Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 27. April 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Revisionsinstanz wird auf 5.800 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte als Motorenherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Er erwarb im Juli 2011 von einem Autohändler ein Fahrzeug Audi A4 2.0 TDl als Gebrauchtwagen zum Preis von 29.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet.
Rz. 3
Der Motor war mit einer Software versehen, die erkannte, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchläuft und schaltete in diesem Fall in einen optimierten Modus, durch den wegen geringerer Stickoxid-Emissionswerte die Stickoxidgrenzwerte im Prüfstandmodus eingehalten wurden.
Rz. 4
Am 22. September 2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit in Form einer Pressemitteilung darüber, dass in den mit einem EA 189-Dieselmotor ausgestatteten VW-Konzernfahrzeugen eine Software eingebaut sei, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstands- und realem Fahrbetrieb führe. Als börsennotiertes Unternehmen veröffentlichte die Beklagte am selben Tag zudem eine Ad-hoc-Mitteilung identischen Inhalts. In der Folgezeit gab die Beklagte im Zeitraum von Ende September bis Mitte Oktober 2015 weitere Pressemitteilungen heraus und informierte die Öffentlichkeit darüber, dass der Dieselmotor EA 189 mit einer Abschaltvorrichtung versehen sei, die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als unzulässig angesehen werde. Zeitgleich war der sogenannte Dieselskandal Gegenstand einer umfangreichen Presseberichterstattung. Er beherrschte ab Ende September 2015 die deutschen Medien und war daneben auch Gegenstand einer vielfältigen Berichterstattung internationaler Medien. Der Kläger erlangte im Laufe des Jahres 2015 Kenntnis von der Berichterstattung über die Manipulation von Dieselmotoren im "Audi- und VW-Konzern". Die Beklagte informierte den Kläger mit einem im Jahr 2016 zugesandten Schreiben über die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeuges von der Abgasproblematik und der Erforderlichkeit eines Software-Updates zur Meidung einer Stilllegung. In der Folgezeit wurde das Software-Update bei dem Fahrzeug aufgespielt.
Rz. 5
Mit der am 31. Dezember 2019 erhobenen und der Beklagten am 4. Februar 2020 zugestellten Klage hat der Kläger die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 5.800 € (merkantile Wertminderung) nebst Zinsen sowie der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung verlangt.
Rz. 6
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, dem Kläger stehe wegen des merkantilen Minderwerts des Fahrzeugs kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Der Schaden des Erwerbers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs sei in der ungewollten Verbindlichkeit in Form des geschlossenen Kaufvertrags zu sehen. Der Erwerber könne deshalb verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Demgegenüber sei das Klagebegehren des Klägers auf die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags gerichtet, weil er verlange, so gestellt zu werden, als hätte er einen Kaufvertrag über ein nicht manipuliertes Fahrzeug abgeschlossen. Regelmäßig bestehe nur bei vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehungen eine begründete Erwartung auf die Deckung des Erfüllungsinteresses. Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpfe, sei das Erfüllungsinteresse im Deliktsrecht nicht zu erstatten.
Rz. 9
Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers sei zudem verjährt. Die Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2015 begonnen, weil zu diesem Zeitpunkt die gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geregelten Voraussetzungen zur Klageerhebung vorgelegen hätten. Es stehe zwar nicht fest, dass der Kläger über die allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hinaus bereits im Jahr 2015 auch Kenntnis von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt habe. Von diesen - den Anspruch begründenden - Umständen hätte er indes Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müssen. Ausgehend von der massiven und ins Detail gehenden Berichterstattung in allen Medien, den an die Öffentlichkeit gerichteten Informationen der Beklagten und den Verlautbarungen des KBA in den Wochen nach der ersten Pressemitteilung vom 22. September 2015 erscheine das Unterlassen weiterer Erkundigungen im letzten Quartal des Jahres 2015 geradezu unverständlich. Durch eine einfache Recherche auf der eigens zu diesem Zweck Anfang Oktober 2015 eingerichteten und öffentlich bekannt gemachten Webseite der Beklagten hätte sich der Kläger durch die Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs verschaffen können. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte oder ein Händler ihn über eine individuelle Betroffenheit informieren werde. Dem Kläger sei die Erhebung der Klage auch zumutbar gewesen. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe mit Ablauf des 31. Dezember 2015 begonnen, so dass im Zeitpunkt der Einreichung der Klage beim Landgericht im Dezember 2019 bereits die Verjährung eingetreten gewesen sei.
II.
Rz. 10
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 11
1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Kläger den Schädiger nicht auf Ersatz des kleinen Schadensersatzes in Anspruch nehmen kann.
Rz. 12
a) Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Dabei kommt es darauf an, den Geschädigten wirtschaftlich möglichst so zu stellen, wie er ohne das schadenstiftende Ereignis stünde (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20 Rn. 13, BGHZ 230, 224). Nach diesen Grundsätzen kann ein Geschädigter, der durch ein deliktisches Handeln eines Dritten zum Abschluss eines Kaufvertrags bestimmt worden ist, von diesem verlangen, so gestellt zu werden, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Zu Recht ist zwar das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die deliktische Haftung nicht das Erfüllungsinteresse (positive Interesse) umfasst, weil diese nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft. Der Umfang des Schadensersatzes beschränkt sich vielmehr auf das Erhaltungsinteresse und damit auf das negative Interesse. Denn der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 -VI ZR 40/20 Rn. 14, BGHZ 230, 224).
Rz. 13
b) Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, ist der Geschädigte auf der Grundlage der §§ 826, 31, § 249 Abs. 1 BGB in den "Dieselfällen" nicht darauf beschränkt, gegen die Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und sonstiger Vorteile die Kaufsache herauszugeben. Der Geschädigte kann vielmehr die Kaufsache behalten und als Schaden den Betrag ersetzt verlangen, um den er das Fahrzeug zu teuer erworben hat, wobei es grundsätzlich auf den Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt (BGH, Urteil vom 17. November 2022 - VII ZR 260/20, unter II. 2., z.V.b.; Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20 Rn. 12-23, BGHZ 230, 224). Der Geschädigte wird dabei so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Da es sich hierbei nur um die Bemessung des Vertrauensschadens und nicht um die Frage einer Anpassung des Vertrags handelt, braucht der Geschädigte in diesem Fall nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21 Rn. 9, MDR 2022, 495; Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20 Rn. 16 ff., Rn. 21, BGHZ 230, 224).
Rz. 14
Die Bemessung des kleinen Schadensersatzes richtet sich in den "Dieselfällen" nach dem objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, bei dessen Bestimmung die mit der Prüfstanderkennungssoftware verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko dem Kläger nachteiliger behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen sind. Aus der Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung und der daraus gegebenenfalls resultierenden Stilllegungsgefahr ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für einen objektiven Minderwert im Kaufzeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20 Rn. 25, BGHZ 230, 224; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 48, BGHZ 225, 316). Denn das Wertverhältnis der vertraglich geschuldeten Leistungen ändert sich nicht dadurch, dass eine der Leistungen nachträglich eine Auf- oder Abwertung erfährt; der Vertrag wird dadurch nicht günstiger oder ungünstiger (BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21 Rn. 15, MDR 2022, 495; Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20 Rn. 23, BGHZ 230, 224).
Rz. 15
c) Der Kläger hat die Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem nach seinem Vortrag angemessenen niedrigeren Wert seines mit einem Mangel - in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung - behafteten Fahrzeugs verlangt und damit die Höhe des Schadensersatzes unter Nennung einer ausreichenden Berechnungsgrundlage in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2022 - VIa ZR 6/21, juris Rn. 10; Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21 Rn. 10, MDR 2022, 495; Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20 Rn. 10, BGHZ 230, 224; Urteil vom 5. Oktober 2021- VI ZR 136/20 Rn. 21, NJW-RR 2022, 23).
Rz. 16
2. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden.
Rz. 17
a) Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Hierzu genügt es in Fällen der vorliegenden Art, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21 Rn. 17 m.w.N., NJW 2022, 1311).
Rz. 18
Die Feststellung, ob und wann der Gläubiger Kenntnis von bestimmten Umständen hatte oder ob seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 16, NJW 2021, 918).
Rz. 19
b) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs im Zeitraum bis Ende 2015 angenommen.
Rz. 20
aa) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21 Rn. 16, WM 2022, 1743; Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 226/20 Rn. 18, WM 2022, 984; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21 Rn. 39, WM 2022, 731; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 396/21 Rn. 23, MDR 2022, 558).
Rz. 21
bb) Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21 Rn. 18, WM 2022, 1743; Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 226/20 Rn. 18, WM 2022, 984; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21 Rn. 41, WM 2022, 731; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 396/21 Rn. 25, MDR 2022, 558).
Rz. 22
c) Nach diesen Maßstäben war der Kläger nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit zur Prüfung gehalten gewesen, ob sein Fahrzeug vom sogenannten Dieselskandal betroffen war.
Rz. 23
Selbst wenn es dem Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass er in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers bis zum Ende des Jahres 2016 nicht schlechterdings unverständlich (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 226/20 Rn. 22, WM 2022, 984; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 396/21 Rn. 27, MDR 2022, 558).
Rz. 24
d) Die Verjährung ist im Jahr 2019 durch Erhebung der Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.
Rz. 25
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen wirkt die am4. Februar 2020 erfolgte Zustellung der Klage gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt ihres Eingangs am 31. Dezember 2019 zurück.
Rz. 26
aa) Soll durch die Zustellung die Verjährung nach § 204 BGB gehemmt werden, tritt diese Wirkung nach § 167 ZPO bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Der Begriff "demnächst" ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Wege einer wertenden Betrachtung ohne eine absolute zeitliche Grenze auszulegen. Die Parteien sollen vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden, weil die Zustellung von Amts wegen geschieht und von ihnen nicht beeinflusst werden kann. Dies gilt auch dann, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich die Partei, der die Fristwahrung obliegt, grundsätzlich nicht zurechnen lassen (BGH, Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21 Rn. 17, WM 2022, 745; Urteil vom 25. Februar 2021 - IX ZR 156/19 Rn. 18, NJW 2021, 1598; Urteil vom 1. Oktober 2019 - II ZR 169/18 Rn. 9 f., juris; Urteil vom 11. Februar 2011 - V ZR 136/10 Rn. 6, NZM 2011, 752; Urteil vom 31. Oktober 2000 - VI ZR 198/99, BGHZ 145, 358, juris Rn. 20).
Rz. 27
Der Partei sind jedoch solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zurechenbar, zu denen sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges - Verhalten beigetragen haben und die sie bei gewissenhafter Prozessführung hätten vermeiden können (BGH, Urteil vom 11. August 2022 - VII ZR 460/21 Rn. 20, juris; Urteil vom 25. Februar 2021 - IX ZR 156/19 Rn. 19, NJW 2021, 1598; Urteil vom 12. September 2019 - IX ZR 262/18 Rn. 23, WM 2019, 2019; Urteil vom 12. Juli 2006 - IV ZR 23/05 Rn. 18, BGHZ 168, 306). Maßgeblich ist dabei, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit verzögert hat (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 - II ZR 281/18 Rn. 8, WM 2020, 276; Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14 Rn. 6, NJW 2015, 2666; Urteil vom 10. Februar 2011 - VII ZR 185/07 Rn. 8, BauR 2011, 885 = NZBau 2011, 485). Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen sind regelmäßig geringfügig und bleiben deshalb außer Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21 Rn. 18, WM 2022, 745; Urteil vom 25. Februar 2021 - IX ZR 156/19 Rn. 19, NJW 2021, 1598; Urteil vom 10. Dezember 2019 - II ZR 281/18 Rn. 8, WM 2020, 276; Urteil vom 10. September 2015 - IX ZR 255/14 Rn. 15, NJW 2016, 151).
Rz. 28
bb) Nach diesen Grundsätzen liegt keine dem Kläger zuzurechnende erhebliche Verzögerung der Klagezustellung vor.
Rz. 29
Ausgehend von der Anforderung des Gerichtskostenvorschusses am 6. Januar 2020, einer üblichen Postlaufzeit von drei Werktagen, einer Prüfungs- und Weiterleitungsfrist von weiteren drei Werktagen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 103/16 Rn. 13 f., NJW-RR 2018, 461; Beschluss vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14 Rn. 8, NJW 2015, 2666) sowie einer Erledigungsfrist von einer weiteren Woche (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 - II ZR 281/18 Rn. 11, WM 2020, 276; Urteil vom 17. Mai 2019 - V ZR 34/18 Rn. 9, NJW-RR 2019, 976), war der Eingang des weiteren Kostenvorschusses nicht vor dem 22. Januar 2020 zu erwarten. Dass der Vorschuss tatsächlich erst am 23. Januar 2020 bei Gericht einging, bleibt als geringfügige Verzögerung außer Betracht.
III.
Rz. 30
Das angefochtene Urteil war daher nach § 562 ZPO aufzuheben und die Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif, weil das Berufungsgericht die von ihm nicht vorgenommene Schadensschätzung nachzuholen haben wird.
Pamp |
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Jurgeleit |
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Sacher |
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C. Fischer |
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Fundstellen