger habe die 220 Arbeiter seiner Glashütte in Sch. (Österreich) entlassen, weil sie es gewagt hätten, „wegen ihrer untertariflichen Bezahlung” 20 Minuten zu streiken;
6) der Kläger dulde die Prügelstrafe in seinem Betrieb, die Türkin S.K. sei von einem Vorarbeiter verprügelt worden, weil sie ein Glas fallen gelassen habe; ebenfalls verprügelt und durch den Betrieb geschleift worden sei die Türkin Y.U.;
II. die Beklagten zu 1) und 3) zu verurteilen, in der nächsten, auf die Urteilszustellung folgenden Nummer der „Gewerkschaftspost”
1) die Behauptungen zu I. 1, 2, 3, 5 und 6 als unrichtig zu widerrufen,
2) zu der Behauptung, daß in der außerordentlichen Betriebsversammlung der Kristallgalswerke H. vom 30.3.1972 die Belegschaft auf die Frage des Vorstandssprechers, ob sie bereit sei, unter dem Kläger zu arbeiten, einstimmig abgelehnt habe, ergänzend darauf hinzuweisen, daß die aufgetretenen Unstimmigkeiten am 18.4.1972 ausgeräumt wurden, nachdem der Kläger sich bereit erklärt hatte, für das Werk dem zuständigen Hessischen Arbeitgeberverband beizutreten.
Das Landgericht hat die Beklagten nur zur Unterlassung und Widerruf der Äußerungen zu I Ziffer 1, 2 und 3 des Klagantrags verurteilt, und auch ohne die zu II 2 begehrte Richtigstellung. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es die Klage ferner insoweit abgewiesen, als sie Unterlassung und Widerruf der „Behauptung” verlangt, der Kläger sei ein Halsabschneider, sowie der Behauptung bezüglich der Entlassungen in der Glashütte in Sch.
Die Revision erstrebt einen weiteren Teilerfolg der Klage.
Entscheidungsgründe
A
Die Revision ist zulässig. Da sich der Kläger als Unternehmer gekränkt sieht, sind bei seinem Interesse an der Abwehr der unter sich zusammenhängenden Kränkungen, auch soweit die Klage nicht auf § 824 BGB abstellt, wirtschaftliche Gesichtspunkte mindestens in wesentlicher Weise beteiligt (zuletzt Senatsurteil vom 30. Mai 1974 – IV ZR 199/72 – B.-Momoiren – NJW 1974, 1470 mit Nachw.). Es liegt also im Sinne von § 546 ZPO ein Rechtsstreit über vermögensrechtliche Ansprüche vor. Die nach dem auf die Revision anwendbaren Art. 1 Ziff. 1 BGH-EntlG erforderliche Beschwerdesumme ist erreicht.
B
Das Berufungsgericht hat die Berechtigung des Klagbegehrens auf Unterlassung und Widerruf nur unter dem Gesichtspunkt des § 1004 BGB (in seiner von der Rechtsprechung anerkannten Erstreckung auf die insbesondere in §§ 823, 824 BGB geschützten Rechtsgüter) geprüft. Seine Auffassung, daß insoweit alle vier Beklagten als solche legitimiert sind, ist rechtlich bedenkenfrei. Sie wird auch von der Revisionserwiderung nicht angegriffen.
Sachlich hat der Revisionsangriff allerdings nur teilweise Erfolg.
I
Zurecht weist das Berufungsgericht zunächst die Ansprüche ab, die die Klage daraus herleitet, daß die Beklagten behauptet haben, der Kläger habe in dem Betrieb in Sch. die Mehrzahl seiner Arbeitnehmer entlassen, weil sie wegen untertariflicher Bezahlung 20 Minuten gestreikt hätten.
1. Das Berufungsgericht meint, diese „unerlaubte Handlung” der Beklagten sei nicht rechtswidrig, weil weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit der Behauptung erwiesen sei. Insofern ist der Ausdruck „unerlaubte Handlung” dahin richtigzustellen, daß das Vorgehen der Beklagten objektiv geeignet war, den vor allem geschäftlichen Ruf des Klägers zu beeinträchtigen, und daß deshalb ein auf § 1004 BGB in der heute anerkannten erweiterten Auslegung gestützter Anspruch auf Unterlassung, ggf. auch Widerruf der beanstandeten Behauptung grundsätzlich in Frage kam. Bei diesem Verständnis kann dem Berufungsgericht zunächst hier gefolgt werden (vgl. BGH Urt. vom 12. Januar 1960 [La Chatte] – I ZR 30/58 – LM BGB § 1004 Nr. 49 = NJW 1960, 642; allg.Rspr.).
2. Im Ergebnis ist dem Berufungsgericht aber auch darin zu folgen, daß dem Kläger mangels festgestellter Unrichtigkeit der Behauptung keine Ansprüche auf Störungsbeseitigung zustehen.
Die Ausführungen des Berufungsurteils lassen sich insoweit dahin zusammenfassen:
Nach dem Beweisergebnis spreche manches dafür, daß für den Streikentschluß in Sch. die mangelnde Bereitschaft des Klägers, eine Ende 1969 fällige tarifliche Istlohn-Erhöhung zu bezahlen und den mit der damals eingeführten Arbeitszeitverkürzung verbundenen Lohnausgleich zu akzeptieren, wenigstens mitursächlich gewesen sei. Damit sei die betriebliche Lohnpolitik als Anlaß für den Streik nicht auszuschließen und könne auch gegenüber dem Widerstand gegen die angeordneten Überstunden nicht (wie dies das Landgericht gesehen hatte) als zweitrangig eingestuft werden. Deshalb lasse sich die „untertarifliche Bezahlung” als wesentliches Motiv für den Streik zwar nicht positiv feststellen, aber auch nicht widerlegen. Überdies falle den Beklagten, die bei der streitigen Veröffentlichung berechtigte Interessen wahrgenommen hätten, auch nicht der Vorwurf mangelnder Sorgfalt zur Last.
a) Gegen die in diesen Ausführungen des Berufungsgerichts enthaltenen tatsächlichen Feststellungen erhebt die Revision Verfahrensrügen, die der Senat indessen nicht für durchgreifend erachtet; von einer Begründung sieht er gemäß § 565 a ZPO ab.
b) In sachlich-rechtlicher Hinsicht hat die Entscheidung des Berufungsgerichts Bestand.
Ein Widerruf der tatsächlichen Behauptlangen kann schon deshalb nicht in Frage kommen, weil ihre Unwahrheit nicht feststeht (zuletzt Senatsurteil vom 4. Juni 1974 – VI ZR 68/73 – LM GG Art. 5 Nr. 35 = VersR 1974, 1080, 1081 mit Nachw.). Dies würde freilich einen Unterlassungsanspruch nicht ausschließen, soweit es um eine nicht erweislich wahre Behauptung geht, die ein schutzwürdiges Recht des Klägers – hier etwa sein Persönlichkeitsrecht als Unternehmer oder das Recht an seinem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – beeinträchtigt. Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts hat im Ergebnis gleichwohl Bestand.
Zunächst kann daran, daß die Beklagten, die sich mit ihrer Zeitschrift die Wahrung der Belange der Arbeitnehmer zur Aufgabe gemacht haben, in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt haben, kein Zweifel bestehen. Ebenso unzweifelhaft ist es, daß sie ihre Aufmerksamkeit verstärkt der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers zuwenden durften, dessen Verhalten als Unternehmer verschiedentlich wenigstens an die Randbereiche des sozial Tragbaren heranreichte, wie sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt.
Zieht man dies in Betracht, dann gewinnt gegenüber den negatorischen Ansprüchen des Klägers, wenigstens soweit es um die Abwehr von möglicherweise zutreffenden Behauptungen geht, das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) eine verstärkte Bedeutung, hinter der hier der Abwehranspruch zurücktreten muß. Zwar berührt das Grundrecht nicht ohne weiteres die Regel des einfachen Rechts, daß, wer eine nicht beweisbare Behauptung aufstellt, dafür im Zweifel dem dadurch Beeinträchtigten einstehen muß (vgl. § 186 StGB). Anderes muß aber zumindest dann gelten, wo die Richtigkeit einer (hier: inneren) Tatsache, vorliegend der wahren Beweggründe für den Streik in Sch., mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeiten letztlich nach freier Meinung beurteilt werden muß. Daß es sich so verhält, ergibt u.a. das Eingeständnis des Klägers in seiner bei den Akten befindlichen Beschwerde vom 26. März 1970 gegen einen Bescheid des Einigungsamtes Linz (ABl. 191, 232), in der er selbst sagt, daß damals die Frage des Lohnausgleichs „noch nicht völlig geklärt” war.
Bei solcher Sachlage muß die Freiheit der Meinungsäußerung bei der Abwägung den Ausschlag geben, auch soweit es sich um die Meinung im Bereich einer tatsächlichen Würdigung handelt. Jede andere Beurteilung wäre verfassungsrechtlich nicht tragbar.
II
Ebenso rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen, soweit er Unterlassung und Widerruf der Äußerung begehrt, er sei „der berüchtigte Chef der I.-Hütte”.
Dazu führt das angefochtene Urteil aus: Aufgrund der in anderem Zusammenhang festgestellten Tatsachen stehe fest, daß der Kläger aus der Sicht der Beklagten in mehrfacher Hinsicht negativ aufgefallen und daher „berüchtigt” gewesen sei. Für seinen schlechten Ruf bei einem Teil der Arbeitnehmerschaft spreche auch, daß er von der Belegschaft der Glaswerke in H. von vorneherein abgelehnt worden sei. Schließlich werde er durch den Ausdruck „berüchtigt” nicht formal beleidigt, jedenfalls nicht in dem Rahmen, in dem hier dieser Ausdruck gebraucht worden sei: Die Äußerung sei nämlich in einem Artikel einer Gewerkschaftszeitung erschienen, lasse damit die grundsätzliche Verschiedenheit der Standpunkte der Parteien im arbeitspolitischen und arbeitsrechtlichen Bereich erkennen.
Dem ist beizutreten.
1. Ersichtlich geht es nur um den Begriff „berüchtigt”. Diesem mag zunächst insoweit ein tatsächlicher Aussagegehalt zukommen, als er darauf hindeutet, daß der Kläger hinsichtlich seines sozialen Verhaltens einen schlechten Ruf genieße. Der Zusammenhang der Veröffentlichung und ihr Erscheinen in einem gewerkschaftseigenen Organ lassen aber vor allem auch keinen Zweifel daran, daß der dem Kläger beigelegte schlechte Ruf sich auf die Sicht der Gewerkschaft bezieht, im weiteren Sinn auf die Sicht von Kreisen, die sich die unter Umständen militante Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen gerade in der Branche des Klägers zur Aufgabe gemacht haben. Daß der Kläger bei diesen in schlechtem Ruf stand, also „berüchtigt” war, ist offenbar unbestritten.
2. Allerdings könnte die Bezeichnung des Klägers als „berüchtigt” trotz diesem sich anbietenden Verständnis in tatsächlicher Hinsicht dann irreführend gewesen sein, wenn seine Ablehnung im Verhältnis der Sozialpartner keinen wenigstens vertretbaren Anlaß gehabt hätte. Denn der unbefangene Durchschnittsleser – auf dessen Verständnis es in erster Linie ankommt – wird geneigt sein, aus dem immerhin aggressiven Ausdruck auch zu entnehmen, daß es an einem wenigstens subjektiv vertretbaren Anlaß für seinen Gebrauch nicht fehle. Aber auch aus dieser im Sinne des Klägers etwas ergänzten Sicht erscheint die Bezeichnung in tatsächlicher Beziehung nicht unwahr. Dies stellt das Berufungsgericht im Ergebnis ohne Rechtsirrtum fest.
Das Berufungsgericht bezieht sich nämlich insoweit auf seine in anderem Zusammenhang getroffenen Feststellungen, daß der Kläger an ausländische Hilfsarbeiter, die er in großer Zahl beschäftigte, Löhne bezahlte, die mit rd. DM 2,50 pro Stunde auch damals weit unter dem sonst in der Glasindustrie Üblichen lagen. Dies hätte noch dahin ergänzt werden können, daß er diese Löhne öffentlich als sogar noch viel zu hoch bezeichnet hatte. Das Berufungsgericht weist weiter darauf hin, daß die Lohnpolitik des Klägers schon Antragen im Bundestag und Vorbehalte ausländischer Arbeitsministerien und diplomatischer Vertretungen veranlaßt hatte. Weitere Feststellungen ergeben, daß die vom Kläger für ausländische Arbeitnehmer (nach dem Akteninhalt entgeltlich) zur Verfügung gestellten Barackenunterkünfte grobe Unzulänglichkeiten aufwiesen, und daß er entgegen arbeitsrechtlichen Grundsätzen bei einem aus der Sphäre seines Betriebs veranlaßten Arbeitsausfall ohne Entlohnung nacharbeiten ließ. Es kann schließlich auch herangezogen werden, daß ausländische Arbeiterinnen in seinem Betrieb Handgreiflichkeiten bis zur Ohrfeige durch Vorgesetzte ausgesetzt waren, ohne daß der Kläger dies mißbilligte.
Dies bleibt in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang ohne Rücksicht darauf bedeutsam, daß die Vorderrichter darin noch keine Rechtfertigung für den Vorwurf gesehen haben, der Kläger dulde in seinen Betrieben die „Prügelstrafe” – eine Entscheidung, die das Revisionsgericht nicht nachzuprüfen berufen ist (§ 559 ZPO).
Zieht man dies alles in Betracht, dann kann der Bezeichnung des Klägers als in dem in Frage stehenden besonderen Bereich „berüchtigt” auch keine im weiteren Sinne irreführende Bedeutung beigelegt werden.
3. Schließlich kann der Revision nicht in ihrer Meinung gefolgt werden, daß der Ausdruck „berüchtigt” in dem gegebenen Zusammenhang (auf den es ankommt) eine formale Beleidigung dargestellt habe. Die Beklagten waren nicht nur berechtigt, auf den schlechten Ruf hinzuweisen, den der Kläger im Verhältnis der Sozialpartner jedenfalls aus einer angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten mindestens vertretbaren Sicht der Arbeitnehmerseite genoß. Sie waren auch befugt, dies in einem sinnfälligen und deutlich wertenden Ausdruck zu bekunden. Der Ausdruck „berüchtigt” ergibt in diesem Zusammenhang keinen Überschuß an nicht mehr hinzunehmender Abwertung (Schmähung), der seine Untersagung rechtfertigen könnte.
III
Nicht zu folgen vermag der Senat dagegen dem Berufungsgericht, soweit es den Beklagten im Gegensatz zum Landgericht auch die „Behauptung” gestatten will, der Kläger sei ein „Halsabschneider”.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stellt dieser Ausdruck eine Beurteilung mit tatsächlichem Kern dar, so daß er als Tatsachenbehauptung aufzufassen sei. Den tatsächlichen Gehalt erblickt das Berufungsgericht in der Aussage, daß der Kläger unter grober Mißachtung der Rechte anderer diese zu seinen Gunsten ausnutze, um vor allem gewerbliche Vorteile zu erlangen. Diesen tatsächlichen Gehalt der Bezeichnung hält das Berufungsgericht für erwiesen.
Im Ergebnis hat dies Bestand, jedenfalls wenn man sich bewußt bleibt, daß die Behauptung auch hier auf ein Verhalten hindeute, das gerade aus gewerkschaftlicher Sicht als unsozial betrachtet und entsprechend gebrandmarkt werden durfte. Damit kommt es nicht darauf an, daß nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (v. 11. Januar 1973 – 5 A ZR 322/72) die vom Kläger bezahlten Löhne nicht geradezu sittenwidrig (§ 138 BGB) waren, wenngleich sie nach anderen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen als wenigstens an der Untergrenze des moralisch Erträglichen angesiedelt zu betrachten sind. Neben dieser Lohnpolitik des Klägers, auf die das Berufungsgericht entscheidenden Wert legt, führt es, worauf im einzelnen nicht erneut einzugehen ist, die schon oben zu II geschilderten Vorfälle und Umstände an. Daß diese das zusammenfassende tatsächliche Urteil tragen, stellt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler fest. Dabei kam es nicht darauf an, daß einzelne in dem inkriminierten Artikel aufgeführte Punkte, so die behauptete Mißhandlung bestimmter Arbeiterinnen, als nicht erweislich außer Betracht bleiben müssen. Es kommt auch nicht darauf an, daß einzelne der im Laufe des Rechtsstreits festgestellten Belastungspunkte schon in dem Artikel nicht ausdrücklich zur Stützung des Gesamturteils aufgeführt gewesen waren (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 1974 – VI ZR 16/73 – NJW 1974, 1772, 1773; BVerfG NJW 1976, 1680, 1681).
Nach allem hat die Feststellung über die Richtigkeit des tatsächlichen Kernes des Gesamturteils Bestand. Dies gilt auch, wenn man ferner – anders als das Berufungsgericht – den Vorwurf unterschiedlicher Bezahlung von Frauen und Männern außer Betracht läßt, weil sich dies nach der (wohl nicht widerlegten) Darstellung des Klägers aus einer Verschiedenheit der geleisteten Arbeit gerechtfertigt haben solle.
Hat so aber das Berufungsgericht die tatsächliche Richtigkeit der Aussage fehlerfrei festgestellt, dann verbietet sich insoweit der vom Landgericht zugesprochene Widerruf, der sich nur auf Tatsachen, und zwar – jedenfalls in uneingeschränkter Form – nur auf erweislich unwahre, beziehen kann (Senatsurteil vom 4. Juni 1974 – VI ZR 68/73 – LM GG Art. 5 Nr. 35 = NJV 1974, 1371 mit Nachw.).
2. Der Revision kann aber der Erfolg insoweit nicht versagt werden, als sie sich gegen die Abweisung des Unterlassungsbegehrens wendet. Denn die Verwendung des Wortes „Halsabschneider” muß entgegen der Meinung des Berufungsgerichts in diesem Zusammenhang als Formalbeleidigung gewertet werden. Freilich ergibt sich dies nicht schon daraus, daß die Beklagten überhaupt das Verhalten des Klägers aufgegriffen und öffentlich negativ beurteilt haben; denn sie haben in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt. Indessen enthält der von ihnen gebrauchte Ausdruck nach den Umständen eine unstatthafte Schmähung des Klägers, die den Unterlassungsanspruch rechtfertigt. Dies vermag das Revisionsgericht, soweit das Berufungsgericht entscheidend auf Fragen des allgemeinen Sprachverständnisses abstellt, selbständig zu beurteilen.
a) Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, daß die Presse in solchen politisch brisanten Auseinandersetzungen mitunter scharf kritisieren darf (BGHZ 45, 296, 310; vgl. auch Senatsurteil vom 18. Mai 1971 – VI ZR 220/69 – LM GG Art. 5 Nr. 33 = MDR 1971, 999; jeweils mit Nachw.). Sie darf auch einprägsame, starke Formulierungen für erforderlich halten (BVerfGE 24, 278, 282 f; BVerfG NJW 1969, 227). Vor allem ist der befugtermaßen seine Meinung Vertretende nicht verpflichtet, die mildeste Fassung zu verwenden (Senatsurteil vom 18. Juni 1974 – VI ZR 16/73 – LM GG Art. 5 Nr. 36 = NJW 1974, 1762; schon zuvor unter teilweiser Aufgabe der früheren Rechtsprechung BGHZ 45, 296 – Höllenfeuer). Die Grenzen für eine zulässige Meinungsäußerung sind vielmehr bei einer solchen Auseinandersetzung (die vorliegende gehört nicht nur wegen der gewerkschaftlichen und presserechtlichen Aufgabenstellung für die Beklagten, sondern auch wegen des Interesses der Allgemeinheit an sozialer Ausgewogenheit des Arbeitslebens dazu) weit zu ziehen (BGHZ 45, 296, 309). Dies alles schließt jedoch eine allgemeine und im Einzelfall nur durch Abwägung zu erfüllende Pflicht zur Abgrenzung gegenüber dem, was nach der Sachlage als Schimpf- und Schmähkritik empfunden weisen muß, nicht aus (obiges Senatsurteil vom 18. Juni 1974 a.a.O.; vgl. auch neuerlich Senatsurteil vom 7. Dezember 1976 – VI ZR 272/75 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Prüfungspflicht setzt vor allem ein, wenn Ausdrücke gebraucht worden sind, die wegen der Stärke ihrer kritischen Abwertung im gegebenen Zusammenhang als Schimpfwörter empfunden werden können.
b) Der Ausdruck „Halsabschneider” wird im Verkehr entgegen der Meinung des Berufungsgerichts überwiegend als ein solches Schimpfwort empfunden. Er gehört, jedenfalls soweit er auf eine namentlich benannte Person angewandt wird, nicht mehr zu den Äußerungen, die im politischen Tageskampf – vor allem in gedruckten Veröffentlichungen – üblich sind und normalerweise auch ohne Beanstandungen hingenommen werden (vgl. BVerfG NJW 1976, 1680, 1681). Allerdings sind, wie das bereits erwähnte Senatsurteil BGHZ 45, 296, 308 ausgeführt hat, gegebenenfalls auch Angriffe „schimpfend-polternder Art” hinzunehmen; ihre Wertung am guten Geschmack müsse dem Leser überlassen werden. Auch ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß es für das jeweilige Verständnis mit auf den Horizont des angesprochenen Lesers ankommt, so daß ein bestimmtes Wort nicht abstrakt, etwa an Hand eines Wörterbuchs, entweder als noch zulässiger kritischer Terminus oder aber als unzulässiges Schimpfwort eingestuft werden kann. Insoweit haben sich die Beklagten insbesondere darauf berufen, daß sie sich legitimerweise des Stils und der Sprache ihrer Leser, der Gewerkschaftsangehörigen, bedient hätten, um sich diesen in einer für sie wichtigen Angelegenheit verständlich zu machen.
All diese Gesichtspunkte verkennt der Senat nicht, sie vermögen indessen nichts daran zu ändern, daß bei der gegebenen Sachlage der diffamierende Charakter des Ausdrucks überwiegt, ihn damit unzulässig macht. Was das Abstellen auf das Verständnis des besonderen Leserkreises anlangt, so hat zunächst außer Betracht zu bleiben, daß dort der starke und ehrenrührige Ausdruck wohl überwiegend Beifall erwarten konnte. Das allein kann ihn aber nicht erlauben. Das wäre wohl anders zu beurteilen, wenn die Beklagte das Verständnis ihrer tatsächlichen wie ihrer wertenden Aussage durch den Verzicht auf diesen Ausdruck hätten gefährdet sehen dürfen (wobei ihnen indessen ein legitimes Interesse nicht auch daran zugestanden werden kann, durch überwiegend Beschimpfendes den psychologischen Effekt ihrer erlaubten oder gar berechtigten Aussage zu verstärken). Das aber kann hier nicht anerkannt werden. Einmal nämlich ist sich heute auch das nicht gehobene Leserpublikum wenigstens in groben Zügen durchaus der Grenzen bewußt, die sich auch bei berechtigten und heftigen Presseangriffen aus dem Gesichtspunkt des Ehrenschutzes ergeben können; daher kann allgemein, wenn der Verzicht auf sprachliche Ausformungen überwiegend beschimpfenden Charakters gefordert wird, noch kein Mißverständnis befürchtet werden. Zum anderen aber kann im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung nicht außer Betracht bleiben, welche Nähe der gebrauchte, mindestens potentiell als Schmähung „ankommende” Ausdruck zum Gegenstand der Auseinandersetzung in der Presse hat. Insoweit kann ein engerer Bezug des, soweit ersichtlich, vor allem dem Bereich der Kreditwirtschaft entstammenden Ausdrucks „Halsabschneider” zum Arbeitsmarkt nicht mit dem Ergebnis festgestellt werden, daß seine Untersagung die freie Meinungsäußerung dort spürbar einengen könnte. Anders könnte es sich mit einem gerade in diesem Milieu gängigen Wertungsbegriff verhalten, selbst wenn sein Kränkungseffekt auf der Seite des Betroffenen nicht geringer wäre. In den Vorinstanzen ist insoweit als Vergleichspunkt der Vorwurf, ein „Ausbeuter” zu sein, erwähnt worden. Dieser Ausdruck bezeichnet zwar in der marxistischen Theorie den Unternehmer schlechthin, hat aber inzwischen wohl typische sprachliche Bedeutung zur Kennzeichnung eines unsozialen Unternehmers gewonnen. Dies könnte daher auch dann, falls man im vorliegenden Fall den unterstellten Vorwurf des „Ausbeuters” trotz gleicher Schwere zulassen wollte (worüber der Senat hier nicht zu entscheiden hat) den Gebrauch des weiter hergeholten und daher ohne Ausdruckseinbuße verzichtbaren Ausdrucks „Halsabschneider” nicht rechtfertigen. Sein Schmähungsgehalt, durch die bewußte Anlehnung an ein (freilich nicht wirklich vorgeworfenes) Gewaltverbrechen besonders sinnfällig gemacht, geht hier über das Maß dessen hinaus, was im Interesse der Meinungsfreiheit von dem dadurch in seiner Ehre Gekränkten hingenommen werden muß. Ob es damit anders stünde, falls dem Kläger eindeutige Verstöße gegen das Recht und rechtserhebliche Sittengebote nachgewiesen wären, kann dahinstehen, weil das Berufungsgericht derlei ausdrücklich nicht festzustellen vermag.
c) Etwas anderes können auch nicht die Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben, daß auch der Kläger im Meinungskampf gelegentlich erheblich gegen die Gebote des Anstandes und der Rücksichtnahme verstoßen und etwa in anderem, aber ebenfalls seine Rolle als Arbeitgeber betreffendem Zusammenhang den Fernsehmoderator M. öffentlich als „Lügenschwein” bezeichnet hat. Der zeitliche und sachliche Abstand dieser Vorkommnisse zu der hier streitigen Veröffentlichung schließt selbst eine affektive Sonderlage aus, die indessen den Gebrauch von Schimpfwörtern allenfalls zu entschuldigen, aber nicht zu rechtfertigen vermöchte.
d) Nach allem muß es dabei bleiben, daß der Gebrauch des Ausdrucks „Halsabschneider” als Bezeichnung für das Verhalten des Klägers, auf dem die Beklagten ersichtlich bestehen wollen, unter den gegebenen Umständen wegen seines vorwiegenden Schmähungsgehalts und auch wegen seines Abstandes zum sachnahen Vokabular unzulässig ist.
Daß – aber wiederum nicht auf rechtliche und wirtschaftliche Auseinandersetzungen im Arbeitsbereich beschränkt – heute allgemein eine gewisse Neigung zu wegen mangelnder Rücksichtnahme auf den Schutzbereich der angegriffenen Person unangemessener Ausdrucksweise bestehen mag, kann eine andere Beurteilung ebensowenig rechtfertigen wie die Erfahrung, daß derart Gekränkte nicht selten vor einer – wie sie glauben, unabwendbaren – Verwilderung des Verhaltens resignieren.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Deinhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1502210 |
Nachschlagewerk BGH |
AfP 1978, 33 |