Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall
Leitsatz (amtlich)
Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, ist die im Rahmen einer Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer nicht ersatzfähig, auch nicht in Höhe des im Schadensgutachten zugrunde gelegten Umsatzsteueranteils. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (Anschluss BGH, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, VersR 2017, 115).
Leitsatz (redaktionell)
1. Die in der vom Geschädigten gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf den Wiederbeschaffungswert bleibt fiktiv, weil sie tatsächlich nicht angefallen ist.
2. Vom Tatrichter ist im Rahmen der Schadensschätzung zu klären, ob solche Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UStG regelbesteuert oder nach § 25a UStG differenzbesteuert oder von Privat und damit umsatzsteuerfrei angeboten werden.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 2 S. 2; ZPO § 287; UStG §§ 10, 25a
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Urteil vom 20.12.2017; Aktenzeichen 1 S 34/17) |
AG Heidelberg (Entscheidung vom 13.06.2017; Aktenzeichen 21 C 27/17) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Heidelberg vom 20.12.2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.
Rz. 2
In einem vom Kläger vorprozessual eingeholten Gutachten ermittelte ein Sachverständiger für das verunfallte Fahrzeug einen Brutto-Wiederbeschaffungswert von 22.350 EUR und einen Restwert von 8.000 EUR. Der Kläger veräußerte das Unfallfahrzeug und erwarb ein Ersatzfahrzeug für 14.500 EUR inklusive 19 % Umsatzsteuer. Gegenüber der Beklagten zu 1) rechnete er den Wiederbeschaffungsaufwand auf Gutachtenbasis ab, wobei er vom Brutto-Wiederbeschaffungswert als Restwert (von ihm tatsächlich beim Verkauf erzielte) 8.200 EUR statt 8.000 EUR in Abzug brachte, mithin 14.150 EUR verlangte. Die Beklagte zu 1) zahlte auf den Wiederbeschaffungsaufwand 12.896,63 EUR. Mit der Klage hat der Kläger den Differenzbetrag von 1.253,37 EUR (zzgl. Zinsen und restlicher vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten) geltend gemacht. Er ist der Auffassung, es sei von dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert auszugehen, da er ein Ersatzfahrzeug erworben habe, so dass Umsatzsteuer tatsächlich angefallen sei. Demgegenüber meinen die Beklagten, von dem Brutto-Wiederbeschaffungswert sei der Regelsatz der Umsatzsteuer von 19 % abzuziehen.
Rz. 3
Das AG hat der Klage stattgegeben. Das LG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, es sei von dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert auszugehen. Der Kläger habe Anspruch auf Erstattung der darin enthaltenen Umsatzsteuer. Bei der vom Kläger vorgenommenen Ersatzbeschaffung sei Umsatzsteuer i.H.v. 2.315,12 EUR tatsächlich angefallen. Demgegenüber betrage der Umsatzsteueranteil des im Gutachten ausgewiesenen Wiederbeschaffungswertes lediglich 438,24 EUR (bei einer Differenzbesteuerung von 2 %) bzw. 755,80 EUR (bei einer Differenzbesteuerung von 3,5 %). Daher sei die im Wiederbeschaffungswert enthaltene Umsatzsteuer zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands angefallen und somit gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB zu ersetzen. Weshalb der Geschädigte dann, wenn er ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis erwerbe, der unterhalb des gutachterlich ermittelten Wiederbeschaffungswerts liege, schlechter stehen solle - und der Schädiger entsprechend besser -, weil er sich zwischen fiktiver Abrechnung ohne Ersatz der Umsatzsteuer und konkreter Abrechnung, zwar mit Umsatzsteuer, aber nur in Höhe des tatsächlich aufgewandten Kaufpreises, entscheiden müssen solle, sei nicht recht verständlich. Denn der im Gutachten bezifferte Wiederbeschaffungsaufwand stelle den Schaden dar, den der Kläger aufgrund des Unfalls erlitten habe. Es liege hier keine unzulässige Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung vor. Dies sei dann der Fall, wenn der Netto-Wiederbeschaffungswert um den bei der Ersatzbeschaffung angefallenen Steuersatz erhöht würde. Vorliegend gehe der Kläger bei der Schadensermittlung aber von dem Brutto-Wiederbeschaffungswert laut Gutachten aus, d.h. von dem darin enthaltenen Differenzsteuersatz.
II.
Rz. 5
Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Im Rahmen der vom Kläger gewählten fiktiven Schadensabrechnung ist - trotz der von ihm tatsächlich vorgenommenen, aber nicht konkret abgerechneten Ersatzbeschaffung - nicht vom Brutto-, sondern vom Netto-Wiederbeschaffungswert auszugehen. Zur Ermittlung des daher in Abzug zu bringenden Umsatzsteueranteils ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 6
1. Der bei Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag schließt die Umsatzsteuer nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie nur fiktiv bleibt, weil es zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht kommt. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung und verlangt stattdessen den hierfür erforderlichen (gutachterlich ermittelten) Geldbetrag, erhält er nicht den vollen, sondern den um die Umsatzsteuer reduzierten Geldbetrag (BT-Drucks. 14/7752, 23; BGH, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rz. 11 m.w.N.; v. 9.5.2006 - VI ZR 225/05, NJW 2006, 2181 Rz. 10).
Rz. 7
Dies gilt auch für den Fall, dass der Geschädigte - wie hier der Kläger - zwar tatsächlich eine umsatzsteuerpflichtige Ersatzbeschaffung vornimmt, die dabei anfallende Umsatzsteuer also zur Wiederherstellung des früheren Zustands einsetzt (vgl. BT-Drucks. 14/7752, 23), für die Schadensabrechnung aber die für ihn günstigere Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung der Kosten der Ersatzbeschaffung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens wählt. Der Senat hat bereits entschieden, dass auch in diesem Fall von dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert die Umsatzsteuer in Abzug zu bringen ist, wobei sich diese nach dem fiktiven Ersatzbeschaffungsgeschäft bemisst (BGH, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rz. 12, 17; vgl. auch BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, 175). Denn der Geschädigte muss sich an der gewählten fiktiven Schadensabrechnung jedenfalls dann festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten einer tatsächlich erfolgten Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der Nebenkosten den ihm aufgrund der fiktiven Schadensberechnung zustehenden Betrag nicht übersteigen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (BGH, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rz. 17; v. 30.5.2006 - VI ZR 174/05, NJW 2006, 2320 Rz. 11; vgl. auch BGH, Urt. v. 17.10.2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rz. 15 m.w.N.; v. 15.2.2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, 175). Eine solche liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht nur dann vor, wenn im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung zu dem im Gutachten ausgewiesenen Netto-Wiederbeschaffungswert die bei dem konkreten Ersatzkauf tatsächlich angefallene Umsatzsteuer addiert wird, sondern auch dann, wenn bei der fiktiven Abrechnung unter Verweis auf einen tatsächlich getätigten Ersatzkauf der im Gutachten ausgewiesene Brutto-Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt wird. Denn auch im letzteren Fall möchte der Geschädigte im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung den Umstand berücksichtigt wissen, dass er tatsächlich einen (umsatzsteuerpflichtigen) Ersatzkauf vorgenommen hat. Die in der vom Geschädigten gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf den Wiederbeschaffungswert bleibt aber fiktiv, weil sie tatsächlich nicht angefallen ist, während das tatsächlich getätigte Ersatzbeschaffungsgeschäft, bei dem Umsatzsteuer angefallen ist, vom Geschädigten nicht abgerechnet wird.
Rz. 8
Der Revisionserwiderung ist darin Recht zu geben, dass in früheren Senatsurteilen der Ersatz der Umsatzsteuer beim Kauf einer gleichwertigen Ersatzsache von privat mit der Begründung versagt wurde, dass keine Umsatzsteuer angefallen sei, so dass sie "in diesem Fall auch im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung nicht ersatzfähig" sei (BGH, Urt. v. 22.9.2009 - VI ZR 312/08, NJW 2009, 3713 Rz. 10; v. 2.7.2013 - VI ZR 351/12, NJW 2013, 3719 Rz. 7; vgl. auch BGH, Urt. v. 5.2.2013 - VI ZR 363/11, NJW 2013, 1151 Rz. 16). Darüber, ob sie, wäre sie bei einer Ersatzbeschaffung angefallen, auch im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung ersatzfähig wäre, hatte der Senat allerdings in den genannten Entscheidungen nicht zu befinden. Dies hat der Senat nunmehr mit Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15 (VersR 2017, 115) verneint, und zwar entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung unabhängig von dem Umstand, dass der Geschädigte in dem dort zugrunde liegenden Fall vorsteuerabzugsberechtigt war (a.a.O. Rz. 17: "Unabhängig hiervon"). An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Rz. 9
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird der Geschädigte durch das Verbot, in die fiktive Schadensabrechnung den Brutto-Wiederbeschaffungswert einzubeziehen, dann nicht schlechter gestellt, wenn - wie vorliegend - die fiktiven Ersatzbeschaffungskosten (bei Zugrundelegung des Netto-Wiederbeschaffungswertes) die Bruttokosten des tatsächlich erfolgten, aber nicht abgerechneten Ersatzbeschaffungsgeschäfts übersteigen. Überstiegen - wie hier nicht - die konkreten Kosten des tatsächlich getätigten Ersatzgeschäfts einschließlich der Nebenkosten wie tatsächlich angefallener Umsatzsteuer den aufgrund der fiktiven Schadensabrechnung zustehenden Betrag, bliebe es dem Geschädigten - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - im Übrigen unbenommen, zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich vorgenommenen Ersatzbeschaffung überzugehen (BGH, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rz. 18 m.w.N.).
Rz. 10
2. Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Zur Ermittlung des vom Brutto-Wiederbeschaffungswert in Abzug zu bringenden Umsatzsteueranteils wird auf die Senat, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15 (VersR 2017, 115 Rz. 13); v. 9.5.2006 - VI ZR 225/05 (NJW 2006, 2181 Rz. 7) verwiesen. Danach ist vom Tatrichter im Rahmen der Schadensschätzung (§ 287 ZPO) zu klären, ob solche Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UStG regelbesteuert oder nach § 25a UStG differenzbesteuert oder von Privat und damit umsatzsteuerfrei angeboten werden.
Fundstellen
Haufe-Index 12334248 |
BFH/NV 2019, 191 |
BB 2018, 2753 |
DStR 2018, 12 |
NJW 2018, 8 |
NJW 2019, 1145 |
NWB 2018, 3511 |
NJW-RR 2019, 144 |
JR 2020, 475 |
JurBüro 2019, 50 |
ZAP 2018, 1274 |
DAR 2019, 305 |
DAR 2019, 81 |
JZ 2019, 34 |
MDR 2018, 1488 |
NZV 2019, 482 |
Umsatzsteuer direkt digital 2019, 13 |
VRS 2018, 113 |
VersR 2018, 1530 |
ZfS 2019, 143 |
KfZ-SV 2019, 30 |
NJW-Spezial 2018, 745 |
NWB direkt 2018, 1193 |
RÜ 2019, 86 |
r+s 2019, 53 |
DS 2019, 71 |