Leitsatz (amtlich)

Erleidet ein Bundeswehrsoldat beim Transport zu einem Truppenübungsplatz einen Verkehrsunfall durch Verschulden eines Panzerfahrers, dessen Einsatz in keinem dienstlichen Zusammenhang mit diesem Transport steht, so ist der Unfall bei der „Teilnahme am allgemeinen Verkehr” im Sinne des § 1 ErwZulG eingetreten.

 

Normenkette

SVG § 91a; ErwZulG § 1

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 05.05.1988)

LG Hannover

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 5. Mai 1988 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Am 11. Januar 1986 kam es kurz vor 8.00 Uhr morgens auf der sog. Panzerringstraße, die die südlich und nördlich von Munster gelegenen Truppenübungsplätze verbindet, zu einem schweren Unfall. Ein Bundeswehrkampfpanzer geriet wegen Glatteises auf die Gegenfahrbahn und stieß mit einem entgegenkommenden Bundeswehrbus zusammen. Der Kläger war Insasse des Bundeswehrbusses und wurde verletzt. Er nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat den Schmerzensgeldanspruch als ausgeschlossen angesehen, weil die Verletzung des Klägers eine Wehrdienstbeschädigung gewesen sei und der Unfall sich nicht bei einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage unter Berücksichtigung eines dem Kläger anzurechnenden hälftigen Mitverschuldens des Busfahrers teilweise stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die zugelassene Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Haftungsbeschränkung des § 91 a SVG komme nicht zur Anwendung, weil der Unfall, durch den der Kläger verletzt wurde, sich bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr i.S. des § 1 des Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen ereignet habe. Dagegen wendet die Revision sich ohne Erfolg.

II.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde der Unfall, bei dem der Kläger verletzt wurde, auch durch fahrlässiges Verhalten der Besatzung des unfallbeteiligten Panzers verursacht. Dies wird von der Revision hingenommen und läßt auch Rechtsfehler nicht erkennen.

III.

Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht durch § 91 a SVG ausgeschlossen, weil der Unfall sich für den Kläger bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet hat.

1. Nach dem Zweck des Ausnahmetatbestandes für die „Teilnahme am allgemeinen Verkehr” sollen die Haftungsbefreiungen, die § 91 a SVG an das (dienstbezogene) Verhältnis zwischen dem verletzten Soldaten und dem Schädiger knüpft, für einen Bereich entfallen, in dem der Soldat jedem anderen Verkehrsteilnehmer gleichsteht, so daß es unbillig wäre, ihn insoweit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern durch eine Beschränkung seiner Ansprüche zu benachteiligen. Die Regelung will diejenigen Fälle erfassen, in denen der Soldat den Gefahrenbereich, in dem er durch die Zugehörigkeit zu seiner Truppe betroffen ist, verläßt und sich als normaler Verkehrsteilnehmer in den Gefahrenbereich des allgemeinen Verkehrs begibt. Deshalb ist nicht allein maßgebend, wo der Unfall sich ereignet hat, sondern auch, inwieweit er mit dem Betrieb und der dienstlichen Tätigkeit des Soldaten zusammenhängt. Entscheidend ist, ob sich in dem Unfall eine dienstliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem manifestiert oder ob diese Beziehung zum Unfall keinen oder nur einen äußeren Zusammenhang hat (BGH Urteil vom 19. Januar 1988 – VI ZR 199/87 – BGHR RVO § 636 Abs. 1 Verkehr, allgemeiner 2; std.Rspr.).

2. Der Bus, in dem der Kläger transportiert wurde, und der mit ihm zusammengestoßene Panzer waren im Rahmen verschiedener militärischer Übungen unterwegs, die organisatorisch in keiner Verbindung standen. Sie begegneten sich außerhalb eines Truppenübungsplatzes oder eines sonstigen abgegrenzten militärischen Bereichs auf einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße. Daraus hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum den Schluß gezogen, daß der Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge sich im Rahmen der Teilnahme am allgemeinen Verkehr i.S. von § 636 RVO und § 1 des Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen ereignet hat (vgl. schon Senatsbeschluß vom 21. Dezember 1988 – III ZR 40/88 – zu § 636 RVO).

3. Aus den Urteilen des Senats und des Bundesarbeitsgerichts, auf die die Revision sich beruft, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Fälle sind von dem vorliegenden in tatsächlicher Hinsicht wesentlich verschieden.

In dem vom Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 14. März 1967 – I AZR 310/66 – VersR 1967, 656) beurteilten Fall waren zwei Fahrzeuge desselben Betriebs zum gemeinsamen Transport von Betriebsangehörigen zu und von einer Baustelle eingesetzt. Der Zusammenstoß zwischen ihnen ereignete sich daher im Rahmen eines einheitlichen Betriebsvorgangs, an dem beide beteiligt waren. So liegt der hier zu entscheidende Fall gerade nicht. Denn nach den Feststellungen waren die Aufträge, aufgrund deren der Bus und der Panzer unterwegs waren, organisatorisch völlig unabhängig voneinander (vgl. auch Hartung, 25 Jahre Karlsruher Forum, VersR 1983 Beil. S. 105, 113).

In dem dem Senatsurteil vom 19. Oktober 1978 – III ZR 59/77 – VersR 1979, 32 – zugrundeliegenden Fall ereignete der Unfall sich auf einer „im Gebiet des Truppenübungsplatzes liegenden” und „zum Übungsplatz gehörenden Panzerringstraße …, die uneingeschränkt nur für den Militärverkehr freigegeben war und dem zivilen Verkehr lediglich auf Anlieger beschränkt zur Verfügung stand.” Im vorliegenden Fall handelt es sich dagegen bei dem Unfallort um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße. Der Umstand, daß diese Straße im Bereich der Unfallstelle tatsächlich als Verbindungsstraße zwischen zwei Truppenübungsplätzen diente und infolgedessen in verstärktem Maße mit Militärfahrzeugen zu rechnen war, reicht nicht aus, um sie wie eine Straße innerhalb eines Truppenübungsplatzes zu behandeln. Bei einer solchen Ausdehnung des Betriebsbereichs in die tatsächliche Umgebung des Betriebs würden die Grenzen des Ausnahmetatbestands des allgemeinen Verkehrs in einem die Anwendbarkeit der Vorschrift unvertretbar erschwerenden Maße verwischt.

IV.

Ebenfalls rechtlich zutreffend hat das Berufungsgericht hinsichtlich des schuldhaften Verhaltens des Busfahrers den Haftungsausschluß gemäß § 91 a SVG eingreifen lassen und. gleichzeitig den Schadensersatzanspruch des Klägers wegen des schuldhaften Verhaltens des Panzerfahrers nach den Grundsätzen des sog. gestörten Innenausgleichs auf das beschränkt, was auf die Beklagte im Innenverhältnis zu dem Mitschädiger endgültig entfiele, wenn der Haftungsausschluß nicht Platz griffe.

1. Von dem Grundsatz, daß von mehreren Schädigern jeder dem Geschädigten für den von ihm zu verantwortenden Schaden ohne Rücksicht auf die Einstandspflicht der übrigen in vollem Umfang haftet, hat die Rechtsprechung Ausnahmen in Fällen zugelassen, in denen dem Schädiger die Möglichkeit zum Ausgleich bei einem Mitschädiger dadurch genommen ist, daß dieser kraft Gesetzes dem Geschädigten gegenüber von seiner Haftung freigestellt ist. In diesen Fällen kann der Geschädigte den nicht privilegierten Schädiger nur auf den Anteil des Schadens in Anspruch nehmen, mit dem dieser im Innenverhältnis zu dem freigestellten Schädiger belastet bliebe, wenn die Möglichkeit zum Innenausgleich nicht durch die Haftungsprivilegierung versperrt wäre (BGHZ 103, 338, 344 f.; BGH Urteil vom 17. Februar 1987 – VI ZR 81/86 – BGHR RVO § 636 Abs. 1 Arbeitnehmer 1; jew. m.w.Nachw.).

Nach diesen Grundsätzen muß der Kläger sich im Ergebnis den Mitverursachungsanteil des Busfahrers anrechnen lassen. Dies wird auch von der Revision als ihr günstig nicht in Frage gestellt.

2. Auch die Bemessung des dem Kläger danach anzurechnenden Mitverursachungsanteils mit 50 % läßt einen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten nicht erkennen. Die Abwägung der Mitverursachungsanteile durch den Tatrichter ist mit der Revision nur begrenzt angreifbar. Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde liegen und ob der Tatrichter dabei alle Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen hat (Senatsurteil vom 30. September 1982 – III ZR 110/81 – VersR 1982, 1196, 1197 f.; BGH Urteile vom 17. November 1964 – VI ZR 188/63 – VersR 1965, 88 – und vom 8. Dezember 1987 – VI ZR 82/87 – VersR 1988, 412, 413 = BGHR StVG § 17 Abwägung 1). Die Revision zeigt revisionsrechtlich beachtliche Fehler dieser Art nicht auf. Insbesondere zu der von der Revision vermißten Beweiserhebung war das Berufungsgericht nicht verpflichtet (§ 565 a ZPO).

In seinem Beschluß vom 21. Dezember 1988 (a.a.O.) hat der Senat zwar die Bewertung des dem Busfahrer zur Last fallenden Mitverschuldens mit 20 % gebilligt. Daraus kann die Revision aber schon deshalb nichts herleiten, weil die in vorliegender Sache vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung mit 50 % für die Beklagte erheblich günstiger ist.

 

Unterschriften

Krohn, Kröner, Engelhardt, Halstenberg, Werp

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237635

Nachschlagewerk BGH

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