Entscheidungsstichwort (Thema)
Irrtümliche Löschung eines Rohrleitungsrechts im Grundbuch
Leitsatz (amtlich)
§ 816 Abs. 1 Satz 2 BGB ist auch anzuwenden, wenn bei unentgeltlichem Erwerb eines Grundstücks vom Eigentümer das Recht eines Dritten an dem Grundstück infolge des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs (§ 892 BGB) erlischt.
Normenkette
BGB § 816 Abs. 1 S. 2, § 873 Abs. 1, § 892
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 14. Mai 1980 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Beklagte zu 1 war Eigentümer von vier Grundstücken, die mit einem Rohrleitungsrecht zugunsten der Klägerin belastet waren. 1959 wurde das Recht irrtümlich im Grundbuch gelöscht. Das größte der Grundstücke ließ der Beklagte zu 1 zehn Jahre später neu vermessen und in drei Teile aufteilen. Er übereignete je ein Teilstück durch notariellen Überlassungsvertrag vom 4. November 1969 "schenkweise" seinen Kindern, den Beklagten zu 2 und 3. Die Eigentumsumschreibung erfolgte im Mai 1971.
Die Klägerin hat verlangt, daß die Beklagten "die Wiedereintragung ... des gelöschten Rohrleitungsrechts bewilligen". Sie meint, das Grundbuch sei durch die irrtümliche Löschung ihres Rechtes unrichtig geworden. Hätten die Beklagten zu 2 und 3 ihre Grundstücke aber durch die Übertragung gutgläubig lastenfrei erworben, seien sie nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet, "das Erworbene wieder herauszugeben".
Der Beklagte zu 1 hat den Anspruch, soweit er sich gegen ihn richtet, anerkannt; die Beklagten zu 2 und 3 haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat die Beklagten, den Beklagten zu 1 durch Anerkenntnisurteil, verurteilt, "die Wiedereintragung des gelöschten Rohrleitungsrechtes ... zu bewilligen". Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zu 2 und 3 - im folgenden nur noch die Beklagten - zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision erstreben die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage.
Die Klägerin beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält das Klagebegehren nach § 894 BGB oder gemäß § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB für gerechtfertigt:
Die Beklagten könnten sich nicht auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs berufen.
Sie hätten ihre Grundstücke zwar durch Rechtsgeschäft erworben; dieses trage jedoch nach seiner Gesamtgestaltung deutlich die Züge einer vorweggenommenen Erbfolge. In einem solchen Fall sei die Anwendung des § 892 BGB seinem Zweck nach nicht begründet (RGZ 123, 52, 56 und 136, 150). Denn es trete wie beim regulären Erbgang kein Erwerber neu hinzu, der dem zu erwerbenden Grundstück bisher ferngestanden habe und deshalb auf die Richtigkeit des Grundbuchs angewiesen sei.
Sei jedoch eine Vorwegnahme der Erbfolge nicht anzunehmen, stehe der Klägerin ein Anspruch auf Wiedereintragung nach oder entsprechend § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. In der Verfügung des Vaters der Beklagten als Eigentümer über sein Grundstück habe zugleich ein unberechtigter Eingriff in die Rechte der Klägerin gelegen; denn infolge dieser Verfügung sei die der Klägerin zustehende Dienstbarkeit nach den Vorschriften über den öffentlichen Glauben des Grundbuchs erloschen.
II.
Die Revision der Beklagten bleibt im Endergebnis ohne Erfolg.
1.
Mit Recht fügt die Revision allerdings, daß das Berufungsgericht den Vertrag zwischen den Beklagten und ihrem Vater (dem früheren Beklagten zu 1) als eine die Anwendung des § 892 BGB ausschließende vorweggenommene Erbfolgeregelung angesehen hat.
Nach einer in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Auffassung ist einem Erwerber, dem ein Grundstück im Rahmen vorweggenommener Erbfolge unter Lebenden übertragen wird, der Schutz des § 892 BGB zu versagen (so z.B., wenn auch mit unterschiedlicher Begründung: RGZ 123, 52, 56; 136, 148, 150; Planck/Strecker, BGB 5. Aufl. § 892 Erl. II 1 e; Staudinger/Seufert, BGB 11. Aufl. § 892 Rdn. 24 a; MünchKomm/Wacke, BGB § 892 Rdn. 37; Soergel/Siebert/Baur, BGB 11. Aufl. § 892 Rdn. 20; Paland/Bassenge, BGB 40. Aufl. § 892 Anm. 3 a cc; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. § 85 III 1 b; Baur, Sachenrecht, 11. Aufl. § 23 III 3 d cc). Ob dieser Meinung zu folgen ist, hat der Senat in seinem Beschluß vom 13. Juli 1959 (BGHZ 30, 255, 256) offengelassen. Dies bedarf auch jetzt keiner Entscheidung.
Die Feststellungen in dem mit der Revision angegriffenen Urteil lassen nicht den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß zu, der Vater habe seinen Kindern, den Beklagten, die Teilgrundstücke nicht schenkweise, sondern im Wege vorweggenommener Erbfolge übertragen. Weder die Erwägung des Berufungsgerichts, in einer intakten Familie werde eine Aufteilung von Grundbesitz vernünftigerweise so geregelt, wie es hier der Vater der Beklagten getan habe, noch die Tatsache, daß er einerseits seine Ehefrau zur Alleinerbin seines - wertvollen Grundbesitz umfassenden - Vermögens eingesetzt, andererseits den Kindern den flächenmäßig größeren Teil des Grundbesitzes schon zu Lebzeiten zugewandt hat, sind geeignet, die Vermutung der Richtigkeit des in der notariellen Urkunde vom 4. November 1969 Erklärten zu widerlegen. Dies muß um so mehr gelten, als es sich bei den verschenkten Parzellen zwar um große Flächen, jedoch um Ländereien handelt, die wenig nutzbar sind, da sie in einer Wasserschutzzone mit absolutem Bauverbot liegen, und deren Verwaltung, wie das Berufungsgericht erwägt, für einen im vorgerückten Alter stehenden Menschen, wie hier den Schenker, eher eine Belastung darstellten. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen, ist von dem beurkundeten Rechtsgeschäft, einer Schenkung, auszugehen; danach berufen sich die Beklagten, denen das Bestehen des gelöschten Rechtes nicht bekannt war, zu Recht auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs (§ 892 BGB).
2.
Ohne Erfolg bleibt jedoch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe für diesen Fall zu Unrecht einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Beklagten auf Wiedereintragung des irrtümlich gelöschten Rechts gemäß § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB bejaht:
a)
Der Klageantrag ist allerdings seinem Wortlaut nach nur auf die Wiedereintragung des gelöschten Rechts gerichtet, wie sie zur Berichtigung des Grundbuchs verlangt werden kann. Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB geht dagegen auf (Wieder-)Bestellung (§ 873 Abs. 1 BGB) des erloschenen Rechts. Diesen Anspruch macht die Klägerin hilfsweise geltend, wie die auch dem Revisionsgericht mögliche (vgl. BGH WM 1971, 1300, 1304 Senatsurteil vom 16. März 1973 - V ZR 38/71 - WM 1973, 574, 575) Auslegung ihres Klageantrags ergibt. Sie hat nämlich schon in den Vorinstanzen erklärt, sie begehre hilfsweise die Herausgabe des Erlangten gemäß § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB. Demnach verlangt sie mit der Bewilligung zur Wiedereintragung - hilfsweise - auch die Einwilligung in die Wiederbestellung des Rechtes.
b)
Der Anspruch auf Wiederbestellung des infolge der Vorschriften über den öffentlichen Glauben des Grundbuchs erloschenen Rohrleitungsrechts ist nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet.
Allerdings hat der Vater der Beklagten nicht als Nichtberechtigter und nicht über das Rohrleitungsrecht der Klägerin verfügt. Er hat vielmehr ihm gehörende Grundstücke den Beklagten übereignet. Das diesen nicht bekannte Rohrleitungsrecht der Klägerin ist dabei infolge des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs kraft Gesetzes erloschen (§ 892 BGB). Gleichwohl ist § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB hier anzuwenden, wie schon das Reichsgericht (RGZ 119, 308, 312; 123, 52, 57) angenommen hat.
Entgegen der Ansicht der Revision hat das Reichsgericht in der Entscheidung RGZ 119, 308 ff den § 816 BGB nicht nur mit Rücksicht "auf die Aufwertungsproblematik der Zeit" bei gutgläubig lastenfreiem Erwerb (entsprechend) angewendet, sondern ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dies dem Grundgedanken des § 816 BGB entspreche und durch die Motive bestätigt werde, und das sich das Schrifttum schon vor dem Inkrafttreten des Aufwertungsgesetzes in diesem Sinne ausgesprochen habe (RG a.a.O. S. 312). Diese Auslegung des § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB hat auch im neueren Schrifttum Zustimmung gefunden (z.B. Soergel/Siebert/Mühl a.a.O. § 816 Rdn. 7 und 10 i.V.m. Rdn. 16; MünchKomm/Lieb a.a.O. § 816 Rdn. 39 i.V.m. Rdn. 49; wohl auch Erman/Westermann, BGB 7. Aufl. § 816 Rdn. 12 und 13; zweifelnd Staudinger/Lorenz, BGB 12. Aufl. § 816 Rdn. 4). § 816 Abs. 1 BGB dient insbesondere dem Ausgleich von Rechtsverschiebungen, die aufgrund der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb eintreten (Staudinger/Lorenz a.a.O. § 816 Rdn. 1).
Dieser Zweck der Vorschrift gebietet es, die Fälle einzubeziehen, in denen durch eine Verfügung des Berechtigten über ein Grundstück Rechte eines Dritten daran ohne ein weiteres Rechtsgeschäft infolge des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs (§ 892 BGB) erlöschen. Dies muß insbesondere für den Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB gelten, dem die Erwägung zugrunde liegt, daß die Interessen eines Beschenkten weniger schutzwürdig sind als die des früheren Berechtigten. Eine Bestimmung, deren Zweck es ist, zu Lasten des unentgeltlich Erwerbenden die aus dem Gutglaubenserwerb entstehenden Härten auszugleichen (Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, 15. Aufl. § 225 I 2 S. 900), die also im wirtschaftlichen Endergebnis dem gutgläubig aber unentgeltlich Erwerbenden den Schutz wieder nimmt (Larenz Schuldrecht, 12. Aufl. § 69 IV b S. 567; Erman/Westermann a.a.O. § 816 Rdn. 12), muß, um ihren Sinn zu erfüllen, alle Fälle des unentgeltlichen Gutglaubenserwerbes erfassen, sei dieser durch, sei er infolge einer Verfügung (Planck/Siebert a.a.O. § 816 Rdn. 6) eingetreten.
c)
Keine der Parteien wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht auch bei Bestehen eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Rückgewähr des Erlangten antragsgemäß nur zur Bewilligung der Wiedereintragung verurteilt hat. Dem Tenor des Urteils kommt danach unter den hier gegebenen besonderen Voraussetzungen der Sinn zu, daß die vom Landgericht ausgesprochene Verurteilung der Beklagten zugleich die Erklärung umfaßt, der Klägerin solle mit der Bewilligung auch materiell das eingetragene Recht wieder zustehen.
Unterschriften
Dr. Thumm
Dr. Eckstein
Linden
Vogt
Lambert
Fundstellen
Haufe-Index 1456034 |
BGHZ, 395 |
NJW 1982, 761 |
DNotZ 1983, 38 |
JZ 1982, 253 |