Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine GmbH sich das Handeln eines Geschäftsführers zurechnen lassen muß, dessen Organstellung wegen Geschäftsunfähigkeit endete, ohne daß das Ende der Vertretungsmacht ins Handelsregister eingetragen worden war.
Orientierungssatz
Ist ein Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen, dessen Amt infolge Geschäftsunfähigkeit endete, so ist der Gesellschaft der Rechtsschein der Geschäftsfähigkeit nicht unter denselben Voraussetzungen wie die Vertretungsmacht, mithin nicht nach HGB § 15 Abs 1, zuzurechnen. Vielmehr müsse die Geschäftsunfähigkeit und damit die Unfähigkeit, die Gesellschaft rechtsgeschäftlich zu verpflichten, bei Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar gewesen und die Gesellschafter gleichwohl untätig geblieben sein. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist es der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung versagt, sich auf die Nichtigkeit der Willenserklärung zu berufen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Inhaberin eines Wechsels über 100.000,– DM, der von der D. & P. Import- und Großhandel GmbH am 5. Mai 1988 ausgestellt und von der Beklagten, vertreten durch ihren damaligen Geschäftsführer E., akzeptiert wurde. Am 3. August 1988 wurde im Handelsregister vermerkt, daß E. nicht mehr Geschäftsführer ist. Am 8. August 1988 wurde Protest mangels Zahlung erhoben.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung der 100.000,– DM nebst Zinsen und Wechselunkosten in Anspruch. Die Beklagte lehnt die Zahlung mit der Begründung ab, ihr Geschäftsführer sei geschäftsunfähig gewesen, als er den Wechsel akzeptierte. Das Landgericht hat der Klage durch Wechsel-Vorbehaltsurteil zunächst stattgegeben, dieses Urteil aber im Nachverfahren aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf Berufung der Klägerin das Vorbehalts-Urteil ohne den Vorbehalt aufrecht erhalten. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat zur Geschäftsunfähigkeit des Geschäftsführers der Beklagten keine Feststellungen getroffen, vielmehr unterstellt, daß der Geschäftsführer geschäftsunfähig war. Das Berufungsgericht führt aus, daß nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GmbHG nur eine unbeschränkt geschäftsfähige Person Geschäftsführer sein kann und daß dieses Amt endet, sobald der Geschäftsführer nach seiner Bestellung geschäftsunfähig wird. Die Beendigung des Geschäftsführeramtes sei nach § 39 Abs. 1 GmbHG ins Handelsregister einzutragen. Da die Eintragung noch nicht erfolgt war, als E. den Wechsel annahm, sei – so das Berufungsgericht – § 15 Abs. 1 HGB einschlägig. Danach könne die Beklagte der Klägerin nicht entgegenhalten, daß E. Amt als Geschäftsführer erloschen gewesen sei, als er den Wechsel annahm. § 15 Abs. 1 HGB sei auch einschlägig, wenn das Amt des Geschäftsführers infolge Geschäftsunfähigkeit erlösche. Aus dem Urteil des Senats in BGHZ 53, 210, 215, ergebe sich nichts anderes. Der Senat hatte dort ausgeführt, daß das Handelsregister zwar die Bestellung, nicht aber die Geschäftsfähigkeit eines Vertretungsorgans bezeuge. Nach Meinung des Berufungsgerichts ist damit nichts über die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB auf den späteren Wegfall der Geschäftsfähigkeit ausgesagt.
2. In diesem Punkt hat das Berufungsgericht die Ausführungen des Senats im früheren Urteil mißverstanden. Das Berufungsgericht unterscheidet bei seinen Ausführungen nicht zwischen dem Ende der Organstellung und der Tatsache, daß nach § 105 Abs. 1, § 165 BGB die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen selbst dann nichtig ist, wenn er sie als Vertreter abgibt. Unter die Publizität des Handelsregisters fallen zwar Beginn und Ende der Organstellung und damit die Vertretungsbefugnis, nicht aber die Geschäftsfähigkeit und damit die Frage, ob Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen wirksam oder nichtig sind. Dies hat das Berufungsgericht verkannt, wenn es ausführt, daß die Gesellschaft sich auf die Nichtigkeit der Willenserklärungen ihres geschäftsunfähigen Organs nur dann berufen könne, wenn § 15 Abs. 1 HGB einschränkend ausgelegt werde. Umgekehrt ist es richtig: § 15 Abs. 1 HGB müßte schon, indem man ihn erweiternd auslegt, auf die Geschäftsfähigkeit erstreckt werden, wenn die Gesellschaft sich auf die Nichtigkeit der Willenserklärung nicht sollte berufen dürfen.
3. Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß die Organstellung E. endete, als die persönliche Voraussetzung für dieses Amt, nämlich die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 GmbHG), wegfiel. Das damit einhergehende Ende der Vertretungsbefugnis war gemäß § 39 Abs. 1 GmbHG zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. Da diese Tatsache nicht eingetragen und bekannt gemacht war, als E. im Mai 1988 als Geschäftsführer der Beklagten den Wechsel akzeptierte, kann die Beklagte der Klägerin gemäß § 15 Abs. 1 HGB nicht entgegenhalten, daß E. die Vertretungsmacht fehlte. Für diesen Schutz Dritter ist ohne Bedeutung, warum die Tatsache nicht eingetragen oder bekannt gemacht ist; § 15 Abs. 1 HGB greift auch zu Lasten nicht voll Geschäftsfähiger ein (vgl. Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl., § 15 Rdn. 22; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 28. Aufl., § 15 Anm. 4C; K. Schmidt, JUS 1977, 209, 214; 1990, 517, 519; H. Westermann, JUS 1963, 1, 7; a.M. Dreher in einer Besprechung des Berufungsurteils, DB 1991, 533ff.).
Allerdings geht es im vorliegenden Falle nicht um einen Vertrauensschutz zu Lasten des geschäftsunfähigen Geschäftsführers; das Erlöschen seiner Vertretungsmacht war nicht in dessen Angelegenheiten, vielmehr gemäß § 39 Abs. 1 GmbHG in solchen der GmbH einzutragen, so daß der Vertrauensschutz gemäß § 15 Abs. 1 HGB zu deren Lasten geht. Ob das Erlöschen der Vertretungsmacht nicht eingetragen worden ist, weil die GmbH keinen Geschäftsführer hatte, der diese Tatsache hätte anmelden können, oder ob dafür andere Gründe maßgebend waren, ist unerheblich.
4. Nach alledem kann die Beklagte der Klägerin gemäß § 15 Abs. 1 HGB nicht entgegenhalten, daß der bei Annahme des Wechsels noch als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragene E. keine Vertretungsmacht hatte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist von der Frage nach der Vertretungsmacht jedoch die andere Frage strikt zu trennen, ob ein geschäftsunfähiges Organ rechtsgeschäftlich wirksam handeln kann. Die Geschäftsunfähigkeit des Geschäftsführers beendet nicht nur dessen Organstellung, sie führt gemäß § 105 Abs. 1 BGB auch zur Nichtigkeit der von ihm abgegebenen Willenserklärungen. Ist das Erlöschen der Organstellung – wie im vorliegenden Falle – nicht ins Handelsregister eingetragen worden, kann sich der Rechtsverkehr gemäß § 15 Abs. 1 HGB zwar auf deren Fortbestand, nicht aber auf die Geschäftsfähigkeit des Geschäftsführers verlassen; denn deren Erlöschen ist – wie der Senat in seinem Urteil vom 9. Februar 1970 (BGHZ 53, 210, 215) ausgeführt hat – keine Tatsache, die ins Handelsregister einzutragen ist (vgl. Hachenburg/Mertens, GmbHG, 7. Aufl., § 35 Rdn. 61; Rowedder/Rittner, GmbHG, 2. Aufl., § 6 Rdn. 23; Hefermehl in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropf, AktG, § 84 Rdn. 129, 131; Meyer-Landrut in GroßKomm. z. AktG, 3. Aufl., § 76 Anm. 17; W.-H. Roth, JZ 1990, 1030 in einer Anmerkung zum Berufungsurteil). Allein unter dem vom Berufungsgericht bemühten Gesichtspunkt der negativen Registerpublizität kann das Berufungsurteil nach alledem keinen Bestand haben.
5. Damit ist die Klage aber noch nicht abweisungsreif. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Beklagte nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen verpflichtet ist, die Wechselverbindlichkeit zu erfüllen. Der generell anerkannte Ausschluß eines Rechtsscheins im Interesse des Schutzes von Geschäftsunfähigen steht nicht entgegen; denn es geht nicht um einen Rechtsschein zu Lasten des geschäftsunfähigen Geschäftsführers, sondern zu Lasten der von ihm vertretenen Gesellschaft. Im Schrifttum wird allerdings der Standpunkt vertreten, daß wegen der eindeutigen Aussage des § 165 BGB, wonach bei Vertreterhandeln Willenserklärungen nur der beschränkt Geschäftsfähigen, nicht aber der Geschäftsunfähigen wirksam sind, dem Vertretenen das Handeln der Geschäftsunfähigen nicht nach Rechtsscheingrundsätzen zugerechnet werden könne (vgl. Thiele in MünchKomm., 2. Aufl., § 165 Rdn. 9). Diese Ansicht teilt der Senat in ihrer Allgemeinheit jedoch nicht. Richtig ist zwar, daß das Gesetz davon ausgeht, daß der Geschäftsunfähige in der Regel zur sinnvollen Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr außerstande ist und deshalb im Namen eines Dritten rechtsgeschäftliche Erklärungen nicht einmal dann soll abgeben können, wenn dieser daraus Vorteile erlangen würde und deshalb mit ihnen einverstanden ist. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen das allgemeine Interesse des Rechtsverkehrs an der generellen Nichtigkeit der Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen zurücktreten muß hinter den handelsrechtlichen Schutz des Vertrauens auf einen zurechenbar veranlaßten Rechtsschein.
Das Vertrauen des Rechtsverkehrs, daß Rechtsgeschäfte, die mit einer GmbH getätigt werden, wirksam sind, will der Gesetzgeber geschützt sehen. Hierzu gehört nicht nur, daß gemäß § 15 HGB unter dem Gesichtspunkt der Registerpublizität dem Vertrauen auf die infolge unvollständiger oder unrichtiger Offenlegung der Unternehmensverhältnisse geschaffenen Scheintatbestände Rechnung getragen wird. Auch die Verpflichtung des § 10 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, die Vertretungsverhältnisse im Register umfassend und eindeutig zu verlautbaren, dient der Sicherheit des Rechtsverkehrs. Diese Bestimmung ist in Durchführung der Publizitätsrichtlinie des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 1968 durch Gesetz vom 15. August 1969 zu dem Zweck in das GmbHG eingefügt worden, zum Schutz der Interessen Dritter über die Personalien derjenigen, welche die Gesellschaft verpflichten können, zu unterrichten und soweit wie möglich die Gründe zu beschränken, aus denen im Namen der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen unwirksam sein können (so die Begründung der Publizitätsrichtlinie in: Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, ZGR-Sonderheft 1, 3. Aufl., Seite 163). Mit dem gesetzgeberischen Zweck des Schutzes Dritter, die mit der Gesellschaft in Rechtsbeziehungen treten, wäre es unvereinbar, falls diese sich auch dann auf die Nichtigkeit von Willenserklärungen ihres Geschäftsführers berufen könnte, wenn dessen Geschäftsunfähigkeit für die Gesellschafter erkennbar war und von ihnen sein Handeln für die Gesellschaft hätte verhindert werden können.
Gesetzlich geregelt ist zwar nur das Vertrauen in die Vertretungsmacht, weil das Handelsregister nichts über die Geschäftsfähigkeit des Organmitgliedes aussagt. Die Eintragung des Organs ins Handelsregister gibt aber auch eine ausreichende Rechtsscheinbasis dafür ab, daß es die für dieses Amt erforderlichen persönlichen Voraussetzungen erfüllt, also voll geschäftsfähig ist (vgl. ähnlich W.-H. Roth, JZ 1990, 1030, 1031; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 35 Rdn. 9; Ostheim, AcP 169 (169), 193, 227). Der Rechtsverkehr kann erwarten, daß die Gesellschafter einen erkennbar Geschäftsunfähigen nicht bestellen oder sofort durch einen geschäftsfähigen Geschäftsführer ersetzen, falls die Geschäftsfähigkeit erst später wegfällt.
Ist ein Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen, dessen Amt infolge Geschäftsunfähigkeit endete, so ist der Gesellschaft der Rechtsschein der Geschäftsfähigkeit allerdings nicht unter denselben Voraussetzungen wie die Vertretungsmacht, mithin nicht nach § 15 Abs. 1 HGB zuzurechnen. Vielmehr müssen die Geschäftsunfähigkeit und damit die Unfähigkeit, die Gesellschaft rechtsgeschäftlich zu verpflichten, bei Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar gewesen und die Gesellschafter gleichwohl untätig geblieben sein. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist es der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung versagt, sich auf die Nichtigkeit der Willenserklärung zu berufen. Die Gesellschafter können regelmäßig eher und besser als außenstehende Dritte erkennen und beurteilen, ob der Geschäftsführer geschäftsunfähig ist.
6. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, da Feststellungen dazu fehlen, ob die Beklagte den Rechtsschein zurechenbar veranlaßt hat. Die Sache wird zurückverwiesen, damit die Parteien Gelegenheit erhalten, ihren Vortrag in diesem Punkt zu ergänzen, und das Berufungsgericht die fehlenden Feststellungen treffen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 649092 |
BGHZ, 78 |
BB 1991, 1584 |
NJW 1991, 2566 |
ZIP 1991, 1002 |
JZ 1992, 152 |
GmbHR 1991, 358 |