Leitsatz (amtlich)
a) Der Runderlaß des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern vom 22. April 1991 (Abl. S. 338) über genehmigungsfreie Grundstücksgeschäfte der Gemeinden stellte eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 49 Abs. 4 KomVerf dar.
b) Der auf den Bezirk des Oberlandesgerichts Rostock beschränkt gewesene Runderlaß hatte keine irrevisible Vorschrift im Sinne des § 549 Abs. 1 ZPO, sondern eine Verwaltungsmaßnahme zum Gegenstand, deren Inhalt durch Auslegung zu bestimmen ist; danach waren die von dem Erlaß erfaßten Grundstücksgeschäfte mit dessen Wirksamwerden genehmigungsfrei.
c) Wegen des Ausstehens der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde nach § 49 KomVerf schwebend unwirksame Grundstücksgeschäfte der Gemeinde wurden mit Inkrafttreten des Runderlasses wirksam.
Normenkette
DDR:KomVerf § 49; ZPO § 549; BGB § 185
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 20. Juli 1999 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Schwerin vom 10. August 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit notariellem Vertrag vom 4. Oktober 1990 verkaufte die beklagte Gemeinde (Beklagte) an den Kläger eine in H.-W. belegene, noch nicht vermessene Grundstücksfläche von ca. 3.000 qm zu einem Preis von 3,60 DM/qm. Vom Kläger anschließend begonnene Baumaßnahmen zur Errichtung einer Bootswerft auf diesem Gelände sind bis heute nicht abgeschlossen.
Mit Runderlaß vom 22. April 1991 (ABl. Mecklenburg-Vorpommern 1991, 338) bestimmte der Innenminister des Landes u.a., daß Rechtsgeschäfte von Gemeinden über den Verkauf von Grundstücken genehmigungsfrei seien, wenn in kreisangehörigen Gemeinden der Veräußerungspreis bis zu 5.000 Einwohnern 50.000 DM oder die Grundstücksgröße in kreisangehörigen Gemeinden bis 20.000 Einwohnern 15.000 qm nicht überschreite. Der Runderlaß wurde mit Bekanntmachung des Innenministers vom 4. Juni 1992 (ABl. Mecklenburg-Vorpommern 1992, 602) wieder aufgehoben. Mit Schreiben vom 13. Mai 1993 versagte der Landrat die Genehmigung des Vertrages.
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag wirksam ist. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Kaufvertrag sei wegen Versagung der Genehmigung gemäß § 49 Abs. 3 b des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17. Mai 1990 (GBl S. 255; im folgenden: DDR-Kommunalverfassung) unwirksam. Das Genehmigungsbedürfnis sei nicht durch den Runderlaß entfallen, weil dieser keine Rechtsvorschrift im Sinne des § 49 Abs. 4 DDR-Kommunalverfassung enthalte. Einmal handle es sich bei dem Erlaß nur um eine interne Verwaltungsvorschrift, die den Anforderungen des Art. 80 GG, auf die nach dem Beitritt abzustellen sei, nicht genüge. Zum anderen entfalte der Runderlaß keine Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Grundstückskaufverträge. Schließlich sei die Geschäftsgrundlage für den Abschluß des Vertrages infolge einer nachträglich eingetretenen Äquivalenzstörung entfallen, weil der Kläger inzwischen die beabsichtigten Investitionen, deren Wert mehr als 50.000 DM betrage, mangels bau- und wasserrechtlicher Genehmigungen nicht mehr durchführen könne. Dies berechtige die Beklagte, sich vom Vertrag zu lösen.
Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
II.
1. Das Berufungsgericht geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, daß der zwischen den Parteien geschlossene Grundstückskaufvertrag nach § 49 Abs. 3 lit. b DDR-Kommunalverfassung der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde bedurfte. Das Fehlen der Genehmigung führte zur schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages (BGHZ 142, 51). Dieser Zustand ist indessen beendet, denn die Wirksamkeit des Kaufvertrages ist durch den Runderlaß des Innenministers des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 22. April 1991 eingetreten. Ein schwebend unwirksames Geschäft erlangt nämlich volle Gültigkeit, wenn die Genehmigungspflicht nach neuen Rechtsvorschriften entfällt (BGHZ 37, 233, 237; BGHZ 127, 368, 375). Das Berufungsgericht hat dem Runderlaß diese Wirkung rechtsfehlerhaft abgesprochen.
a) Zutreffend hat es allerdings, was von der Revision auch nicht beanstandet wird, den Runderlaß als Verwaltungsvorschrift, nicht als Rechtsverordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassungen der Länder angesehen. Das ergibt sich aus der Bezeichnung „Runderlaß”, der Überschrift „Hinweise zur Veräußerung von Vermögensgegenständen im Rahmen der kommunalen Haushaltswirtschaft” sowie aus dem Ort der Veröffentlichung, dem Amtsblatt.
b) Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Runderlaß sei keine „Rechtsvorschrift” im Sinne des § 49 Abs. 4 DDR-Kommunalverfassung, durch die der zuständige Minister Rechtsgeschäfte (u.a.) dann von der Genehmigungspflicht freistellen konnte, wenn bestimmte Wertgrenzen oder Grundstücksgrößen nicht überschritten wurden. Dies wird der Verfassungs- und Rechtslage der DDR, die Grundlage des Gesetzesbeschlusses der Volkskammer zur Schaffung der Kommunalverfassung war, nicht gerecht. Zwar sollten seinerzeit im Hinblick auf die bevorstehende Wiedervereinigung Deutschlands die in den Ländern der Bundesrepublik allgemein gültigen und in der kommunalen Praxis bewährten normativen Regelungen der verschiedenen Kommunalgesetze erfaßt, verarbeitet und für die kommunale Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR nutzbar gemacht werden. Zugleich sollte aber auch Eigenständiges seinen Platz finden (Petzold, DÖV 1990, 816, 818). Hierzu gehört der in der ehemaligen DDR gesetzestechnisch häufig verwendete Begriff der „Rechtsvorschrift”, der sowohl Gesetze oder Satzungen als auch Durchführungsbestimmungen sowie im Einzelfall ergangene Beschlüsse und Anordnungen erfaßte (Autorenkollektiv, Staatsrecht der DDR – Lehrbuch, 2. Aufl. [1984] S. 386). Bei Inkrafttreten der DDR-Kommunalverfassung waren die Mitglieder des Ministerrates nach § 8 Abs. 3 des Gesetzes über den Ministerrat der DDR vom 16. Oktober 1972 (GBl I, 253) noch befugt, Rechtsvorschriften auch in Form von Anordnungen und Durchführungsbestimmungen zu erlassen. In diesen Rahmen fügt sich die dem zuständigen Minister in § 49 Abs. 4 erteilte Ermächtigung.
c) Durch den Runderlaß ist der Kaufvertrag der Parteien von der Genehmigungspflicht freigestellt worden.
aa) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der Senat nicht nach § 549 Abs. 1 ZPO daran gehindert, die abweichende Auffassung des Berufungsgerichts zu überprüfen. Zwar können in Form von „Richtlinien” ergangene allgemeine Verwaltungsanordnungen Vorschriften im Sinne des Revisionsrechts sein, wenn sie rechtliche Außenwirkungen entfalten, etwa das Ermessen der ausgewiesenen Stelle binden (BGH, Urt. v. 29. Oktober 1969, I ZR 72/67, MDR 1970, 210 m.w.N.) oder das Gesetz im Rahmen eines Beurteilungsspielraums interpretieren (vgl. BGHZ 124, 327, 332). Hierzu zählt der Runderlaß vom 22. April 1991 indessen nicht. Er stellte keine von den Adressaten, den Gemeinden, im Grundstücksverkehr zu beachtenden Regeln auf, sondern ordnete unmittelbar und ohne Raum für weitere Vollzugshandlungen an, daß bestimmte Grundstücksgeschäfte keiner Genehmigung bedurften. Seinem Rechtscharakter nach stellte er die Zusammenfassung einer Vielzahl, inhaltlich gleicher Einzelanordnungen gegenüber einem allgemein, nämlich als Träger der örtlichen Selbstverwaltung bestimmten, Personenkreis dar. Der Erlaß entsprach damit nach Inhalt und Adressatenkreis einer Allgemeinverfügung im Sinne des überkommenen Verwaltungsrechts (vgl. § 35 Satz 2 VwVfG des Bundes). Dies liegt außerhalb des Bereiches des § 549 Abs. 1 ZPO.
bb) Bedenken gegen die Wirksamkeit des Erlasses im Hinblick auf den vom Berufungsgericht herangezogenen Art. 80 GG oder das entsprechende Landesrecht (gegenwärtig Art. 57 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 1993, GVOBl. S. 372) bestehen nicht. Der Verfassungsvorbehalt hat die Normsetzung durch die Exekutive, nicht Verwaltungsmaßnahmen im Vollzug von Gesetzen zum Gegenstand. Die allgemeinen Gesichtspunkte des Vorbehalts und des Vorrangs des Gesetzes sind gewahrt.
cc) Der Inhalt des Runderlasses ist durch Auslegung anhand des für Verwaltungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des öffentlichen Rechts heranzuziehenden § 133 BGB (BVerwGE 60, 228; 67, 234, 308; vgl. auch BGH, Beschl. v. 12. April 1983, 5 StR 513/82, NJW 1983, 1686) zu bestimmen. Danach hat der Erlaß die Genehmigungsfreiheit des Geschäfts der Parteien herbeigeführt. Eine Rückwirkung ist hiermit, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht verbunden. Der Vertrag der Parteien ist nicht rückwirkend mit dem Tag seines Abschlusses, sondern ab Inkrafttreten des Runderlasses wirksam geworden.
d) Mit Erfolg wendet sich die Revision schließlich gegen die Überlegung des Berufungsgerichts, die durch den Runderlaß geforderten Voraussetzungen der Genehmigungsfreiheit seien nicht erfüllt, weil der Wert der den Kläger treffenden Investitionsverpflichtung den Betrag von 50.000 DM übersteige. Bezugsgröße für die Genehmigungsfreiheit ist nach Ziff. 1 des Runderlasses allein der Veräußerungspreis. Unabhängig davon ist nach Ziff. 2 des Runderlasses der Kaufvertrag genehmigungsfrei, wenn die Grundstücksgröße, wie hier, 15.000 qm nicht überschreitet.
e) Die Aufhebung des Runderlasses durch Bekanntmachung des Innenministers vom 4. Juni 1992 ist ohne Einfluß auf die einmal eingetretene Wirksamkeit des Kaufvertrags geblieben. Dies gilt schon deshalb, weil sich die Bekanntmachung keine Rückwirkung beimißt. Der frühere Runderlaß wird gemäß Ziff. 8 mit sofortiger Wirkung – also für die Zukunft – außer Kraft gesetzt. Der Bescheid des Landrats vom 13. Mai 1993 enthält keinen kassatorischen Ausspruch. Er bringt unter Bezugnahme auf die Bekanntmachung vom 4. Juni 1992 nur zum Ausdruck, daß eine Genehmigung nicht erteilt werde. Dies geht ins Leere.
2. Auch die Überlegungen des Berufungsgerichts zum Wegfall der Geschäftsgrundlage haben keinen Bestand. Das Berufungsgericht hat zwar, was die Revision nicht bezweifelt, im Ausgangspunkt zutreffend festgestellt, daß die Vorstellungen der Parteien über die Planung des Klägers, auf dem gekauften Gelände eine Bootswerft sowie angrenzend einen Sportboothafen zu errichten, nicht lediglich Kalkulationsgrundlage des Kaufpreises, sondern darüber hinaus Geschäftsgrundlage des Vertrages waren. Das Berufungsurteil läßt aber außer acht, daß es grundsätzlich Sache der Parteien ist, sich gegen voraussehbare Störungen der Geschäftsgrundlage und die dadurch drohenden Nachteile abzusichern; für eine nachträgliche Berücksichtigung solcher Störungen ist regelmäßig kein Raum (Senat, BGHZ 74, 370, 374 m.w.N.). So liegen die Dinge hier. Die Beklagte hat die Risiken der Planverwirklichung erkannt. Denn sie hat vor Vertragsschluß durch Beschluß der Gemeindevertreter vom 1. Oktober 1990 als Vertragsbedingung neben einem sofortigen Baubeginn von Bootsschuppen und Gebäuden ein Rückkaufsrecht für sich selbst festgelegt. Ein Rückkaufsrecht der Beklagten ist dann zwar nicht zum Vertragsinhalt geworden. Die Revision rügt aber zu Recht, daß das Berufungsgericht den Kaufvertrag nicht erschöpfend gewürdigt hat. In dessen § 12 ist nämlich festgelegt, daß es Sache des Käufers sein sollte, die für die Errichtung der Bootswerft erforderliche Genehmigungen zu beschaffen, während die Verkäuferin keine Gewähr für die Eignung des Grundstücks zum Betrieb einer Bootswerft und dafür, daß der Käufer die erforderlichen Genehmigungen erlangt, übernommen hat. Die Parteien haben somit den Fall des Scheiterns der Planungen des Klägers wegen fehlender Genehmigungen dahingehend geregelt, daß dem Kläger kein Rücktrittsrecht zustehen sollte. Der Beklagten, die von der zusätzlichen Möglichkeit, sich selbst entsprechend dem Beschluß der Gemeindevertretung im Vertrag ein Rücktrittsrecht vorzubehalten, keinen Gebrauch gemacht hat, ist es verwehrt, sich nunmehr, nach Verwirklichung des Risikos, auf eine Rückabwicklung des Vertrages zu berufen.
Keinen Bestand verleiht dem Berufungsurteil auch die weitere Überlegung, die Planungen des Klägers seien inzwischen nicht mehr zu verwirklichen, weil die Beklagte einen Bebauungsplan aufgestellt hat, der das im Streit befindliche Gelände als Grünfläche ausweist. Dies rechtfertigt es nicht, sich aus den eingegangenen Verpflichtungen zu lösen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann derjenige, der die entscheidende Änderung der Verhältnisse selbst bewirkt hat, aus dem dadurch herbeigeführten Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Rechte herleiten (BGHZ 129, 297/310; BGH, Urt. v. 11. März 1993, I ZR 27/91, NJW-RR 1993, 880, 881).
III.
Das angefochtene Urteil kann auch nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden. Vielmehr ist die Sache zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts entscheidungsreif (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Sittenwidrigkeit des Vertrages verneint. Zwar ist es – ohne allerdings nähere Feststellungen dazu zu treffen – davon ausgegangen, der objektive Verkehrswert vergleichbarer Grundstücke sei bei Vertragsabschluß mehr als doppelt so hoch wie der vereinbarte Kaufpreis gewesen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann in einem solchen Falle ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung angenommen werden; das Mißverhältnis kann den Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zulassen. Der Rückschluß aus dem Wertverhältnis gilt aber nicht ausnahmslos, unter besonderen Umständen läßt er sich nicht ziehen (Senat, Urt. v. 21. März 1997, V ZR 355/95, WM 1997, 1155, 1156). Das ist, ohne daß es noch weiterer Feststellungen bedürfte, hier der Fall. Denn die Parteien haben, wovon das Berufungsgericht unangefochten ausgeht, den Kaufvertrag nicht vor dem Hintergrund falscher Vorstellungen über den tatsächlichen Wert des Grundstücks geschlossen. Vielmehr hat die Beklagte aus Interesse an der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Förderung des Fremdenverkehrs den – niedrigen – Kaufpreis in Kenntnis des Verkehrswerts vereinbart.
Unterschriften
Wenzel, Tropf, Schneider, Klein, Lemke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.11.2000 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NJW 2001, 683 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2001, 108 |
WM 2001, 475 |
LKV 2001, 180 |
NJ 2001, 314 |