Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte im Jahr 2012 bei einem Autohaus ein Neufahrzeug des Typs VW Tiguan zum Preis von 35.600 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Am 25. Oktober 2016 wurde ein Software-Update zur Beseitigung dieser vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandeten Funktion aufgespielt.
Rz. 3
Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 24.326,67 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, an den Kläger 19.438,45 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die unbeschränkt zugelassene (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 16 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (OLG Dresden, Urteil vom 3. Dezember 2021 - 9a U 78/21, juris), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB. Der Anspruch sei auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des erlangten Nutzungsvorteils Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtet. Der Nutzungsvorteil sei gemäß § 287 ZPO auf 16.161,55 € zu schätzen, woraus ein Anspruch in Höhe von 19.438,45 € resultiere. Allerdings berufe sich die Beklagte zu Recht auf Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist habe jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen, da der Kläger spätestens mit Erhalt eines an ihn gerichteten Rückrufschreibens der Beklagten im Jahr 2016 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten "Dieselskandal" erlangt habe. Gleichwohl könne der Kläger gemäß § 852 Satz 1 BGB Restschadensersatz in der genannten Höhe von 19.438,45 € beanspruchen. "Erlangt" im Sinne der Vorschrift habe die Beklagte den ihr als Herstellerin des Fahrzeugs zugeflossenen Kaufpreis, also den vom Kläger gezahlten Preis abzüglich der Händlermarge. Bei einer Neufahrzeugbestellung durch den Endkunden über einen (Vertrags-)Händler wie im vorliegenden Fall erlange die Beklagte den Kaufpreis bei wirtschaftlicher Betrachtung - auch wegen des nicht vorhandenen Absatzrisikos des Händlers - nicht auf Kosten des Händlers, sondern des Endkunden. Die genaue Höhe des der Beklagten zugeflossenen Kaufpreises könne dahinstehen, da dieser Betrag jedenfalls höher liege als der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB (19.438,45 €), der die Obergrenze des Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bilde.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
Rz. 9
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 24 ff. mwN). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.
Rz. 10
2. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revision nicht - einen Anspruch des Klägers ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).
Rz. 11
3. Als frei von Rechtsfehlern erweist sich auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf des Klägers im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" habe, nämlich den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis.
Rz. 12
a) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang (BGH, Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).
Rz. 13
b) Im Streitfall ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben. Den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge bestellte der Kläger das Neufahrzeug bei einem Händler, der selbst kein Absatzrisiko trug. Die Fahrzeugbestellung des Klägers führte demnach dazu, dass die Beklagte nach entsprechender Bestellung des Händlers einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erhielt. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem vom Händler gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 13 f. mwN).
Rz. 14
4. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs des Klägers.
Rz. 15
a) Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 83 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes keineswegs in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der seitens des Fahrzeughändlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, aaO).
Rz. 16
b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht den Nutzungsvorteil (16.161,55 €) vom Endkaufpreis (35.600 €) abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 19.438,45 € im Sinne einer Vergleichsbetrachtung dem von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreis (Endkaufpreis abzüglich Händlermarge) gegenübergestellt. Den Händlereinkaufspreis hat es dabei nicht konkret festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, er liege jedenfalls höher als 20.000 € und damit höher als der Anspruch aus § 826 BGB. Indessen sind zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs sowohl der Nutzungsvorteil als auch die Händlermarge vom Endkaufpreis abzuziehen und folglich konkret festzustellen.
Rz. 17
c) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Restschadensersatzanspruch des Klägers hingegen nicht auf den von der Beklagten mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs erzielten Gewinn beschränkt. Die Aufwendungen der Beklagten für die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung des Fahrzeugs bestimmen das nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangte nicht mit. Sie sind auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigungsfähig, weil der Beklagten die Berufung auf eine mögliche Minderung ihrer Bereicherung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 86 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 17). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat fest.
III.
Rz. 18
Das Berufungsurteil ist aufzuheben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif im Sinne von § 563 Abs. 3 ZPO, da die erforderliche Feststellung der Händlermarge Sache des Tatrichters ist.
Menges |
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Krüger |
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Rensen |
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Wille |
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Vogt-Beheim |
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Fundstellen
Haufe-Index 15305520 |
VRS 2022, 90 |