Verfahrensgang
OLG Dresden (Entscheidung vom 07.07.2022; Aktenzeichen 11a U 1887/20) |
LG Chemnitz (Entscheidung vom 13.08.2020; Aktenzeichen 2 O 1589/19) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 7. Juli 2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 5. September 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des im Berufungsantrag zu 1 bezeichneten Fahrzeugs zum Nachteil des Klägers erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger erwarb am 28. November 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten Mercedes-Benz C 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Rz. 3
Der Kläger hat die Beklagte in erster Linie unter dem Gesichtspunkt kaufrechtlicher Gewährleistung und in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2), den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Feststellung der Teilerledigung des Rechtsstreits begehrt (Berufungsantrag zu 4). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützt hat.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche nebst davon abhängige Nebenansprüche beschränkte Revision (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris, Rn. 8 ff.; Urteil vom 10. Juli 2023 - VIa ZR 1620/22, juris Rn. 5 bis 7) des Klägers hat Erfolg.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Dem Kläger stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um auf den Schutz der Fahrzeugkäufer ausgerichtete Schutzgesetze handle. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden, so dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe.
II.
Rz. 7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
Rz. 8
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rz. 9
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Rz. 10
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 11
Das angefochtene Urteil ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Krüger Götz
Rensen Katzenstein
Fundstellen
Dokument-Index HI16717281 |