Leitsatz (amtlich)
Der Käufer kann grundsätzlich auch dann, wenn er aus der Menge verkaufter gleichartiger Sachen einzelne brauchbare Exemplare zur Verwendung ausgesondert hat, hinsichtlich der übrigen Sachen Gesamtwandelung verlangen.
Normenkette
BGB § 469 (Fassung vor dem 1.1.2002)
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 30.05.2002; Aktenzeichen 7 U (Hs) 56/01) |
LG Halle (Saale) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das am 30.5.2002 verkündete Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Naumburg aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte bestellte bei der Klägerin, einem Druckereibetrieb, im Spätsommer 1997 10.000 nach gelieferten Vorlagen zu druckende Exemplare einer bezahlte Werbeseiten enthaltenden Broschüre "Mitteldeutsches Wirtschaftsjahrbuch 1997/98 - Kommerz - Kunst - Kommunikation" sowie kurz darauf 600 im Verfahren auch als "Festschriften" bezeichnete Einladungskarten mit Einlageblättern. Die Klägerin stellte hierüber Rechnungen über 64.480,50 DM und 4.516,05 DM aus. Ein Teil der Broschüren wurde am 26.9.1997 ausgeliefert und an die Besucher des Landeswirtschaftsballs in Halle am 27.9.1997 verteilt, ein weiterer Teil diente als Belegexemplare für die Inserenten; die Lieferung ist insgesamt vollständig erfolgt. Zu einer Abnahme kam es nicht; die Beklagte hat sich ihre Rechte wegen Mängeln vorbehalten. Die Parteien streiten insbes. darüber, ob und in welchem Umfang die Broschüren drucktechnische Mängel aufwiesen. Auch die Einladungskarten waren nach Darstellung der Beklagten so mangelhaft, dass nur ein Teil von ihnen, der kleinere Mängel aufwies, verwendet werden konnte. Die Beklagte hat auf den verlangten Werklohn keine Zahlungen geleistet.
Die Klägerin hat die Beklagte daraufhin auf Zahlung von 68.996,55 DM nebst Zinsen gerichtlich in Anspruch genommen. Das LG hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, das zum Ergebnis kam, es lägen außer bei wenigen Druckwerken nur geringfügige Mängel vor, der Klage in der Hauptsache i.H.v. 62.096,89 DM stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten, die im Übrigen zurückgewiesen wurde, hat das OLG das landgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass die Verurteilung der Beklagten in der Hauptsache auf 30.766,94 EUR (60.174,90 DM) lautet. Hiergegen wendet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, die ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim BGH zugelassenen Anwalt vertreten.
Entscheidungsgründe
I. Über das Rechtsmittel ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die Klägerin im Revisionsverfahren nicht vertreten ist. Inhaltlich beruht die Entscheidung jedoch nicht auf der Säumnis (BGHZ 37, 79 [81]).
II. In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
1. Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch in Höhe des Gegenwerts in Euro von 60.174,90 DM als gegeben angesehen; insoweit schulde die Beklagte der Klägerin Werklohn für 10.000 Broschüren sowie für die Einladungskarten. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Abnahme "in toto" zu verweigern, da die Gesamtheit der Lieferung als mangelfrei gelte. Im Werkvertragsrecht gelte in entsprechender Anwendung des § 469 BGB in der bis Ende 2001 geltenden Fassung (a.F.) bei Sachgesamtheiten der Grundsatz der Einzelwandelung. Etwas Anderes gelte erst dann, wenn die Verfügbarkeit eines größeren Vorrats für die Zwecke des Bestellers unerlässlich sei. Beweise der Besteller schon anhand einer Stichprobe, dass ein Teil der nur mühevoll prüfbaren Waren mangelhaft sei, müsse er sich aber nicht auf den Grundsatz der Einzelwandelung verweisen lassen. Soweit kein entgegenstehender Handelsbrauch bestehe, sei der Besteller zum Aussortieren nicht verpflichtet, wohl aber berechtigt. Nach diesen Grundsätzen sei die Beklagte zur Abnahme der gelieferten Broschüren verpflichtet gewesen, denn sie habe von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Sachgesamtheit durchzusehen, womit sie ihr Recht verloren habe, das Gesamtlos zurückzuweisen.
Von der Klägerin sei ein Werk von mittlerer Art und Güte geschuldet gewesen: Die Abweichungen der gelieferten Broschüren von der Höchstqualität seien so gering, dass nur eine unerhebliche Minderung des Werts oder der Tauglichkeit des Werks vorliege. Allerdings sei zu Gunsten der Beklagten zu unterstellen, dass über die festgestellten Mängel hinaus weitere Fehler vorgelegen hätten und die Beklagte deshalb an sich zur Gesamtwandelung berechtigt gewesen sei. Die Beklagte habe aber dargelegt, dass sie alle gelieferten Exemplare angesehen habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass nur 1.200 Exemplare brauchbar gewesen seien. Ob die Beklagte behaupten wolle, dass die verbleibenden 9.179 Exemplare (einschließlich einer Mehrauflage) schwere Mängel (sog. "A- und B-Fehler") aufgewiesen hätten, sei unklar und eher unwahrscheinlich. Da sie aber sämtliche Exemplare durchgesehen habe, sei es ihr ein Leichtes gewesen, bei jedem Exemplar im Rechtsstreit den A- oder B-Fehler zu benennen. Insoweit hätte sie nach Auffassung des Berufungsgerichts eine Einzelwandelung vornehmen können.
Von den 254 noch vorhandenen Einladungskarten habe der gerichtliche Sachverständige 77 als gering, 50 als stark beeinträchtigt und zwei als unbrauchbar eingestuft. Insoweit sei eine Schätzung vorzunehmen. Da weniger als 10 % mangelhaft seien, sei eine Reduzierung der geschuldeten Vergütung um 10 % auch unter Berücksichtigung der Exemplare mit geringen Beeinträchtigungen vorzunehmen.
2. Die Revision rügt mit Erfolg - unabhängig von der Frage der Fälligkeit der Klageforderung - die Annahme des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft, dass der Besteller einer Sachgesamtheit sein Gesamtwandelungsrecht durch eine von ihm nicht geschuldete, aber gleichwohl vorgenommene Untersuchung der Ware verliere.
3. Die im vorliegenden Fall noch anzuwendende Bestimmung des § 469 BGB a.F., die gem. § 634 Abs. 4 BGB a.F. auf die Wandelung im Werkvertragsrecht entsprechende Anwendung findet, setzt den Verkauf mehrerer Sachen voraus. Ist dies der Fall, gilt selbst dann der Grundsatz der Einzelwandelung, wenn bei dem Verkauf ein Gesamtpreis für alle Sachen festgesetzt worden ist. Sind mehrere Sachen als zusammengehörend verkauft worden, wird dieser Grundsatz nach § 469 S. 2 BGB a.F. nur dann durchbrochen und ist eine Gesamtwandelung nach dem Gesetz nur möglich, wenn die mangelhaften Sachen nicht ohne Nachteil von den übrigen getrennt werden können (BGH, Urt. v. 18.4.1996 - X ZR 138/94, NJW-RR 1996, 1008 = WM 1996, 1644). Maßgeblich ist dabei die Verkehrsanschauung (BGH v. 4.11.1987 - VIII ZR 314/86, BGHZ 102, 135 [149] = CR 1988, 92 = CR 1988, 994 = MDR 1988, 223 = CR 1988, 124). Jedoch kann nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 5.5.1953 - I ZR 101/52, LM Nr. 1 zu § 469 BGB = BB 1953, 485) wie nach einhelliger Meinung in der Literatur auch bei Verkauf oder Lieferung eines Postens gleichartiger Sachen Gesamtwandelung jedenfalls nach § 242 BGB insbes. dann in Betracht kommen, wenn für die Zwecke des Käufers oder Bestellers die Verfügbarkeit eines größeren Vorrats unerlässlich ist (so u.a. H.P. Westermann in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 469 Rz. 6; Huber in Soergel, BGB, 12. Aufl., § 469 Rz. 9). Dies hat auch das Berufungsgericht im Ausgangspunkt seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Der Verkäufer einer Partie gleichartiger Sachen kann sich nach der Rechtsprechung des BGH auf den Grundsatz, dass Wandelung nur in Ansehung der mangelhaften, nicht auch der mangelfreien Sachen verlangt werden kann, weiter nicht berufen, wenn die Trennung der mangelfreien von den mangelhaften Sachen nur durch mühevolles und Zeit raubendes, dem Käufer nach Treu und Glauben nicht zuzumutendes Aussortieren möglich ist; dem Verkäufer bleibt in einem solchen Fall allerdings der Nachweis offen, dass bestimmte von ihm auszusortierende Teile der Lieferung mangelfrei sind (BGH, Urt. v. 5.5.1953 - I ZR 101/52, LM Nr. 1 zu § 469 BGB = BB 1953, 485).
Gleichwohl hat das Berufungsgericht die Beklagte als gehalten angesehen, die Mängel jeweils einzeln zu rügen, weil diese die Lieferung insgesamt durchgesehen habe. Dies rügt die Revision zu Recht als rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat dabei nämlich nicht ausreichend beachtet, dass der Käufer oder Besteller sein Recht zur Gesamtwandelung nicht ohne weiteres dadurch verliert, dass er - wie im vorliegenden Fall - einzelne brauchbare Sachen heraussucht und nur hinsichtlich der übrigen Gesamtwandelung begehrt.
Allerdings ist in der Rechtsprechung des BGH bisher nicht entschieden, ob der Käufer oder Besteller, der zunächst Gesamtwandelung verlangen konnte, dieses Recht dadurch verlieren kann, dass er einen Teil der verkauften oder gelieferten Sachen als für ihn verwendbar aussondert und behandelt und die Gesamtwandelung auf die übrigen Sachen der Gesamtheit beschränkt, oder ob ihn ein solches Verhalten von der (auf die nicht ausgesonderten Sachen beschränkten) Gesamtwandelung insgesamt abschneidet. Für eine derart weit gehende Rechtsfolge bietet die Bestimmung des § 469 BGB a.F. jedenfalls unter Berücksichtigung von Treu und Glauben keine Grundlage. Durch sie soll zwar eine unnötige Belastung des Veräußerers ausgeschlossen werden; er soll dann, wenn nur einzelne Sachen mangelhaft sind, grundsätzlich nicht alle Sachen zurücknehmen müssen, wenn der Käufer oder Besteller hierdurch keinen Nachteil erleidet. Schon aus der Formulierung in § 469 S. 2 BGB a.F. folgt aber, dass der Käufer oder Besteller dann Gesamtwandelung verlangen kann, wenn die mangelhaften Sachen nicht ohne Nachteil von den übrigen getrennt werden können. Wieweit das der Fall ist, muss über eine Abwägung der widerstreitenden Interessen geklärt werden. In diesem Zusammenhang muss der Begriff "wenn" von seinem Sinn und Zweck als "soweit" verstanden werden. In Fällen, in denen etwa der Käufer oder Besteller unter dem Gesichtspunkt der ihn treffenden Obliegenheit zur Schadensminderung gehalten ist, aus der Gesamtheit wenigstens einige verwendbare Sachen auszusondern, aber aus anderen Gründen eine vollständige Untersuchung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann sich eine Untersuchungsobliegenheit für ihn nur im Rahmen des ihm Möglichen oder Zumutbaren ergeben. Der Ausschluss der Gesamtwandelung folgt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht schon ohne weiteres daraus, dass die Beklagte alle gelieferten Broschüren durchgesehen und eine bestimmte Auswahl an brauchbaren Exemplaren ausgewählt hat; eine derartige Auswahl brauchbarer Exemplare ist zudem angesichts ihrer anderen Zielrichtung nicht ohne weiteres schon als Grundlage für Mängelrügen hinsichtlich der anderen (nur) möglicherweise mangelhaften Exemplare geeignet. Dies rechtfertigt es aber jedenfalls dann, wenn die erste Untersuchung - wie im vorliegenden Fall und auch bei Zugrundelegung der Vertragsauslegung hinsichtlich der geschuldeten Qualität durch das Berufungsgericht - ausreichende Anhaltspunkte für eine beachtliche Fehlerquote zu Tage gebracht hat, was das Berufungsgericht dazu veranlasst hat, die Beklagte als zur Zurückweisung des Gesamtloses berechtigt anzusehen (BU 13), nicht, dem Käufer oder Besteller im Übrigen die Möglichkeit zu verwehren, Gesamtwandelung zu verlangen.
Durfte die Beklagte mithin hier aber auch angesichts des Umstands, dass sie brauchbare Broschüren ausgesondert hat, im Übrigen Gesamtwandelung erklären, lag, da das Berufungsgericht erhebliche Mängel jedenfalls nicht ausgeschlossen hat, auch ein das Recht zur Wandelung begründender Sachverhalt vor. Für die Einladungen ("Festschriften") gilt dies ebenso.
III. Demnach sind das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen. Dieses wird sich zunächst nochmals mit der Frage zu beschäftigen haben, ob die Beklagte zur Abnahme verpflichtet war. Hierbei wird es die C-Fehler nur dann von vornherein aus der Betrachtung ausschließen dürfen, wenn es unter Würdigung des Parteivortrags zu dem Ergebnis kommt, dass eine auch Fehler dieser Kategorie erfassende Qualität nicht geschuldet war, Mängel vor dem Hintergrund der danach geschuldeten Leistung so unwesentlich sind, dass ihretwegen eine Abnahme nicht verweigert werden kann (§ 640 Abs. 1 S. 2 BGB in der hier anwendbaren [Art. 229 § 1 Abs. 2 S. 1 und 3 EGBGB] Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30.3.2000 [BGBl. I, 330]) oder es sich insoweit jedenfalls um einen Mangel handelte, der nach seiner Art, seinem Umfang und vor allem nach seinen Auswirkungen derart unbedeutend war, dass das Interesse des Bestellers an einer Beseitigung vor Abnahme nicht schützenswert war und sich seine Verweigerung deshalb als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.1.1996 - VII ZR 26/95, MDR 1996, 469 = NJW 1996, 1280 für die bis zum 30.4.2000 geltende Fassung des § 640 BGB). Auf der anderen Seite wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte jedenfalls insoweit Werklohn schuldet, als sie mangelfreie Ware selbst ausgesondert hat, da hierin eine Abnahme zu sehen sein wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1176404 |
DB 2004, 2527 |
BGHR 2004, 1267 |
NJW-RR 2004, 1644 |
WM 2005, 574 |
MDR 2004, 1345 |
NJ 2004, 556 |
BauSV 2005, 53 |
JWO-VerbrR 2004, 242 |