Leitsatz (amtlich)

Die Ablösung des Kindergeldanspruchs gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG durch den Anspruch auf Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 583 Abs. 2 RVO) ist kein Schaden des Unfallverletzten, für den die Berufsgenossenschaft wegen ihrer Rentenleistung bei dem für den Unfall Verantwortlichen Rückgriff nehmen kann.

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Entscheidung vom 09.12.1976)

LG Hannover (Entscheidung vom 15.12.1975)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Dezember 1976 aufgehoben.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 15. Dezember 1975 wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten beider Rechtsmittelzüge fallen der Klägerin zur Last.

 

Tatbestand

Am 31. Oktober 1973 wurde der bei der Klägerin unfallversicherte N. auf dem Weg zur Arbeit bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Wie inzwischen außer Streit ist, haben die Beklagten für die Unfallfolgen voll einzustehen. Die klagende Berufsgenossenschaft zahlt dem Verletzten anstelle des von ihm für seine sechs Kinder bezogenen Kindergelds im Rahmen der Verletztenrente gemäß § 583 RVO eine Kinderzulage von monatlich 285 DM. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, gestützt auf § 1542 RVO, neben anderen inzwischen erledigten Schadensposten für die Zeit vom 22. April bis 31. Dezember 1974 Erstattung der Kinderzulage in Höhe des weggefallenen Kindergeldes von 2.365,48 DM.

Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen, das Oberlandesgericht ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstreben die Beklagten Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 14. April 1964 - BGBl I 265 - in der hier zugrundezulegenden bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung ist für den maßgebenden Zeitraum vom 22. April bis 31. Dezember 1974 der Anspruch des Verletzten auf Kindergeld entfallen, weil ihm für diese Zeit als Schwerverletztem mit der Verletztenrente Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in gleicher Höhe zustanden (§ 583 Abs. 2 RVO i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1970 - BGBl I 1725).

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Wegfall des Kindergeldes ein Unfallschaden, für den die Klägerin wegen ihrer Rentenleistung nach § 1542 Abs. 1 RVO Rückgriff bei den Beklagten nehmen kann. Das Berufungsgericht erwägt dazu: Der Wegfall des Kindergeldes sei eine Folge der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten; letztlich habe diese den Anspruch auf das Kindergeld zum Erlöschen gebracht. Daß der Verletzte als Rentenberechtigter im Ergebnis nicht schlechter stehe als vor dem Unfall, berühre die Pflicht der Beklagten zum Schadensersatz nicht. § 1542 RVO solle die Entlastung des Schädigers durch Sozialversicherungsleistungen verhindern. Es habe nicht nur die Zahlstelle für das Kindergeld gewechselt; Kindergeld und Kinderzulage beruhten auf verschiedenen Rechtsgrundlagen und richteten sich gegen verschiedene Leistungsträger. Auch die für einen Forderungsübergang notwendige Kongruenz sei zu bejahen, da beide Zuwendungen dem Unterhalt der Familie des Verletzten dienten.

II.

Die Revision beanstandet diese Ausführungen mit Erfolg. Im Ergebnis ist dem Standpunkt des Landgerichts (sein Urteil ist in VersR 1976, 827 veröffentlicht) zuzustimmen.

1.

Die Klägerin kann wegen ihrer dem Verletzten zu erbringenden Unfallrente nach § 1542 RVO nur insoweit bei den Beklagten Regreß nehmen, als dieser durch den Unfall einen Schaden erlitten hat, für den die Beklagten als (vermögensrechtliche) Folge des Unfalls Ersatz leisten müssen. Dagegen gibt die Vorschrift dem Sozialversicherungsträger keinen Anspruch auf Ersatz eigenen "Schadens" in Gestalt seiner durch den Versicherungsfall ausgelösten vom Gesetz angeordneten Leistungsverpflichtung. Aufwendungen aus der sozialen Vorsorge, auch wenn sie Folgen eines Unfalls sind, erweitern die zivilrechtliche Einstandspflicht des Schädigers nicht. § 1542 RVO verhindert nur, daß der Schädiger durch die Sozialversicherungsleistungen entlastet wird; er begründet für diesen keine Belastungen, mit denen er ohne das Eintreten des Sozialversicherungsträgers nicht beschwert gewesen wäre.

2.

Solcher zusätzlichen, über die zivilrechtliche Ersatzpflicht hinausgehenden Belastung mit dem Versicherung sauf wand der Klägerin würden die Beklagten ausgesetzt, wenn sie dafür einstehen müßten, daß das Gesetz das Kindergeld durch den Anspruch auf Kinderzulage aus der sozialen Unfallversicherung abgelöst hat.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts (ebenso OLG Nürnberg, Urteil vom 28. März 1973 - 4 O 36/72) und einer im Schrifttum vertretenen Meinung (vgl. Wussow WI 1967, 70/71 und 127/128; 1970, 117; Gunkel/Hebmüller, Die Ersatzansprüche nach § 1542 RVO 2. Aufl. I 136 ff; Schmalzl in seiner ablehnenden Anmerkung zum Urteil des Landgerichts VersR 1977, 80) hängt der Wegfall des Kindergelds mit der Verletzung des bei der Klägerin Versicherten, für die die Beklagten einstehen müssen, haftungsrechtlich nicht zusammen. Zwar wäre es ohne den Unfall hierzu nicht gekommen; allein wegen dieses nur äußeren Zusammenhangs mit dem Schadensereignis haften die Beklagten für das Erlöschen des Kindergeldanspruchs nicht. Nicht die Erwerbsminderung des Verletzten, derentwegen er von den Beklagten gemäß §§ 842, 843 BGB Ersatz verlangen kann, hat den Anspruch auf Kindergeld erlöschen lassen. Zutreffend hebt das Berufungsgericht selbst hervor, daß das Kindergeld mit der Erwerbstätigkeit des Anspruchsberechtigten heute nicht mehr verknüpft ist (zur Entwicklungsgeschichte vgl. die Vorbemerkungen von Schieckel, Kindergeldgesetz). Das entspricht dem sozialpolitischen Zweck eines "Familienlastenausgleichs", der der Zahlung von Kindergeld zugrundeliegt (BVerfGE 22, 163, 168; BSGE 37, 240, 242 ff; BVerwGE 27, 209, 212). Kindergeld erhalten heute alle Familien, ohne Rücksicht darauf, ob sie erwerbstätig sind oder nicht, allein deshalb, weil sie durch Kinder wirtschaftlich belastet sind. Daß die hier zugrundeliegende Fassung des Kindergeldgesetzes noch Einkommenshöchstgrenzen für die Gewährung des Kindergeldes vorsah (§ 4 Abs. 1 a.a.O.), berührte dieses Prinzip nicht. Diese Grenzen sind hier auch nicht für den Wegfall des Kindergeldes maßgebend gewesen. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit als solche hat deshalb auf das Kindergeld keinen Einfluß gehabt; der Verletzte wäre zum Bezug des Kindergeldes auch dann berechtigt gewesen, wenn er vor dem Unfall aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wäre, sich also für die Ersatzpflicht der Beklagten die Frage seiner Erwerbsminderung gar nicht gestellt haben würde.

Das Kindergeld ist im Streitfall nur deshalb "entfallen", weil mit der Kinderzulage aus der sozialen Unfallversicherung eine vergleichbare Kinderbeihilfe aus öffentlichen Mitteln gewährt wurde. Hierin drückt sich der subsidiäre Charakter des Kindergeldes beim Zusammentreffen mit anderen öffentlichen Leistungen aus der Sozialvorsorge aus (BVerfGE a.a.O.; BSGE 32, 106, 109; 35, 108, 110; BT-Drucks. IV/818 S. 15, 16 vom 7. Dezember 1967; vgl. z.B. §§ 8 Abs. 3, 13 Nr. 4, 23 Abs. 1 BKGG, § 183 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 RVO i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1970). Die eine Sozialleistung ist durch eine andere abgelöst worden; der Gesetzgeber hat in § 8 Abs. 1 Nr. 2 BKGG dem Kindergeldberechtigten keineswegs seinen Anspruch genommen, sondern ihn nur dahin umgeformt, daß er durch einen Sozialversicherungsträger zu erfüllen ist. Dieser Vorgang beschränkte sich auf die soziale Leistungsträgerschaft und berührte den zivilrechtlichen Schadensausgleich nicht. Nicht ein Schaden des Verletzten wurde auf die Klägerin verlagert, sondern diese wurde lediglich mit der vom Kindergeld bis dahin wahrgenommenen Aufgabe mitbelastet, die als solche mit dem zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignis nichts zu tun hatte. Die Revision hat zwar darin Recht, daß mit dem Übergang vom Kindergeld auf die Kinderzulage nicht nur die Zahlstelle gewechselt hat, indes berührt dies hier nicht. Schadensrechtlich geht es nicht an, den Wegfall des Kindergeldes isoliert als Verlust des Verletzten ohne Rücksicht darauf zu betrachten, daß der Gesetzgeber diese "Einbuße" nur wegen des "Zuwachses" der Kinderzulage angeordnet hat. Insoweit kann für die schadensrechtliche Betrachtung nichts anderes gelten als in den Fällen, in denen eine vom Unfallverletzten bis zum Unfall bezogene Rente aus der Rentenversicherung gemäß § 1278 RVO nur verkürzt ausgezahlt wird, weil und soweit sie wegen Zusammentreffens mit der Unfallrente ruht. Auch für diese Fälle hat der erkennende Senat einen Unfallschaden des Verletzten, für den die Berufsgenossenschaft beim Schädiger nach § 1542 RVO Regreß nehmen könnte, verneint (Senatsurteil vom 26. Oktober 1976 - VI ZR 216/75 = VersR 1977, 130 - NJW 1977, 246).

3.

Eine andere Betrachtung wäre geboten, wenn die Einstellung der Zahlung des Kindergeldes auf dem Fortfall von Leistungsvoraussetzungen beruhen würde, für den die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit begründet ist, etwa wenn sich beim Unfalltod des Kindergeldberechtigten der Wegfall des Kindergeldes ausnahmsweise in einem Unterhaltsschaden der Hinterbliebenen niederschlagen würde. Insoweit trifft die Entscheidung des erkennenden Senats vom 2. Juni 1961 - VI ZR 159/60 = NJW 1961, 1573 = VersR 1961, 709, der noch die bis 1964 geltende, an der Erwerbstätigkeit orientierte Regelung des Kindergeldgesetzes (KGG) vom 13. November 1954 - BGBl I 333 zugrundelag, auch für das heutige Recht zu (vgl. dazu Nirk NJW 1961, 1573; Wussow a.a.O.; Gunkel/Hebmüller a.a.O.). Unberührt bleibt von den vorstehenden Ausführungen auch der Rückgriff des Sozialversicherungsträgers wegen der von ihm zu zahlenden Kinderzulage auf einen (echten) Erwerbsschaden des Verletzten (vgl. das zu den Kinderzuschüssen des Rentenversicherers ergangene Senatsurteil vom 13. Februar 1975 - VI ZR 209/73 = NJW 1975, 978 = VersR 1975, 446 mit Nachw.). Um einen solchen Schaden handelt es sich aber beim Wegfall des Kindergeldanspruchs aufgrund der hier gegebenen Fallgestaltung nicht.

4.

Das führt freilich dazu, daß die Berufsgenossenschaft in der Mehrzahl der Fälle im Verhältnis zum Schädiger mit der Kinderzulage zumindest teilweise endgültig belastet bleibt. Das ist jedoch eine Folge der sozialpolitischen Entscheidung des Gesetzgebers, die den Sozialversicherungsträger, nicht den Schädiger trifft.

Das Landgericht hat deshalb die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Auf die Revision der Beklagten war daher sein Urteil wiederherzustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018740

NJW 1978, 2200

NJW 1978, 2200-2201 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1979, 131 (Volltext mit amtl. LS)

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