Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
Leitsatz (amtlich)
Der Vergleich von Erledigungszahlen in einer richterlichen Beurteilung beeinträchtigt selbst bei einer Aufgliederung nach Erledigungsarten für sich allein noch nicht die richterliche Unabhängigkeit.
Normenkette
DRiG § 26
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 27.10.1976) |
LG Berlin |
Tenor
Auf die Revision des Antragsgegners wird das Urteil des Dienstgerichtshofs bei dem Kammergericht in Berlin vom 27. Oktober 1976 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den Dienstgerichtshof bei dem Kammergericht in Berlin zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Antragstellerin ist seit 1. März 1972 Richterin am Sozialgericht Berlin. Bis 31. Dezember 1974 war sie Vorsitzende einer Kammer für Angelegenheiten der Kriegsopfer- und Soldatenversorgung. Am 10. Februar 1975 erstellte der Präsident des Sozialgerichts einen „Personal- und Befähigungsnachweis”. Die beiden letzten Absätze der darin enthaltenen Beurteilung lauten:
„Den in qualitativer Hinsicht ganz erheblich über dem Durchschnitt liegenden Leistungen der Richterin stehen allerdings weit unter dem Durchschnitt liegende Erledigungszahlen gegenüber. Konnte eine vergleichsweise niedrige Erledigungszahl im Jahre 1973, dem Jahr der Übernahme der Richterin in das Richterverhältnis auf Lebenszeit, noch auf Einarbeitungsschwierigkeiten nach verkürzter Probezeit zurückgeführt werden, so muß die Erledigungszahl des Jahres 1974 mit der der anderen Richter am Sozialgericht verglichen werden. Dieser Vergleich zeigt, daß Frau Loewke mit 124 erledigten Sachen nur etwas über 50 % des durchschnittlichen, vom Präsidium bei der Geschäftsverteilung veranschlagten Richterpensums erreicht hat, ohne daß dafür etwa nennenswerte Fehlzeiten (drei Tage Krankheit) verantwortlich zu machen wären. Die übrigen 32 Richter am Sozialgericht haben in dem gleichen Zeitraum 7365 Sachen, d.h. 230 Sachen durchschnittlich erledigt.
Wegen dieser eingeschränkten Belastbarkeit von Frau L. müssen ihre Leistungen vorerst noch als
die Anforderung teilweise erheblich übertreffend
bezeichnet werden, wobei sich die Einschränkung „teilweise” auf die Belastbarkeit bezieht.”
Der Präsident des Landessozialgerichts Berlin äußerte dazu am 17. März 1975:
„Den qualitativ überdurchschnittlichen Leistungen der Richterin standen auch noch im Jahre 1974, ihrem dritten Berufsjahr am Sozialgericht, unterdurchschnittliche Erledigungszahlen gegenüber. Zwar hat Frau L., was der Norm entspricht, 75 Verfahren mit Urteil abgeschlossen. Aber die Zahl der insgesamt zum Abschluß gebrachten Verfahren erreicht mit ca. 2/3 des bei den drei weiteren Kammern des KOV ermittelten Durchschnitts nur einen noch recht niedrigen Stand. Ob dieses Defizit an Effektivität im wesentlichen mit der Frau L. übertragenen Materie der KOV zu erklären ist oder aber auf ihre Arbeitsweise, bzw. ihre Fähigkeiten zurückgeführt werden muß, läßt sich zur Zeit noch nicht sicher feststellen. Ausgehend von der Erwägung, daß von einem Richter am Sozialgericht im dritten Berufsjahr erwartet werden kann und muß, daß er etwa durchschnittlich abschließende Ergebnisse erzielt, halte ich zur Zeit kein besseres Gesamturteil als
übertrifft teilweise die Anforderungen
für vertretbar.”
Beide Beurteilungen wurden der Antragstellerin am 17. März 1975 bekanntgegeben. Ihren am 28. April 1975 eingelegten Widerspruch wies der Senator für Justiz zurück. Zur Begründung führte er aus, die statistischen Feststellungen beeinträchtigten die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin nicht. Der Hinweis in der Stellungnahme des Präsidenten des Landessozialgerichts, daß die Zahl der durch Urteil abgeschlossenen Verfahren der Norm entspreche, jedoch die Zahl der insgesamt erledigten Verfahren mit etwa zwei Drittel des bei den weiteren drei Kammern der Kriegsopferversorgung ermittelten Durchschnitts nur einen recht niedrigen Stand erreiche, sei nicht zu beanstanden, da hieraus Weisungen, in welcher Form die nicht durch Urteil beendeten Verfahren im Vergleichszeitraum erledigt werden sollten, nicht entnommen werden könnten. Die dienstliche Beurteilung enthalte auch keine Ermessensfehler, insbesondere keine sachfremden Erwägungen. In die Bewertung der Gesamtleistungen eines Richters sei auch seine Arbeitseffektivität einzubeziehen. Um sie gerecht einzuschätzen, sei es statthaft und geboten, die Zahl der von ihm in einem bestimmten Zeitraum bearbeiteten und erledigten Verfahren den Erledigungszahlen anderer Richter gegenüber zu stellen, wie es auch nach § 7 Abs. 1 der Allgemeinen Verfügung über die dienstliche Beurteilung der Richter vom 5. Januar 1972 (Amtsblatt für Berlin I, Seite 89) in der Fassung vom 1. März 1973 (Amtsblatt für Berlin I, Seite 347) vorgesehen sei.
Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 8. Juli 1975 zugestellt. Am 4. August 1975 rief sie das Dienstgericht an. Sie behauptete, ihre richterliche Unabhängigkeit sei beeinträchtigt. Durch die Rüge, ihre Erledigungszahlen seien zu niedrig, werde nämlich ein Druck auf sie ausgeübt, entweder ohne Rücksicht auf Entscheidungsreife und Qualität und damit ohne Rücksicht auf die Belastung der Rechtsmittelinstanzen mehr Urteile zu produzieren oder massiv, entgegen dem Gewissen und der richterlichen Unabhängigkeit, auf die Parteien mit dem Ziel einer anderen Beendigung der Verfahren einzuwirken. Sie hat beantragt,
in den beiden Beurteilungen vom 10. Februar und 17. März 1975 diejenigen Stellen für unzulässig zu erklären, in denen aufgrund des statistischen Materials und im Vergleich mit anderen Richtern des Sozialgerichts auf zu geringe Erledigungszahlen durch die Antragstellerin hingewiesen worden ist.
Das Dienstgericht bei dem Landgericht Berlin hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Berufung der Antragstellerin hat der Dienstgerichtshof bei dem Kammergericht in Berlin dieses Urteil geändert, dem Antrag voll entsprochen und die Revision zugelassen. Mit der Revision beantragt der Antragsgegner das Urteil des Dienstgerichtshofs aufzuheben und die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Dienstgerichts zurückzuweisen, hilfsweise das Verfahren an den Dienstgerichtshof zurückzuverweisen. Die Antragstellerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
1. Die Zulässigkeit des Prüfungsantrags (§§ 26 Abs. 3, 78 Nr. 4 DRiG; §§ 39 Nr. 5 e, 56, 58 ff BlnRiG; §§ 68–73 VwGO) hat der Dienstgerichtshof mit Recht bejaht. Daß entgegen § 73 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO der Senator für Justiz, nicht der Präsident des Landessozialgerichts über den Widerspruch der Antragstellerin entschieden hat, ist unschädlich (vgl. BGH DRiZ 1972, 101, 102, insoweit BGHZ 57, 344 nicht abgedruckt).
2. Der Dienstgerichtshof hat dem Antrag entsprechend festgestellt, daß die dienstliche Beurteilung des Präsidenten des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 1975 und die Stellungnahme des Präsidenten des Landessozialgerichts Berlin hierzu vom 17. März 1975 insoweit unzulässig seien, „als in ihnen aufgrund des statistischen Materials und im Vergleich mit anderen Richtern des Sozialgerichts auf zu geringe Erledigungszahlen durch die Antragstellerin hingewiesen worden ist.” Mit Recht beanstandet der Antragsgegner, daß damit die für unzulässig gehaltenen Teile der dienstlichen Beurteilungen nicht bestimmt genug bezeichnet sind. Ob die Tragweite des Urteils anhand der Entscheidungsgründe bestimmt werden könnte, bedarf keiner Erörterung, da das Urteil aus sachlichen Gründen aufgehoben werden muß. Dadurch erhält die Antragstellerin auch Gelegenheit, in dem erneuten Verfahren vor dem Dienstgerichtshof ihren Antrag in der Weise neu zu fassen, daß sie die angefochtenen Teile der dienstlichen Beurteilungen genau und bestimmt bezeichnet.
3 a) Der Dienstgerichtshof sieht in Teilen der dienstlichen Beurteilungen einen unzulässigen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin. Die Erörterung der Quantität der von einem Richter erledigten Fälle im Vergleich zu den Erledigungszahlen anderer Richter desselben Gerichts enthalte zwar grundsätzlich nur eine Wertung der Effektivität der Aufgabenerfüllung, nicht aber eine Einflußnahme auf den Richter, seine richterliche Tätigkeit in Zukunft im Einzelfall oder hinsichtlich einzelner Fallgruppen in bestimmter Richtung auszuüben. Die richterliche Unabhängigkeit werde nicht schon dadurch in Frage gestellt, daß ein Richter in seiner dienstlichen Beurteilung für die Vergangenheit einen Anlaß sehe, seine richterliche Tätigkeit zu verstärken, um in Zukunft eine bessere Beurteilung zu ermöglichen. Eine solche Wirkung der dienstlichen Beurteilung beruhe auch nicht auf einer unzulässigen psychologischen Einflußnahme auf den Richter im Einzelfall oder in bestimmten Fällen, sondern sei eine nicht zu beanstandende Auswirkung der dienstlichen Beurteilung auf die Tätigkeit des Richters im allgemeinen. Anders könne es dagegen sein, wenn in der Beurteilung zwischen den Zahlen bestimmter Erledigungsarten unterschieden werde und die Erledigungsarten einander im Einzelfall ausschlössen, wie insbesondere Urteile und sonstige Erledigungen (etwa durch Klägerücknahme oder durch Vergleich). Werde in der Beurteilung zum Nachteil des Richters herausgestellt, daß seine Belastbarkeit und damit die Effektivität seiner richterlichen Tätigkeit durch die eine oder andere Erledigungsalternative beeinträchtigt werden, so werde darin regelmäßig der Versuch des Dienstvorgesetzten zu sehen sein, den Richter dadurch zur Verbesserung seiner Bewertung zu veranlassen, daß dieser die Erledigungszahlen durch die Veränderung der Art der Erledigung erhöhe. Das sei unzulässig, weil es dem Dienstvorgesetzten des Richters durch § 26 DRiG verwehrt sei, auf die richterliche Tätigkeit unter Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit Einfluß zu nehmen.
b) Dagegen bestehen durchgreifende Bedenken.
Zuzustimmen ist den allgemeinen Erwägungen des Dienstgerichtshofs, daß es zulässig ist, in der dienstlichen Beurteilung eines Richters seine Erledigungszahlen zu erörtern und mit denen anderer Richter desselben Gerichts zu vergleichen. Richtig ist auch, daß jeder Versuch eines Dienstvorgesetzten, einen Richter dazu zu veranlassen, daß er vermehrt oder verstärkt eine bestimmte Art der Prozeßerledigung anstrebt, mit der Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG) nicht zu vereinbaren ist. Es geht jedoch nicht an, einen solchen unzulässigen Versuch allein darin zu sehen, daß ein Dienstvorgesetzter, hier der Präsident des Landessozialgerichts, bei der vergleichenden Erwähnung von Erledigungszahlen zwischen den Erledigungsarten unterscheidet, dabei nur in einer Erledigungsart das Ergebnis als etwa durchschnittlich, die Zahl der Erledigungen insgesamt aber als zu niedrig bezeichnet. Damit wird eine Verbesserung des Gesamturteils nicht davon abhängig gemacht, daß der Richter die Erledigungszahlen durch die Veränderung der Art der Erledigung oder gar durch ungenügende Vorbereitung von Verfahrensabschlüssen erhöht. Die Zahl der Erledigungen insgesamt und in den verschiedenen Erledigungsarten hängt von dem Arbeitseinsatz des Richters ab, d.h. davon, wieviel Sachen er zur Entscheidungsreife fördert. Daß es dem Dienstvorgesetzten bei seiner Beurteilung nicht auf die Zahl der Erledigungen insgesamt, sondern auf eine bestimmte Erledigungsart ankomme, kann daher nur angenommen werden, wenn dafür außer der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Ergebnisse in den einzelnen Erledigungsarten besondere Anzeichen vorliegen. Derartiges hat der Dienstgerichtshof nicht festgestellt. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die Dienstvorgesetzten der Antragstellerin etwas anderes erreichen wollten, als allenfalls die Antragstellerin zu einer vermehrten Arbeitsleistung zu veranlassen. Dies hält der Dienstgerichtshof selbst mit Recht für zulässig. Die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin ist durch die angefochtenen Maßnahmen nicht beeinträchtigt.
4. Für eine abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht ist die Sache noch nicht reif. Da die angefochtenen Maßnahmen die Unabhängigkeit der Antragstellerin nicht beeinträchtigen, ist zu prüfen, ob sie aus anderen Gründen rechtswidrig und infolgedessen unzulässig sind (vgl. BGHZ 42, 163, 170 f; 51, 280, 284; BGH DRiZ 1976, 382). Da es sich um dienstliche Beurteilungen handelt, ist die Prüfung auf ihre sachliche Begründetheit (dazu BVerwGE 21, 127, 129; BGHZ 57, 344, 350; BGH DRiZ 1976, 317) zu erstrecken. Das angefochtene Urteil enthält Erwägungen, die in diese Richtung gehen, insbesondere Bedenken gegen die tatsächliche Grundlage der Zeugnisse und gegen die verwendeten Bewertungsmaßstäbe anmelden. Daß der Dienstgerichtshof darin selbständige und abschließend geprüfte Gründe für die Unzulässigkeit der angegriffenen Maßnahmen gesehen habe, läßt sich seinem Urteil jedoch nicht entnehmen. Seine Feststellungen rechtfertigen es nicht, dem Prüfungsantrag auch nur zum Teil zu entsprechen. Der Präsident des Landessozialgerichts bemerkt allerdings in seiner Stellungnahme vom 17. März 1975, ob das Defizit an Effektivität im wesentlichen mit der der Antragstellerin übertragenen Materie der Kriegsopferversorgung zu erklären sei oder aber auf ihre Arbeitsweise bzw. ihre Fähigkeiten zurückgeführt werden müsse, lasse sich zur Zeit noch nicht sicher feststellen. Das macht die Stellungnahme aber noch nicht fehlerhaft. Die Feststellung eines „Defizits an Effektivität” erfordert nicht immer die restlose Aufklärung der Gründe hierfür. Nach den von beiden Präsidenten mitgeteilten Zahlen ist die Antragstellerin mit ihren Erledigungen insgesamt sowohl hinter dem Durchschnitt aller anderen Richter am Sozialgericht als auch hinter dem Durchschnitt der anderen auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung tätigen Richter ganz erheblich zurückgeblieben. Dies spricht jedenfalls nicht dafür, daß ihr „Defizit an Effektivität” auf die Schwierigkeit ihres Aufgabenbereichs zurückzuführen sei. Auch ohne den sicheren Ausschluß dieser Möglichkeit können die Bewertungen der beiden Präsidenten gerechtfertigt sein, zumal es hier nicht um die Begründetheit eines Vorhalts oder einer Ermahnung geht.
Nach alledem muß die Sache an den Dienstgerichtshof zurückverwiesen werden. Dieser wird bei der neuen Verhandlung erforderlichenfalls auch auf das Vorbringen des Antragsgegners über die Zahl der 1974 von der Antragstellerin terminierten Sachen und die Zahl ihrer Sitzungstage einzugehen haben.
Für den Revisionsrechtszug wird der Wert des Streitgegenstandes entsprechend §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 4.000 DM festgesetzt.
Unterschriften
Braxmaier, Dr. Buss, Schröder, Dr. Thumm, Schauenburg
Fundstellen
Haufe-Index 1502502 |
BGHZ, 309 |
Nachschlagewerk BGH |