Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Rechtsanwalt wegen pflichtwidrigem Verhalten bei der Versteigerung eines Grundstücks
Leitsatz (amtlich)
Vertritt ein Rechtsanwalt gleichzeitig zwei Beteiligte mit gleichgerichteten Interessen in einem Zwangsversteigerungsverfahren zur Aufhebung einer Gemeinschaft, und ist er einem der beiden Beteiligten gegenüber verpflichtet, ihn über die Möglichkeiten des Mitbietens im Versteigerungstermin zu belehren und einen entsprechenden Bietauftrag auszuführen, dann trifft ihn auch dem anderen Beteiligten gegenüber die Pflicht, dem ersteren diese Ersteigerungsmöglichkeit zu erhalten.
Normenkette
BGB § 675
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Kammergerichts vom 10. August 1982 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als darin die Klage wegen eines Betrages von 26.000 DM nebst Zinsen abgewiesen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Alleinerbin ihrer Schwester, der Ärztin Dr. Adelheid H. Beide Schwestern waren zu je 1/4 Anteil und ihr gemeinsamer Onkel Dietbert H. zu 1/2 Anteil Mitglied einer Erbengemeinschaft. Zum ungeteilten Nachlaß gehörte das 2.625 qm große Grundstück W.-Straße ... in B., das mit einer größeren Villa bebaut ist. Das Gebäude ist nachträglich in ein Mehrfamilienhaus umgebaut worden und wird von mehreren Mietparteien bewohnt; es befindet sich in schlechtem Allgemeinzustand.
Der Beklagte hatte die Klägerin und ihre Schwester in verschiedenen Rechtsangelegenheiten anwaltlich beraten und besaß seit 1972 von ihnen eine Generalvollmacht. Zwecks Aufhebung der Gemeinschaft beantragte der Beklagte im August 1974 namens der Klägerin die Versteigerung des Grundstücks. Das Amtsgericht ordnete am 20. August 1974 die Zwangsversteigerung an. Am 21. September 1974 teilte die Schwester der Klägerin dem Beklagten schriftlich mit, sie sei mit der Zwangsversteigerung des Grundstücks einverstanden, und bat um Übersendung einer Vollmachtsurkunde zur Unterzeichnung. Hierauf erwiderte der Beklagte mit Schreiben vom 30. September 1974, er benötige für die Durchführung des Versteigerungsverfahrens keine Vollmacht von der Schwester der Klägerin, werde sie aber über den Fortgang des Verfahrens unterrichten. Im Februar 1975 trat Dietbert H., nachdem er vergeblich versucht hatte, die Einstellung des Versteigerungsverfahrens zu erreichen, dem Verfahren bei. Der Beklagte teilte der Schwester der Klägerin den Beitritt des Onkels mit und wies darauf hin, das Zwangsversteigerungsverfahren könne jetzt nur noch mit dessen Zustimmung eingestellt werden. Er äußerte ihr gegenüber auch noch die Befürchtung, daß der Onkel versuchen werde, das Grundstück billig zu ersteigern. Mit Schriftsatz vom 5. März 1975 beantragte der Beklagte namens der Klägerin, das Zwangsversteigerungsverfahren für 6 Monate einzustellen. Das Gericht entsprach dem Antrag durch Beschluß vom 12. März 1975, wies aber zugleich darauf hin, daß der Versteigerungstermin, der inzwischen aufgrund des Beitritts von Dietbert H. auf den 29. April 1975 festgesetzt worden war, bestehen bleibe.
Nach Einleitung des Versteigerungsverfahrens führten die Beteiligten wiederholt Gespräche über eine gemeinsame freihändige Veräußerung des Grundstücks. Dabei hielt der Beklagte einen Preis von 400.000 DM für erzielbar; eine Feststellung des Verkehrswertes des Grundstücks durch einen Sachverständigen veranlaßte er jedoch nicht. Die Verkaufsverhandlungen führten zu keinem Erfolg.
Der Beklagte blieb dem Versteigerungstermin vom 29. April 1975 fern. Als einziger Bieter erschien Dietbert H. und erhielt für 280.000 DM den Zuschlag. Der Beklagte erfuhr hiervon am Abend des 29. April 1975 und legte am 6. Mai 1975 für die Klägerin Zuschlagsbeschwerde ein, weil H. ihm zugesagt habe, der Einstellung des Verfahrens zuzustimmen. Die Beschwerde blieb erfolglos. Die Schwester der Klägerin wies den Beklagten schriftlich darauf hin, sie sei nicht damit einverstanden, ihren Anteil gegen Zahlung von 70.000 IM zu verlieren. Im Verteilungstermin am 16. Oktober 1975 vertrat der Beklagte die Klägerin und deren Schwester.
In der Folgezeit bemühten sich die von der Klägerin und ihrer Schwester eingeschalteten Anwälte ebenso wie der Beklagte, den Ersteher zu einer Aufstockung des Versteigerungserlöses zu veranlassen und so den Schaden der Klägerin und deren Schwester möglichst gering zu halten. Unter Zugrundelegung eines Grundstückswertes von 400.000 DM erklärte sich H. schließlich bereit, an die Klägerin und ihre Schwester je 95.000 DM zu zahlen. Weitere 5.000 DM zahlte die Haftpflichtversicherung des Beklagten an jede der beiden Schwestern.
Über ihren Steuerberater ließ die Klägerin nunmehr - erstmals - ein Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks einholen. Nach Antrage beim Gutachterausschuß für Grundstückswerte in B. teilte ihr der Steuerberater mit, der reine Bodenwert des Grundstücks betrage 787.500 DM und das Gebäude habe keinen zusätzlichen Wert.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Schwester der Klägerin vom Beklagten Schadensersatz verlangt, weil er pflichtwidrig die "Verschleuderung" des Grundstücks zugelassen habe. Sie hat ihren Schaden nach dem auf sie entfallenden Viertel des Differenzbetrages von 400.000 DM (im Vergleichswege von Dietbert H. zugrunde gelegter fiktiver Erlös) und dem behaupteten Verkehrswert von 787.500 DM berechnet. Insgesamt hat sie danach 96.873 DM nebst Zinsen verlangt.
Nach dem Tod ihrer Schwester hat die Klägerin den Rechtsstreit weitergeführt und die Klageforderung auf 148.517,77 DM erhöht.
Der Beklagte behauptet, er habe keinen Auftrag der Schwester der Klägerin zur Vertretung ihrer Interessen angenommen. Hilfsweise rechnet er mit Gebührenansprüchen in Höhe von insgesamt 12.607,25 DM auf.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat durch sein Urteil vom 9. Februar 1979 der Klage in Höhe von 48.517,77 DM nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der früheren Klägerin hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes dieses Urteil am 23. Januar 1981 (V ZR 198/79 - VersR 1981, 460) aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Kammergericht hat nunmehr die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin die Klageansprüche ihrer verstorbenen Schwester weiter. Der Senat hat durch Beschluß vom 12. Juli 1983 die Revision nicht angenommen, soweit die Klägerin mehr als 26.000 DM nebst Zinsen verlangt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht mit dem Urteil des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes davon aus, daß auch zwischen der Schwester der jetzigen Klägerin und dem Beklagten ein Anwaltsvertrag zustandegekommen ist und daß der Beklagte seine anwaltlichen Pflichten u.a. dadurch verletzt hat, daß er sich nicht nach dem Verkehrswert des Grundstücks erkundigte. Das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten ist nach Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht ursächlich für den der Schwester der Klägerin entstandenen Schaden gewesen. Das Berufungsgericht meint, diese habe den Beklagten nicht auf Ersatz ihres Anteils am Mehrerlös bei einer Ersteigerung des Grundstücks durch die Klägerin in Anspruch nehmen können, weil insoweit kein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten und der Entstehung des Schadens bestehe. Der Beklagte habe für die Schwester der Klägerin kein Gebot abgeben können. Ihr gegenüber sei er auch nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin die Möglichkeit zu erhalten, das Grundstück selbst zu ersteigern. Deshalb könne ihr nicht zugute kommen, daß der Beklagte ebenfalls seine Pflichten aus dem mit der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrag verletzt habe.
II.
Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision mit Erfolg.
1.
Nachdem der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 23. Januar 1981 ausgeführt hat, das Berufungsgericht sei in seinem ersten Berufungsurteil ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, der Beklagte habe die Beratung auch der Schwester der Klägerin in der Grundstücksangelegenheit übernommen gehabt und er habe in mehrfacher Hinsicht seine Pflichten aus diesem Anwaltsvertrag verletzt, u.a. dadurch, daß er sich nicht nach dem Verkehrswert des Grundstücks erkundigt hat, mußte das Berufungsgericht und muß auch der erkennende Senat von diesem Sachverhalt ausgehen.
2.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts über die Ursächlichkeit der vom Beklagten begangenen Pflichtverletzung für den Schaden der Schwester der Klägerin halten jedoch einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a)
Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Erbengemeinschaft das Grundstück nicht auf Dauer erhalten und habe auch nicht bewirken können, daß in einem späteren Versteigerungstermin ein höherer Versteigerungserlös erzielt worden wäre. Ebenso hält es den Revisionsangriffen stand, daß sich das Berufungsgericht nicht davon hat überzeugen können, daß die Klägerin das Grundstück im Innenverhältnis für ihre Schwester mitersteigert haben würde, wie die Klägerin behauptet hat. Im Hinblick darauf hat der Senat die Revision der Klägerin nur teilweise angenommen.
b)
Die Revision rügt jedoch mit Recht, daß die jeweils isolierte Betrachtung der mit der Klägerin und deren Schwester geschlossenen Anwaltsverträge der Pflichtenstellung des Beklagten nicht gerecht wird. Der Beklagte konnte allerdings für die Schwester der Klägerin in dem Zwangsversteigerungsverfahren kein Gebot abgeben, schon weil ihr nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die Mittel fehlten, das Grundstück selbst zu ersteigern. Er war aber, wovon das Berufungsgericht im Parallelprozeß der Klägerin bezüglich ihrer eigenen Ansprüche gegen den Beklagten mit Recht ausgeht, dieser gegenüber verpflichtet, sie über ihre Möglichkeiten des Mitbietens im Versteigerungstermin aufzuklären und einen entsprechenden Bietauftrag auszuführen. Da er in diesem Verfahren aber beide Schwestern gleichzeitig vertrat, mußte er, wie die Revision zutreffend geltend macht, dafür sorgen, daß die beiderseitigen Interessen im Rahmen des möglichen gewahrt wurden. Dazu gehörte auch, daß er die nur für eine von ihnen bestehenden Möglichkeiten zugunsten der anderen nutzte, soweit zwischen den Schwestern kein Interessenkonflikt bestand. Da - wie das Berufungsgericht feststellt - nur die Klägerin die finanzielle Möglichkeit hatte, ein das etwaige Höchstgebot des Onkels von 500.000 DM übersteigendes Gebot abzugeben, war er damit auch deren Schwester gegenüber verpflichtet, der Klägerin die Ersteigerungsmöglichkeit zu erhalten. Er hatte daher aufgrund des mit der Schwester der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrages dieser gegenüber dafür zu sorgen, daß die Klägerin - wie das Berufungsgericht im Parallelprozeß der Klägerin mit dem Beklagten angenommen hat - bis zu einem Gebot von 504.000 DM mitbot und damit verhinderte, daß das Grundstück unter Wert versteigert wurde.
III.
Bei dieser Sachlage kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben, soweit die Klage in Höhe von 26.000 DM nebst Zinsen abgewiesen worden ist. Insoweit läßt sich im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens ein Erfolg der Klage nicht verneinen. Denn wenn die Klägerin - wie das Berufungsgericht im Parallelprozeß angenommen hat - ein Gebot von 504.000 DM abgegeben hätte, dann wäre ihre Schwester mit 1/4, nämlich mit 126.000 DM daran beteiligt gewesen. Da diese bereits 95.000 DM von ihrem Onkel und 5.000 DM von der Haftpflichtversicherung des Beklagten, insgesamt also 100.000 DM, erhalten hat, bleibt ihr ein vom Beklagten allenfalls noch zu ersetzender Schaden von 26.000 DM nebst Zinsen.
Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat jedoch nicht möglich, da das Berufungsgericht im vorliegenden Rechtsstreit ausdrücklich unentschieden gelassen hat, ob die Klägerin bei richtiger Beratung durch den Beklagten tatsächlich mehr als 500.000 DM geboten hätte, um einen Zuschlag an den Onkel zu verhindern. Die Sache muß daher im Umfang der Aufhebung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht hat dann auch darüber zu befinden, ob und inwieweit die vom Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einem ihm zustehenden Gebührenanspruch noch zu einer Tilgung des etwaigen Schadensersatzanspruches führen kann. Dabei wird es insbesondere zu erörtern haben, ob dem Beklagten noch ein Gebührenanspruch zusteht, nachdem die Klägerin in dem Parallelprozeß, in welchem sie ihre eigenen Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten eingeklagt hat, ihre Klageforderung um 2.132 DM wegen dem Beklagten zustehender Gebührenforderungen ermäßigt hat (obwohl diesem nach den Berechnungen des Berufungsgerichts gegen jede der beiden Schwestern nur ein Anspruch von 539,37 DM zustehen soll).
Unterschriften
Dr. Steffen,
Scheffen,
Dr. Kullmann,
Dr. Lepa,
Bischoff
Fundstellen
Haufe-Index 1456083 |
NJW 1985, 1897 |
ZIP 1984, 1281 |